16.02.2017 - 14:51 Uhr
Meggi
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30
Solotoje Kolzo
Zagorsk… Sagorsk… Da war doch was? Ab in den Keller! Schnell sind ‚Die Räuber‘ ‚Woyzeck‘ und weitere Reclam-Hefte beiseite gepackt, Königs Erläuterungen zur ‚Judenbuche‘, zum ‚Fräulein von Scuderi‘ etc. folgen. Schließlich liegt einer jener Umzugskartons frei, die den Inhalt meines alten Jugend-Zimmers verwahren.
Treffer! Gleich obenauf finde ich die gesuchte flache Schachtel, beschriftet in kyrillischen Buchstaben mit den Worten „Solotoje Kolzo“. Darin eine Papp-Platte voller Anstecknadeln (siehe Album, Bild 100044), Mitbringsel einer Chor-Reise in die sterbende Sowjetunion. Bekanntermaßen war dort vieles knapp - diese mehr oder minder propagandistischen Anstecker waren es nicht. Der Preis hatte exakt vier Rubel und sechzig Kopeken betragen (Bild 100045), umgerechnet waren das Pfennige, und in jugendlich-übermütiger West-Dekadenz hatten wir pfundweise davon weggeschleppt. Die Dinger waren zu allem und jedem verfügbar: zu Personen, Ereignissen, Errungenschaften, Bauwerken und – zu Städten. „Solotoje Kolzo“ heißt nämlich „Goldener Ring“ und bezeichnet eine Reihe altrussischer Städte nordöstlich von Moskau. Die blecherne Würdigung zu Sagorsk, heute Sergijew Possad, ist links unten zu sehen, Bild 100046 zeigt dieses Prachtstück sozialistischer Fertigungs-Technik im Detail.
In Sagorsk mit seinem Dreifaltigkeitskloster, auf das sich der Duft stellvertretend für den Rauch der russisch-orthodoxen Kirche anscheinend beruft, waren wir damals zwar nicht, wir hatten freilich in Moskau eine andere Berührung mit der Orthodoxie, über das Touristische hinaus. Denn neben dem eigentlichen Konzert-Programm waren wir spontan eingeladen worden, in einem der angeblich ersten offiziellen Gottesdienste nach der russischen Wende zu singen, in der "Kirche des Gedenktages der Auferstehung an der Himmelfahrtsschlucht", gelegen unweit von Kreml und Rotem Platz. Ein einmaliges Erlebnis, inmitten einer fremden Liturgie, umgeben von der predigenden und singenden Stimme eines Priesters und vom üppig verteilten Weihrauch.
Wieviel davon weiß der Duft zu beschwören?
Wenig. Ich spüre einen deutlich iris-behellten Auftakt von fast karottenhafter Frische und dann sogleich helles Holz. Säuerliche, für einige Sekunden beinahe hesperidisch-adstringierende Kiefer. Rasch gesellt sich heller, pfeffriger Weihrauch hinzu. Da ist nix mit Kirche, jedenfalls nicht bei mir. Stattdessen sind mühelos Erinnerungen an den russischen Winter evoziert. Bei minus 20 Grad lag Schnee ohne Ende, umweht wurden wir von schneidender, trockener Kälte.
Vor allem aber riecht Zagorsk nach Holz; tatsächlich eine ‚Matrjoschka-Holznote‘ (ein Dank an Jumi für dieses Bild!), sowie auch weiterhin Nadelholz. Dazu säuerliches Harz mit einem Gewürz-Stich. Früher, als Piment noch „Gewürzkorn“ hieß und bei Mama ins Essen kam, konnte man beim versehentlichen Darauf-Beißen derlei verspüren. Das steuert hier einen Piekser bei, der nichts mehr mit kalter Luft zu tun hat, sondern eher – sagen wir: allegorisch - an den strengen Geruch alter Möbel erinnern mag.
Das Zagorsk-Holz ist mithin herber, spitzer, kälter, stechender als der fahle Kollege aus dem Geschwister-Parfüm Kyoto, trotzdem darf ein über banale Einzel-Aromen hinausweisender, verwandtschaftlicher Bezug als gelungen gelten. Gut möglich übrigens, dass (wie verschiedentlich gemutmaßt) Vetiver höchstpersönlich für Zagorsk eine tragende Rolle spielt. Dafür sprechen die nussig-erdigen Aspekte im Untergrund. Die üppige Matrjoschka allerdings hat mit Vetiver sicherlich nichts am Hut.
Das Duft-Gebäude steht nun im Wesentlichen: Helles Holz plus Karotten-Iris, daneben eine Säuerlichkeit, die auf Vetiver zurückgehen kann. Plus geradezu minimalistischer Weißweihrauch.
Anderswo ist mir gelegentlich aufgefallen, wie sich helles Holz, vornehmlich welches von laborieller Abstammung, mit Iris veredelnd aufpimpen lässt. Heute funktioniert das leider nicht, weil sich das Karottige sehr seltsam hineinmischt und obendrein mit seiner gewissermaßen statischen Süße recht steril wirkt.
