14.04.2019 - 15:04 Uhr
Meggi
1019 Rezensionen
Meggi
Top Rezension
30
Unfreiwillig gelungen?
Die Eutopie-Düfte sollen Stationen einer weiten Reise widerspiegeln. Gestaltung und Begleitmusik der No. 6 (die übrigen kenne ich nicht) legen den Gedanken nahe, dass nicht das banale Abbilden von geruchlichem Lokal-Kolorit Ziel ist, sondern dass es um Tiefsinnigeres gehen soll.
Der vorliegende Duft etwa soll konkret zwischen dem glamourösen modernen Leben und dem „traditional spirit“ in Russland hin und her schwanken („oscillate”). Tja, ob mit „traditional spirit“ sowas wie „Volksseele“ gemeint ist? Das ergäbe eine wohl unbewältigbare Kluft, denn ich glaube nicht, dass das Dasein der russischen Großkotze 3.0 noch irgendeinen Bezugspunkt zur Volksseele aufweist, von dem aus sich oszillieren ließe. Wo gibt es derlei Verknüpfung überhaupt - außer bei einem „Volk“ wie dem von Monaco?
Mein Stirnrunzeln hat neben diesen allgemeinen Erwägungen auch einen persönlichen Grund. Womöglich habe ich als Jugendlicher während einer Russland-Reise eine Ahnung der Volksseele erfahren: eine Spur Überschwang in der Herzlichkeit, gepaart mit vielleicht sogar jener sprichwörtlichen, leisen Melancholie, die - denke ich - keineswegs nur einen Vorwand zum Saufen bietet.
Am verblüffendsten fand ich damals ein fraglos ganz subjektives, diffuses Gefühl, dass mir die Russen in den paar Tagen meiner Beherbergung emotional näher gekommen waren als meine australische Gast-Familie in zwei Monaten Schüleraustausch wenige Jahre zuvor. Und das trotz enormer Verständigungs-Schwierigkeiten. Die beiden sprachen kein Deutsch, kein Englisch; ich kannte lediglich eine Handvoll russischer Vokabeln und konnte die Druckschrift lesen. Wir haben uns per Taschen-Lexikon in einzeln nachgeschlagenen Worten unterhalten.
Rein gar nichts verbindet diese Leute mit dem, was mir heute gedanklich als eine Art „It-Leben“ in großstädtischen Luxus-Enklaven vorschwebt. Auf Otto Dix‘ Triptychon ‚Großstadt‘ wirft die Lebedame dem versehrten Bettler immerhin noch einen verächtlichen Blick zu. Ich vermute, die heutige Hautevolee in Russland tut nicht einmal das.
Mich beschleicht mithin bei ‚No. 6‘ das Gefühlt, dass zwischen nur vermeintlich Zusammenhängendem „oszilliert“ werden soll. Das wäre ein marketingmäßiger Griff ins Klo, der einen inhomogenen Duft geradezu erzwingt - und plötzlich ist mein Störgefühl weitaus klarer umrissen, als zu Beginn meiner Annäherung via Werbung (sollte ursprünglich nur ein „Einstieg“ sein) vorstellbar war. Pointiert und simpler formuliert: Was und wohin willst Du eigentlich?
Ich rieche zunächst einen Hauch blutroter, latent schwülstiger Rose auf cremig-süßlichem Rauch. Alsbald gesellt sich verbranntes Holz mit einem dünnen Überzug aus Frucht und Zucker hinzu. Ein sahniger Einschlag am späten Vormittag bleibt Andeutung und wird ohnehin laufend durchstoßen. Nicht mehr allein vom Kokeligen; gegen Mittag entwickelt sich zudem ein gartenmäßiger Stich. Rosengeranie? Was mag alles hinter der Ansage „geranium“ stecken? In Frage käme vom botanischen Namen her ebenfalls Storchschnabel und der ist zweifellos für einen derartigen Stich gut. Das nächste Rätsel gibt eine würzige Note auf. Ob das Szechuanpfeffer ist? Ich habe jetzt gelesen, dass dessen Gattungsname zu Deutsch „Gelbholz“ heißt.
Am Nachmittag versuche ich, mich daran festzuhalten, dass Eutopie No. 6 mich in seinem süßlich-balsamisch-cremig-rauchigen Auftritt doch irgendwie an (den besseren!) Magnetic Blend 8 von Initio erinnert, aber auch das entgleitet mir, nicht zuletzt wegen stetig wiederkehrender Anwandlungen von künstlicher Fruchtsüße, wie ein entsprechender Sirup. Mit Rose hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.
Die Sahne-Creme wagt sich in einem zweiten Anlauf an eine feindliche Übernahme. Das gelingt allerdings nicht - die Kokel-Note hält die Stellung und holt sich außerdem als Beistand ein unverbrauchtes Holz dazu. Überdies hilft stets aufs Neue besagter Stich, dem ich abschließend nicht wirklich auf die Fährte komme. Er ist direkt auf der Haut regelrecht unangenehm und überspannt damit meines Erachtens einen ansonsten durchaus wünschenswerten Kontrast.
Hier hängen Dinge zusammen, die ich für mich nicht zueinander kriege. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass mein sozusagen flaues Gefühl mit dem Duft genau so gewollt ist - das wäre unfreiwillig gelungen. Dagegen spricht nämlich, dass Eutopie No. 6 mit etwas Abstand schlichtweg nett zu riechen ist. Und spätestens dafür fehlt mir als westlicher, folglich in hinreichender Distanz befindlicher Nachrichten-über-Russland-Rezipient jedweder Allegorie-Ansatzpunkt.
Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
Der vorliegende Duft etwa soll konkret zwischen dem glamourösen modernen Leben und dem „traditional spirit“ in Russland hin und her schwanken („oscillate”). Tja, ob mit „traditional spirit“ sowas wie „Volksseele“ gemeint ist? Das ergäbe eine wohl unbewältigbare Kluft, denn ich glaube nicht, dass das Dasein der russischen Großkotze 3.0 noch irgendeinen Bezugspunkt zur Volksseele aufweist, von dem aus sich oszillieren ließe. Wo gibt es derlei Verknüpfung überhaupt - außer bei einem „Volk“ wie dem von Monaco?
Mein Stirnrunzeln hat neben diesen allgemeinen Erwägungen auch einen persönlichen Grund. Womöglich habe ich als Jugendlicher während einer Russland-Reise eine Ahnung der Volksseele erfahren: eine Spur Überschwang in der Herzlichkeit, gepaart mit vielleicht sogar jener sprichwörtlichen, leisen Melancholie, die - denke ich - keineswegs nur einen Vorwand zum Saufen bietet.
Am verblüffendsten fand ich damals ein fraglos ganz subjektives, diffuses Gefühl, dass mir die Russen in den paar Tagen meiner Beherbergung emotional näher gekommen waren als meine australische Gast-Familie in zwei Monaten Schüleraustausch wenige Jahre zuvor. Und das trotz enormer Verständigungs-Schwierigkeiten. Die beiden sprachen kein Deutsch, kein Englisch; ich kannte lediglich eine Handvoll russischer Vokabeln und konnte die Druckschrift lesen. Wir haben uns per Taschen-Lexikon in einzeln nachgeschlagenen Worten unterhalten.
Rein gar nichts verbindet diese Leute mit dem, was mir heute gedanklich als eine Art „It-Leben“ in großstädtischen Luxus-Enklaven vorschwebt. Auf Otto Dix‘ Triptychon ‚Großstadt‘ wirft die Lebedame dem versehrten Bettler immerhin noch einen verächtlichen Blick zu. Ich vermute, die heutige Hautevolee in Russland tut nicht einmal das.
Mich beschleicht mithin bei ‚No. 6‘ das Gefühlt, dass zwischen nur vermeintlich Zusammenhängendem „oszilliert“ werden soll. Das wäre ein marketingmäßiger Griff ins Klo, der einen inhomogenen Duft geradezu erzwingt - und plötzlich ist mein Störgefühl weitaus klarer umrissen, als zu Beginn meiner Annäherung via Werbung (sollte ursprünglich nur ein „Einstieg“ sein) vorstellbar war. Pointiert und simpler formuliert: Was und wohin willst Du eigentlich?
Ich rieche zunächst einen Hauch blutroter, latent schwülstiger Rose auf cremig-süßlichem Rauch. Alsbald gesellt sich verbranntes Holz mit einem dünnen Überzug aus Frucht und Zucker hinzu. Ein sahniger Einschlag am späten Vormittag bleibt Andeutung und wird ohnehin laufend durchstoßen. Nicht mehr allein vom Kokeligen; gegen Mittag entwickelt sich zudem ein gartenmäßiger Stich. Rosengeranie? Was mag alles hinter der Ansage „geranium“ stecken? In Frage käme vom botanischen Namen her ebenfalls Storchschnabel und der ist zweifellos für einen derartigen Stich gut. Das nächste Rätsel gibt eine würzige Note auf. Ob das Szechuanpfeffer ist? Ich habe jetzt gelesen, dass dessen Gattungsname zu Deutsch „Gelbholz“ heißt.
Am Nachmittag versuche ich, mich daran festzuhalten, dass Eutopie No. 6 mich in seinem süßlich-balsamisch-cremig-rauchigen Auftritt doch irgendwie an (den besseren!) Magnetic Blend 8 von Initio erinnert, aber auch das entgleitet mir, nicht zuletzt wegen stetig wiederkehrender Anwandlungen von künstlicher Fruchtsüße, wie ein entsprechender Sirup. Mit Rose hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.
Die Sahne-Creme wagt sich in einem zweiten Anlauf an eine feindliche Übernahme. Das gelingt allerdings nicht - die Kokel-Note hält die Stellung und holt sich außerdem als Beistand ein unverbrauchtes Holz dazu. Überdies hilft stets aufs Neue besagter Stich, dem ich abschließend nicht wirklich auf die Fährte komme. Er ist direkt auf der Haut regelrecht unangenehm und überspannt damit meines Erachtens einen ansonsten durchaus wünschenswerten Kontrast.
Hier hängen Dinge zusammen, die ich für mich nicht zueinander kriege. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass mein sozusagen flaues Gefühl mit dem Duft genau so gewollt ist - das wäre unfreiwillig gelungen. Dagegen spricht nämlich, dass Eutopie No. 6 mit etwas Abstand schlichtweg nett zu riechen ist. Und spätestens dafür fehlt mir als westlicher, folglich in hinreichender Distanz befindlicher Nachrichten-über-Russland-Rezipient jedweder Allegorie-Ansatzpunkt.
Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe.
21 Antworten