Dem Vergleich mit ‚Kouros’ muss sich ‚Él’ stellen, durchaus. Besonders wer mit dem alten YSL-Kracher schon länger vertraut ist, vielleicht sogar Jahrzehnte, wird gewisse Ähnlichkeiten nicht übersehen, bzw. überriechen können.
Eine bloße Kopie ist ‚Él’ aber wirklich nicht, dafür ist Rodrigo Flores-Roux einfach ein zu guter Parfümeur – er muss nicht kopieren. Wer sich aber mal die Inspiration zu diesem Duft ansieht, wird schnell verstehen, dass man an ‚Kouros’ schlicht nicht vorbei kam.
Die Idee war, ein Duft-Duo zu entwickeln, das an die hedonistische Duftsprache der 70er Jahre anknüpft, als die Unterscheidbarkeit von Herren- und Damendüften noch weitgehend gegeben war, und beide Geschlechter in Sachen erotischer Vibes um die Vorherrschaft rangen. Dabei waren animalisch durchwirkte Chypres hauptsächlich in den Regalen für Damen anzutreffen, während nicht weniger sexualisierte Fougères jene für Herren zierten. Carons 70er-Version von ‚Infini’, ‚Weil de Weil’ oder Piguets ‚Futur’ seien stellvertretend genannt, bzw. ‚Paco Rabanne pour Homme’, ‚Azzaro pour Homme’, ‚Jules’, sich in der Menge der animalischen Beimischungen steigernd und schließlich in ‚Kouros’ gipfelnd.
Arquistes ‚Él’ und ‚Ella’ knüpfen genau an diese Düfte an und paraphrasieren sie in eine moderne Duftsprache, ohne ins Modernistische zu kippen.
Rieche ich heute an ‚Él’, wünschte ich mir tatsächlich, ‚Kouros’ hätte damals genau so wunderbar dunkel-grün, krautig-aromatisch gerochen, mit dieser tollen herben Honig-Note und der unglaublich sinnlichen, moosigen Zibet-Basis. Vielleicht hätte ich es dann nicht mit dieser Inbrunst gehasst, wie ich es nun mal gehasst habe, als jeder zweite danach roch (die andere Hälfte roch nach ‚Antaeus’, und zu dieser gehörte ich).
Dabei hat es ja ähnlich geduftet, zumindest ansatzweise. Vielleicht nicht ganz so grün, und nicht ganz so krautig, aber der Honig, der Lorbeer, das Zibet – die Schnittmenge ist schon auffallend!
Vergleiche ich die Düfte heute miteinander, fällt mir aber auf, dass der Duft von Rodrigo Flores-Roux viel klarer konturiert ist, weniger verschwommen. Die einzelnen Noten atmen freier, alles wirkt luftiger, frischer, weniger schwül. Selbst die animalischen Komponenten der Basis entfalten sich gelöster, als wären sie dem engen Kontext der berühmten ‚Animalis’-Base von ‚Synarome’ entflohen, die so viele animalische Düfte prägte, nicht nur ‚Kouros’.
Überhaupt diese Animalik!
Heute könnte ich mich da reinlegen, was aber vermutlich eine Sache des Alters, oder besser des Älterwerdens ist.
Ähnlich wie man ja sagt, dass gutes Essen der Sex des Alters sei, könnte es doch durchaus sein, dass man für animalische Dufterotik so richtig erst im Laufe der Zeit empfänglich wird, oder? Jedenfalls habe ich noch niemanden unter, sagen wir mal, 30 getroffen, der – oder die – sich für animalische Düfte begeistert hätte. Als junger Mensch hält man es wohl lieber mit Frische, Sauberkeit und Süße, schwärmt von der ‚Performance’ des ‚Immergehers’, hofft darauf, dass der neuerworbene Duft ein ‚Beast’ sei – ganz im Sinne der SUV-isierung der Duftkultur.
Aber zweideutige, irgendwie schmuddelig-sinnliche Animalik: Satan, weiche!!
Zugegeben, mir ging es ja ähnlich, damals, als ich mit 16 Jahren zum ersten Mal einer erotischen Duftoffensive à la ‚Kouros’ begegnete – ein Affront! Die Hosen derart lüstern herunterzulassen, fand ich unerhört - gschamig wie ich war.
Vermutlich hätte mir Le Galions ‚Sang bleu’ besser gefallen, aber ein solches, vom kopferrötendem Schmutz befreites ‚Kouros’, gab es damals noch nicht. Genau diese Erotik aber fehlt mir heute in ‚Sang bleu’ – wer hätte das gedacht?!
Sosehr ich aber Düfte die deutlich mit tierischen Sekreten prunken heute schätze, hüte ich mich davor sie mehr als in homöopathischer Dosis zu Markte zu tragen, da ich ja weiß, wie schwer auszuhalten sie für viele Mitmenschen sind.
Arquistes ‚Él’ bietet mir nun ein unwiderstehliches Quantum davon: nicht zu viel, und nicht zu wenig, kombiniert mit einem Mehr an krautig grünen Noten und frischer Rosengeranie, sodass ich eigentlich denke: ‚Él’ müsste doch jedem gefallen!
Aber Vorsicht: das Bild eines Kerls mit Goldkettchen im quellenden Brusthaar, dickem Schnäuzer und bronzefarbenem Teint, das Hemd bis zum Bauchnabel offen und die Jeans so eng, dass sich alles abzeichnet, dazu ein lüsternes Lächeln und ein anzüglicher Blick – das ist ‚Él’.
Das bin aber nicht ich.
Ich bin kein Tom-Selleck-Typ, war ich noch nie. Aber ich mochte den immer. Magnum war einfach eine coole Socke. Sein Machismo: heiter-ironisch und galant, seine erotische Ausstrahlung: schlicht umwerfend.
Doch auch wenn ich kein Tom-Selleck-Typ bin, einen Duft, der das Bild eines solchen Mann-Mannes hervorruft, kann ich trotzdem tragen, finde ich.
Brechungen müssen sein, die machen doch erst interessant!
Vielleicht würde zu ihm, Tom Selleck, auch eher ein dunkel-samtiger Rosenduft passen, wer weiß?! Auch eine schöne Brechung.
‚Él’ ist jedenfalls eine überaus gelungene Reminiszenz an den fröhlichen Hedonismus der späten 70er und frühen 80er Jahre, bevor der AIDS-Horror hereinbrach, und mit ihm das Biedermeier der Kohl/Thatcher/Reagan-Ära begann.
Gerade in diesen unseligen Corona-Zeiten erinnere ich mich gerne daran, auch wenn mich meine eigene Gschamigkeit (ein bayrischer Ausdruck, ich weiß, aber ich liebe ihn!) davor bewahrte damals allzu sorglos der Sinneslust zu frönen – zum Glück!
Heute würde ich meine Hand dafür nicht mehr ins Feuer legen. Aber dafür habe ich ja jetzt ‚Él’, die Ersatz-Droge: Hedonismus ‚in a bottle’, sozusagen.
Einer überaus schönen übrigens!
Nicht nur gutes Essen ist der Sex des Alters.