loewenherz

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loewenherz vor 8 Tagen 18 10
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Duft
'Ihr Völker der Welt, riecht an dieser Stadt!'
In den 90ern, so wird erzählt, war Berlin die aufregendste Stadt der Welt. Eine Stadt im plötzlichen Erwachen, in der alles möglich war, alles geschehen konnte und alles geschah. Wolfgang Joop hat sich ihr seit jeher zugeneigt gefühlt, und so kann es kein Zufall sein, dass er gleich nach der Wiedervereinigung ein Parfum nach 'seinem' Berlin benannte. Wenngleich heute nur kaum noch nachvollziehbar ist, wieso er sich damals dafür entschied, dieses Parfum exakt so zu komponieren, wie er es tat.

Wie riecht eine Stadt, wie riecht Berlin? Nach den blühenden Linden entlang des nach ihnen benannten berühmten Boulevards in Mitte? Sicherlich, ja. Nach der später von Peter Fox besungenen Kotze am Kotti? Tatsächlich auch das. Nach den Nutten an der Oranienburger, den Autos auf der Avus, dem Chai Latte an der Kastanienallee (den es 1990 ja noch gar nicht gab)? Auch das stimmt. Oder doch nach hellen Gartenblumen und nach reifen Früchten, wie Wolfgang Joop es 1990 fand?

Joop!s Berlin ist ein Duft, der als seinerzeit hochkontemporäre Essenz der damals noch jungen 90er gegolten hat. Er hat ein unwiderstehliches Strahlen und ein Leuchten, ist voll Zuversicht und Optimismus, und transportiert den Aus- und Aufbruch des Berliner Lebensgefühls jener Zeit. Trotz seiner vielen Ingredienzen und deren vielschichtiger Orchestrierung erscheint er nachgerade clean und voll jener mühelosen Eleganz und leichtfüßigen Weltläufigkeit, die 1990 einfach gut funktionierten.

Berlin ist ein jugendlicher Duft, hat er doch jenes Lässige und Coole, die das Parfumschaffen der 90er ausmachen und prägen sollten. Er überwindet das Konventionelle, Arrivierte, das die 80er aus Steinobst, Nelke, Weißblühern gemacht hätten, interpretierte sie frisch und aufregend - und doch nur um Nuancen neu. Es ist das Freie und das Helle, ist dieses Leuchten, das ihn ausmacht - süß, aber nicht süßlich, selbstbewusst, aber nicht überwältigend - und seinerzeit unerhört modern.

Fazit: 'Ihr Völker der Welt, seht auf diese Stadt!' lautet das berühmte Zitat Ernst Reuters - vor 350.000 Berlinerinnen und Berlinern, die 1948 gekommen sind, um ihn zu hören. 'Und riecht an ihr!' möchte man ergänzen. Denn Joop!s Berlin duftet nach Licht und Sonne, der Weite über dem Tempelhofer Feld, den Auen entlang von Havel, Dahme, Panke, Spree, nach der Bohème am Tacheles, dem Glitzern des Fernsehturms bei Nacht. Und sehr nach 1990 - wehmütig schön, aber vorbei.
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loewenherz vor 15 Tagen 24 8
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Duft
Wenn der Boss des Mannes mit seiner Frau zum Essen kommt...
Unlängst entdeckte ich auf einem Flohmarkt Renommée von Nerval, der mir bis dahin gänzlich unbekannt gewesen ist. Nun bin ich ja aber neugierig, und so habe ich ihn dann (auf der Haut!) getestet - und was soll ich sagen? Das ist ein richtig schöner Duft. Er war erstaunlich unversehrt, wenn man von jenem Sherry- oder Altton absieht, den Parfums irgendwann nun mal bekommen. Aber gekippt schien er noch nicht. Und so reiste ich einige wunderbare Augenblicke lang in seine chyprige Vergangenheit - aufregend und nostalgisch schön, obwohl ich die echten 60er nie sah.

Ich besitze ein wunderbares Kochbuch aus dieser Zeit, dessen Daseinszweck darin bestand, der jungen Ehefrau zur Hochzeit überreicht zu werden und dieser dann das Wissen zu vermitteln, das in den 60ern von jungen Ehefrauen erwartet wurde. Im Wesentlichen besteht das Buch natürlich aus Rezepten - es ist ja immerhin ein Kochbuch - mein heimlicher Favorit ist ein Partyrezept für Gäste, das aus einer riesigen Schweinesülze besteht, die mit dicken Mayonnaisetupfen (aus dem Spritzbeutel) und Ananasscheiben aus der Dose dekoriert wird. Eines Tages mache ich das mal.

