12.06.2016 - 12:58 Uhr
Ronin
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Ronin
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Der scharlachrote Buchstabe R
Rhabarber ist unter parfumistischen Gesichtspunkten eine paradoxe Note: je natürlicher der Duft - nicht des Kompotts, nicht des Kuchens - des frischen, saftigen, sauren Rhabarbers eingefangen wird, desto synthetischer wirkt er in Parfums: metallisch, hart, stumpf. Der große Spaßvogel unter den Parfumeuren, Mark Buxton, mag genau solche Paradoxien und hat riechbar Freude daran, in seinen Parfums oft Rhabarber einzusetzen und das Harte, Metallische noch heraus zu kitzeln.
Nun ist Christine Nagel nicht Mark Buxton und Hermès - ist halt Hermès. Deswegen werden ähnlich einer Erdbeer-Rhabarber-Marmelade im vorliegenden Duft dem Rhabarber andere Früchte an die Seite gestellt, um das Harte etwas weicher zu zeichnen und den synthetischen Eindruck zurück zu drängen. Ich nehme kurz etwas Grapefruit war, dann Himbeere und schwanke zwischen Apfel und Birne. Bevor ich mich für eine der beiden Kernobstarten entscheiden kann, fügen sich die bisherigen Eindrücke zu einem neuen Bild zusammen: Champagner. Fruchtig, frisch, prickelnd. Jetzt muss fast unweigerlich ein Rosenakkord erscheinen (wer sich fragt warum: Geduld, mein Kommentar ist ja noch lang). Und genau so ist es. Eine eher wässrige Rose, taufrisch und fröhlich. Etwas synthetisch wirkend, aber nicht unangenehm, sondern reizvoll. Ich muss an eine rote Rose denken, nicht an eine rosafarbene. Ob dies der Einfluss der Farbe des ausgesprochen schönen Flakons ist oder nicht sei dahingestellt. Jedenfalls legt "Eau de Rhubarbe Écarlate" den Weg von Frucht zu Rose nicht vollständig zurück, sondern verbleibt zwischen den Polen. Manchmal nehme ich stärker die Rose war, ein anderes Mal die Frucht. Dann, so als hypothetische Frucht-Rosen-Mischung, Hagebutte. Wiederum Champagner. Dieses flirrende Changieren zwischen den Eindrücken hat etwas sehr Animierendes, Fröhliches, Unverkrampftes. Der Duft spielt damit, sich nicht festzulegen. Und nicht festlegbar zu sein. Die fröhliche Phase des sich nicht entscheiden Wollens zwischen Frucht und Rose prägt das Cologne bis in die Basis. Dort gesellt sich ein Moschus hinzu, zum Glück ein eher cremiger (vermutlich aus der Ambrettolidecke) und kein pudriger. Zum einen mag ich die cremigen Moschusarten viel lieber, zum anderen hat guter Blanc-de-Blancs-Champagner eine wunderschöne cremige Textur und es wäre schade, wenn das Champagnerthema nicht auch so wieder aufgegriffen worden wäre. Des Weiteren hat zumindest Ambrettolid fruchtige Facetten, die an schrumpelige Äpfel erinnern, womit die Frucht bis in die Basis getragen werden kann.
Und so klingt der Duft auch aus: eine fruchtige Rose bzw. eine rosige Frucht bzw. Champagner auf einem Bett aus cremigem Moschus.
Es fällt mir gar nicht so leicht zu beurteilen, WANN "Eau de Rhubarbe Écarlate" denn ausklingt. Trage ich ihn nachmittags oder abends auf, kann ich morgens nach dem Aufwachen noch den kompletten Duft, also nicht nur Basisfragmente, wahrnehmen. Obwohl hautnah also eine beachtliche Haltbarkeit, für ein Cologne geradezu herausragend. Andererseits verspüre ich nach so ca. 2 Stunden Tragens in einem duftgeschwängerten Alltag das dringende Bedürfnis nachzulegen, weil ich zu wenig vom Parfum rieche. Vermutlich gewöhne ich mich einfach sehr schnell an dieses Cologne und nehme ihn an mir nicht mehr wahr. Selbstverständlich qualifiziert sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" damit als Sommerurlaubsduft: wann immer ein Frischekick gewünscht wird, kann fröhlich nachgesprüht oder gesplasht werden, ohne Gefahr zu laufen, im eigenen Parfumdampf zu ersticken. Die Cologneprüfung ist somit bestanden.
