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vor 9 Jahren - 25.01.2015
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„Auf in den Osten - Parfum kaufen !“ oder „Parfum-Geschichten eines Berliners“

Eine kürzlich besuchte Ausstellung im Berliner Ephraim-Palais „ West-Berlin – Ein Insel auf Suche nach Festland“ katapultierte mich gedanklich von 0 auf 100 in meine Jugend, speziell in die End-70iger. Eine für mich wilde Zeit, aber auch der Beginn meiner Parfum-Leidenschaft.

Geboren und aufgewachsen im freien Teil Berlins, verfügte ich über ein Parfum-Eldorado, welches keine Wünsche offen lies. Zunächst gab es das KaDeWe, dann die vornehmen, kleinen Parfümerien auf dem „Ku-Damm“ und die unzähligen Einzelhandels-Parfümerien und Drogerien in jedem Stadtteil.

Rückblickend freue ich mich, die Jahre miterlebt zu haben, konnte ich dadurch all die heute so begehrten Düfte noch im Original riechen, testen, kaufen.

Kaufen - tja, das war eigentlich nicht so einfach.Wie für die Altersgruppe typisch, waren auch bei mir Wünsche größer als die Fülle im Portemonnaie.

Das Leben in Berlin war speziell, außergewöhnlich, sonderbar oder besser gesagt : eigentümlich. Die Mauer, mitten durch Berlin gezogen, verursachte dadurch auch befremdliche Situationen. U- und S-Bahnlinien aus dem Westen kommend, durchfuhren den Ostteil der Stadt ohne Halt, die Stationen waren zugemauert und von Vopo's (Volkspolizisten) strengstens bewacht. Kurios - der Bahnhof Berlin-Friedrichstraße !

Hier hielten alle Bahnen. Ein Bahnhof mit zwei Welten. Ein Teil konnte nur von West-Berlinern genutzt werden (Umsteigen zwischen den Bahnen oder zur Einreise in die DDR bzw. nach Ost-Berlin), der andere Teil nur von Ost-Berlinern. Wer von dem einen Teil des Bahnhofes in den anderen wollte, durfte entweder nicht (Ost-Berliner) oder musste die nervenaufreibenden Einreiseprozeduren über sich ergehen lassen und obendrein auch mit DM sich die Einreise erkaufen.(West-Berliner)

Die DDR war geschäftstüchtig. Auf den Bahnsteigen und in den Verbindungsgängen, die nur den West-Berlinern zugänglich waren, gab es Kioske, die westliche Konsumartikel ( Zigaretten, Alkoholika aber auch Parfums ) preiswert gegen DM verkauften. Diese Intershops gab es auch auf den Transitwegen oder in größeren Städten der DDR und dienten dem Regime zur notwendigen Devisenbeschaffung, denn Bezahlung war nur gegen frei konvertierbare Währung möglich.

Da der im Osten gelegene Bahnhof Friedrichstr. nun so ganz einfach von West-Berlin erreichbar war, entwickelte sich rasch ein 'Einkaufstourismus', dem auch ich nach Herzenslust frönte. Wer bei der Schilderung des Intershops an die heutigen Duty-Free-Läden denkt, hat das Konzept erkannt, aber der Vergleich hinkt doch gewaltig. Das Produktangebot war deutlich begrenzt, aber für meine damaligen Bedürfnisse völlig ausreichend. Parfums gab es von YSL-Cosmetic, Parfums Nina Ricci und von „Parfums Christian Dior. Da ich seiner Zeit in Jules 'badete', wurde Nachschub immer im Intershop und nicht im KaDeWe besorgt und es war jeweils auch eine aufregende Reise in eine andere Welt. Ich fuhr mit den alten, klapprigen S-Bahnen zur Friedrichstraße und stellte mich brav in die Schlange der Wartenden.

