​Spreading the Word

Begegnung mit Yvon Mouchel von Divine

Gemeinsam mit Ronin erlebt und verfasst

Zwei gegensätzliche Entwürfe der Bretagne liegen sich direkt gegenüber in einer Bucht der Smaragdküste: St. Malo, die grimmige, wehrhafte Korsarenstadt mit hoher Granitstadtmauer, die gischtumspült trotzig ins Meer ragt und Dinard, das auch heute noch das Flair des vornehmen Strandbades mit Casino pflegt und zu sommerlichen Kunst- und Musikfestivals entlang der geschmackvollen Uferpromenade einlädt. Eine leichte Brise von britisch-bretonischer Eleganz des 19. Jh. weht auch heute noch in Dinards Straßen mit den schönen Strandvillen. Ein Hauch der mondänen Sorglosigkeit von wohlhabenden englischen Familien, die im „Nizza des Nordens“ Urlaub machten und die aktuelle Bademode vorführten, als „Bademode“ noch bedeutete, dass Arme und Beine bedeckt sein mussten.

Dort in einem Bistro mit Blick auf den sandigen Strand sitzen wir heute, Ronin und Louce, und haben gerade gelernt, dass „Crudités“ „Gemüse“ bedeutet und nicht „Krusten-/Krebstiere“, denn das wäre „Crustace“ und Louce muss dringend in einem VHS-Kurs ihr französisches Vokabular auffrischen. Unser Crudités-Sandwich schmeckt trotzdem ganz vorzüglich und wir sortieren noch einmal die Fragen, die wir Yvon Mouchel stellen wollen.

Yvon Mouchel ist der Mann hinter Divine. Das kleine, feine Parfumlabel hat sich in den letzten Jahren vom geflüsterten Geheimtipp zur Nobelmarke mit Prestige in Kennerkreisen gemausert. Ein einzelner Duftliebender hat ohne Familientradition, Seilschaften und Sonderstatus seine Vision von Parfum realisiert. Ohne Erbe von großem Namen oder großem Vermögen aus Grasse oder Paris hat Yvon Mouchel den Schritt vom privaten Parfumfreund und Händler mit den Produkten der anderen zum visionären Unternehmer und selbstbestimmten Gestalter von Duftkunst gemacht. Wir wollen ihn fragen, wie das war, wie es ging, was den Weg ausmachte, erschwerte, erleichterte und welche Vision dem zugrunde liegt.

In der schönen Shoppingzone von Dinard reihen sich die ansehnlichen und mittelpreisigen bis luxuriösen Boutiquen aneinander und zeugen davon, dass das historische Seebad auch heute noch gut situierte Gäste hat. In dieses Ambiente passt das eindrucksvoll schöne Divine-Geschäft; im Erdgeschoss ein Parfumshop mit noch anderen ausgesuchten Produkten neben der Divine-Reihe und mit Yvon Mouchels Büro im Obergeschoss. Das Unternehmen ist in einem anderen, nahen Gebäude untergebracht, aber der Gründer Mouchel hängt an seinem alten Büro, wie er uns gleich nach der überaus herzlich-sympathischen Begrüßung erzählt. Ein Mann mit feinen Gesichtszügen, klugen Augen und zuvorkommender Höflichkeit begegnet uns und freut sich sichtlich, für Parfumo seine Pforten zu öffnen.

Warum, fragen wir ihn gleich. Irgendwelche Internetleute aus dem Ausland die irgendwas über Divine berichten wollen… warum freut ihn das so? Er klärt uns auf, dass Parfumo keineswegs fremd ist für ihn. Im Gegenteil.

Er grüßt durch uns und über diesen Artikel hier Apicius ganz herzlich und lässt uns etwas ausrichten: Die Rezension zum Parfum „L'Homme Infini“ aus der Feder von Apicius ist seiner Meinung nach vollkommen treffend und beschreibt genau den Kern dieser Parfumkreation. Yvon Mouchel sagt: „Hier wurde „L'Homme Infini“ wirklich verstanden.“

