12.06.2021 - 02:21 Uhr
Foxear
22 Rezensionen
Foxear
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71
Eiserner Revoluzzer oder Cyborgs, die nach Menschen riechen
Sécrétions Magnifiques – zu Deutsch „Prächtige Körpersäfte“, war das erste Parfum aus dem Hause Etat Libre d'Orange (Eldo). Firmenethos ist das Kreieren von Düften abseits jeglicher Konventionen. Der Gründer, Etienne de Swardt, sieht sich als Rebell im Kampf gegen die olfaktorische Angepasstheit – ein hehres Ziel, das ich gerne unterstütze. Frei nach Rosa Luxemburg – ist die Revolution dieses Duftwassers großartig oder nichts als Quark?
Marketingtechnisch ist Sécrétions Magnifiques ist ein dicker Mittelfinger in Richtung der frischen Aquaten aus den Häusern Armani, Davidoff sowie Calvin Klein, die in den 90ern ihre Blütezeit hatten und eine Trendwende einläuteten, die bis heute Wurzeln schlägt. Animalik wurde an den Rand gedrängt und fristet seit den 00er Jahren ein Nischendasein.
2006 – Auftritt Eldo: „Wir haben einen Duft kreiert, der wie Beischlaf unmittelbar vor dem Orgasmus riecht. Ejakulat, Schweiß, Blut und Adrenalin – pure Animalik! Na, klingt das nicht affengeil?“, ungefähr so kann man sich den Marketingsprech von Eldo vorstellen. Bei der Duftbeschreibung auf der eigenen Internetpräsenz bleibt man hingegen konservativ und zimperlich. Mann und Frau in Missionarsstellung: „Don Juan and the woman who offers herself, arms are laid down. “. Gähnende Langeweile – stellvertretend für den Duft?
Dieser startet ozonisch-maritim, entfernt erinnert er mich ans Meer. Quasi eine Kampfansage an die Aquaten, die man im Anschluss abschießen möchte. Im Verlauf wird es zunächst kühl-metallisch und später cremig – übrigens ist es das erste Mal, dass ich einen Duft als metallisch empfinde – hier ist es adäquat. Das Metallische rührt vermutlich aus dem überdosierten beinhalteten Azuron, das feucht, schwitzig – wie Speichel auf der Haut – riechen soll, sowie einem nachgesagten Schwefelakkord. Das Cremige, welches für die weiblichen Körpersäfte steht, ist ein Ergebnis aus Sandelholz, Milch und Iris. Hintergründig kann man stets den Geruch von Salz wahrnehmen.
Das Metallische ist tonangebend und zieht sich bitterböse bis zum Ende – hat man Beischlaf mit Robotern oder ist selbst ein Roboter, könnte diese Tatsache erklären, was der Duft entfernt mit Sex zu tun hat. Alles andere ergibt für mich keinen Sinn. Ebenso: was hat Blut mit dem Geschlechtsakt zu tun? Keine Ahnung, aber das muss ein abgefahrener Fetisch sein. Etwas bodenständiger kann ich es mir nur so erklären: Blut pumpt schneller, wenn man aufgeregt oder in Ekstase ist – beim Akt eben. Adrenalin ist tatsächlich geruchslos, was Antoine Lie, zuständiger Parfumeur, selbst bestätigte. Daher frage ich mich, wie man Adrenalin neben Blut wahrnehmen kann. Womöglich das Adrenalin, welches im eigenen Blut kocht, während man voller aufgeregtem Ekel mit dem Kopf über der Toilette hängt. Hat man mehr Fantasie als J. R. R. Tolkien, Terry Pratchett und Tad Williams zusammen, riecht man bestimmt Blut, Eiter, Galle, Ejakulat und sogar geruchsloses Adrenalin. Denkt man beim Testen an spuckende Einhörner, urinierende Gremlins oder schwitzende Gummibärchen, dann riecht es bestimmt danach – „Magnifiques jus d'imagination“.
In Summe erhält man einen synthetisch-metallischen Duft mit cremigen Nuancen und hintergründiger maritimer Note, animalische oder erotische Assoziationen kommen für mich nicht ansatzweise auf. Der Duft erinnert mich an eine kreischende Kreissäge, die man vergessen hat auszustellen – laut, langweilig und nach Aufmerksamkeit lechzend. Das Marketing, der Name und die angegebenen Duftnoten haben nur einen Zweck: die bewusste Provokation. Offensichtlich hat es gewirkt, den Ruf als eines der widerlichsten Parfums hält es inne. Auch schlechte Presse ist gute Presse – meine Zeilen sind der Beweis.