Bleibt noch Frage, warum Parfums mit einer Champagnernote fast immer auch nach Rose riechen. Hier hilft zur Erläuterung, sich etwas tiefer mit der chemischen Zusammensetzung einer Rosennote auseinander zu setzen. Vielleicht ist es der geruchliche Reichtum der Rose, die sie zur Königin der Blütennoten macht: eine Rose riecht nicht einfach nur nach Blüte. Immer ist auch etwas Grünes, wie Blattgrün, zu riechen. Viel Fruchtiges, vielleicht ist die Rose die fruchtigste alle Blütenoten. Honig.
Analysiert man die Duftstoffe einer Rose, so sind die am häufigsten vorkommenden die gleichen wie bei z.B. Geranie, Maiglöckchen oder Hyazinthe. Für die Unterschiede zu diesen Blumen sind Verbindungen verantwortlich, die weniger als 1 % der Rosenessenz ausmachen. Zum einen Rosenoxid mit einem floral-grünen Duftprofil, zum anderen eine Klasse von Verbindungen, die Damascone und Damascenone genannt werden. Diese sind für den ausgeprägt fruchtigen Charakter der Rose verantwortlich. Pur erinnern diese als "narkotisch fruchtig-floral" beschriebenen Damasc(en)on-Duftstoffe neben Rose an Traube, schwarze Johannisbeere und Trockenpflaume.
Das Wissen, wie der Duft der Rose "funktioniert", und die synthetische Nachstellung der duftbestimmenden Bestandteile erlaubt nicht nur, Rosendüfte naturgetreu nachzubauen, sondern gibt auch die Möglichkeit, einen Rosenakkord zu verändern – z.B. wenn man versucht, mit so wenigen Einzelsubstanzen wie möglich einen dennoch als Rose zu erkennenden Akkord zusammen zu stellen, wird es eine transparente Rose sein. Sollen hingegen bestimmte Aspekte (fruchtig, grün, Honig) betont, in den Vordergrund gestellt werden, so kann dies durch Veränderung der Duftstoffverhältnisse im Vergleich zur natürlichen Rose realisiert werden: Das erste Beispiel, indem die fruchtigen Damascone bzw. Damascenone massiv überdosiert wurden, ist E. Fléchiers "Poison" mit einer zehnfach erhöhten Konzentration im Vergleich zum Vorkommen in natürlichen Rosenölen. So riecht man zuerst nur die fruchtigen Aspekte der Rose, die nach und nach erst komplettiert wird. Bei noch höherer Konzentration, in einem Kontext frischer Noten, bekommen solche damascongeprägten Rosenakkorde etwas Prickelndes und erinnern sehr an den Geruch eines Champagners. A. Goutals "Ce Soir ou Jamais" und S. Constants "Dom Rosa - Eau Sanguine" sind Beispiele dafür, und gerade der Start von letzterem finde ich ganz zauberhaft und er ist für mich sehr ähnlich dem von "Eau de Rhubarbe Écarlate"; ähnlich in Bezug auf den fröhlichfruchtigen Start, den bitzeligen Übergang, der den Champagnereindruck evoziert, und die Andeutung einer wässrigen Rose, die immer nur eine Andeutung bleibt und nie voll erblüht. Später werden Unterschiede deutlicher: während "Eau Sanguine" rauchiger wird, bleibt der scharlachrote Rhabarber fruchtbetonter.