Hm. Seinerzeit, in besagtem Gottesdienst, habe ich verstanden, dass eine Liturgie berauschen, fesseln, umgarnen, verführen kann. Das vermag Zagorsk mir nicht zu vermitteln. Er betritt die Kirche überhaupt nicht.
Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
Treffer! Gleich obenauf finde ich die gesuchte flache Schachtel, beschriftet in kyrillischen Buchstaben mit den Worten „Solotoje Kolzo“. Darin eine Papp-Platte voller Anstecknadeln (siehe Album, Bild 100044), Mitbringsel einer Chor-Reise in die sterbende Sowjetunion. Bekanntermaßen war dort vieles knapp - diese mehr oder minder propagandistischen Anstecker waren es nicht. Der Preis hatte exakt vier Rubel und sechzig Kopeken betragen (Bild 100045), umgerechnet waren das Pfennige, und in jugendlich-übermütiger West-Dekadenz hatten wir pfundweise davon weggeschleppt. Die Dinger waren zu allem und jedem verfügbar: zu Personen, Ereignissen, Errungenschaften, Bauwerken und – zu Städten. „Solotoje Kolzo“ heißt nämlich „Goldener Ring“ und bezeichnet eine Reihe altrussischer Städte nordöstlich von Moskau. Die blecherne Würdigung zu Sagorsk, heute Sergijew Possad, ist links unten zu sehen, Bild 100046 zeigt dieses Prachtstück sozialistischer Fertigungs-Technik im Detail.
In Sagorsk mit seinem Dreifaltigkeitskloster, auf das sich der Duft stellvertretend für den Rauch der russisch-orthodoxen Kirche anscheinend beruft, waren wir damals zwar nicht, wir hatten freilich in Moskau eine andere Berührung mit der Orthodoxie, über das Touristische hinaus. Denn neben dem eigentlichen Konzert-Programm waren wir spontan eingeladen worden, in einem der angeblich ersten offiziellen Gottesdienste nach der russischen Wende zu singen, in der "Kirche des Gedenktages der Auferstehung an der Himmelfahrtsschlucht", gelegen unweit von Kreml und Rotem Platz. Ein einmaliges Erlebnis, inmitten einer fremden Liturgie, umgeben von der predigenden und singenden Stimme eines Priesters und vom üppig verteilten Weihrauch.
Wieviel davon weiß der Duft zu beschwören?
Wenig. Ich spüre einen deutlich iris-behellten Auftakt von fast karottenhafter Frische und dann sogleich helles Holz. Säuerliche, für einige Sekunden beinahe hesperidisch-adstringierende Kiefer. Rasch gesellt sich heller, pfeffriger Weihrauch hinzu. Da ist nix mit Kirche, jedenfalls nicht bei mir. Stattdessen sind mühelos Erinnerungen an den russischen Winter evoziert. Bei minus 20 Grad lag Schnee ohne Ende, umweht wurden wir von schneidender, trockener Kälte.
Vor allem aber riecht Zagorsk nach Holz; tatsächlich eine ‚Matrjoschka-Holznote‘ (ein Dank an Jumi für dieses Bild!), sowie auch weiterhin Nadelholz. Dazu säuerliches Harz mit einem Gewürz-Stich. Früher, als Piment noch „Gewürzkorn“ hieß und bei Mama ins Essen kam, konnte man beim versehentlichen Darauf-Beißen derlei verspüren. Das steuert hier einen Piekser bei, der nichts mehr mit kalter Luft zu tun hat, sondern eher – sagen wir: allegorisch - an den strengen Geruch alter Möbel erinnern mag.
Das Zagorsk-Holz ist mithin herber, spitzer, kälter, stechender als der fahle Kollege aus dem Geschwister-Parfüm Kyoto, trotzdem darf ein über banale Einzel-Aromen hinausweisender, verwandtschaftlicher Bezug als gelungen gelten. Gut möglich übrigens, dass (wie verschiedentlich gemutmaßt) Vetiver höchstpersönlich für Zagorsk eine tragende Rolle spielt. Dafür sprechen die nussig-erdigen Aspekte im Untergrund. Die üppige Matrjoschka allerdings hat mit Vetiver sicherlich nichts am Hut.
Das Duft-Gebäude steht nun im Wesentlichen: Helles Holz plus Karotten-Iris, daneben eine Säuerlichkeit, die auf Vetiver zurückgehen kann. Plus geradezu minimalistischer Weißweihrauch.
Anderswo ist mir gelegentlich aufgefallen, wie sich helles Holz, vornehmlich welches von laborieller Abstammung, mit Iris veredelnd aufpimpen lässt. Heute funktioniert das leider nicht, weil sich das Karottige sehr seltsam hineinmischt und obendrein mit seiner gewissermaßen statischen Süße recht steril wirkt.
Hm. Seinerzeit, in besagtem Gottesdienst, habe ich verstanden, dass eine Liturgie berauschen, fesseln, umgarnen, verführen kann. Das vermag Zagorsk mir nicht zu vermitteln. Er betritt die Kirche überhaupt nicht.
Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
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