Harielle

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Harielle vor 4 Jahren 11 11
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7.5
Duft
Nach dem Rendevous mit Lord X
Billy Wilder, einer meiner Lieblingsregisseure, wäre dieser Tage 114 Jahre geworden. Seine Filme begleiten mich seit frühester Jugend. Begonnen hatte alles mit „1,2,3“ und „Manche mögens heiß“ in meinem Elternhaus. Mit „Irma la douce“ verbinde ich vor allem die Treffen mit meiner gleichaltrigen Kusine bei unserer Großmutter in Nordrhein-Westfalen. Obgleich das Kusinchen und ich unterschiedlich nicht sein konnten bzw. könnten, verstanden wir uns sehr gut und schauten bei jedem dieser Treffen mindestens einmal Wilders „Irma la douce“ während unsere Großmama ihren Mittagsschlaf hielt.

Die Handlung des Films ist schnell zusammengefasst (wer den Film kennt, kann diesen Teil überspringen):
Paris in den frühen 1960er Jahren. Der suspendierte Streifenpolizist Nestor Patou verliebt sich in die Bordsteinschwalbe Irma, genannt Irma la Douce („Irma die Süße“). Nachdem er Irmas Zuhälter in einer spektakulären Prügelei besiegt hat, übernimmt er mit dessen Platz. Doch eine rein geschäftliche Beziehung kann Nestor mit Irma nicht führen, die Eifersucht auf ihre Freier treibt ihn um. Gemeinsam mit der Hilfe des Café-Besitzers Moustache verkleidet sich Nestor als „Lord X“ und besucht Irma von nun an. Für ein paar harmlose Kartenspiele wird sie jedes Mal königlich entlohnt und braucht keine weiteren Freier mehr zu akzeptieren. Da Nestor das Geld nachts heimlich auf dem Pariser Großmarkt, den halles centrales, verdienen muss, ist er tagsüber müde und zunehmend unaufmerksamer. Irma vermutet eine Affäre, verführt Lord X und beschließt mit diesem durchzubrennen.
Nestor seinerseits ist nun eifersüchtig auf den (nicht existierenden) Lord X und versenkt das Kostüm in der Seine. Dabei wird er von Irmas früherem Zuhälter beobachtet, der den vermeintlichen Mord an die Polizei meldet. Im Gefängnis erfährt Nestor, dass Irma von ihm schwanger ist. Ihm gelingt die Flucht und er heiratet Irma in letzter Sekunde vor der Entbindung. Da am Rande des Geschehens wider alle Logik Lord X aufgetaucht ist, wird Nestor von den Vorwürfen des Mordes frei gesprochen. Garniert wird das Geschehen wie üblich bei Wilder mit zahlreichen liebevoll bis ins letzte Detail ausgefeilten Nebenrollen wie Irmas Kolleginnen mit den sprechenden Namen „Amazonen Annie“ oder „Kiki der Kosake“, einem Champagner trinkenden Hund mit Nierenleiden und natürlich den schillernden „Macs“, den Zuhältern, die sich regelmäßig im Café Chez Moustache treffen.

Was hat Lehmanns Feige mit alldem zu tun?

Auch das ist schnell erklärt: Diese Feige ist grün wie Irmas Strümpfe (und Unterwäsche natürlich), sie transportiert für mich eher eine den Lehmanschen Kunstblumen entsprechende Ästhetik, denn mediterrane Leichtigkeit oder gar Urlaubsfeeling. Diese Feige ist reif, sie wurde von Nestor nach seiner Arbeit in den halles mitgebracht und verströmt nun in einer Schale liegend in Irmas schäbig-charmanter Dachwohnung ein kräftiges fruchtig säuerliches Aroma. Nach den ausgedehnten Terminen mit Lord X haftet Irma stets ein Hauch seines intensiven Rasierwassers an wenn sie nach Hause kommt, obgleich diese Treffen bis auf das letzte platonisch sind.

