Siebter

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1 - 5 von 49
Siebter vor 8 Jahren 35 12
Modrig, aber freundlich
Obwohl Zoologist erst seit wenigen Jahren auf dem Markt ist und man bis vor kurzem nur mit mittelschwerem Aufwand bzw. der freundlichen Unterstützung der Parfumo-Community an Testmöglichkeiten kam, gehört diese Marke spätestens seit der zweiten Veröffentlichungswelle zu meinen Lieblingshäusern. Bat hat daran einen entscheidenden Anteil, denn, das möchte ich gleich zu Anfang klarstellen, dieser Duft ist wirklich avantgardistisch.

Dass Wissenschaftler auf Umwegen an die Parfümerie geraten, ist nicht ganz ungewöhnlich, im Falle von Ellen Covey muss aber erwähnt werden, dass sie eine renommierte Fledermausforscherin ist, die zahlreiche Artikel zum Thema (insbesondere über das komplexe Ultraschallortungssystem der Fledermäuse) geschrieben hat und dafür z.B. in Fledermaushöhlen im Dschungel von Jamaika herumgekrochen ist. Darüber hinaus veröffentlichte sie mit ihrer Marke Olympic Orchids bereits einige Dutzend Düfte. Bezogen auf Bat sind das schon arg glückliche Fügungen, finde ich. Zudem hält sie übrigens Vorlesungen an der University of Washington in Psychologie und betreibt professionelle Orchideenzucht.

Schon zu Beginn löscht Bat jeden Versuch aus, ihn zu kategorisieren. Aufgewühlte und sehr feuchte, schwere und dunkle Erde rollt heran, innerhalb von wenigen Sekunden erhöht sich die Luftfeuchtigkeit auf hundert Prozent. Dem basslastigen Auftakt folgt der greifbar erscheinende Eindruck einer sich langsam legenden Erdmasse, sehr einhüllend und dominant. Trotzdem mit einer recht hellen und süßen Banane ein deutlicher Kontrast gesetzt wird, fällt es zunächst schwer, die Aufmerksamkeit von dieser in ihrer Wucht fremdartigen und durchaus ins Modrige spielenden Erdigkeit zu lösen. Man sollte schon bereit sein dafür.

Bat ist ein Roomfiller, provozierend, fordernd und dunkel. Er ist jedoch nicht düster oder gar grimmig, ganz im Gegenteil. Die Banane wandelt sich bald zu einem mangoartigen Früchtematsch und lässt den Duft zusammen mit der durchgehend hohen Luftfeuchtigkeit warm und freundlich erscheinen. Ellen Covey erwähnt in einem Interview, dass bestimmte Fledermausarten in ihrem Verhalten und ihrer Ernährung den Kolibris ähneln und somit in der Nacht die selbe Nische besetzen wie tagsüber die Kolibris – tatsächlich finde ich, dass die Fruchtmatschaspekte von Bat Parallelen zu der nektarartigen Fruchtigkeit von Hummingbird der selben Marke haben. Das Zusammenspiel aus tropischen Früchten und feuchter Erde bleibt für die nächsten Stunden bestimmend, trotzdem ist Bat ein äußerst entwicklungsstarker Duft: Rote-Beete-artige Wurzeln durchziehen die Erde, die Luft wird mineralischer und kühler, der Anteil an Früchten schwankt stark. Dabei wird Bat mit der Zeit immer ruhiger und runder, die Atmosphäre geprägt von Gegensätzen wie feucht und mineralisch, warm und kühl, erdig und fruchtig. Mir erscheint er wie eine verliebte Ode an das Fledermausleben, ein Versuch, zu erklären, warum es cool ist, eine Fledermaus zu sein.

Bat ist aus einem ganz bestimmten Grund ein avantgardistisches Parfum: es enthält eine sehr hohe Dosis Geosmin. In Notenpyramiden findet man Geosmin selten, die Datenbank von Parfumo kennt gerade mal zwei Düfte mit diesem Stoff, zudem fünf weitere, wenn man nach „Petrichor“ sucht, womit man das Aroma in der Luft nach einem Regenguss bezeichnet; Geosmin ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Dufteindrucks. Ich vermute, dass The Smell of Weather Turning von Lush (in geringem Maße) und Coven von Andrea Maack (in etwas höherer Dosierung) ebenfalls Geosmin enthalten. Man findet es außerdem in Erde und Schimmel, das modrig-grüne Aroma, welches beispielsweise aus Biotonnen oder Komposthaufen aufsteigt, das ist Geosmin. Und Bat enthält richtig viel davon.

