17.04.2016 - 02:41 Uhr
loewenherz
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loewenherz
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60
Wiesenschaumkraut
Nicht weit von meinem Elternhaus gibt es ein stilles Tal. Dort unten liegt ein wunderbarer, kühler Grund, wo sich zwischen hohen Bäumen und Huflattich ein eiliges Bächlein schlängelt. Da bin als Junge häufig mit unserem Hund entlang gelaufen - und weil es keine Straße und keine Autos gab, konnte er ohne Leine gehen. An beiden Seiten des Bächleins liegen feuchte, grüne Wiesen, auf denen Hahnenfuß und Sumpfdotterblumen blühen - und im Frühjahr sind diese Wiesen übersät mit Wiesenschaumkraut.
Und weil Wiesenschaumkraut so hübsch ist mit seinen kleinen rosa Blüten, habe ich - während der Hund zwischen den Gräsern herumstrolchte - oft einen großen Strauß abgepflückt. Zuhause stand er dann in einer zartblauen Kristallvase - immer derselben - während das Wiesenschaumkraut (vergänglich wie seine Blüten sind) binnen nur eines oder zweier Tage welkte. Dann habe ich einen neuen Strauß gepflückt - bis der Mai das blasse Rosa von den Wiesen nahm und durch das Purpur der Lichtnelken ersetzte.
'Wo bleibt nun der Bezug zu Chanel N°19?' mag mancher Leser zu Recht schon ungeduldig fragen - jenem grünblumigen Altvorderen unter den Chypres - dem Duft einer Dame von gelassener Kultiviertheit, Klugheit und Klasse, der nach vielem anderen eher duften mag als gerade dem mädchenhaft anmutenden Wiesenschaumkraut (von dem ich gar nicht sicher bin, ob es überhaupt einen eigenen charakteristischen Duft besitzt).
Manchmal (und das die wohl schönsten Assoziationen, die ein Parfum auszulösen in der Lage ist) erinnert sich unser olfaktorisches Gedächtnis an etwas jenseits von Bergamotte, Maiglöckchen und Eichenmoos, etwas Intimes und Persönliches. In jenen Kindertagen, als ich atemlos mit einem müden Hund nach Hause kam - die Arme voller Wiesenschaumkraut - trug meine Mutter Chanel N°19. N°19 lag in der Luft, als sie die Stengel in der Vase arrangierte - sorgsam, als sei es dauerhaft und nicht nur für ein paar Stunden. Chanel N°19 ist der Duft meiner herrlichen, sorglosen Kindheit - und macht mich dankbar dafür, wann immer er mir in die Nase steigt - oder ich im Frühling Wiesenschaumkraut sehe.
Fazit: ich war seit Jahren nicht mehr in meinem stillen Tal. An den Seiten des Weges, der dorthin führt, sind Häuser gebaut worden - und ich habe ein bisschen Angst, dass es die Wiesen meiner Kindheit nicht mehr gibt. Der Hund liegt unter dem Winterjasmin neben dem Schuppen, die blaue Kristallvase steht hinten im Schrank - und N°19 trägt meine Mutter schon längst nicht mehr. Aber gestern kamen sie und ich an einer Lichtung vorbei, auf der das Wiesenschaumkraut rosa blühte. Und ich habe mich erinnert und gefragt, ob sie nicht irgendwo noch einen Rest Chanel N°19 aufbewahrt.
Und weil Wiesenschaumkraut so hübsch ist mit seinen kleinen rosa Blüten, habe ich - während der Hund zwischen den Gräsern herumstrolchte - oft einen großen Strauß abgepflückt. Zuhause stand er dann in einer zartblauen Kristallvase - immer derselben - während das Wiesenschaumkraut (vergänglich wie seine Blüten sind) binnen nur eines oder zweier Tage welkte. Dann habe ich einen neuen Strauß gepflückt - bis der Mai das blasse Rosa von den Wiesen nahm und durch das Purpur der Lichtnelken ersetzte.
'Wo bleibt nun der Bezug zu Chanel N°19?' mag mancher Leser zu Recht schon ungeduldig fragen - jenem grünblumigen Altvorderen unter den Chypres - dem Duft einer Dame von gelassener Kultiviertheit, Klugheit und Klasse, der nach vielem anderen eher duften mag als gerade dem mädchenhaft anmutenden Wiesenschaumkraut (von dem ich gar nicht sicher bin, ob es überhaupt einen eigenen charakteristischen Duft besitzt).
Manchmal (und das die wohl schönsten Assoziationen, die ein Parfum auszulösen in der Lage ist) erinnert sich unser olfaktorisches Gedächtnis an etwas jenseits von Bergamotte, Maiglöckchen und Eichenmoos, etwas Intimes und Persönliches. In jenen Kindertagen, als ich atemlos mit einem müden Hund nach Hause kam - die Arme voller Wiesenschaumkraut - trug meine Mutter Chanel N°19. N°19 lag in der Luft, als sie die Stengel in der Vase arrangierte - sorgsam, als sei es dauerhaft und nicht nur für ein paar Stunden. Chanel N°19 ist der Duft meiner herrlichen, sorglosen Kindheit - und macht mich dankbar dafür, wann immer er mir in die Nase steigt - oder ich im Frühling Wiesenschaumkraut sehe.
Fazit: ich war seit Jahren nicht mehr in meinem stillen Tal. An den Seiten des Weges, der dorthin führt, sind Häuser gebaut worden - und ich habe ein bisschen Angst, dass es die Wiesen meiner Kindheit nicht mehr gibt. Der Hund liegt unter dem Winterjasmin neben dem Schuppen, die blaue Kristallvase steht hinten im Schrank - und N°19 trägt meine Mutter schon längst nicht mehr. Aber gestern kamen sie und ich an einer Lichtung vorbei, auf der das Wiesenschaumkraut rosa blühte. Und ich habe mich erinnert und gefragt, ob sie nicht irgendwo noch einen Rest Chanel N°19 aufbewahrt.
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