Der Bahnhof hatte für mich immer ein unheimliches, tristes, graues Ambiente. Entweder hasteten Menschen als Umsteiger durch die verschachtelten, dunklen Gänge oder man war Grenzgänger, vielleicht auch Agent. Und unter Garantie gab sie auch : die Damen und Herren in zivil, angestellt vom Ministerium „horch und guck“. Zusätzlich trafen sich hier die in der Gesellschaft Gestrauchelten, die hier preiswert ihre Alkohol- bzw. Nikotinsucht befriedigten konnten.

Nein, das war kein Bahnhof um gerne zu verweilen . Und trotzdem war er ein so begehrtes Ziel für so viele Menschen !

In dieser Welt erschienen mir die Intershops wie kunterbunte Flecken; grell geschminkte Verkäuferinnen in Dederon-Kittelschürzen zwischen luxuriösen Verpackungen der Parfums, der Spirituosen und Zigaretten.

Die Preisunterschiede waren erheblich (ich zahlte für mein Jules statt regulärer 39 DM nur 25 DM) und so verwunderte es nicht, dass sich viele 'Westler' am Bahnhof Friedrichstraße versorgten.

Der eigentlich spannende Part einer Einkaufstour war dann die Rückreise !

Der Einkauf im Intershop war natürlich nicht gestattet, es sei denn, man konnte einen Grenzübertritt (Rückreise von einem Besuch in Ost-Berlin oder der DDR) nachweisen.

Passierte die Bahn dann wieder den ersten Bahnhof im Westen, stiegen (ebenfalls in zivil) die Herren vom Zoll ein und führten Taschenkontrollen durch. Wer hier mit Intershop-Ware erwischt wurde, zahlte die Mehrwertsteuer nach und zusätzlich eine Strafgebühr.

Dies blieb mir Gott sei Dank immer erspart, vielleicht war ich noch zu pubertär - verpickelt und entsprach nicht dem typischen Intershop-Käufer. Meine beiden Dior-Fläschen in linker und rechter Anorak-Tasche sah man ja nicht.

Der 'Intershop-Tourismus' war aber auch ein steter Streitpunkt, auch in der Familie. Mein Vater wäre ausgeflippt, hätte er von meinen häufigen Eskapaden erfahren. (ich meine hier die des 'Intershoppens'.....).

Kritiker führten mit Recht an, dass mit jedem Einkauf im Shop der Stacheldraht an der Grenze bezahlt werden würde.**

Selbst die 30 Pfennige für die S-Bahnfahrt wurden angekreidet, sie wurde von der DDR betrieben.

Damals war mir das alles egal! Ich war glücklich preiswert an Parfums zu kommen.

** wikipedia führt zum Thema 'Finanzen / Intershop' aus, dass ab 1985 mehr als eine Milliarde DM jährlich umgesetzt wurde. Ende der 80iger Jahre standen den DDR-Auslandsschulden von ca. 26,5 Mrd. US-Dollar ein Guthaben von 15,7 Mrd. US-Dollar gegenüber, welches weitestgehend von dem Schalk-Golodkowski-Imperium erwirtschaftet wurde.

Wer tiefer in die Besonderheiten des Bahnhofs Friedrichstraße steigen möchte, dem sei ebenfalls ein wikipedia-Artikel „Bahnhof Berlin Friedrichstraße/DDR-Grenzübergangsstelle“ empfohlen.

Die Ausstellung „West-Berlin – eine Insel auf Suche nach Festland“ ist nicht nur für West-Berliner gedacht ! (witzig: der Ausstellungsort, das Ephraim-Palais, befindet sich im ehemaligen Osten). Sie läuft noch bis zum 28.06.2015.

Schlussendlich : Dieser Blog ist zwei lieben Menschen hier bei parfumo gewidmet.

Zum einen für meinen Parfum-Freund „Rivegauche“, ebenfalls gebürtiger Berliner. Wir kannten uns damals noch nicht, aber wir hätten uns unter Garantie gemeinsam auf den Weg in den Osten gemacht.

Zum anderen, meiner liebe Freundin Christin. Sie lebte damals auch in West-Berlin und …... sie hat heute Geburtstag !

Prost, ma Chère !

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