Neben den Rezepten - es gibt auch ein Kapitel, wie sparsam gewirtschaftet wird, ohne dass die Familie es bemerkt - sind auch Ratschläge für die junge Frau enthalten, wie sie sich in gesellschaftlichen Situationen zu verhalten hat. Als Nemesis der Hausfrau jener Jahre galt die Abendesseneinladung des Vorgesetzten des Ehemannes (samt dessen Frau) in die heimischen vier Wände. Unter anderem rät das Buch, sich nur zurückhaltend zurecht zu machen (um die Frau des Bosses nicht zu überstrahlen) und nur dann zu sprechen, wenn frau direkt angesprochen wird.

Renommée duftet nach dieser Frau, die eben noch eilig die Schürze ablegt, während der Wagen des Bosses auf die Auffahrt rollt. Die seiner Frau dann aus dem Persianermantel hilft und sich dabei insgeheim fragt, ob sie so einen wohl auch mal besitzen wird. Die mit stolzer Miene die mit Mayonnaise und Dosenananas dekorierte Schweinesülze auf der Hutschenreuther-Platte ins Esszimmer trägt, wo der Ehemann, sein Boss und dessen Frau rauchen und Weinbrand trinken. Und alle diese Bilder riechen gut. Weil Renommée ein Duft ist, der Gutes zu erzählen hat.

Er duftet furchtbar altmodisch, natürlich. Er ist sinnlich, aber artig - ein Parfum für die Dame aus dem Bürgertum - und nicht für eine Nitribitt. Er hat die Gediegenheit von einer Frauenzeitschrift unter der Trockenhaube beim Friseur - eine sanfte Seifig- und reife, grüne Blumigkeit, die gestrig ist, aber doch schön - und die zu riechen in der Gegenwart ein Privileg ist. Auch wenn frau heute andere Parfums trägt, den Boss des Ehemannes nicht mehr zu sich nach Hause einlädt - und durchaus auch dann spricht, wenn sie selbst etwas zu sagen hat. Dem Dufterlebnis tut das keinen Abbruch.

Fazit: fast bereue ich, dass ich ihn da gelassen und mich noch nicht mal nach dem Preis erkundigt habe. Er dürfte fast nichts gekostet haben. Aber das 'haben wollen' um des haben-wollens Willen versuche ich mir zu verkneifen - zumal bei einem Damenduft aus den 60ern, den ich nie tragen würde und den zu verschenken mir auch niemand Passendes einfiel. Ihn dort gefunden und in der Nase gehabt zu haben, war gleichwohl wundervoll. Und wenn ich irgendwann die Schweinesülze mit der Dosenananas und mit den Mayonnaisetupfen mache, dann werde ich an ihn denken.
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loewenherz vor 21 Tagen 14 3
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Duft
Trottolino amoroso
Sie sitzen einträchtig beisammen so wie an jedem Samstagnachmittag, dort im Schatten der Platanen und der Kathedrale. Sie sitzen nebeneinander und nicht gegenüber und betrachten das Treiben auf der Piazza scheinbar unbeteiligt, da man ihre Augen nicht erkennen kann hinter den Sonnenbrillen. Wer eilig vorbeigeht oder nur flüchtig hinsieht, der könnte beinahe meinen, dass sie einander ignorierten - und nur wer innehält, kann sehen, dass er unter dem Tisch - darauf zwei Gläser Spritz, zwei Mobiltelefone und ihre Tasche (nicht neu, aber einmal sehr teuer) - ihre Hand fest in seiner hält. Wie an jedem Samstagnachmittag an der Piazza. Und wie noch viele weitere.

Die Kinder sind schon aus dem Haus - eines in Rom, das andere in Amerika - und sie vermissen sie natürlich. Und genießen doch Bella figura und Dolcefarniente, zwei Stunden an jedem Samstagnachmittag. Das eine Kind wird später sicher noch anrufen, das andere irgendwann schon auch. Sie sehen elegant aus dort in ihren Korbstühlen - wie italienische Paare jenseits der sechzig eben elegant aussehen, wenn sie mit Spritz an der Piazza sitzen. Sie, noch immer zierlich, mit großer Sonnenbrille, Wildledermokassins und Kaschmir-Twinset unter dem Boucléjäckchen. Er in marineblauer Steppjacke mit rosafarbenem Pullover, mit guten Schuhen und mit guter Uhr.

