28.05.2015 - 14:57 Uhr
Meggi
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20
An der Narva – oder: Der Mehrfach-Antagonist
Wer von Tallinn nach St. Petersburg fährt, überquert die estnisch-russische Grenze bei Narva, der östlichsten Stadt Estlands, gelegen am gleichnamigen Grenzfluss. Als wir 1994 per Linienbus dort eintrafen, war uns ein bisschen mulmig zumute, obwohl es gar keinen vernünftigen Grund dafür gab: Die Pjerestroika war bereits fast ein Jahrzehnt im Gange und ich hatte einige Jahre vorher sogar die sterbende Sowjetunion problemlos bereist – allerdings in einer großen Gruppe und auf Einladung zu einem Festival hin. Trotzdem wirkten alte Sowjetrussland-Gefühls-Mechanismen immer noch zuverlässig.
In Narva, auf dem Westufer des Flusses, ganz nahe der Straße, steht die Hermannsfeste, seit 1345 östlicher Vorposten des Deutschen Ordens. Dessen Vormarsch war ein Jahrhundert zuvor gestoppt worden, als ein russisches Heer unter Alexander Newskij den Ordensrittern nur rund hundert Kilometer weiter südlich am und auf dem gefrorenen Peipus-See eine vernichtende Niederlage zufügte. Diesem Ereignis hat der Regisseur Sergeij Eisenstein in seinem Film ‚Alexander Newskij‘ ein propagandistisches Denkmal gesetzt, Sergej Prokofiews Musik dazu arbeitete der Komponist persönlich später in eine Kantate um (https://www.youtube.com/watch?v=C1k-D1EoAb8; die Schlacht-Szene beginnt bei 16:17, ab 26:00 bricht das Eis unter den Gepanzerten.).
Auf russischer Seite, der Hermannsfeste direkt gegenüber, befindet sich seit Ende des 15. Jahrhunderts ihr trotziger Widerpart, die Festung Iwangorod. Und ungeachtet der vielen seither verstrichenen Menschenalter schienen die beiden damals in der frühmorgendlichen Dämmerung sichtbares Echo uralter Gegnerschaft zu sein, passend zu unserer Stimmung. Indes: Wer hätte seinerzeit geahnt, dass wir uns im nur wenige Jahre währenden Zeitfenster befanden, in dem – zumindest geht es mir so – man Russland ohne allzu große Bedenken besuchen mochte.
Auf dieses Bild der zwei Burgen komme ich, weil mich Mystra zu Beginn im Charakter sehr an Casbah (= Festung) von Robert Piguet erinnert. Casbah war der bislang einzige Duft, den meine Frau noch abends, gut zehn Stunden nach dem Auftragen, für derart schrecklich erklärte, dass ich ihn abwaschen musste, sicherlich eine beeindruckende Leistung für ein Parfüm. Ich fand ihn ebenfalls extrem schwierig.
Abwaschen musste ich Mystra zwar nicht (knapp…), aber die Vorstellung, die Bollwerke namens Casbah und Mystra befänden sich zu Testzwecken auf je einem Handgelenk und würden einander einen Tag andräuen…. Puh! Nicht auszuhalten.
Denn Mystra startet sofort vollkommen unnahbar. Schon der Auftakt ist ein endloser Affront in Charakter, Intensität und Dauer. Bitter. Sauer. Sauer gewordene Suppe fiel meiner Lieblingskollegin ein. Gegen diesen Rauch sind selbst die gestrengeren Klerikalen vom Stile eines „Cardinal“ gütige Kuschler. Meinen ersten Kontakt mit der Extra-Portion Mastix hatte ich in 99, Regent Street von Hugh Parsons. Mit wenig begeistertem Fazit. Mystra ist nicht geeignet, für mehr Sympathie zu sorgen.
Bedeutender für meine Empfindung zum Duft ist freilich, dass ich den von Yatagan identifizierten Drei-Rauch-Dreiriech kaum wahrnehme, wahlweise mächtig verschoben. Bis über die siebte Stunde hinaus ist bei mir der schroff-säuerlich-abweisende Ton klar vornean. Ich bin wieder bei einer Festung, die hoch über der Stadt thront, Schutz und subtile Bedrohung in einem ist. Zwar hat der Duft ab Mittag einen Anflug von Gnade gewährt, doch das ist relativ; dennoch dürfte dies vom längst widerstandslosen Träger in gleichsam kriecherischer Dankbarkeit angenommen werden. Es wird nahbarer, aber lange nicht nahbar.
Na gut, in äonenlanger Duftentwicklung wird nach etwa acht Stunden allmählich eine extrem reduzierte Variante von ‚angenehm‘ erreicht. Sofern man bei regelrecht hartem, in seiner Präsenz fast sichtbarem Weihrauch davon sprechen möchte. Wer den Duft abends ertragbar nutzen will, sollte ihn also spätestens mittags aufbringen.
Wenn Casbah der erste Antagonist war, in seiner partiellen Ähnlichkeit wie aus einem Bild von zwei Festungen, gibt es daneben diverse weitere, diesmal in ihrer Andersartigkeit: Classic Myrrh von Von Eusersdorff mit seiner Creme, der meditative Hinoki von Comme des Garcons, die glühende Weihrauch-Supernova Rundholz 1968.