Sécrétions Magnifiques ist Revoluzzer aus Leidenschaft – eine radikale andersriechende Ausnahmeerscheinung, als Konzeptduft scheitert er jedoch. Hier könnte ich meine Rezension beenden, allerdings habe ich eine eigene ausgefallene These aufgestellt, die ich im Folgenden erläutere.
Menschliche Augmentation. Diese wird in der Medizin eingesetzt, um verletzte Körperteile, Sehnen und Bänder des Körpers durch Kunststoff- oder Metall-Implantate/Prothesen zu ersetzen. Hauptzweck hierbei ist die Therapie des Körpers und das Zurückgewinnen der Gesundheit.
Oscar Pistorius lief mit seinen Unterschenkelprothesen bei den Paralympics bessere Zeiten als manch ein Olympiateilnehmer. Im Klartext: er lief mit künstlichen Beinen schneller als jemand mit organischen. Es ist davon auszugehen, dass diverse Institute sowie Militärs weltweit in diese Richtung forschen, letztere um die körperlichen Fähigkeiten der eigenen Soldaten zu verbessern. Viele der ursprünglich fürs Militär entwickelten Technologien zogen auf Umwegen in unseren Alltag ein, wie z. B. das Internet, Drohnen, Mikrowellen, GPS und sogar die Bluttransfusion.
Übertragbar ist die Augmentation nämlich auf den Alltag – die Vorteile sind offensichtlich: eine Verbesserung der allgemeinen körperlichen Gesundheit, besseres Sehvermögen, schöneres Aussehen und mehr Kraft. Das Potential ist endlos – birgt aber auch etliche moralische und gesellschaftliche Gefahren, das ist jedoch Diskussionsstoff für Transhumanisten und deren Gegner. Der Mensch übersteigt seine biologischen Fähigkeiten und wird zum Cyborg – halb Mensch, halb Maschine – den Göttern nahe?
In diesem Szenario wird mein eingangs scherzhaft erwähnter Satz „ist (man) selbst ein Roboter“ halbwegs zur Realität. Stellt man sich vor, dass Menschen sich freiwillig mit künstlichen Bauteilen erweitern und das gesunde Fleisch aufgeben, riecht es entsprechend – kühl-metallisch durch die synthetischen Prothesen/Implantate sowie cremig und salzig, was den verbleibenden eigenen Körpersäften wie Schweiß als auch Speichel geschuldet ist. Sécrétions Magnifiques – unser Geruch von morgen?
Passende Musik: Giant Swan - Pandaemonium
Besten Dank an MmeMo und Vrabec für die Probe!
Marketingtechnisch ist Sécrétions Magnifiques ist ein dicker Mittelfinger in Richtung der frischen Aquaten aus den Häusern Armani, Davidoff sowie Calvin Klein, die in den 90ern ihre Blütezeit hatten und eine Trendwende einläuteten, die bis heute Wurzeln schlägt. Animalik wurde an den Rand gedrängt und fristet seit den 00er Jahren ein Nischendasein.
2006 – Auftritt Eldo: „Wir haben einen Duft kreiert, der wie Beischlaf unmittelbar vor dem Orgasmus riecht. Ejakulat, Schweiß, Blut und Adrenalin – pure Animalik! Na, klingt das nicht affengeil?“, ungefähr so kann man sich den Marketingsprech von Eldo vorstellen. Bei der Duftbeschreibung auf der eigenen Internetpräsenz bleibt man hingegen konservativ und zimperlich. Mann und Frau in Missionarsstellung: „Don Juan and the woman who offers herself, arms are laid down. “. Gähnende Langeweile – stellvertretend für den Duft?
Dieser startet ozonisch-maritim, entfernt erinnert er mich ans Meer. Quasi eine Kampfansage an die Aquaten, die man im Anschluss abschießen möchte. Im Verlauf wird es zunächst kühl-metallisch und später cremig – übrigens ist es das erste Mal, dass ich einen Duft als metallisch empfinde – hier ist es adäquat. Das Metallische rührt vermutlich aus dem überdosierten beinhalteten Azuron, das feucht, schwitzig – wie Speichel auf der Haut – riechen soll, sowie einem nachgesagten Schwefelakkord. Das Cremige, welches für die weiblichen Körpersäfte steht, ist ein Ergebnis aus Sandelholz, Milch und Iris. Hintergründig kann man stets den Geruch von Salz wahrnehmen.