Wenn ich abschließend versuche, den Charakter dieses Parfums in einem Wort zusammenzufassen, muss ich einfach nur die Adjektive in obigem Text zählen: „fröhlich“ kommt am häufigsten vor. Womit sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" hervorragend in die Hermès-Eau de Cologne-Serie einreiht. Santé, Christine Nagel!
Nun ist Christine Nagel nicht Mark Buxton und Hermès - ist halt Hermès. Deswegen werden ähnlich einer Erdbeer-Rhabarber-Marmelade im vorliegenden Duft dem Rhabarber andere Früchte an die Seite gestellt, um das Harte etwas weicher zu zeichnen und den synthetischen Eindruck zurück zu drängen. Ich nehme kurz etwas Grapefruit war, dann Himbeere und schwanke zwischen Apfel und Birne. Bevor ich mich für eine der beiden Kernobstarten entscheiden kann, fügen sich die bisherigen Eindrücke zu einem neuen Bild zusammen: Champagner. Fruchtig, frisch, prickelnd. Jetzt muss fast unweigerlich ein Rosenakkord erscheinen (wer sich fragt warum: Geduld, mein Kommentar ist ja noch lang). Und genau so ist es. Eine eher wässrige Rose, taufrisch und fröhlich. Etwas synthetisch wirkend, aber nicht unangenehm, sondern reizvoll. Ich muss an eine rote Rose denken, nicht an eine rosafarbene. Ob dies der Einfluss der Farbe des ausgesprochen schönen Flakons ist oder nicht sei dahingestellt. Jedenfalls legt "Eau de Rhubarbe Écarlate" den Weg von Frucht zu Rose nicht vollständig zurück, sondern verbleibt zwischen den Polen. Manchmal nehme ich stärker die Rose war, ein anderes Mal die Frucht. Dann, so als hypothetische Frucht-Rosen-Mischung, Hagebutte. Wiederum Champagner. Dieses flirrende Changieren zwischen den Eindrücken hat etwas sehr Animierendes, Fröhliches, Unverkrampftes. Der Duft spielt damit, sich nicht festzulegen. Und nicht festlegbar zu sein. Die fröhliche Phase des sich nicht entscheiden Wollens zwischen Frucht und Rose prägt das Cologne bis in die Basis. Dort gesellt sich ein Moschus hinzu, zum Glück ein eher cremiger (vermutlich aus der Ambrettolidecke) und kein pudriger. Zum einen mag ich die cremigen Moschusarten viel lieber, zum anderen hat guter Blanc-de-Blancs-Champagner eine wunderschöne cremige Textur und es wäre schade, wenn das Champagnerthema nicht auch so wieder aufgegriffen worden wäre. Des Weiteren hat zumindest Ambrettolid fruchtige Facetten, die an schrumpelige Äpfel erinnern, womit die Frucht bis in die Basis getragen werden kann.
Und so klingt der Duft auch aus: eine fruchtige Rose bzw. eine rosige Frucht bzw. Champagner auf einem Bett aus cremigem Moschus.
Es fällt mir gar nicht so leicht zu beurteilen, WANN "Eau de Rhubarbe Écarlate" denn ausklingt. Trage ich ihn nachmittags oder abends auf, kann ich morgens nach dem Aufwachen noch den kompletten Duft, also nicht nur Basisfragmente, wahrnehmen. Obwohl hautnah also eine beachtliche Haltbarkeit, für ein Cologne geradezu herausragend. Andererseits verspüre ich nach so ca. 2 Stunden Tragens in einem duftgeschwängerten Alltag das dringende Bedürfnis nachzulegen, weil ich zu wenig vom Parfum rieche. Vermutlich gewöhne ich mich einfach sehr schnell an dieses Cologne und nehme ihn an mir nicht mehr wahr. Selbstverständlich qualifiziert sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" damit als Sommerurlaubsduft: wann immer ein Frischekick gewünscht wird, kann fröhlich nachgesprüht oder gesplasht werden, ohne Gefahr zu laufen, im eigenen Parfumdampf zu ersticken. Die Cologneprüfung ist somit bestanden.