Das ist im Gegenzug der Grund, warum ich von Mystra trotz seiner unzweifelhaften Abstoßungskraft fasziniert bin. Wer gleich zu mehreren anderen jeweils dermaßen konträr sein kann, ist seinerseits natürlich absolut einzigartig. Ich werde mir den Duft definitiv nicht zulegen, da ich ihn nicht würde tragen mögen. Zu welcher Gelegenheit auch? Aber getestet habe ich ihn gern und danke noirceur für die Probe.
So, erstmal durchatmen.
In Narva, auf dem Westufer des Flusses, ganz nahe der Straße, steht die Hermannsfeste, seit 1345 östlicher Vorposten des Deutschen Ordens. Dessen Vormarsch war ein Jahrhundert zuvor gestoppt worden, als ein russisches Heer unter Alexander Newskij den Ordensrittern nur rund hundert Kilometer weiter südlich am und auf dem gefrorenen Peipus-See eine vernichtende Niederlage zufügte. Diesem Ereignis hat der Regisseur Sergeij Eisenstein in seinem Film ‚Alexander Newskij‘ ein propagandistisches Denkmal gesetzt, Sergej Prokofiews Musik dazu arbeitete der Komponist persönlich später in eine Kantate um (https://www.youtube.com/watch?v=C1k-D1EoAb8; die Schlacht-Szene beginnt bei 16:17, ab 26:00 bricht das Eis unter den Gepanzerten.).
Auf russischer Seite, der Hermannsfeste direkt gegenüber, befindet sich seit Ende des 15. Jahrhunderts ihr trotziger Widerpart, die Festung Iwangorod. Und ungeachtet der vielen seither verstrichenen Menschenalter schienen die beiden damals in der frühmorgendlichen Dämmerung sichtbares Echo uralter Gegnerschaft zu sein, passend zu unserer Stimmung. Indes: Wer hätte seinerzeit geahnt, dass wir uns im nur wenige Jahre währenden Zeitfenster befanden, in dem – zumindest geht es mir so – man Russland ohne allzu große Bedenken besuchen mochte.
Auf dieses Bild der zwei Burgen komme ich, weil mich Mystra zu Beginn im Charakter sehr an Casbah (= Festung) von Robert Piguet erinnert. Casbah war der bislang einzige Duft, den meine Frau noch abends, gut zehn Stunden nach dem Auftragen, für derart schrecklich erklärte, dass ich ihn abwaschen musste, sicherlich eine beeindruckende Leistung für ein Parfüm. Ich fand ihn ebenfalls extrem schwierig.
Abwaschen musste ich Mystra zwar nicht (knapp…), aber die Vorstellung, die Bollwerke namens Casbah und Mystra befänden sich zu Testzwecken auf je einem Handgelenk und würden einander einen Tag andräuen…. Puh! Nicht auszuhalten.
Denn Mystra startet sofort vollkommen unnahbar. Schon der Auftakt ist ein endloser Affront in Charakter, Intensität und Dauer. Bitter. Sauer. Sauer gewordene Suppe fiel meiner Lieblingskollegin ein. Gegen diesen Rauch sind selbst die gestrengeren Klerikalen vom Stile eines „Cardinal“ gütige Kuschler. Meinen ersten Kontakt mit der Extra-Portion Mastix hatte ich in 99, Regent Street von Hugh Parsons. Mit wenig begeistertem Fazit. Mystra ist nicht geeignet, für mehr Sympathie zu sorgen.
Bedeutender für meine Empfindung zum Duft ist freilich, dass ich den von Yatagan identifizierten Drei-Rauch-Dreiriech kaum wahrnehme, wahlweise mächtig verschoben. Bis über die siebte Stunde hinaus ist bei mir der schroff-säuerlich-abweisende Ton klar vornean. Ich bin wieder bei einer Festung, die hoch über der Stadt thront, Schutz und subtile Bedrohung in einem ist. Zwar hat der Duft ab Mittag einen Anflug von Gnade gewährt, doch das ist relativ; dennoch dürfte dies vom längst widerstandslosen Träger in gleichsam kriecherischer Dankbarkeit angenommen werden. Es wird nahbarer, aber lange nicht nahbar.
Na gut, in äonenlanger Duftentwicklung wird nach etwa acht Stunden allmählich eine extrem reduzierte Variante von ‚angenehm‘ erreicht. Sofern man bei regelrecht hartem, in seiner Präsenz fast sichtbarem Weihrauch davon sprechen möchte. Wer den Duft abends ertragbar nutzen will, sollte ihn also spätestens mittags aufbringen.
Wenn Casbah der erste Antagonist war, in seiner partiellen Ähnlichkeit wie aus einem Bild von zwei Festungen, gibt es daneben diverse weitere, diesmal in ihrer Andersartigkeit: Classic Myrrh von Von Eusersdorff mit seiner Creme, der meditative Hinoki von Comme des Garcons, die glühende Weihrauch-Supernova Rundholz 1968.
Das ist im Gegenzug der Grund, warum ich von Mystra trotz seiner unzweifelhaften Abstoßungskraft fasziniert bin. Wer gleich zu mehreren anderen jeweils dermaßen konträr sein kann, ist seinerseits natürlich absolut einzigartig. Ich werde mir den Duft definitiv nicht zulegen, da ich ihn nicht würde tragen mögen. Zu welcher Gelegenheit auch? Aber getestet habe ich ihn gern und danke noirceur für die Probe.
So, erstmal durchatmen.
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