07.09.2016 - 03:19 Uhr
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Top Rezension
40
Sous le vent du "Zeitgeist"
Wer Parfum als Widerspieglung des Zeitgeistes verstehen und sich an hochgeistigen Ergüssen und Kreationen auf diesem Gebiet erfreuen möchte, dem empfehle ich Roja Dove und dessen Ausführungen zu seinem neuen Parfum "Midsummer Dream". Dove, der früher jahrelang für Guerlain gearbeitet hat, stellt Bezüge zu Shakespeare her und schafft es mühelos, seine Kunden von der innigen Verbindung zwischen Literatur und Parfum zu überzeugen (watch his video on YouTube). Nun - Dove kennt sein Publikum. Seine Kreationen richten sich nicht an den Massenmarkt. Wer heute noch von einem massenkompatiblem Parfum erwartet, daß es bahnbrechend neu, feingeistig-elegant und chyprisch-kunstvoll riechen möge, der wird ständig enttäuscht werden. Guerlain ist Teil eines großen Konzerns. Für diejenigen, die sich weiter an Bezügen zu Kunst und Literatur ergötzen und mit dem Maitre des Parfums über Diaghlijevs Liebe zu Mitsouko philosophieren möchten, gibt es z.B. das Maison Guerlain mit den "exklusiven Düften".
Doch die Zukunft liegt bei den modernen, angepassten Parfums. Wer kennt schon noch das Parfum "Sous le vent" und wäre in der Lage, sofort einen Bezug zu Josephine Baker herzustellen? Und wer ist diese Josephine Baker? Ist diese Referenz zu einem alten Duft überhaupt wichtig?
Macht doch die Augen zu, startet einen Blindtest! Versucht 'mal, den neuen La petite robe noire ohne Anspruchshaltung zu riechen. "Es ist ein Guerlain! Da muß doch etwas Außergewöhnliches kommen....!".
Warum? Guerlain muß vor allem die Jungen ansprechen, denn es gibt nicht mehr viele Leute, die "Mitsouko" benutzen oder "Jicky"... In unserer Stadt hat eine unabhängige Parfümerie letztes Jahr ihr Guerlain-Depot schließen müssen. Niemand verlangte nach "Samsara" oder "Nahéma". Junge Frauen wollen einen leichten, leckeren Duft. Ja, auch wenn es mir selbst schwerfällt, dies zu schreiben: "Lecker" ist das Schlüsselwort.
Die kulinarischen Assoziationen sind für viele am wichtigsten, oraler Genuß mit olfaktorischem vereint, zumal wir ja ohnehin Aromen über die Nase aufnehmen, wenn wir essen. Und der Neue LPRN bietet genug "Leckeres": Beerenaromen und Zuckerwatte. Dazu Blumen, Vanille, Moschus. Ein Erfolgsrezept! Und das nicht erst seit heute, sondern mindestens seit 10 Jahren.
Und wirklich, der Duft zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, keiner beschwert sich (tragt 'mal einen Tag lang "Samsara" und vergleicht die Reaktionen!), alle sind zufrieden. Die Werbung ist zauberhaft, niedlich und lange nicht so übertrieben sexualisiert wie die von Dior oder YSL. Der Flakon ist stylisch.
Kurzum, ich hab's aufgegeben, mich über Guerlain aufzuregen. Mir gefällt der neue LPRN besser als die Konkurrenz von Dior und YSL (Poison und Opium-Flanker der übelsten Kategorie). Parfum ist ein Milliardengeschäft geworden - das war es vor 50 Jahren noch lange nicht. Begreift man die neuen Kreationen als Widerspiegelung sozio-ökonomischer Verhältnisse, sieht man: die Gesellschaft driftet auseinander. Einige wenige können sich die Kreationen eines Roja Doves leisten, die anderen freuen sich über ein Fläschchen LPRN.
Wenn sie überhaupt aus dem Angebot einer durchschnittlichen Massenmarkt-Parfumerie, wo auch Boss, Escada, Jil Sander, Calvin Klein et. al. angesiedelt sind, den modernen Guerlain wählen, dann bin ich persönlich schon ganz froh.
Doch die Zukunft liegt bei den modernen, angepassten Parfums. Wer kennt schon noch das Parfum "Sous le vent" und wäre in der Lage, sofort einen Bezug zu Josephine Baker herzustellen? Und wer ist diese Josephine Baker? Ist diese Referenz zu einem alten Duft überhaupt wichtig?
Macht doch die Augen zu, startet einen Blindtest! Versucht 'mal, den neuen La petite robe noire ohne Anspruchshaltung zu riechen. "Es ist ein Guerlain! Da muß doch etwas Außergewöhnliches kommen....!".
Warum? Guerlain muß vor allem die Jungen ansprechen, denn es gibt nicht mehr viele Leute, die "Mitsouko" benutzen oder "Jicky"... In unserer Stadt hat eine unabhängige Parfümerie letztes Jahr ihr Guerlain-Depot schließen müssen. Niemand verlangte nach "Samsara" oder "Nahéma". Junge Frauen wollen einen leichten, leckeren Duft. Ja, auch wenn es mir selbst schwerfällt, dies zu schreiben: "Lecker" ist das Schlüsselwort.
Die kulinarischen Assoziationen sind für viele am wichtigsten, oraler Genuß mit olfaktorischem vereint, zumal wir ja ohnehin Aromen über die Nase aufnehmen, wenn wir essen. Und der Neue LPRN bietet genug "Leckeres": Beerenaromen und Zuckerwatte. Dazu Blumen, Vanille, Moschus. Ein Erfolgsrezept! Und das nicht erst seit heute, sondern mindestens seit 10 Jahren.
Und wirklich, der Duft zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, keiner beschwert sich (tragt 'mal einen Tag lang "Samsara" und vergleicht die Reaktionen!), alle sind zufrieden. Die Werbung ist zauberhaft, niedlich und lange nicht so übertrieben sexualisiert wie die von Dior oder YSL. Der Flakon ist stylisch.
Kurzum, ich hab's aufgegeben, mich über Guerlain aufzuregen. Mir gefällt der neue LPRN besser als die Konkurrenz von Dior und YSL (Poison und Opium-Flanker der übelsten Kategorie). Parfum ist ein Milliardengeschäft geworden - das war es vor 50 Jahren noch lange nicht. Begreift man die neuen Kreationen als Widerspiegelung sozio-ökonomischer Verhältnisse, sieht man: die Gesellschaft driftet auseinander. Einige wenige können sich die Kreationen eines Roja Doves leisten, die anderen freuen sich über ein Fläschchen LPRN.
Wenn sie überhaupt aus dem Angebot einer durchschnittlichen Massenmarkt-Parfumerie, wo auch Boss, Escada, Jil Sander, Calvin Klein et. al. angesiedelt sind, den modernen Guerlain wählen, dann bin ich persönlich schon ganz froh.
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