Er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lesen sehr aufmerksam Internetpublikationen wie Blogs oder Parfumo-Kommentare zu den Parfums von Divine. Die nette Aurelie, die unsere Interviewanfrage vor einigen Wochen beantwortet und sich um diesen Termin gekümmert hat, ist jetzt zu uns gestoßen und bestätigt eifrig nickend, wie wichtig die Internet-Öffentlichkeit für Divine ist. Ihr Chef erklärt: „Das ist unser Vertriebskonzept. Im Unterschied zu den großen Designermarken schalten wir keine Anzeigen, sondern versuchen, Menschen direkt anzusprechen. Die, die unsere Düfte kennen lernen, erzählen von uns – und empfehlen uns weiter. In der Vergangenheit war Parfum ein Mittel der sozialen Abgrenzung, heute ist es ein Mittel des individuellen Ausdrucks. Und das bedingt eben auch individuelle Mittel, wie wir die Menschen erreichen wollen.“ Yvon Mouchel sucht nach dem richtigen Begriff für den Divine-Weg und fragt, ob „Spreading the word“ auch auf Deutsch treffend sei. Wir übersetzen das mit „Mundpropaganda“, finden aber, dass es auf Englisch irgendwie wahrer und distinguierter klingt.

Wir erzählen, dass auch wir bei der Lancierung von „L'Homme Infini“ einen persönlich adressierten, parfümierten Brief erhalten hatten und welch engagierte Diskussionen es auf Parfumo gab, nachdem Dutzende Communitymember gleichzeitig solche Duftpost erhalten hatten. Yvon Mouchel lächelt und deutet auf Aurelie: „Das war ihre Idee. Bestehende Kunden erhielten die parfümierten Briefe und wir hatten die Hoffnung, dass über moderne Medien wie Parfumo noch mehr Parfumfreunde erfahren, dass wir einen neuen Duft herausgebracht haben.“

Dieser individuelle Zugang zu den Parfumliebhabern - erklärt das auch die für Divine große Bedeutung des Direktverkaufs im Internet? "Ja, sicherlich. Wir haben 40.000 Kunden, die schon einmal direkt bei uns bestellt haben. Das ist unser wichtigstes Mittel des Vertriebes. Darüber hinaus liefern wir nur an sehr wenige, ausgewählte Parfumerien, und das ohne Zwischenhändler. Es war unsere bewusste Entscheidung, den Vertrieb selbst in die Hand zu nehmen, um einen persönlichen Kontakt zu haben zu denen, die unsere Düfte tragen.“

In einer schicken PR-Mappe sind die Texte gesammelt, die nach Meinung Mouchels am meisten helfen beim Verständnis seiner Düfte. Nicht im Sinne von bloßer Werbung, sondern sich widmend dem Charakteristischen und wirklich Eigenen des jeweiligen Duftes. Apicius´ Kommentar ist freilich darin.

Wie fing das an, wollen wir wissen. Wie kam er auf die Idee, selbst ein Parfumlabel gründen und betreiben zu wollen. „Bevor ich mich selbständig machte, arbeite ich für L’Oreal und war dort für das Marketing der Cologne-Linie zuständig. So entdeckte ich meine Leidenschaft für Parfum. Aber mir wurde schnell klar, dass ich mich in einer großen Firma nicht verwirklichen konnte. Also eröffnete ich eine Parfumerie mit Nischendüften und 1986 hatten wir genügend Geld zusammen, um unseren ersten Duft „Divine“ produzieren zu können. Es dauerte 14 weitere Jahre, bis wir genügend Stammkunden hatten und finanziell in der Lage waren, weitere Parfums zu kreieren und auf den Markt zu bringen. Seitdem haben wir eine solide Basis, um uns parfumistisch verwirklichen zu können.“

Was ist das Typische, das Besondere an den Divine-Parfums? Was macht sie aus? „Divine wird leicht verstanden von Menschen, die sich für Parfum interessieren und etwas Erfahrung haben. Die Qualität der Rohstoffe, die Harmonie der Komposition ist nicht alles – Parfum ist dafür gemacht, getragen zu werden. Es wird Teil des Tragenden. Das ist uns sehr wichtig.“