Ich mochte Bat von Anfang an, obwohl insbesondere die Assoziation von Schimmel für mich sehr stark im Vordergrund steht. Selbst Patschuli erscheint wie ein Chorknabe im Vergleich zu dieser archaischen und grummelnden Erdigkeit. Mein Bruder assoziierte bei einem Papiertest verschimmelte Banane. Bat ist nicht bürotauglich: Arbeitskollegen fragten mich, ob ich gerade „irgendwo“ war oder ob hier eventuell irgendetwas „Komisches“ herumläge – der Hinweis, dass es sich bei dem die Irritationen verursachenden Duft um ein Parfum handelt, löste nachhaltiges Kopfschütteln aus. Eine (mäßig parfumaffine) Kollegin war allerdings so angetan von Bat, dass ich ihr demnächst die Probe davon mitbringen muss.

An meiner Freundin finde ich Bat wundervoll. Dieser Duft zeichnet ganz ohne blättrige oder florale Anteile eine authentische Tropenatmosphäre, warm, exotisch, auch sinnlich. Überaus präsent und damit ein unterhaltsamer Protagonist. Es macht Spaß, sich über ihn auszutauschen. Es ist schön, jemanden zu umarmen, der Bat trägt.

Aber wie gesagt: man sollte dafür bereit sein. Geosmin besitzt eine extrem niedrige Wahrnehmungsschwelle. Die 25% Parfümölanteil, die Bat eigentlich als Extrait ausweisen, imprägnieren Kleidung für Tage und Wochen, wodurch der Duft immer wieder unverhofft auftaucht. Um ihn zu verstehen oder auch nur bereit zu sein, sich ihm zu nähern, ist das Wissen um seinen Kontext notwendig. Dieser Umstand spricht für mich keinesfalls gegen diesen Duft, denn sobald sein Kontext bekannt ist, zeigt sich eine umfangreiche und konsequent umgesetzte Palette an Bildern und Stimmungen. Jedoch zwingt seine Präsenz die Umgebung des Trägers zur Auseinandersetzung mit ihm. Dem gegenüber steht die kaum erfüllbare Aufgabe, jedem Mitfahrgast in der U-Bahn das Konzept einer kanadischen Indiehousemarke zu erläutern bzw. den Umstand, dass es sich überhaupt um ein Parfüm handelt. Irritation sollte man in Kauf nehmen können.

Irritation soll hier nicht für Ekel stehen; ich konnte mit Bat vielfältige Reaktionen hervorrufen, aber niemand fühlte sich unmittelbar abgestoßen, immer überwog Verwunderung und Interesse. Mit der Zeit wird Bat durchaus tragbarer, weicher, harziger und immer runder. Die feuchtschwüle Fruchtmatschigkeit wirkt warm, entspannend und kompakt, die mineralische Erdigkeit auf ungewöhnliche Weise clean und luftig, die schönen Gegensätze machen den Duft dynamisch und interessant. So schwer dieser Duft zu handhaben ist, sehe ich ihn keinesfalls als bloße Spielerei oder Konzeptkunst.
12 Antworten
Siebter vor 8 Jahren 49 5
Retrospektive Utopie (nur ein inspirierender Arbeitstitel)
In meiner Parfumentwicklung stellt Infusion d'Homme einen Meilenstein dar, das schon mal vorweg. Aufmerksam wurde ich auf ihn über den YouTuber Kristo, der mich noch weit vor Parfumo entscheidend prägte; Id'H war lange Zeit sein favorisierter (Designer-)Duft. Mich beeindruckte, wie enthusiastisch er ihn beschrieb, dabei aber gleichzeitig den Eindruck vermittelte, ihn am liebsten für sich behalten zu wollen. Noch mehr faszinierte mich die Frage, wie etwas so scheinbar Schlichtes und zudem Klassisches ausgerechnet bei ihm derart punkten konnte, denn Kristos Vorlieben fokussierten sich schon damals vorwiegend auf eher dunkle, kantige und merkwürdige Düfte.

