08.12.2015 - 09:25 Uhr
Klopfnote
34 Rezensionen
Klopfnote
Top Rezension
51
Verzweifelte Maskerade
Diese Bewertung wird jetzt etwas unfair. Aber wenn Düfte Teil unseres Lebens sind, mischen sie sich mit Gefühlen und Erinnerungen. Manchmal untrennbar. Sorry dafür, Givenchy!
Mein Vater hat ein Faible für starke Frauen. Unabhängig und selbstbewusst, wie meine Mutter. Ihr schenkte er diesen schweren, bombastischen Duft, der sehr zu seiner Vorliebe passte, aber ihr nicht gefiel. Nur für ihn trug sie Ysatis. Aber faule Kompromisse kommen selten allein.
Selbstbewusste, unabhängige Frauen passen selten zu traditionellen, kontrollsüchtigen Männern. Seit ich denken kann, war die Ehe meiner Eltern schwierig. Aber wenn ein Kind da ist, versucht man, das sinkende Schiff zu retten, und Scheidungen waren in den frühen 90ern weniger üblich als heute. Je mehr mein Vater bellte und meine Mutter fauchte, desto öfter kam Ysatis zum Einsatz. Ob Weihnachten oder Ostern, Verwandtenbesuch oder Restaurant, der bombastische Duft war immer dabei.
Ich erinnere mich zunächst vor Allem an Situationen in unserem Auto, wenn für diese entsetzliche starke Sillage kein Raum da war und für mich keine Luft mehr zum Atmen. Während meine Mutter genervt am Steuer saß und mein Vater brüllte, breitete sich in unserem 80er Jahre Passat der Geruch von Diesel aus. In Kombination mit Stress und dem schweren Ysatis mit seinen zudringlichen Blumen in der Herznote eine Übelkeit erregende Mischung.
Die zweite Erinnerung: Wir drei im Lokal. Ein schwelender Streit in der Luft, denn laut zu werden gehört sich hier nicht. Vor mir auf dem Teller ein riesiges Stück Fleisch, zu groß für ein Kind, aber mein Vater liebt Steakhäuser und traditionelle "deutsche" Küche. Appetitlosigkeit, die betretene Stimmung, und das leider nur langsam ausklingende Ysatis mit seinem öligen Moschus, seinem mittlerweile drückenden Bouquet mischen sich unheilvoll.
Eine dritte Erinnerung. Später Weihnachtsabend. Meine Mutter, ich und mein Vater sitzen im Wohnzimmer, weil da der Baum steht, aber jeder macht sein eigenes Ding. Die Geschenke sind ausgepackt, endlich ist irgendwie Ruhe eingekehrt und das allein ist schon ein Weihnachtswunder. Endlich hat sich auch Ysatis beruhigt und umhüllt mit seinem warm-würzigen Ausklang meine Mutter. Endlich wirkt es so elegant wie es sein will, und Amber und Sandelholz leuchten um die Wette mit dem Weihnachtsbaum, dem Pailettenjäckchen meiner Mutter (natürlich mit Schulterpolstern!) und ihrem großen Goldohrring (natürlich nur auf einer Seite!).
Es war noch der alte Flakon, der aussieht wie ein goldener New Yorker Wolkenkratzer, ein bisschen zuviel gewollt, wie alles an diesem Duft. Givenchys Werbekampagnen nutzten Maskenball-Anspielungen. Sollte wohl mysteriös sein. Für mich persönlich fasst es zusammen, wie aufgesetzt, unecht und theatralisch dieser Duft auf mich wirkt.
Das ist wohl die Krux mit solcher Dramatik: Man kann sie nur hassen oder lieben, und der opulent-glamouröse Eindruck muss eine positive Entsprechung in ihrem Träger finden, sonst kippt er ins Düstere.
Neulich habe ich Ysatis von meiner Mutter in die Hand gedrückt bekommen: "Nimm es, oder wirf es weg!" Meine Eltern sind schon lange getrennt, sie hat wirklich keinen Grund mehr, es zu behalten. Ich sprühte ein wenig in den Deckel und mir wurde schlagartig übel. Frische Herznote? Fehlanzeige, nur eine Wand von bedrohlich steifen Blumen. An meinem Körper würde ich ihn nie tragen können, das war mir klar. Dennoch, weggeben konnte ich ihn auch nicht, und das ist das Eigenartige. Denn er riecht für mich eben doch nach meiner eleganten Mutter. Und nach Kindheit, im Guten wie im Schlechten.