Diese Rasierwassernote vermischt sich in der Herznote mit einer turbomäßig erstarkenden fruchtigen Feigennote und einigen cremig-blümelnden Nuancen, die an die Tapete vor Irmas „Geschäftsadresse“ (das ist das Stundenhotel auf der Rue Casanova) erinnern. Das Ganze hat auch zeitweise einen leicht seifigen Charakter, was gut zu dem Charme der vergleichsweise unschuldig-romantische Liebe von Irma und Nestor passt. Die Basis läutet das für mich schönste Kapitel dieser Feige ein: Holzige Noten untermalen die nach wie vor kräftig schallend fruchtige Feigen und dimmen sie zunehmend, wobei ich nicht identifizieren kann, welche Hölzer hier eingesetzt wurden.

Fazit:
Eine grobmotorische Feige mit Durchschlagkraft für Mutige, die es auch mit einem Lord X aufnehmen und auf (Kopf-) Kino stehen!
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Harielle vor 4 Jahren 21 9
Bitte ohne Vin Santo!
Cantuccini sind ein lustiges Gebäck aus Norditalien, das ich zum ersten Mal von meiner verflossenen Schwiegermutter kredenzt bekam. Herzhaft biss ich in das kleine krosse Etwas, was ich sogleich bereute, da das Ding mehr als kross, nämlich steinhart und äußerst staubig schmeckte. Glücklicherweise verfüge ich über starke und feste Beißerchen, sonst hätte mich das Abenteuer glatt auf die Liege von Dr. S., meiner Wiener Zahnärztin, katapultiert.

Lernfähig wie ich zuweilen bin, habe ich schnell verstanden, dass man Cantuccini entweder vornehm kabbert oder sie mit Café oder einem Glas Vin Santo genießt. Letzteres ist selbst mir Süßnase zu viel des Guten und so habe ich auch bei meinen späteren Aufenthalten in Norditalien stets den Café, am liebsten starken, schwarzen Espresso bevorzugt. Der Espresso ist auf diese Weise übrigens nach und nach Bestandteil meines Lebens geworden, pur schwarz, stark, ohne Gedöns wie Milch oder Zucker.

Die Cantuccini hingegen habe ich mit dem Verfließen dieser Schwiegermutter irgendwie vergessen. Und dann kam die Corona-Pandemie und die Zeit zu Hause wurde lang und meine Backkünste sind doch recht übersichtlich, so dass ich mich wagemutig eines Tages zwischen homeoffice, e-learning meines Kronprinzen und nach einem Artikel über Italiens Leckereien daran machte, Cantuccini selbst zu backen.Die Sache war gar nicht so schwer, erst das Rezept für blutige Anfängerinnen aus Mehl, Mandeln, Zucker, Eiern und Vanillemark getestet, mit nicht nur für mich überzeugendem Ergebnis.

Beim zweiten und dritten Versuch fügte ich kühn geriebene Zitronen bzw. Orangenschalen hinzu mit dem Erfolg, dass die Dinger noch schneller weggefuttert wurden als beim ersten Durchgang.

Italien, Toskana, Florenz, oh wie sehr packte mich gerade in dieser Phase der Quarantäne die Reiselust und der Gusto auf Dolce Vita! Doch abgesehen davon, dass ich derzeit generell von einer Italienreisen absehen würde, hat doch Corona dort in einigen Landesteilen ordentlich gewütet und an vollständige Entwarnung ist meines Erachtens noch nicht zu denken, ist die Reisekasse, ebenfalls dank “Oasch-Virus Corona”, einstweilen zu dünn für eine Reise dieses Formats. Eine kleine olfaktorische kostengünstigere Reise versprach ich mir von Mandorlo di Sicilia aus der Blu Mediterraneo-Reihe von Acqua di Parma, also schnell eine Abfüllung organisiert. Bevor ich auf den Duft selbst eingehe, möchte ich kurz meine Erwartungen darlegen und was diese mit Cantuccini zu tun haben. Vor meinem inneren Auge hatte ich die bezaubernde Beatrice aus Il Postino oder die junge dralle Claudia Cardinale und einen pudrigen Mandel-Duft mit insgesamt dezenter, trockener Süße und leicht zitrischen Noten im Auftakt und einer moschuslastigen Basis.