Vor etwa einem Jahr beerdigte Kristo seinen leeren Flakon Id'H augenzwinkernd und dennoch feierlich in einem blauen Plastikmülleimer, einerseits als Zeichen seiner Dankbarkeit, andererseits als Zeichen seiner nasentechnischen Weiterentwicklung. Bei mir spielt Id'H nach wie vor eine große Rolle. Dem ersten vorsichtigen 50ml-Fläschchen folgte bald ein 400ml-Schüttflakon nebst Aftershavebalm, Duschgel, zwei Seifenstücken und einem hübschen Trichter mit Prada-Schriftzug, den Segnungen des Graumarkts sei Dank zu einem Preis, der nur unwesentlich über dem des ersten Flakons lag. Der große Vorrat lud zu verschwenderischem Gebrauch ein. Nicht nur, dass ich diesen Duft so häufig trage wie keinen anderen, benutze ich ihn regelmäßig zum Beduften meiner Bettwäsche oder zum Auffrischen angemuffter Jacken und Schals. Eine Zeitlang hatte ich die Angewohnheit, die Vorhänge meiner Fenster komplett mit Id'H einzusprühen, denn das duftet auf eine abstrakte Art so, als ob das Fenster offen und draußen ein regnerischer Frühlingstag wäre. Die beiden Seifenstückchen bedufteten etwa drei Jahre lang meine T-Shirt-Kommode. Das sie umgebende edle Papier mit der hübschen Prada-Banderole habe ich noch nie geöffnet, ich müsste erst eine standesgemäße Schale besorgen.

Seife ist ein wichtiges Grundthema in diesem Duft, und wenn Du auch nur irgendeine vage Vorstellung von einem klassischem Stück französischer Seife hast, und diese Vorstellung von mir präzisieren lässt, dass es sich um ein ausgesprochen teures Stück Seife handelt, dann bist Du vermutlich schon sehr nahe dran. Hinzu kommt noch der Duft der Haut eines geliebten Menschen kurz nach ausgiebiger Dusche und Abtrocknen, ein frisches Hemd, was man sich gerade angezogen hat sowie ein weißes Bettlagen, welches, noch leicht feucht, dampfend im Sonnenlicht trocknet. Das ist eigentlich schon alles. Id'H hat durchaus einen etwas abgesetzten Auftakt, ein wenig heller und mit gutem Willen meinetwegen auch etwas zitrischer als der Rest, ansonsten oszilliert er für viele Stunden um die genannten Bezugspunkte, je nach Wetter, Tragesituation und Nasentagesform mal die Seife betonend, mal das frische Hemd.

Die Pyramide von Id'H empfand ich lange Zeit als unzugängliches Rätselwerk, zunächst einfach aufgrund mangelnder Erfahrung mit einzelnen Noten. Bis heute jedoch erscheint mir keine Note zu irgendeinem Zeitpunkt zweifelsfrei erfassbar, wenn überhaupt, erkenne ich sie nur sehr mittelbar – dabei gehören seine Zutaten ausnahmslos zu den von mir besonders gern gemochten; Neroli, Weihrauch, Benzoe, Zeder, Iriswurzel, das ist ein fast schon zu naheliegendes Rezept für einen Duft für mich. Interessante Lerneffekte ergaben sich für mich durch die Verwendung der verschiedenen Zusatzprodukte, die bestimmte Aspekte des Dufts stärker betonen. Das Aftershavebalm zeigt auf, welche Rolle Benzoe in Id'H spielt, es ist süßlich, fast schon gourmand. Das Duschgel stellt mit Vetiver, Neroli und Iris vor allem die frischen und crispen Eigenschaften in den Vordergrund. Beim EdT werden diese konkreten Zuordnungen aber nach wie vor vom nahtlosen Ineinanderfließen aller Elemente überstrahlt. Id'H verkörpert für mich den Zustand absoluter Perfektion, dessen Harmonie nur gelegentlich sanft durchbrochen wird, indem ein einzelner Protagonist etwas heller glüht als die anderen.