Damals, vor gut dreißig Jahren, an einem Samstagnachmittag wie diesem, fuhr er mit seiner Vespa über die Piazza - vorbei an den Mädchen, die schwatzend gegenüber der Kathedrale standen. Ein bisschen nervös, denn seine beiden besten Freunde hatten gesagt, er traue sich ja doch eh nicht, die Hübscheste ganz links zum Essen einzuladen. Er hatte dicht bei ihr gebremst und sich noch einmal über die Schulter zu den beiden umgeschaut, die ihn aus dem Schatten der Kathedrale heraus beobachteten. Dann stieg er ab und fragte, ob sie mal mit ihm ausgehen möchte. Zwei Jahre später haben sie geheiratet - in der Kathedrale an der Piazza, wo die Platanen stehen.

Neulich hat er gehört - er ist sich da ziemlich sicher - wie eine Freundin seiner Tochter zu ihr sagte, 'dein Papa ist ja immer noch ein schöner Mann'. Er hat es später beim Abendessen seiner Frau erzählt, und sie hat ihm die grauen Locken aus der Stirn gewischt, ihm sachte einen Kuss gegeben und gesagt: 'Ja, Trottolino, du bist immer noch ein schöner Mann.' Er ist nicht sicher, ob sie sich da nicht ein bisschen lustig machen wollte, aber als er abends im Bad prüfend den Bauch einzog, da fand er schon: 'niente male', gar nicht schlecht. Diese Zufriedenheit kann man sehen, wie er da an der Piazza sitzt, die Hand der Liebe seines Lebens in der seinen. Betrogen hat er sie noch nie.

Enrico Coveri pour Homme erzählt diese Geschichte mit nur einem Spritzer. Die Vespa, der Spritz, die Kathedrale und die Sonnenbrille. Die blaue Steppjacke und die Platanen - und ihre Hand in seiner seit so vielen Jahren. Ein Duft, wie italienische Männer ihn Ende des letzten Jahrhunderts gerne trugen: konservativ und doch ein bisschen südliches Bunga-Bunga, hesperidisch im Auftakt und eine Ahnung von Barbier, ein bisschen Fougère im Herzen und dann ein bisschen echter Kerl. Heute gerochen furchtbar altmodisch - auch gegenüber der Kathedrale, wo die Platanen stehen. Und doch voll Zärtlichkeit und Geschichte - und großer Liebe auf der Piazza, in Italien irgendwo.

Fazit: 'Trottolino amoroso' ist dem Lied 'Vattene amore' entlehnt, das der Cantautore Amedeo Minghi 1990 im Duett mit der blutjungen Mietta sang, und das in Italien ein Evergreen geworden ist. Wie viele Zeilen des Songs lässt sich 'Trottolino amoroso' nur schlecht wörtlich übersetzen - 'Trottolino' ist eine italienische Bilderbuchfigur in Form eines Eichhörnchens - sehr großzügig also vielleicht etwa 'Geliebtes Spätzchen'. Liebende in Italien nennen sich noch immer so. Und vielleicht schallte auch an jenem Abend über die Piazza: 'Magari ti chiamerò, trottolino amoroso, dudu dadadà. Ed il tuo nome sarà il nome di ogni città, di un gattino annaffiato che miagolerà...'
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loewenherz vor 1 Monat 30 11
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Duft
Wir sind alle Sternenstaub
Lancômes Poême ist das Produkt eines Jahrzehnts, das - und oft bemerkt man sowas ja erst Jahre später - merkwürdig unentschlossen war, was oder wer frau sein wollte/sollte/musste. Die 90er waren berühmt für Grunge und eine frühe Form von 'reduziert' und erfanden den Heroin Chic: Kate Moss, Jil Sander, Kurt Cobain. Man las Tempo und Max, und ihre Ästhetik verwendete eine kühle, mitunter beinahe klinisch-distanziert erlebte Sprache und die scheinbare Reduktion auf 'less' - Lindberghs berühmter Supermodelschnappschuss in schwarzweiß und flachen Schuhen.

Und dann kam dieser hier, Poême aus dem Pariser Kosmetikhaus Lancôme, der das genaue Gegenteil vertritt und tut: ein 'viel von allem' ohne jegliches 'zu viel'. Poême feiert den Überfluss, feiert das Leben - und auch das kennzeichnet die 90er: Friends, Spice Girls und Eurodance und ein Frauenbild jenseits der konservativ tradierten 80er mit einer neuen Selbstverständlichkeit, 'ganz Frau und trotzdem frei zu sein'. Poême ist eine der olfaktorischen Signaturen dieser neuen Frau: empfindsam und verträumt und gleichwohl unabhängig und nur sich selbst treu und verpflichtet.

