FvSpee
Top Rezension
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Neukölln 10: Numero 9. Punkte 8.
Soviel vorab: Für Herrn Duchaufour bzw. die Firma Puig, Abteilung "L'Artisan Parfumeur", war es kein Feuerwerk der Kreativität, diesen Duft "Meine Nummer 9" zu nennen. Für diesen Namen gebe ich nur einen Punkt. Für den Duft gibt es etwas mehr. Details jetzt auf diesem Kanal.
Auch L'Artisan Parfumeur ist - ähnlich wie Villoresi aus meinem letzten Kommentar dieser Serie - ein moderates Nobel-Label, allerdings eines, das zu einem Großkonzern gehört, und eines, in dem sich verschiedene Großnasen austoben dürfen. Bei diesem Label hat man nicht unbedingt Colognes im Sinn, und doch bietet LAP sogar eine Serie mit sechs Wässern an, von denen mindestens 4 auch meiner persönlichen Cologne-Definition genügen (die anderen sind tendenziell florale Colognes ohne zitrischen oder anderweitig frischen Anteil). Dieses hier ist das erste, das ich teste.
Bei meinem (oberflächlichen) Ersttest vor einiger Zeit fand ich den Duft unspezifisch nett, gab 8 Punkte und verfasste ein wenig inspiriertes Statement. Gestern testete ich vertieft und war (dann allerdings sofort) begeistert. Ein Duft, der mich im Herzen erreicht und Kindheitserinnerungen wachruft, in diesem Fall Erinnerungen an Übernachtungen in Berghütten und Wanderungen in den Alpen:
Aufgesprüht, und Fensterläden werden aufgerissen: Helles, dichtes, zitrisch gelbes Sonnelicht strömt herein, aber nicht das grelle, harte Licht südlicher Breitengerade, auch kein mediterranes Strahlen: Das ist das kräftige, satte Morgenlicht auf einer Alm. In die Hesperidien mischt sich sofort herb-feuchter Geruch von Stroh aus dem Schober, und ein dampfendes Grün (Dunstschleier von taubenetzter Wiese; vielleicht auch dass es die Nacht geregnet hat). Überall auch der Geruch von Blumen, vom Vieh erst gedüngt und dann zertreten, mit Zug ins Veilchenbittere und doch ganz sanft bezaubernd.
Diese Melange von gedämpft zitrisch-frischen mit herb-blumigen, feucht-grünen und erdig-krautigen Noten ergibt ein wundervoll komponiertes Ganzes, eine dynamischer Natursinfonie, die in meinem Koordinatensystem irgendwo zwischen Eau de Campagne von Sisley und Valeria von Harry Lehmann aufgespannt ist (was bei mir ein großes Kompliment ist). Übrigens wandelt sich der Dufteindruck in den ersten zwei, drei Stunden zwar, es treten süßere und harzig-balsamischere Töne in den Vordergrund, aber der Gesamteindruck, einschließlich sehr widerstandsfähiger zitrischer Klänge, bleibt intakt. Ich war geneigt, wieder einmal das Hohelied auf Meister Duchaufour zu singen und auf mindestens 9 Punkte zu erhöhen. Übrigens: Ein grün-krautiges Naturcologne (als solches entfernt verwandt mit HLs New York); trotz Kardamon und Koriander kein braunes Gewürzcologne.
Heute dann ein dritter Test mit nur einem kleinen Rest, den ich nur auf das Handgelenk sprühte, unter Alltagsbedingungen. Und es setzte eine gewisse Ernüchterung ein. Denn "Nummer 9" erweist sich als für ein Cologne nicht nur sehr ausdauernd (fünf bis sechs Stunden), sondern auch fast schon enervierend abstrahlend und, leider, in der Schlussphase nicht mehr schön. AndYouAndI in ihrem Kommentar von vor fünf Jahren hat völlig recht! Der Duft ist nur schön, so lange die Zitronen mitspielen! Im Ausklang ist genau dies nicht mehr der Fall, und dann wird Nummer 9 in merkwürdiger, unharmonischer Weise süß-blumig-erdig, ja ich empfinde ihn bisweilen sogar als stechend kühl und artifiziell.
Sehr schade. Das hätte eine Liebe werden können. So Abstieg ins Tal, Rückkehr in die Stadt und nüchterne Bewertung: Knapp 8.
P.S.: Preis 120 Euro für 100 ml.