„Perfektion“ ist ein großes Wort, aber auch nach dem Verbrauch von rund einem halben Liter Id'H hat sich dieser Eindruck nicht abgemildert. Dieser Duft erzählt von einem perfekten Paralleluniversum. Er ist hell und strahlend, aber absolut gelassen, erfüllt von seiner Erhabenheit. Wie ein tiefes Aufatmen mit geschlossenen Augen. Sein grundsätzlicher Ansatz ist jedoch ausgesprochen universell; ein floraler Seifenduft für Herren mag irgendwann mal ein interessantes Konzept innerhalb der Parfümbranche gewesen sein, der Duft selbst überrascht aber zu keinem Zeitpunkt. Er spielt ausschließlich auf Dinge an, die wir kennen, und je nach Erwartungshaltung mag man ihm sogar eine Tendenz zur Beliebigkeit unterstellen. Meine Freundin zum Beispiel würde vermutlich darauf verweisen, dass es sicherlich zumindest eindrucksvollere Düfte in meiner Sammlung gibt.

Für mich ist Id'H ein sehr klassischer Duft, aber er schafft es, dabei nicht traditionell oder gar althergebracht zu wirken; seine unwirkliche und dabei subtile Aura speist sich aus einer empfindlichen Balance von Wärme und Klarheit, gleichzeitig schaffen seine Verweise ein Gefühl von Vertrautheit – überraschende Momente oder schon die Absicht, jemanden beeindrucken zu wollen, würden diese Atmosphäre zerstören.

Id'H nimmt nicht nur in Kauf, nicht als Parfum wahrgenommen zu werden, es entzieht sich dieser Zuordnung geradezu absichtlich. Trotzdem wirkt es auf mich luxuriös, erhaben, geradezu in wohltuender Weise utopisch.
5 Antworten
Siebter vor 8 Jahren 45 7
Für hier.
Ich glaube, ich sollte zunächst mal klarstellen, dass ich dieses Parfum beinahe umsonst bekommen habe. Als ich New Haarlem vor immerhin fast schon vier Jahren (zum dutzendsten Male) in einer Parfümerie testete, wies mich ein Verkäufer darauf hin, dass der Duft leider nicht mehr vorrätig sei und zudem von Bond No.9 aus dem Programm genommen würde. Statt eine "Stimmt doch gar nicht!"-Diskussion anzuzetteln, schaltete ich blitzschnell und wies ihn eiskalt darauf hin, dass er mir den Tester dann ja veräußern könnte, da dieser hier im Laden keine sinngemäßen Dienste mehr verrichten würde. Er konnte. Das Lustige daran: ich wollte an diesem Tag eigentlich einen Flakon NH zum regulären Preis erwerben (einem Preis, den ich heute nicht mal mehr annähernd aufzubringen bereit wäre, für eigentlich gar kein Parfum), stattdessen tat ich zwei oder drei sehr kleine Scheine in eine Kaffeekasse, für einen gut halbvollen Flakon.

Ich erzähle das, weil ich glaube, dass es einen Unterschied macht. Wenn sich der Verkaufspreis derart deutlich in den Vordergrund drängt wie bei Bond No.9, dann spielt er auch beim Verwenden und Erleben eines Duftes eine Rolle, und das meiner Erfahrung nach nie in positiver Weise. Ich dagegen konnte NH splashen, als wäre es Eau Dynamisante. Theoretisch zumindest. Der Sprühkopf ist knauserig, dennoch nehmen Wucht und Dichte mit jedem Sprühstoß exponentiell zu.

NH zu beschreiben ist eigentlich nicht schwer, aber je mehr man diese klaren Eindrücke zu erklären versucht, desto komplizierter wird es. Ich mache es mir zunächst einfach – was Du zum Vorstellen brauchst, sind Holzbänke, French Toast mit viel Ahornsirup und ein sehr dichter und schwarzer Kaffeeduft. Eine solche Duftmischung kennt jeder zumindest in etwa, die genaue Ausgestaltung ist aber breit gefächert, zumal regionalen Unterschieden unterworfen. Zu internationaler Bekanntheit hat es dahingehend die Kaffeehauskette Starbucks gebracht, „starbucksy“ ist ein praktisches Adjektiv, wenn man eine bestimmte Art von dunklen, süßen vanille- oder amberlastigen Parfums beschreiben will. NH ist ziemlich amerikanisch, aber keineswegs starbucksy; über weite Strecken ist er sehr warm, aber gerade kurz nach dem Aufsprühen schwingt eine metallische, fast blecherne Note im Hintergrund. Der Kaffee ist nicht nur schwarz, sondern bitter und würzig und es dauert ein bisschen, bis diese Kantigkeit sich legt. Anderswo wird die Note als verbrannter Kaffeesatz in einer kalten Thermoskanne beschrieben, ich kann das ziemlich gut nachvollziehen.