Das entspricht mehr oder weniger einem Cantuccini in Duftform und wenn man die Duftpyramide von Mandorlo di Sicilia auf der Homepage von Acqua di Parma studiert:

Die Kopfnote: Sternanis, italienische Bergamotte, italienische Orange
Herznote: Grüne Mandeln, Ylang Ylang
Basisnote: Madagaskar-Vanille, libanesisches Zedernholz, Tolubalsam, Moschus

Um es vergleichsweise kurz zu machen: ja, bekommen habe ich den Cantuccini - allerdings mit klebrigem Vino Santo und letzteren hatte ich ja gar nicht bestellt! Mandorlo di Sicilia startet schon im Auftakt vollmundig süß, die gelisteten zitrischen Noten im Auftakt sind für meine Nase auf ein ebenfalls recht süßliches Orangenaroma reduziert, das mich entfernt an diese Erfrischungsstäbchen erinnert, die ich als Kind manchmal bei meiner Oma naschte (kennt die noch jemand hier? Dunkle sehr süße Schokoladenstäbchen mit picksüßer wässriger Flüssigkeit gefüllt, die Orangen oder Zitronenaroma aus dem Chemilabor aufwies). In Windeseile tritt ein – leider ebenfalls süßer – Mandelakkord hervor. Die Süße konnte vom gelisteten Ylang Ylang stammen, ich habe mit Ylang Ylang sehr unterschiedliche Dufterfahrung, mal ist er blumig – üppig, mal eher blumig-vanillig, manchmal für meine Nase einfach klebrig.

Hier vermag ich es nicht zu identifizieren, wobei ich die in der Basis gelistete Vanille als eigentliche Übeltäterin verdächtige. Von Zederholz und Moschus bemerke ich nämlich nichts, das Ganze versackt für mich in einer recht einfachen zuckrigen Vanillemelange und lässt mich von Salzkräckern, sauren Gurken und Currywurst träumen.

Aufgeben werde ich meine Abfüllung Mandorlo di Sicilia trotzdem nicht so schnell. Vielleicht wird sie mir im kommenden Winter gut Dienste leisten und dann unter Wollpullover und mit warmen gefütterten Stiefeln an den Füßen ihren wahren Charme entfalten. Aus diesem Grudn warte ich noch ein wenig mit meiner Bewertunghier.

Außerdem bin ich ob meines geografischen Potpourris vielleicht selbst Schuld, dass meine Erwartungen nicht erfüllt wurden. Zwischen der Toskana und Sizilien liegen nicht nur Kilometer, sondern sicher auch Welten. Eine toskanische Spezialität in einem als sizilianisch deklarierten Duft zu suchen, war daher vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt.


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Harielle vor 4 Jahren 19 15
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8.5
Duft
Gib mal 'nen Kuss auf Lydia
Eine Ablenkung vom wahren Leben, eine Flucht aus der Realität, das ist es, was sich Verleger Ernst Rowohlt von Schriftsteller Kurt Tucholsky in einem fiktiven Briefwechsel für seine Leser wünschte. Tucholsky erfüllte den Wunsch des Verlegers nach “einen leichten, sommerlichen Roman, vielleicht einer Liebesgeschichte” und schrieb einen seiner grössten Publikumserfolge: “Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte”. Als Zaungäste reisen wir mit Ich-Erzähler Peter, genannt Daddy und seiner Freundin Lydia, genannt Prinzessin, nach Südschweden. Die unbeschwerte Sommerfrische gespickt mit Neckereien – teilweise auf Missingsch* - wird durch interessante Besucher, nämlich Freund Karlchen und die erotisch anziehende Freundin Billie bereichert. Einen Riss bekommt die heitere Idylle als das Paar der kleinen Ada begegnet, die in einem nahe liegenden Kinderheim lebt und sich den Repressalien der Heimleiterin ausgesetzt sieht. Lydia und Peter nehmen sich des Kindes an und organisieren, dass es zu seiner (bisher ahnungslosen) Mutter in die Schweiz zurück kehren kann.