Vereinfacht ausgedrückt gibt es in der französischen Parfumerie aktuell zwei große Richtungen: die klassische Guerlainschule - eng verwobene, dichte, ausbalancierte Düfte - und die Roudnitska-Ellena-Schule mit wenigen, klar abgegrenzten Noten, zwischen denen Spannung aufgebaut wird. Was bevorzugt er? Was ist Divine-typisch? „Jean-Claude Ellena ist möglicherweise der größte lebende Parfumeur. Ich bewundere ihn. Mit seinen unglaublich subtilen, immer wieder überraschenden Kunstwerken ist er inspirierend für alle, die mit Parfum zu tun haben. Die Divine-Reihe widmet sich aber einer anderen Philosophie der Duftkunst, Divine-Parfums sind dafür gemacht, getragen zu werden, und z.B. Guerlain-Düfte schaffen es auf unnachahmliche Weise, mit der Haut zu verschmelzen. Und das ist etwas, das wir auch zum Ziel haben.“ Da jetzt Yvon Mouchel schon häufiger im Gespräch den Begriff Kunst verwendet hat, erzählen wir ihm, dass wir uns bei Parfumo über die Kunst-Frage viele Gedanken machen und manchmal über deren Aspekte diskutieren, bis die Köpfe heiß und die Finger wund getippt sind. Wie sieht er das? Ist Parfumerie Kunst, Kunsthandwerk oder Design? „Parfum kann Kunst sein. Es sollte Kunst sein und zur Kunst streben. Ein großes Parfum ist ein Kunstwerk.“

Wie ist seine Rolle? Er ist der Art-Director und Marken-Chef, aber nicht Parfumeur. „Wir arbeiten im Team zusammen. Meine Aufgabe ist es, mit einer neuen, eher groben Idee zu kommen. Aber ich bin kein Parfumeur, der das Handwerk im Detail gelernt hat. Im Team verfeinern wir dann die Idee. Ich trage einen Duft in der Entwicklung sehr lange, monatelang. Weil uns dieser Aspekt so wichtig ist. Ich arbeite sehr gerne mit Richard Ibanez zusammen, er arbeitet wie ein Zeichner, sehr detailversessen. Und natürlich Yann Vasnier.“ Yann Vasnier ist auch Bretone und lebt im nahen Rennes. Wie kam es zur Zusammenarbeit? „Yann kam schon als Teenager oft in unser Geschäft, er lebte in der Nähe. Er war fasziniert von Parfum. Ich habe ihm alles gezeigt, gerade das, was sonst nur schwer erhältlich ist.“ Ist Yann Vasnier aufgrund dieser Begegnungen Parfumeur geworden? "Er hatte viele Talente. Welche Rolle unsere Bekanntschaft bei seiner endgültigen Entscheidung, Parfumeur werden zu wollen, gespielt hat, mag ich nicht beurteilen. Jedenfalls bin ich auf ihn zugegangen, als seine Ausbildung beendet war und sagte ‚Ich will einen Irisduft für Herren produzieren und du sollst ihn kreieren.‘ Und so entstand ‚L’Homme de Cœur‘, der erste Duft Yann Vasniers für Divine.“ Wir erwähnen, dass dieser Duft eine treue Anhängerschaft auf Parfumo hat und dass die metallisch-kühle Irisnote eine gewisse Ähnlichkeit zu ‚Dior Homme‘ aufweise, wo er einhakt: „Ja, aber Dior wählt einen süßen Kontext. ‚L’Homme de Cœur‘ soll bis in die Basis Frische ausstrahlen. Und - ‚L’Homme de Cœur‘ kam vor ‚Dior Homme ‘ heraus.“

„Ist das Bretonische in den Parfums drin?“ fragen wir. Ist seine (und Vasniers) bretonische Herkunft ausschlaggebend und geht es in den Divine-Parfums auch irgendwie um typische Düfte der brüsk-schönen Küstennatur im westlichsten Winkel Kontinentaleuropas, wie z.B. bei „Lostmarc´h“? „Nein.“ sagt Yvon Mouchel. „Das würde uns zu sehr einschränken, unseren Fokus zu sehr verengen. Wir haben keinen lokal-verorteten, eher einen internationalen Ansatz.“