NH ist ein ziemlich kaffeelastiger Duft, aber besonders authentisch ist diese Note nicht. Für sich betrachtet besteht sie vor allem aus sehr würzigbitteren, schwarzen Schwaden, wie sie aus einem heißen Espresso aufsteigen. Aber wie gesagt, der etwas harte Auftakt legt sich. Noch vordergründiger ist der Ahornsirup, welcher sich bald um die bittere Schwärze des Kaffees legt. Vanille konnte ich in NH noch nie ausmachen, allerdings rieche ich mit dem Ahornsirup den Vibe von frischen Waffeln mit Puderzucker, Crêpes und Palatschinken.

Keine Frage, NH ist süß. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gourmanddüften werden die süßen Elemente aber extrem stark gekontert – einmal trug ich NH und bat meine Freundin, zu erraten, was ich denn da wohl trüge. Sie tippte auf Annick Goutals Sables, den wir tags zuvor auf Papier getestet hatten und dessen curryfarbene Würze uns sehr gut gefiel. Ich war zunächst ziemlich erstaunt, bestehen zwischen diesen Düften scheinbar doch keinerlei Parallelen, aber bei genauerem Hinriechen wurde mir klar, dass in NH viel Immortelle sein muss (die zentrale Note in Sables). Kontrovers diskutiert wird die Lavendelnote, auch sie ein Kontrast zur wuchtigen Süße, obwohl eher leise und für mich abhängig von der Dosierung manchmal gar nicht direkt wahrnehmbar. Kritisiert wird häufig, dass dieser Lavendel etwas Duschgelhaftes hätte, und zumindest kann ich bestätigen, dass dies kein besonders betörender und schon gar nicht natürlicher Lavendel ist.

NH ist ein sehr szenischer und authentisch erscheinender Duft, aber kein photorealistischer. Typisch ist, dass ich z.B. den Kaffee näher zu ergründen versuche und am Ende bei der Immortelle lande. Bis auf den Ahornsirup werden alle wesentlichen Elemente nur in Teilaspekten zitiert. Würden diese Elemente jeweils voll ausgespielt werden, käme vielleicht ein gefälligerer Duft heraus, allerdings wäre er auch disneyesker. Zudem würde dies zu Lasten der interessanten Kontraste gehen. Obwohl dieser Duft eindeutig dunkel ist, sind alle Elemente stark voneinander abgesetzt, weshalb z.B. der Kaffee nie süß wirkt und die Crêpes nie bitter.

Kurz sei in diesem Zusammenhang auf Rochas Man eingegangen, der zum Vergleichen interessant ist, weil Maurice Roucel mit ihm vier Jahre vor der Veröffentlichung von NH das gleiche Thema mit in etwa denselben Zutaten umsetzte. Rochas Man ist deutlich idealisierter und damit einerseits weniger schroff, andererseits auch weniger authentisch. Allerdings auch deutlich tragbarer, da er die Stimmung nicht so nachhaltig festlegt wie NH. Streckenweise sind sich beide wirklich ziemlich ähnlich, aber Rochas Man ist süßer, der Lavendel viel weicher eingewoben, der Kaffee leise und milchig, die Vanille deutlicher bei insgesamt zurückgenommener Performance (dazu außerdem etwas Himbeere). Welchen Duft man besser findet, ist eh Geschmackssache, so oder so ist der ja eher selten mögliche Vergleich von zwei ziemlich unterschiedlichen Varianten desselben Themas aber sehr interessant.

Maurice Roucel ist ein sehr szenisch, bisweilen plakativ komponierender Parfümeur, der aus guten Rohstoffen fantastische Sachen macht, aber es geht ihm nicht um die Rohstoffe oder deren Qualität, sondern um Bilder und Szenen. NH ist kein ausschließlich schöner Duft, aber er ist bildhaft. Mit abstrakten Andeutungen wird hier eine Stimmung erschaffen, die mir sehr echt erscheint; der Duft eines echten Kaffeehauses, gleich welcher Art, setzt sich durchaus nicht nur aus frischgemahlenen Kaffee, Torte und Pfannkuchen in ihren jeweils idealen Ausprägungen zusammen, sondern z.B. aus dem Zigarettenrauch aus der Raucherecke oder dem nassen Mantel vom Mann am Nebentisch. Nur mal so als Beispiel. Was nicht heißt, dass das unangenehm riechen müsste. Wenn man in einem Kaffeehaus sitzt, rümpft man ja auch nicht jedes Mal die Nase, wenn von der Bedienung ein kleiner Hauch vom vielleicht eher preiswerten Lavendelduschgel herüberweht. Es gehört halt dazu.

