Angeblich brauchte es an die zehn Jahre und über 1000 Versuche (daher der Name), bis die endgültige, die perfekte Formel gefunden war.
Ob das stimmt, sei mal dahin gestellt, doch was Jean Kerléo da zu Beginn der siebziger Jahre schuf, das war schon ein Meisterwerk - und vielleicht einer der besten Düfte die je komponiert wurden.
Was war das für eine Zeit!
1971 - ‚ Aromatics Elixir’
1972 - ‚1000’, ‚Diorella’, ‚Alliage’
1973 - ‚Private Collection’, ,Aramis 900’, ,Coriandre’
1974 - ,Cristalle', ‚Eau de Guerlain’
Ein Duft schöner als der andere - der reinste Chypre-Himmel! Und zweifelsohne war ‚1000’ (oder auch ‚Mille’ genannt) einer der hellsten Sterne an diesem Firmament: ein florales Chypre mit fruchtigen Untertönen wie man es dato nicht kannte – gehaltvoll und luxuriös, von der Brillanz eines geschliffenen Diamanten, ebenso kühl wie elegant.
Sicher, fruchtige Chypre mit floralen Nuancen gab es vorher schon: das berühmte 'Mitsouko', oder auch 'Femme de Rochas' - Düfte, die dem bitteren Chypre-Sound mit Pfirsich-Aromen zu Leibe rückten. Aber ein florales Chypre, dessen fruchtige Noten selbst einer Blüte entstammten – das war neu. Jean Kerléo erzielte diesen Effekt, indem er zum ersten Mal in der Parfumgeschichte der Osmanthus-Blüte, deren Duft zwischen Aprikosen- und Pfirsich-ähnlichen Fruchtnuancen changiert, eine Hauptrolle in einem Parfum zuwies.
Doch anders als bei Jean-Claude Ellenas späterem ‚Osmanthus’ für The Different Company, ist die exotische Blüte in Kerléos Werk nicht üppig und reif, saftig und fleischig. Nein, sie ist vielmehr trocken und nur ein wenig süß, als begänne die Blüte gerade erst aufzublühen und stünde noch nicht in voller Pracht.
Überhaupt beschreiben die Attribute ‚trocken’, ‚kühl’ und ‚elegant’ den Duft recht gut, denn wenn er eines nicht hat, dann ist es die überbordende Wärme und Sinnlichkeit eines orientalischen Duftes mit dunkel ambrierter Basis. Kaum aufgesprüht, kann ich mich zwar augenblicklich für dieses Wunder an Perfektion und dessen überwältigender Schönheit begeistern, aber merkwürdigerweise erlahmt mein Interesse doch überraschend schnell, ja in gewisser Weise lässt mich der Duft eher kalt und ungerührt. Ein seltsames, aber doch hin und wieder zu beobachtendes Phänomen: da sucht man nach makelloser Schönheit, und sucht, und sucht. Steht sie dann plötzlich und unerwartet vor einem, ist man zwar begeistert, doch irgendwie auch enttäuscht. So als ahnte man instinktiv die kommende Langeweile voraus, die immer dann eintritt, wenn alles, aber auch wirklich alles stimmt.
Und hier stimmt wirklich alles: das frisch-fruchtige, fein austarierte Blütenbouquet aus Rose, Jasmin, Maiglöckchen, Veilchen und vor allem Osmanthus, das gleich nach dem Auftragen erblüht, ohne durch die üblichen Verdächtigen - Bergamotte, Zedratzitrone, Neroli etc. – langatmig eingeführt zu werden. Nein, die Blüten sind gleich da, zunächst mit ihren hellen, strahlenden, mitunter auch grünen Facetten aufscheinend, und nur langsam die dunkleren, indolischeren entblößend. In diesem Spannungsbogen, zwischen den hellen und dunklen Tönen, singt die Osmanthus-Blüte ihr Lied – ein leises, fast schüchternes Lied (die Osmanthus-Blüte ist keine Tuberose!), dennoch mit fester und tragender Stimmer gesungen.
Dieser Blütenchor, durchdrungen von der Aprikosen-ähnlichen Fruchtnote des meist weiß blühenden Osmanthus-Strauches, wird getragen von einer kräftigen, aber im Vergleich zu ‚Mitsouko’ oder ‚Femme de Rochas’ doch recht abgespecktem Chypre-Basis, deren Hauptakteure Eichenmoos, Labdanum und Patchouli zwar erkennbar vorhanden sind, aber nicht üppig ausufernd, sondern streng fokussiert – hier tanzt keiner aus der Reihe!
Wollte man diesem Duft mit der üblichen Pyramidenform beikommen, hätte man ein kleines statisches Problem: die sich in aller Regel nach unten hin so mächtig erweiternde Basis ist im Falle von ‚Mille’ nicht breiter als der Mittelbau selbst, ja verjüngt sich sogar noch etwas. Dennoch ist das Fundament solide konstruiert und trägt den Duft da wo es nötig ist. Es stützt ihn, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen, sodass der blütenreiche Mittelbau den Duft nicht nur zum Auftakt, sondern auch im Ausklang beherrscht. Im Hintergrund (oder statisch gesehen im Untergrund) spielen die tieferen Celli der Chypre-Noten, aber wie gesagt, sie halten sich zurück, desgleichen eine dezente Sandelholznote, sodass der Duft auch für jene interessant sein könnte, die mit den kräftigen, bitter-moosigen Akzenten eines ‚Mitsouko’ so ihre Probleme haben.
Zu guter Letzt, der Duft (ich besitze das alte Eau de Toilette) hat exzellente Haltbarkeit, bleibt eine Chypre-Ahnung von fast papierener Trockenheit zurück, auf der die indolischen Nachklänge des Blütenbouquets recht deutlich, aber wiederum streng gefasst, zum Vorschein kommen. Hier, wenn man’s schon gar nicht mehr erwartet, entfaltet der Duft doch noch so etwas wie spröde Sinnlichkeit – in überschaubaren Maßen allerdings.
Stellte ich mir den Typus einer idealen Trägerin für ‚1000’ vor, so käme mir jemand wie Lauren Bacall in den Sinn: sehr schön, sehr unnahbar, sehr kühl aber auch sehr anziehend – ganz der Anti-Ava-Gardner-Typ.
Auch Männern dieses Typs könnte der Duft gefallen!