Kaum ein Duft verkörpert das entspannte Nichtstun in “Schloss Gripsholm” für mich so sehr wie “Lindenblüte” von Harry Lehmann. Die (vermeintliche) Einfachheit dieses Duftes gepaart mit der Ästhetik und Stimmung der Weimarer Zeit, die selbst in der lockeren und sommerlichen Atmosphäre von Tucholskys Erzählung mitschwingt, bilden für mich eine stimmige Einheit. Dass sowohl die Marke Harry Lehmann als auch die beiden Hauptfiguren Peter und Lydia aus Berlin stammen (Lydia ursprünglich aus Rostock, wie wir schnell erfahren - Stichwort “Missingsch”), wo zudem die legendäre Straße “Unter den Linden” beheimatet ist, mag diese Assoziationskette bei mir verstärken.

Wie riecht “Lindenblüte” von Harry Lehmann?

Nun, ganz einfach, nach Lindenblüte – das hättet ihr jetzt nicht vermutet, oder? Dies könnte in der Tat ein sehr kurzer Text werden, da ich diesem wunderbaren authentischen monofloralen Duft verbal wenig hinzuzufügen habe (wobei der Begriff monofloral mit Vorsicht zu genießen ist).

Aber ich versuche mal, meine Duft-Eindrücke mit Tucholskys Hilfe einzufangen:
Satt-grünes Blätterrauschen bestimmt den Auftakt des Duftes. Ich sehe vor meinem inneren Auge Lydia und Peter an einem noch frischen Sommermorgen eine Allee entlang radeln, es liegt noch Tau auf der Wiese und Lydia hat Gänsehaut auf den nackten Beinen.

Umgeben vom herrlich blumigen leicht süßen Duft der Lindenblüten machen die beiden am späten Vormittag eine Pause und liegen im Gras. Sie unterhalten sich und necken einander. Bienen summen friedlich, nicht weit entfernt haben Bauern Heu zum trocknen aufgetürmt, dessen leichter Duft sich mit dem der Lindenblüten mischt.

Lydia hat ihre Strickjacke ausgezogen und beginnt mit dem an einem Grashalm kauenden “Daddy” die im Buch allgegenwärtigen übermütigen Sprachpiele um Namen und Identitäten, die der Erzähler liebevoll ironisch als “Übereinstimmung in den Grundfragen des Daseins” beschreibt ohne ihnen eine geheimnisvolle, tiefere Bedeutung beizumessen. Dies entspricht dem humorvoll-witzigen Grundtenor der Erzählung. Die Harmonie und Leichtigkeit wird durch das obligatorische “Gib mal nen Kuss auf Lydia” apostrophiert.

Auf dem Heimweg ins Schloss Gripsholm steht die Sonne hoch am Himmel, die Luft ist warm und fast ein wenig schwül. Der leichte Sommerwind weht Blütenstaub und zarte honigsüsse Aromen hinüber. Die “Prinzessin” und ihr “Daddy” fühlen sich angenehm müde von Sonne, Luft - und Liebe.

Ich hoffe, ich konnte euch mit dieser kleinen Skizze einen brauchbaren Eindruck dieses wunderbaren Lindenblütenduftes vermitteln - und euch vielleicht ein wenig Lust auf Tucholsky-Lektüre machen.

Natürlich wurde diskutiert, inwieweit Kurt Tucholskys Erzählung autobiographische Züge aufweist, was dieser übrigens bestritt. Die Widmung „Für IA 47 407“ bezog sich jedenfalls wenig diskret auf die Journalistin Lisa Matthias (deren Autokennzeichen entsprechend lautete) mit der er 1927 bis 1930 eine Beziehung hatte und in Schweden nachweislich Urlaub machte. 1929 emigrierte Kurt Tucholsky nach Schweden, wo er bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1935 lebte.