Trotz seiner scheinbaren Disharmonien ist NH ein Duft mit einer unverkennbaren Wohlfühlatmo, warm, getoastet und amberfarben. Außerdem ist er sehr laut, es ist nicht möglich, ihn so zu dosieren, dass er die Stimmung um einen herum nicht einfärbt und Reaktionen oder zumindest eine eingehende Zurkenntnisnahme provoziert. Das macht ihn zu einem interessanten Werkzeug. Letztlich ist jeder Duft ein Statement, NH allerdings suggeriert nicht nur irgendeine Haltung oder Stimmung, er setzt sie gleichzeitig um. Jeder versteht, welche Art von Stimmung der Träger meint: laid back, locker, sich mit offenen Sinnen der Sinnlichkeit hingebend. Wer NH bei einem Vorstellungsgespräch trägt, braucht sich nicht wundern (wobei, kommt natürlich auf den Job an). Dabei ist NH keineswegs ein einlullender oder romantischer Duft, er trägt sehr viel Großstadthektik und Neonlicht in sich, die Hektik einer Fußgängerzone in strömendem Regen, deren Gewusel und Geblinke man sich durch die Glasscheibe seines Lieblingscafés anschaut.
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Siebter vor 9 Jahren 21 7
Mal etwas ganz ganz Anderes
Da Blask kein einfach zu beschreibender Duft ist, will ich zunächst die Arbeitsabläufe bei H&G kurz durchleuchten: Sebastian Fischenich und Tobias Mueksch (deren Großmütter Humiecki bzw. Graef hießen, daher der Markenname) sind selbst keine Parfümeure. Am Anfang stehen zunächst Bilder, die bestimmte Gefühle evozieren sollen – im Falle von Blask das Gefühl von Vertrauen mittels der Bilder Rotwein, Lorbeer und graue Haare, wie ich mit leichtem Schaudern einem Interview mit Fischenich und Mueksch entnahm. Diese am Anfang stehenden Bilder sind jedoch nicht als unmittelbare Notenangabe zu verstehen, auch wenn sich zumindest Lorbeer und Rotwein wohl recht genau wiedergeben ließen. Mit den Parfümeuren Christophe Laudamiel und Christophe Hornetz, so wird im Interview weiter ausgeführt, wird sich zunächst gar nicht über spezifische Noten ausgetauscht, stattdessen nähert man sich gemeinsam auf intuitive Weise diesen emotionalen Bildern. Das bedeutet, dass es am Ende nicht wichtig ist, wie genau die einzelnen Bilder in Noten umgesetzt werden. Entscheidend ist, wie gut das Gefühl getroffen wird.

Die Notenpyramide von Blask liest sich zumindest grundsätzlich nachvollziehbar und ich finde sie sogar sehr treffend. Trotzdem empfehle ich, sie nicht allzu ernst zu nehmen; was mit Walnuss oder Lorbeer gemeint ist, kann man leicht erkennen, aber beides ist nicht direkt zu vernehmen. Man erkennt auch sofort, welche Bausteine die Idee von Rotwein vermitteln sollen, aber keinesfalls ist hier eine natürliche Rotweinnote zu erkennen. Das sind Bilder.

Der Duft beginnt mit einem nicht einfach zu fassenden Fruchtsound: ich denke jedes Mal zunächst an einen fermentierten rotgrünen Apfel, der seine Frische und Helligkeit trotz seines fortgeschrittenen Alters behalten hat. Verschrumpelt, und doch knackig und saftig. Dieser Sound wird bald tiefer und dunkler und erinnert dann eher an Aprikosenschnaps oder Pflaumenmost. Durch diesen dunklen Pflaumenmost flimmert dunkelroter Walnussschalenstaub, trocken und würzig. Es gibt ein dominantes nussiges Element in Blask, welches ich aber nicht als Walnuss erkenne, sondern als Kastanie. Das Interessante an dieser Kastanie ist, dass sie ein seltsames Licht aussendet, welches alle anderen Akteure von Blask ausleuchtet – ein moosgrünes, weiches Licht, ziemlich fremd wirkend.