Alle Blumen - na ja, fast - die man in einem Parfum verwenden kann, sind hier vertreten: präsent, bewusst und selbstbewusst: Jasmin, Engelstrompete, Tuberose und Ylang-Ylang - starke weibliche Geschöpfe jede für sich. Dazu ein Obstgarten und süße Hölzer - und wundersamerweise doch in keinem Augenblick zu viel. Poême ist opulent und kraftvoll, ist voll Weichheit, eben empfindsam und verträumt, ist fraulich-floral und doch fast scheu - wie ein vergehender Stern noch einmal strahlend hell aufleuchtet, ehe er versinkt - bedauernd zwar, doch lachend. Und ohne Traurigkeit.

Fazit: ein Duft, der mehr Erinnerung verdient, als er bekommt. Der so viel zu erzählen hat - von Glück und Sehnsucht und Verlust. Von weißen Blüten, süßen Früchten und Ylang-Ylang. Von den 90ern in all ihrer furchtbaren Schönheit. Vom Leben und davon, eine Frau zu sein - Löwin und Lamm und Liebende. Und dass wir alle Sternenstaub sind.
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loewenherz vor 2 Monaten 18 4
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Duft
Ich bin nicht böse. Nur enttäuscht.
Schon ganz von Anfang an hatte ich zwei widerstreitende Empfindungen in meiner Brust. Zum einen die ganz naheliegende - und schon in anderen Kommentaren, zuletzt beim unsäglichen Vanilla Sex, in Worte gefasste - latente Genervtheit ob des doppeldeutigen blöden Namens, aber das Thema muss ich hier nicht noch mal stressen. Zum anderen tatsächlich eine gewisse Neugier, dass da endlich mal wieder einer Rose ohne Oud versucht - sollte Tom Ford wirklich doch noch..?

Ja und nein, und gerade dieses Unentschlossene ist schade. Zum einen wird auf Oud tatsächlich weiträumig verzichtet. Ich habe gar nichts gegen Oud, aber in Kombination mit Rose hat dieser Akkord sich dermaßen totgelaufen, dass er inzwischen auch in Duftkerzen von Zara Home und Drogeriemarktduschbädern zu finden ist. Andererseits wird die Chance 'Rose endlich mal wieder ohne Oud' hier doch vertan: Rose Prick hätte viel besonderer sein können (und müssen) als er ist.

Tom Ford kann Rose eigentlich. Café Rose - der erste von 2012 - ist wunderbar. Und auch die jüngeren Rose d'Amalfi, Rose de Chine und der früh diskontinuierte Rose de Russie sind jeder für sich beachtenswert und schön. Insofern waren die Erwartungen an einen namens Prick - was im Englischen sowohl 'Stich' bedeutet wie auch vulgärkolloquial das männliche Geschlechtsorgan umschreibt - kicher, kicher, schamhaft errötend - natürlich hoch. Erfüllen kann er sie für mich nicht.

Rose Prick ist als Duft nicht grundsätzlich enttäuschend. Hier ist eine kraftvolle, wenngleich recht monochrome Rose, begleitet von einer warmvibrierenden Basisnote auf Gewürzbasis. Das ist nicht schlecht gemacht, doch vom Charakteristikum des Szechuanpfeffers, sinnlich eine Art prickelndes Taubheitsgefühl auszulösen, einer Ahnung von grünen Pflanzensäften (oder von Blut) - oder von irgendetwas, das nach 'Prick' anmutet, folgt der initialen Rose doch viel zu wenig nach.

Es gibt die vorgenannten Duftakkorde durchaus in Parfums: Serge Lutens' Sa majesté la rose zeichnet verletztes Rosenblattgrün ganz meisterlich nach, und Etat Libre d'Oranges berüchtigte Sécrétions Magnifiques bilden die Assoziation zu Blut (und anderen Körpersäften) mit beinahe als zu mutig empfundener Akkuratesse nach. Das alles traut Estée Lauder sich dann nicht, und ist Rose Prick hinsichtlich Marketing auch mehr Private Blend denn je - der Duft selbst ist es nicht (mehr).

Fazit: kein Grund, Tom Ford böse zu sein. Nur - wie zuletzt so oft - etwas enttäuscht.
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