Meggi
Sehr hilfreiche Rezension
8
Air für die Nase
Wie Aventure über Stunden seine Frische behält, leicht und ätherisch, aber unterlegt mit Substanz, das ist schon etwas sehr Besonderes.
Der Name dieses Parfüms könnte auch "Air" sein, in Anlehnung an das wunderschöne Air aus der dritten Orchestersuite von Johann Sebastian Bach. Leicht und scheinbar frei vom Zwang der Taktstriche schwebt dort die Melodie, doch ohne je zu zerfasern oder zu entgleiten. Dafür sorgt die klar strukturierte Unterstimme.
Ganz ähnlich scheint mir die Idee von Aventure. Was dessen "Stimmen" angeht, nehme ich in den ersten Stunden ein etwas anderes Zusammenspiel wahr, als die Pyramide nahe legt, nämlich vor allem Anis, Fenchel (vielleicht...) und Lavendel auf der einen sowie Leder auf der anderen Seite. Die Frucht in der Kopfnote gibt mir nur ein sehr kurzes Gastspiel, die Begleiter des Lavendel erschnuppere ich zunächst in allenfalls homöopathischen Dosen.
Zu Beginn des Duftverlaufs trägt ein (wie auch schon von Seymour gemutmaßt) wahrscheinlich aus dem Absinth stammendes Anis-Etwas die ätherische Leichtigkeit, nach kurzer Zeit begleitet von Lavendel. Recht bald kommt das Leder hinzu und tritt in dem Maße, in dem vor allem Anis, doch auch der Lavendel ganz langsam schwächer werden, weiter in den Vordergrund. Aber noch für geraume Zeit setzt es meines Erachtens keinen üblichen Leder-Akzent, sondern unterstützt wie eine Unterstimme und fungiert im weiteren Verlauf zunehmend sogar als Ersatz auf eine Weise, die in einer Komposition wie Aventure nur mit einer ganz bestimmten Ledernote erreichbar ist.
Und zwar meine ich Leder wie von einem noch recht neuen Babyfell. Wer so eins bislang nicht in der Hand hatte: Das heißt nur so, es stammt vom Lamm :-). Dieses Leder ist - zumindest bei den hochwertigeren Exemplaren - außerordentlich fein und weich und hat einen ganz besonderen Geruch. Vielleicht, weil es eben vom Lamm ist. Sicherlich aber, da es angesichts des sensiblen, gleichwohl wenig strapaziösen Verwendungszwecks rücksichtsvoller verarbeitet werden muss und kann als andere Lederartikel. Jedenfalls fehlt ihm dieser etwas strenge, typisch ledrig-herbe, bisweilen fast stechende Geruch. Es riecht zwar ebenfalls eindeutig nach Leder, aber viel zarter und natürlicher, sogar ein wenig säuerlich-frisch.
Den leichten Schaf-Muff, der gelegentlich von der Fell-Seite her um die Ecke biegt, muss man sich natürlich wegdenken. [Edit - in Reaktion auf die Antwort: Nur das Babyfell riecht nach Schaf, nur das Babyfell...]
Bei Aventure nun nehme ich genau solch eine feine Ledernote wahr. Die gibt der Leichtigkeit Substanz, etwas Kraft und hält sie fest. Da sie zudem deren Charakter kaum verändert, kann sie gleichzeitig die nachlassende ätherische Anis-Frische ein wenig ersetzen und gewissermaßen weit in den Duftverlauf hinein strecken. Das finde ich viel geschmeidiger, als etwa den Lavendel die Frische über die Zeit retten zu lassen. Bei mir dauerte es übrigens ein wenig, bis ich diese höchst elegante Camouflage bemerkt hatte. IMHO ist das ganz große Kunst.
Verzeihlich finde ich es, dass der Frische nach ungefähr vier bis fünf Stunden dann doch langsam die Puste ausgeht und der Duft etwas gedämpfter auftritt. Die anderen Komponenten treten hinzu. Das Leder - weiterhin fein und edel, aber nun mit etwas typischerer Note - bleibt bis zum Ende dabei, mal mehr mal weniger deutlich wahrzunehmen. Der Weihrauch meldet sich vernehmlicher zu Wort, beinahe süßlich kommt er mir vor, schön abgerundet von etwas Jasmin. Das ist alles ganz prima, wenn auch nicht mehr so besonders wie der Start. Nach rund sieben Stunden - dann aber noch bis in den Abend hinein - rieche ich fast nur noch Basis. Doch das kann dem besonderen Gesamt-Eindruck beides keinen Abbruch mehr tun. Einen ganzen Tag lang einen auf ätherisch machen zu können, wäre gewiss zu viel verlangt.
Fazit: Ein außergewöhnliches Parfüm. Sehr zu empfehlen vor allem für diejenigen, die es gerne frisch mögen, aber mal eine Alternative zu zitrischen Düften wünschen.