Jedenfalls ist es schön, sich bei Bedarf ein wenig Gripsholm-Feeling aus dem Flakon zu gönnen um die “Seele baumeln" lassen zu können - und diese Romanze muss im Gegensatz zu der von Lydia und Kurt auch nicht nach einem Sommer enden. Ihre gemeinsame Zeit in Schweden ist begrenzt obgleich sie einen kurzen Moment sogar mit dem Gedanken spielen dort zu bleiben, doch sie sehen ein: „Nein, damit ist es nichts. Wenn man umzieht, ziehen die Sorgen nach. Ist man vier Wochen da, lacht man über alles — auch über die kleinen Unannehmlichkeiten. Sie gehen dich so schön nichts an. Ist man aber für immer da, dann muss man teilnehmen.“

*"Missingsch ist das, was herauskommt, wenn ein Plattdeutscher Hochdeutsch sprechen will. Er krabbelt auf der glatt gebohnerten Treppe der deutschen Grammatik empor und rutscht alle Nase lang wieder in sein geliebtes Platt zurück. Lydia stammt aus Rostock, und sie beherrscht dieses Idiom in der Vollendung."
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Harielle vor 4 Jahren 16 6
Afterbabyglow mit Flaschengeist
Juni (oder war es Juli?) 2006 wurde Insolence in Wien vor geladenen Gästen im Museumsquartier in wunderschönem Rahmen präsentiert - und ich durfte dabei sein! Hochschwanger – und aufgrund der damals herrschenden Hitze - und anschließend stillend, trug ich eine Weile kein Parfum. Mein Flakon Insolence lachte mich immer wieder verlockend und schelmisch aus dem Regal zu Hause an. Im Herbst ´06 war es dann eines Tages so weit. Rein in die geliebte miss sixty Jeans (passt wieder, yeah!), dazu den geliebten grünen Kapuzenmantel und unser kleines Wunderwesen im Bugaboo. Kurz vor Verlassen des Hauses ein Hauch Insolence auf die Handgelenke... Sicher eine ungewöhnliche Kombination Insolence und Afterbabyglow. Mit dem stolzen Papa ab ins Werkzeug H in Wien 15. Das Netzwerk eop hat geladen und wir besichtigen nebst anderen BesucherInnen die Exponate – auch unser Baby wird „besichtigt“ und bewundert. Interessante Gespräche – wer macht aktuell was, wann, mit wem und wo in Wien/Österreich/Deutschland/dem Rest der Welt. Wer kam, wer ging, wer, wie, was.

Meine Aufmerksamkeit wird immer wieder auf das Baby im Wagen gelenkt, ist alles gut? Zeit zu füttern? Ist es zu laut hier? Ein Modus, der sich im Laufe der Jahre (wie wahrscheinlich bei allen Eltern kleiner Kinder) automatisiert. Stets dabei ein pudriger Hauch aus Veilchen und roten Früchten. Dezent und heimelig umweht er
mich. Dass Insolence, das als „Godzilla Floral“ und als "the most deliciously vulgar perfume on the market today."(Luca Turin) charakterisiert wurde, solche Wohlgefühle auslösen kann, scheint unmöglich.

Insolence ist in der Tat ein mächtiger Duft, der eine homöopathische Dosierung verlangt. Leider ist es mir später oft passiert, dass ich diese Regel nicht berücksichtigt und mir die Freude an Insolence daher selbst verdorben habe. Einmal hatte ich morgens nicht nur einen Sprayer auf mein Dekolltee aufgetragen und bekam schon auf dem Weg zur Arbeit starke Kopfschmerzen von der mich umwallenden Puderwolke.... Danach habe ich meinen Flakon weg gegeben, weil ich Insolence automatisch mit Kopfschmerzen assoziiert habe.