Bleibt noch Frage, warum Parfums mit einer Champagnernote fast immer auch nach Rose riechen. Hier hilft zur Erläuterung, sich etwas tiefer mit der chemischen Zusammensetzung einer Rosennote auseinander zu setzen. Vielleicht ist es der geruchliche Reichtum der Rose, die sie zur Königin der Blütennoten macht: eine Rose riecht nicht einfach nur nach Blüte. Immer ist auch etwas Grünes, wie Blattgrün, zu riechen. Viel Fruchtiges, vielleicht ist die Rose die fruchtigste alle Blütenoten. Honig.
Analysiert man die Duftstoffe einer Rose, so sind die am häufigsten vorkommenden die gleichen wie bei z.B. Geranie, Maiglöckchen oder Hyazinthe. Für die Unterschiede zu diesen Blumen sind Verbindungen verantwortlich, die weniger als 1 % der Rosenessenz ausmachen. Zum einen Rosenoxid mit einem floral-grünen Duftprofil, zum anderen eine Klasse von Verbindungen, die Damascone und Damascenone genannt werden. Diese sind für den ausgeprägt fruchtigen Charakter der Rose verantwortlich. Pur erinnern diese als "narkotisch fruchtig-floral" beschriebenen Damasc(en)on-Duftstoffe neben Rose an Traube, schwarze Johannisbeere und Trockenpflaume.
Das Wissen, wie der Duft der Rose "funktioniert", und die synthetische Nachstellung der duftbestimmenden Bestandteile erlaubt nicht nur, Rosendüfte naturgetreu nachzubauen, sondern gibt auch die Möglichkeit, einen Rosenakkord zu verändern – z.B. wenn man versucht, mit so wenigen Einzelsubstanzen wie möglich einen dennoch als Rose zu erkennenden Akkord zusammen zu stellen, wird es eine transparente Rose sein. Sollen hingegen bestimmte Aspekte (fruchtig, grün, Honig) betont, in den Vordergrund gestellt werden, so kann dies durch Veränderung der Duftstoffverhältnisse im Vergleich zur natürlichen Rose realisiert werden: Das erste Beispiel, indem die fruchtigen Damascone bzw. Damascenone massiv überdosiert wurden, ist E. Fléchiers "Poison" mit einer zehnfach erhöhten Konzentration im Vergleich zum Vorkommen in natürlichen Rosenölen. So riecht man zuerst nur die fruchtigen Aspekte der Rose, die nach und nach erst komplettiert wird. Bei noch höherer Konzentration, in einem Kontext frischer Noten, bekommen solche damascongeprägten Rosenakkorde etwas Prickelndes und erinnern sehr an den Geruch eines Champagners. A. Goutals "Ce Soir ou Jamais" und S. Constants "Dom Rosa - Eau Sanguine" sind Beispiele dafür, und gerade der Start von letzterem finde ich ganz zauberhaft und er ist für mich sehr ähnlich dem von "Eau de Rhubarbe Écarlate"; ähnlich in Bezug auf den fröhlichfruchtigen Start, den bitzeligen Übergang, der den Champagnereindruck evoziert, und die Andeutung einer wässrigen Rose, die immer nur eine Andeutung bleibt und nie voll erblüht. Später werden Unterschiede deutlicher: während "Eau Sanguine" rauchiger wird, bleibt der scharlachrote Rhabarber fruchtbetonter.
Wenn ich abschließend versuche, den Charakter dieses Parfums in einem Wort zusammenzufassen, muss ich einfach nur die Adjektive in obigem Text zählen: „fröhlich“ kommt am häufigsten vor. Womit sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" hervorragend in die Hermès-Eau de Cologne-Serie einreiht. Santé, Christine Nagel!
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