Siebenkäs
Siebenkäs’ Blog
vor 7 Jahren - 14.01.2017
21 53

Die 80er - eine sentimental-weitschweifige Extravaganza...

Meine Hauptprägung hinsichtlich Düften bekam ich in den 80ern verpasst – und zwar unter recht speziellen Umständen. Ich will mich da gar nicht auf bestimmte Jahre festlegen, es begann irgendwann, gefühlt mittendrin.

Wir waren damals 4 Jungs, Freunde, die sehr viel zusammen machten. Ich werde sie hier nur mit dem Anfangsbuchstaben benennen, das ist glaube ich genug.Drumherum gab es noch ein paar weitere, die nicht zum engen Kreis gehörten, aber immer gern mal bei uns aufkreuzten. Zwei von uns wohnten zusammen – M. und ich selbst. Die beiden anderen nicht weit weg, so 10 Minuten von unserer Wohnung entfernt.

Unsere Wohnung war ein beliebter Treffpunkt, weil sie relativ groß war, mit einer geräumigen Wohnküche. Es gab nur Kohleöfen und Einfach-Verglasung. Aber hohe Räume und knarzige Holzdielen.

Es war die Zeit von Devo,Cure, den Residents, Dexys Midnightrunners und ABC. Aus Punk wurde New Wave, dann New Romantic und die NDW. (Uns interessierte davon nur der wilde Teil wie DAF oder Der Plan).

Wir waren jung und lebten unbeschwert in einer Art Bohème-Stil, einen herkömmlichen Job hatte keiner, der eine oder andere war an der Uni eingeschrieben und es gab monatlich Geld von den guten Eltern. Dazu kamen diverse Einnahmen – zwei von uns spielten in einer Band, die sogar Geld verdiente, einer schrieb für Magazine oder arbeitete als Toningenieur und noch einiges mehr. Geld war nie ein großes Thema, was nicht heißen soll, dass wir „reich“ waren. Es ging nur irgendwie immer auf – trotz diverser Ausgaben.

So langsam nähern wir uns dem Thema – ich sagte ja bewußt „abschweifend“ im Titel. Aber dieser Background ist wichtig, um das Ganze (vielleicht) zu verstehen.

An erster Stelle unserer Interessen standen wohl Musik und Klamotten, untrennbar miteinander verbunden.

Aber ziemlich bald dahinter gab es etwas, worüber wir gar nicht so viel redeten, das uns aber doch allen vier am Herzen lag – und das war Parfum. Wir hatten festgestellt, wie gut das als Ergänzung passte und ziemlich bald auch, daß sich hier eine Welt auftat, die zu Musik, Kleidung, Design und Kunst perfekt passte. Und mir der man auch bisweilen verwirren oder provozieren konnte.

In den großen Kaufhäusern gab es damals – so hab‘ ich‘s in Erinnerung, eine beachtliche Auswahl der meisten Designer-Düfte, z.B bei Hertie, wo man damals im Tiefgeschoß Champagner trinken und lebende Hummer, nein, nicht essen, aber kaufen konnte. Wir natürlich nicht, spießig und bürgerlich fanden wir das. Dazu gab es viele Parfumerien, in denen wir testen konnten, was das Zeug hielt.

Schnell hatte jeder von uns mehrere Düfte beisammen, die zu ihm gehörten. Das Wort „Signature-Duft“ kannte natürlich keiner, auch Kopf-, Herz- und Basis gehörten nicht zu unserem Vokabular. Das Spannende war, wie wir damit umgingen.

Denn es war so – jeder konnte sich jederzeit an den Düften der anderen bedienen, selbstverständlich ohne zu fragen. Da wir tagsüber oft entweder bei uns oder einem der beiden anderen rumhingen, Musik hörten oder kochten, gab es jede Menge Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen. Über einen Zeitraum von ca 4 Jahren standen mir so permanent um die 20 Parfüms zur Verfügung. Der größere Teil blieb dabei gleich, es gab aber auch immer mal ein paar Neuzugänge.

Ich versuche jetzt mal, zu rekonstruieren, wer was hatte. Nicht einfach, auch wenn ich über die 80er nicht sagen würde „wer sich daran erinnert, war nicht dabei“ – auch wenn bisweilen mal gewisse Substanzen im Spiel gewesen sein mögen, zumindest Wein und „Bierchen“. Aber sicher nicht exzessiv.

Also fang‘ ich mit dem einfachsten an – mit mir selbst. Ich hatte Jil Sander Man Pure (die „schwarzen Kuben“), Givenchy Gentleman, Habit Rouge, Versace L’Homme und für die leichten Momente im Leben Pour Monsieur von Chanel. Geschenkt bekam ich dann noch Drakkar Noir und Marbert Man, das ich allerdings irgendwann weiterverschenkte.

M. hatte Ebène von Balmain, das wir alle, keine Ahnung mehr warum, „Brazzo Brazzo“ nannten, was liebevoll gemeint war. Dazu Karl Lagerfeld, Quorum und – mehr kriege ich nicht zusammen.Ach ja - Chanel Nr. 5.

A. hatte (passt doch…) Antaeus, dass ich mir ein paar Jahre darauf auch kaufen musste, Equipage, Vetiver von Guerlain und Ted Lapidus pour Homme.

Und zuletzt K. – mit Z14, Macassar, Azzaro und Jules.

Wir waren nun nicht gerade zimperlich bei der Anwendung – morgens z.B. paar Spritzer sagen wir mal Habit Rouge und dann bei A. vor dem Ausgehen eine gute Dosis Antaeus. Das Wort „Layering“ war uns natürlich so unbekannt wie die Tatsache, dass wir genau das des öfteren taten. Bei so kräftigem Stoff unvermeidlich. Ach so – irgendjemand brachte dann auch noch Kouros mit, klar, den musste ja einer entdecken.

Lustig war auch die Art und Weise, wie wir Düfte beschrieben, viele Worte machten wir allerdings nicht darum. „Sehr speziell“ war ein Lob, oder „Hat was“, natürlich das unvermeidliche „abgefahren“. Aber K. brachte die besten Termini ins Spiel.

Er teilte alle Düfte in „Vogonen-Düfte“ oder „Gelflings-Düfte“, bisweilen auch noch in „Elben-Düfte“. ein. Die Vogonen kennt, wer „Per Anhalter durch die Galaxis "gelesen hat. Eine Alienrasse, die extrem HighTech-mäßig entwickelt ist, etwas eigen und häßlich. Diesen Aspekt meinte er allerdings nie – „Vogonen“ stand für ihn (und somit auch für uns, da wir das Wort gern übernahmen) für ultra-schnittige, coole Eleganz und Überlegenheit. Gelflinge waren zarte Fabelwesen, verträumt und hippie-haft. Er nutzte die beiden Begriffe auch, um Jungs oder Mädels zu charakterisieren. Es gab Düfte, die fingen vogonenhaft an und endeten gelflingsmäßig – und umgekehrt.

Leider verlor K. Anfang der 90er, als unser Kreis sich aufgelöst hatte, den Boden unter den Füßen und geriet an dunkle Zeitgenossen. 1993 starb er an Heroin.

Wir lebten damals im Grunde stets so, als ob wir kurz vor der Verwirklichung einer Utopie stünden, die allerdings nie realisiert wurde. Wir waren glücklich, ohne es richtig zu merken. Heute sind die beiden anderen verstreut, in Berlin und Brüssel. Ab und zu eine Karte, viel mehr nicht. Übrig bleibt nur ein Stück Erinnerung.

21 Antworten