Meine geschilderte Insolence-Erinnerung bezieht sich übrigens auf das zuerst lancierte Eau de Toilette, das sich stark vom später erschienenen Eau de Parfum unterscheidet. Das Eau de Toilette startet mit einer sehr herausfordernden fruchtig akzentuierten Haarspraynote, der man kaum entkommt. Mich erinnerte sie stets an eine Art frechen, lästigen (insolenten!) aber auch faszinierenden Flaschengeist, der einen mit einer himbeerfarbenen Wolke (ja, ich rieche auch Himbeere) umschwirrt. Nach ungefähr 30 Minuten verzieht sich der Flaschengeist und gibt die Nase für die nun folgende Orangenblüte, Rose und pudriges Veilchen (letzteres nehme ich am stärksten wahr) frei. Rund und schön wird es dann in der Basis, die blumigen Akkorde verschmilzen mit Sandelholz, Tonkabohne und weiteren Noten der traditionellen Guerlinade. Mich erinnert dies entfernt an das wunderschöne L`Heure Bleue – wobei Insolence von Anfang bis Ende weitaus „krawalliger“ und kapriziöser ist.

Für Parfumfans und Experimentierfreudige ist Insolence ein „Testen-Muss“, wobei man die enorme Intensität auf keinen Fall außer Acht lassen und Zeit mitbringen sollte! Insolence ist ein Parfum mit hohem Wiedererkennungswert. Bei Opern- und Restaurantbesuchen bitte nur in minimaler Dosis einsetzen. Nach meiner Erfahrung mit Chatelaine, die ich ausschliesslich in tropfenform auftrage, kann ich mir vorstellen, es bei Gelegenheit wieder einmal mit Insolence zu probieren, obwohl mein Baby heute schon 13 ist und ich nicht mehr wirklich glowe.
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Harielle vor 4 Jahren 5 3
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Duft
Abendsegen in der Hosenrolle
Gerade in der diesjährig (verfrühten) Übergangsjahreszeit - gepaart mit dem Todestag meiner Grossmutter - trage ich besonders gerne das melancholisch schöne Ereve der russischen Duftmarke Myropol. Ereve bedeutet Abend und in Gedenken an meine Oma, die als junge Frau Ballet-Tänzerin war, bringt mir Ereve den bittersüssen „Abendsegen“ aus Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel in Erinnerung.


Der Text des „Abendsegen“ wurde - wie das gesamte Libretto - von Humperdincks Schwester Adelheid Wette verfasst und wird zweistimmig gesungen. „Abends will ich schlafen gehn“, so der Beginn und Ereve kündet schon im fruchtig-würzigen Auftakt mit sehr leicht zitrischem Einschlag von der Wärme und Geborgenheit, aber auch von der Melancholie eines weiteren vergangenen Tages, was uns wie jeder vergangene Tag - wie ich neulich in einem sehr intensiven Gespräch aufschnappte - dem Tod stets ein Stückchen näher bringt.

Sollte dieser Gedanke zu morbide sein – keine Sorge, Hilfe naht! Das Geschwisterpaar singt weiter von vierzehn Engeln, die es im Schlaf umringt „….. zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen….“. Und während man noch lauscht und sich vor dem inneren Auge vorstellt, wie zauberhaften Lichtwesen die beiden im Wald verlorenen Kinder umringen, liefert Ereve mit der vollmundigen Herznote aus verschiedenen Kräutern (Minze?), Gewürzen (Zimt und Ingwer identifiziere ich eindeutig), die sich mit rosigen Nuancen eindeutig im Nadelwald befinden den Eindruck, dass es in dieser Lichtung doch recht heimelig, weil warm und wohlig zugeht.

„….zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken….“, der warme, waldig-balsamische, ja, leicht syrup-artige Charakter Ereves, vertieft sich in der Basisnote und umhüllt mich wie die beiden zuversichtlichen Kinder aus Grimms Märchen. Labdanum und Opoponax kombiniert mit Perubalsam machen Ereve eindeutig für beide Geschlechter tragbar - der Hänsel ist ja schliesslich eine Hosenrolle –. Styrax und Myrrhe harmonieren gut mit den letzten Zeilen des Abendsegens: „zweie, die mich weisen, zu Himmels Paradeisen!“ und erinnern entfernt daran, dass Humperdincks Oper gerne in der Weihnachtszeit gespielt wird.

Ereve zeichnet sehr treffend ein spätromantisches märchenhaftes Szenario nach, das durchaus für beide Geschlechter tragbar ist

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