Mein Vater hat ein Faible für starke Frauen. Unabhängig und selbstbewusst, wie meine Mutter. Ihr schenkte er diesen schweren, bombastischen Duft, der sehr zu seiner Vorliebe passte, aber ihr nicht gefiel. Nur für ihn trug sie Ysatis. Aber faule Kompromisse kommen selten allein.
Selbstbewusste, unabhängige Frauen passen selten zu traditionellen, kontrollsüchtigen Männern. Seit ich denken kann, war die Ehe meiner Eltern schwierig. Aber wenn ein Kind da ist, versucht man, das sinkende Schiff zu retten, und Scheidungen waren in den frühen 90ern weniger üblich als heute. Je mehr mein Vater bellte und meine Mutter fauchte, desto öfter kam Ysatis zum Einsatz. Ob Weihnachten oder Ostern, Verwandtenbesuch oder Restaurant, der bombastische Duft war immer dabei.
Ich erinnere mich zunächst vor Allem an Situationen in unserem Auto, wenn für diese entsetzliche starke Sillage kein Raum da war und für mich keine Luft mehr zum Atmen. Während meine Mutter genervt am Steuer saß und mein Vater brüllte, breitete sich in unserem 80er Jahre Passat der Geruch von Diesel aus. In Kombination mit Stress und dem schweren Ysatis mit seinen zudringlichen Blumen in der Herznote eine Übelkeit erregende Mischung.
Die zweite Erinnerung: Wir drei im Lokal. Ein schwelender Streit in der Luft, denn laut zu werden gehört sich hier nicht. Vor mir auf dem Teller ein riesiges Stück Fleisch, zu groß für ein Kind, aber mein Vater liebt Steakhäuser und traditionelle "deutsche" Küche. Appetitlosigkeit, die betretene Stimmung, und das leider nur langsam ausklingende Ysatis mit seinem öligen Moschus, seinem mittlerweile drückenden Bouquet mischen sich unheilvoll.
Eine dritte Erinnerung. Später Weihnachtsabend. Meine Mutter, ich und mein Vater sitzen im Wohnzimmer, weil da der Baum steht, aber jeder macht sein eigenes Ding. Die Geschenke sind ausgepackt, endlich ist irgendwie Ruhe eingekehrt und das allein ist schon ein Weihnachtswunder. Endlich hat sich auch Ysatis beruhigt und umhüllt mit seinem warm-würzigen Ausklang meine Mutter. Endlich wirkt es so elegant wie es sein will, und Amber und Sandelholz leuchten um die Wette mit dem Weihnachtsbaum, dem Pailettenjäckchen meiner Mutter (natürlich mit Schulterpolstern!) und ihrem großen Goldohrring (natürlich nur auf einer Seite!).
Es war noch der alte Flakon, der aussieht wie ein goldener New Yorker Wolkenkratzer, ein bisschen zuviel gewollt, wie alles an diesem Duft. Givenchys Werbekampagnen nutzten Maskenball-Anspielungen. Sollte wohl mysteriös sein. Für mich persönlich fasst es zusammen, wie aufgesetzt, unecht und theatralisch dieser Duft auf mich wirkt.
Das ist wohl die Krux mit solcher Dramatik: Man kann sie nur hassen oder lieben, und der opulent-glamouröse Eindruck muss eine positive Entsprechung in ihrem Träger finden, sonst kippt er ins Düstere.
Neulich habe ich Ysatis von meiner Mutter in die Hand gedrückt bekommen: "Nimm es, oder wirf es weg!" Meine Eltern sind schon lange getrennt, sie hat wirklich keinen Grund mehr, es zu behalten. Ich sprühte ein wenig in den Deckel und mir wurde schlagartig übel. Frische Herznote? Fehlanzeige, nur eine Wand von bedrohlich steifen Blumen. An meinem Körper würde ich ihn nie tragen können, das war mir klar. Dennoch, weggeben konnte ich ihn auch nicht, und das ist das Eigenartige. Denn er riecht für mich eben doch nach meiner eleganten Mutter. Und nach Kindheit, im Guten wie im Schlechten.
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