Beim Sprechen wirkt Yvon Mouchel leidenschaftlich, engagiert. Er gibt nicht den Text zum Besten, der jetzt gerade gut ist, um sein Produkt zu verkaufen, sondern spricht von dem, was ihm unglaublich viel bedeutet. Obwohl auch ein alter Service-Profi, ist er ein überzeugter und idealistischer Berufener, der an das glaubt, was er tut und sagt. Er glaubt auch daran, dass es so was wie „Hautchemie“ geben muss. Natürlich geben wir da sofort Contra und es entspinnt sich eine Diskussion über Fakten, Erfahrungen und naturgesetzliche (Un-)Möglichkeiten. Er präzisiert, dass es nicht wirklich um pH-Wert, Hormone oder Bakterien ginge und dass die großen Unterschiede nicht zu unterschätzen seien, die die Perzeption erst in und durch die Wahrnehmung herstellt… aber dass dennoch ein Rest individueller Varianz bestünde, der teilweise sehr deutlich zum Wirken kommen kann. „Nun, ich kann es nicht erklären, aber meine jahrzehntelange Erfahrung im Parfumverkauf sagt mir, dass die unterschiedliche Wirkung nicht nur vom Kontext kommt, sondern wirklich Parfum, wenn auch nur leicht, an unterschiedlichen Personen unterschiedlich riecht.“

Nach seinen aktuellen Projekten und Plänen befragt, erzählt er uns, wie schwierig tatsächlich die Kreation eines gourmandigen Divine-Duftes ist, an dem er zurzeit arbeitet: „Es ist sehr einfach, ein süßes Parfum zu machen, etwas zu produzieren, was auf dem Duftstreifen beeindruckt und leicht wiederzuerkennen ist. Aber es ist schwer, dass so ein Duft nicht langweilig wird, ihm die Spannung mitzugeben, auch bei häufigem Tragen interessant zu bleiben. Hier fehlt uns noch der richtige Ansatz, die richtige Gourmandnote als zentraler Baustein." Gibt es diese Note schon oder muss sie noch erfunden werden? „Die gibt es sicher schon, nur wir haben sie noch nicht gefunden.“ In Mouchels Augen blitzen Entdeckergeist und Ambition auf, während er das sagt.

Wir haben irgendwann vergessen, dass wir ja eigentlich ein Interview führen. Viel zu spannend, ehrlich und gewinnbringend ist dieses Gespräch über Parfum, Parfumerie, Divine und Parfumo, das wir mit Yvon Mouchel führen. Es ist gemeinsames Fachsimpeln, Suche nach passenden Worten für Duft und Duftkunst und gegenseitiges Verstehen und Diskutieren von dem, was uns verbindet und gemeinsam berührt. Yvon Mouchel fragt nach, will wissen, was sein Gegenüber denkt und riecht und freut sich sichtlich, wenn er mit dem Gehörten etwas anfangen kann… wenn er weiterkommt. Das ist, wie wir erleben, sein Motor: Er will weiterkommen. Weiter in der Begegnung durch Duft, weiter in seiner Arbeit, mit Duft Begegnung möglich zu machen, zu vermitteln und zu erschaffen. So erleben wir ihn als Person – und so erleben wir auch die Divine-Düfte: Sehr reiche, volle, ausgestaltete dramaturgische Bögen mit verschiedenen Kapiteln und Fußnoten, mit Über- und Unterschriften, mit melodischen, raumgreifenden Erzählungen einerseits und andererseits prägnanten nachdrücklichen Duftbildern, eingebettet in einen formfesten Rahmen. Lyrisch und episch neben- und miteinander, nach einer ganz und gar klassischen Philosophie komponiert.

Dieses Gefühl von Stimmigkeit nehmen wir, nach einem ausgesprochen aufschlussreichen und erquicklichen Frühnachmittag mit in den restlichen Tag, an dem wir das elegante Dinard hinter uns lassen und uns die schroffe und imposante Festungsstadt St. Malo anschauen. Unsere weiteren Tage im Land von Buchweizen und Butter, bei Spaziergängen und Besichtigungen werden begleitet von Erinnerungen an unseren Besuch bei Yvon Mouchel… und vom Duft von „Eau Divine“ auf Loucens Haut, in das sie sich (entgegen erster Voraussagen ihrerseits) mit jedem Sprüher mehr verliebt und das auch noch lange nach dem ersten oberflächlichen Kennenlernen überrascht, charmant verwundert und zum tieferen Erkunden einlädt.

Ein Parfum zum Weiterkommen.

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