Bis auf dieses seltsame Licht erscheinen mir alle Elemente vertraut. Blask wirkt ein wenig gourmandig; Obst, Kastanie, Walnussschale, eine zarte Boozyness, etwas Nelke nehme ich ebenfalls wahr. Vor allem ist Blask ein holziges und trockenes Parfum, die Walnussschale ist vielleicht sogar der eigentliche Hauptakteur, wenn auch nicht allzuweit im Vordergrund zu finden, denn es passiert sehr viel um sie herum. Was diesen Duft so komplex macht, ist Folgendes: ein konkreter Noteneindruck, beispielsweise Walnuss, entsteht aus Walnusschale und Kastanie. Sobald sich die abstrakte Walnuss manifestiert hat, beginnt sie mit den anderen Noten zu wechselwirken, zum Beispiel mit den floralen Aspekten von Blask – in erster Linie scheint es mir Veilchen zu sein, das wiederum zusammen mit der Walnuss zu einer abstrakten Aprikose wird. Diese färbt daraufhin die Kastanie zu einer angenehm bitteren Ledernote.

Dieses Zusammenwachsen von Noten vollzieht sich weich, aber fortlaufend. Der Duft wirkt trotz seiner holzigen Gelassenheit daher sehr verspielt und dynamisch, nie träge oder gesetzt. Zudem ist Blask kein leiser Duft, sondern nimmt durch seine starke Präsenz und Langlebigkeit Kontakt mit Deiner Umwelt auf. Er ist sehr originell, fraglos auch von ungeübten Nasen aus Hunderten anderer herauszufischen. Trotz seines ausgesprochen prägnanten Charakters empfinde ich Blask aber nicht als fordernd, denn sein dunkles, leicht angestaubtes Timbre wirkt auf mich unmittelbar beruhigend.

Meine Freundin findet Blask wohl ziemlich gut, allerdings auch „anstrengend“. Das ist zwar sehr weit entfernt von meiner Empfindung (s.o.), nachvollziehen kann ich das aber schon, ebenso wie Eindrücke von „leichtem Unbehagen“ und „Fremdartigkeit“ (Taurus' bzw. Sisyphos' Kommentar). Blask versucht, das Gefühl von Vertrauen darzustellen, da ist es natürlich ein wenig tragisch, dass die dafür notwendigen neuen Konzepte ausgerechnet Befremden auslösen. Vielleicht ist es Zufall, ob dieser Duft vertraut wirkt oder fremd. Ohne, dass ich jetzt Anekdoten daraus zaubern könnte, kann ich sagen, dass Walnuss, Rotwein, Leder und grüne Roßkastanien in meiner Kindheit eine gewisse Rolle gespielt haben.

Auf mich wirkt Blask ebenfalls eigenwillig, dabei aber in sich ruhend und souverän. Seit einigen Monaten rutscht er immer mal wieder auf meine Wunschliste, denn tatsächlich wünsche ich mir einen Flakon davon, nachdem ich eine Abfüllung in recht zügigem Tempo nahezu geleert habe. Sein Gegensatz aus weihrauchiger Würze und verspieltem Obst berührt mich angenehm und persönlich. Es ist ein ungewöhnlich intimes Parfum. Aber dieser Gegensatz aus meiner Wahrnehmung und der Wahrnehmung der Anderen bereitet mir Probleme, zumal ich sie wirklich verstehe. Wenn man nicht unmittelbar von den Eindrücken gefangen genommen wird, bleibt vermutlich nicht viel mehr als ein starres Konzeptgerüst übrig.
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Siebter vor 9 Jahren 10 5
Die Rose im Aschenbecher
Blood wird hier und in anderen Bereichen der Parfum-Netzcommunity ziemlich kontrovers diskutiert, sogar Ekel und die Frage, ob das alles überhaupt ernst gemeint ist, ruft dieses Parfum hervor. Hinzu kommt das etwas heikle Thema Stierkampf, bei dem natürlich jeder Mensch mit Ehre im Leib zunächst wütend mit dem Fuß aufstampft – zu allem Übel findet sich in der Notenaufstellung auch noch tatsächlich Stierblut als nicht gerade vetrauenserweckende Zutat.