Das Metallische ist tonangebend und zieht sich bitterböse bis zum Ende – hat man Beischlaf mit Robotern oder ist selbst ein Roboter, könnte diese Tatsache erklären, was der Duft entfernt mit Sex zu tun hat. Alles andere ergibt für mich keinen Sinn. Ebenso: was hat Blut mit dem Geschlechtsakt zu tun? Keine Ahnung, aber das muss ein abgefahrener Fetisch sein. Etwas bodenständiger kann ich es mir nur so erklären: Blut pumpt schneller, wenn man aufgeregt oder in Ekstase ist – beim Akt eben. Adrenalin ist tatsächlich geruchslos, was Antoine Lie, zuständiger Parfumeur, selbst bestätigte. Daher frage ich mich, wie man Adrenalin neben Blut wahrnehmen kann. Womöglich das Adrenalin, welches im eigenen Blut kocht, während man voller aufgeregtem Ekel mit dem Kopf über der Toilette hängt. Hat man mehr Fantasie als J. R. R. Tolkien, Terry Pratchett und Tad Williams zusammen, riecht man bestimmt Blut, Eiter, Galle, Ejakulat und sogar geruchsloses Adrenalin. Denkt man beim Testen an spuckende Einhörner, urinierende Gremlins oder schwitzende Gummibärchen, dann riecht es bestimmt danach – „Magnifiques jus d'imagination“.
In Summe erhält man einen synthetisch-metallischen Duft mit cremigen Nuancen und hintergründiger maritimer Note, animalische oder erotische Assoziationen kommen für mich nicht ansatzweise auf. Der Duft erinnert mich an eine kreischende Kreissäge, die man vergessen hat auszustellen – laut, langweilig und nach Aufmerksamkeit lechzend. Das Marketing, der Name und die angegebenen Duftnoten haben nur einen Zweck: die bewusste Provokation. Offensichtlich hat es gewirkt, den Ruf als eines der widerlichsten Parfums hält es inne. Auch schlechte Presse ist gute Presse – meine Zeilen sind der Beweis.
Sécrétions Magnifiques ist Revoluzzer aus Leidenschaft – eine radikale andersriechende Ausnahmeerscheinung, als Konzeptduft scheitert er jedoch. Hier könnte ich meine Rezension beenden, allerdings habe ich eine eigene ausgefallene These aufgestellt, die ich im Folgenden erläutere.
Menschliche Augmentation. Diese wird in der Medizin eingesetzt, um verletzte Körperteile, Sehnen und Bänder des Körpers durch Kunststoff- oder Metall-Implantate/Prothesen zu ersetzen. Hauptzweck hierbei ist die Therapie des Körpers und das Zurückgewinnen der Gesundheit.
Oscar Pistorius lief mit seinen Unterschenkelprothesen bei den Paralympics bessere Zeiten als manch ein Olympiateilnehmer. Im Klartext: er lief mit künstlichen Beinen schneller als jemand mit organischen. Es ist davon auszugehen, dass diverse Institute sowie Militärs weltweit in diese Richtung forschen, letztere um die körperlichen Fähigkeiten der eigenen Soldaten zu verbessern. Viele der ursprünglich fürs Militär entwickelten Technologien zogen auf Umwegen in unseren Alltag ein, wie z. B. das Internet, Drohnen, Mikrowellen, GPS und sogar die Bluttransfusion.
Übertragbar ist die Augmentation nämlich auf den Alltag – die Vorteile sind offensichtlich: eine Verbesserung der allgemeinen körperlichen Gesundheit, besseres Sehvermögen, schöneres Aussehen und mehr Kraft. Das Potential ist endlos – birgt aber auch etliche moralische und gesellschaftliche Gefahren, das ist jedoch Diskussionsstoff für Transhumanisten und deren Gegner. Der Mensch übersteigt seine biologischen Fähigkeiten und wird zum Cyborg – halb Mensch, halb Maschine – den Göttern nahe?
In diesem Szenario wird mein eingangs scherzhaft erwähnter Satz „ist (man) selbst ein Roboter“ halbwegs zur Realität. Stellt man sich vor, dass Menschen sich freiwillig mit künstlichen Bauteilen erweitern und das gesunde Fleisch aufgeben, riecht es entsprechend – kühl-metallisch durch die synthetischen Prothesen/Implantate sowie cremig und salzig, was den verbleibenden eigenen Körpersäften wie Schweiß als auch Speichel geschuldet ist. Sécrétions Magnifiques – unser Geruch von morgen?
Passende Musik: Giant Swan - Pandaemonium
Besten Dank an MmeMo und Vrabec für die Probe!
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