Nikolai
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Das Zenit der zitrischen Olfaktorie, der Höhepunkt der Emotionen
In einer kühlen Märznacht ereignete sich während des Besuchs eines Freundes eine Offenbarung, die meine Position und meine Emotionen, die ich olfaktorischen Kreationen entgegenzubringen nicht scheue, sondern sie zulasse, gar genieße, nachhaltig und eindrucksvoll, nahezu bedrohlich, wäre sie nicht derart bewegend gewesen, prägen sollte.
Besagter Freund - gleichzeitig Weggefährte auf meiner Reise durch die verzaubernde Welt der Düfte - erübrigte mir in besagter Nacht, die sich durch einen sternenklaren Himmel und einen klirrenden, aber gleichzeitig klar anmutenden Frost besonders in mein Gedächtnis brannte, großzügiger Weise einige wenige Sprüher des Zesten Mandarine Pamplemousse. Es mögen die Assoziationen sein, die diesen Duft derart besonders für mich machen. Die Erinnerung daran, in welchem Ausmaß wir der Natur unterworfen sind und das Schicksal unsere Entscheidungen prägt, welche mich ein tiefes emotionales Band zu dieser großartigen Duftkreation implementieren.
Das Auftragen. Der satte, kalte klare Flakon des Zestens. Die wohlgeformte Kappe. All dies waren die ersten haptischen Signale, die es mir senden sollte. Noch bevor ich meinen Finger an den Zerstäuber ansetzte, spürte ich, welch Besonderheit mich erwarten sollte, Mag es die Atmosphäre gewesen sein, lass es tatsächlich die Eigenschaften des Flakons selbst zugeschrieben - die emotionale Verbundenheit wurde in diesem wegweisenden Moment erschaffen, wie der Herr die Erde in sieben verheißungsvollen Tagen schuf.
Auch, wenn ich mir zu diesem Zeitpunkt darüber noch nicht im Klaren war, sollten die Noten, die feinen Nuancen die meinen Olfaktorius gleich umspielen würden, meine Sicht auf Düfte und ihre Wirkung neu definieren.
Die Kopfnote - zitrisch. Intensiv. Kräftig. Anmutend fruchtig.
Bergamotte umschleiert von Mandarine, sanft geküsst von einer bittersüßen Grapefruit.
Mächtig.
Doch nur für einen Moment. Sofort wandelt es sich in eine perfekt abgestimmte Mischung, die sich nicht überlegen gibt, sich jedoch ebenso wenig unterordnet. Hier bleibt die Bergamotte permanent dominant, kriegt jedoch gehörig Konkurrenz von Mandarine, die ambitioniert um die Bergamotte herumtanzt. Die Grapefruit bleibt geschützt von der starken Bergamotte. Es ist abgerundet.
Zumindest solange, bis sich eine blumige, helle und sanfte Inkonsistenz einmischt. Sie leuchtet ab und zu auf, weckt Assoziationen mit einem unberührten, lieblichen Blumental in den Alpen. Klare Luft und duftende Blumen. Sie stechen nur ab und zu heraus, ordnen sich der doch so dominierenden Bergamotte unter. Die Blüten sorgen für eine Abwechslung - es gibt durch sie keine ermüdende Permanenz. Erfreulich. Geradezu aufregend. Dieses Fehlen weckt Euphorie. Einen überschwinglichen Optimismus der sich durch die überragende Haltbarkeit des Duftes zieht und den Tag erhellt, die Nacht intensiviert.
Persönlich rieche ich jedoch kein Ambra. Mag sie übertönt sein durch die Größe und ästhetische Überlegenheit der vorherrschenden Ingredentien, mag sie sich bewusst unterordnen. Ich nehme sie nicht wahr, was keineswegs einen negativen Effekt auf den betörenden Duft bedeutet.
Qui tacet, consentire videtur - scheint die Devise der Ambranote in dieser Kreation zu sein. Und diese ist mehr als berechtigt.
Nach mehr als vollen 12 Stunden verheißt die zunehmende Abnahme ein baldiges Adieu. Es bedeutet Trauer. Trauer, um das Ende der emotionalen Reise. Trauer darüber, wie sich das Zesten von Einem abwendet, den Abgang langsam und schmerzvoll gestaltend. Doch die Trauer weicht einer Euphorie. Dem Bewusstsein über den Rauschzustand, der erlebt wurde. Die Freude darüber. Die Vorfreude, auf ein eventuelles nächstes Mal. Der Unglaube über die ungehaltenen Emotionen und Anziehungskräfte, die ein Duft auslösen kann.
Partir, c’est toujours mourir un peu!
Bereits Marcus Tullius Cicero stellte vor über 2000 Jahren folgendes fest, was @Niccoboeddeke treffend auffasste.
Omnia praeclara rara
In der Tat ist Vorzügliches selten. So selten, dass ich das Vorzüglichste erst so spät finden konnte.