Ich bin langjähriger Vegetarier mit einer tiefsitzenden Aversion gegen alles Blutige, mir wird schon allein beim Gedanken daran blümerant, umso bemerkenswerter ist es doch vielleicht, dass ich Blood wirklich toll finde. Ohne Zweifel spielt dieser Duft mit Noten, die man heutzutage oder überhaupt eher vermeidet, so z.B. animalische, aschige oder medizinische Akkorde, deren Interpretation tatsächlich auch eher zugunsten der Authentizität ausfällt und kaum abgefedert wird.

Blut allerdings nehme ich nur als abstrakte Idee wahr, sie rührt von der in diesem Duft sehr zentralen Rose. Sie ist bereits zum Auftakt sehr präsent, dunkelrot, erdig und staubig, auf jeden Fall muffig – eine edle Rose, die achtlos im mit etwas Stierurin gesprenkelten Arenastaub vertrocknet. Ein wenig blutig ist sie, weil sie eine starke metallische, genauer: kupferige Ausstrahlung hat, aber sie ist auch trocken, dicht und aromatisch wie Rotwein. Der Kontext ist, wie Menschen mit schmalem kulturellen Horizont gerne sagen, „gewöhnungsbedüftig“, die Rose selbst aber ist wunderschön und erhaben.

Die Kostuswurzel war mir bislang nicht bekannt, dabei findet sie sich recht oft in Parfums, so z.B. in Serge Lutens' Muscs Koublaï Khän und überraschenderweise in Vierges et Toreros von Etat Libre d'Orange, ebenfalls ein Duft mit Stierkampfthema. Interessant ist, das Kostuswurzel als Schmerzstiller verwendet wird. Sie verleiht Blood beim Übergang in die Herzphase eine medizinische Staubigkeit mit iriswurzelartiger Textur, mit der Zeit ruft sie sehr bildhaft den Geruch von trockener Erde und im Sonnenlicht flirrendem Staub hervor. Zugegeben: das ist speziell. Aber auch schön, zumal dieser flirrende Staub einen ausnehmend guten Hintergrund für die Rose bildet, die immer dichter, tiefer und greifbarer wird.

Nach etwa einer halben Stunde wird die Rose von einer sehr aschigen Tabaknote umspielt, und ich meine jetzt nicht romantische Lagerfeuerasche, sondern kalte Aschenbecherasche, allerdings immerhin mit einer zarten Honigsüße gepaart – es entsteht eine gewisse Lässigkeit, Blood ist überhaupt nie ein angespannter Duft, wie es das Thema vielleicht vermuten lässt. Bei aller Kantigkeit wirkt er wie jemand, der einfach sein eigenes Ding machen will. Dabei nimmt sich diese Coolness aber nie statisch oder zurückgenommen aus.

Das liegt vor allem daran, dass Blood sich über seinen Verlauf stetig wandelt und somit immer interessant bleibt. Erst nach etwa drei bis vier Stunden schält sich dunkles, feuchtes und mit silbrigen Fäden durchzogenes Patschuli heraus. Die animalische Komponente der Rose ist unversehens verschwunden, deren staubiger und rotweinartiger Vibe aber nach wie vor bestimmend. In dieser Phase erscheinen mir die Gegensätze, die diesen Duft ausmachen, am ausgeprägtesten: Blood ist gleichermaßen dicht und leicht, feucht und staubig – hässlich und schön.

Blood klingt ab der sechsten Stunde langsam aus, vergleichsweise harmlos, könnte man sagen. Etwas Rosenpatch mit sanftem, aber körperlichem Moschus, dazu noch etwas trockene Erde und Sand, das alles aber recht hautnah. Summa summarum hat mich Blood absolut überzeugt. Die Parfums von Imaginary Authors zeichnen sich insbesondere durch einen souverän inszenierten szenischen Verlauf aus, der zwar durch die ausgefeilte und anspielungsreiche Präsentation stark gefördert wird, sich aber vor allem aus den Düften selbst speist. Bei mir funktioniert das jedenfalls wirklich gut. Vor allem aber zeigt mir Bull's Blood eine der schönsten Rosen, die ich je erlebt habe. So schön, dass weder Stierpisse, brennende Sonne noch Zigarettenasche ihr etwas anhaben können.
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