18.04.2014 - 18:01 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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Der Atem Gottes: eine Karfreitagserfahrung
Breath of God trägt einen großen Namen: großspurig vielleicht, verwegen. Ein Sakrileg?
Vor einiger Zeit habe ich die Düfte von LUSH für mich entdeckt. Nach einer Übersättigung als Resultat 35jährigen Parfumsammelns konnte ich fast alle Mainstreamdüfte nicht mehr riechen (und wenn ich konnte schreibe, dann meine ich konnte), ertrug den Hype um die meisten Nischendüfte nicht mehr (und wenn ich ertrug schreibe, dann meine ich ertrug) und war der meisten Klassiker ein wenig überdrüssig, weil ich sie zwar immer noch liebe, aber nicht immer die gleichen Düfte tragen mag und kann.
Ein Ausweg sind für mich Düfte von Marken und Manufakturen, die Neues wagen, auch um den Preis der scheinbaren Untragbarkeit: da sind mir sogar die jüngsten Düfte von L‘Artisan lieber als vieles Bekannte, die mich zum Teil erschauern lassen, aber doch Neues bieten, den Versuch unternehmen, Duft anders zu definieren.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen schon seit vielen Jahren die Düfte von Comme des Garcons, die schon vor Jahren das Wagnis eingingen, Düfte nach Garagen, Putzmitteln, Teer, Gottesdiensten (wuchtigem Weihrauch), Blättern, Kunststoff riechen zu lassen - und dabei viel wagen, aber aus meiner Sicht alles gewinnen.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch die Düfte von CB I Hate Perfume, deren Palette von Moor und Moder über Wald bis zu Gras, Holz und Brandgeruch reicht. Das muss man gar nicht alles tragen wollen und können, aber meine Erfahrung mit dieser Marke zeigt, dass fast alle, die sich intensiver mit ihr beschäftigen, „ihren“ Duft finden, der sie dauerhaft fasziniert.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch die Düfte von Etat Libre d‘Orange, die den wütenden Versuch unternehmen, mit Duft zu provozieren, dabei manchmal nur einen Sturm im Wasserglas entfachen, aber immerhin gelegentlich auch Schneisen in die Monokultur der Beliebigkeit großer Marken und Nischenmarken (Rose und Oud: die 100. Auflage) schlagen.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch einige kleinere Manufakturen wie Maria Candida Gentile (u.a. Barry Lyndon), Aesop (u.a. Mystra), Atelier Cologne (u.a. Mistral Patchouli und Grand Neroli), Il Profvmo (u.a. Touaregh, Café Vert, Vetiver de Java) und...
...Gorilla Perfumes at LUSH, auferstanden aus den verstorbenen B Never Too Busy To Be Beautiful des Parfumeurs Simon Constantine.
LUSH hat in den letzten Jahren wohl mehr gewagt als alle anderen innovativen Marken zusammen: mehr als Comme des Garcons, mehr als Etat Libre d‘Orange, vielleicht sogar mehr als CB I Hate Perfume. Muss ich erwähnen, dass Luca Turin sie liebt?
Keiner der LUSH-Düfte der jüngeren Generation ist gefällig, leicht tragbar, angepasst oder nur ansatzweise in der Nähe eines Mainstreamduftes der großen Marken. Beispiele dafür sind Devil‘s Nightcap, Dirty, Exhale und Inhale, Flowers Barrow, Furze (bevor wieder Witze gemacht werden: Engl. für Stechginster, Föörs auszusprechen), Hellstone, Sikkim Girls, The Bug, Karma, Lord of Goathorn und natürlich allen voran: Breath of God. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.
Dabei hat Lush ein durch und durch sympathisches Konzept (vegetarische oder meist vegane Düfte und Kosmetika, die stets ohne Tierversuche oder den Einsatz tierischer Produkte auskommen), ein ebenso sympathisches Ladenkonzept (Selbstbedienung, kompetente Beratung) mit noch sympathischerem Verpackungskonzept (wider den Wahn der Tüten und Wegwerfprodukte) - und zu allem Überfluss ist die Marke noch englisch: ein Fest für alle Anglophilen wie mich. Ein Test vieler Produkte bei Codecheck.info bestätigt zudem, dass die meisten Artikel von LUSH tatsächlich auch verträglicher und weniger mit schädlichen Inhaltsstoffen verschmutzt sind als die meisten Produkte der geliebten Massenindustrie und der verehrten Luxusmarken. Und wem das als Argument nicht reicht: LUSH ist zwar nicht billig, aber preiswert. Kein Argument mehr gegen eine Auseinandersetzung mit Breath of God.
Achtung: das ist keine Werbung, nur Begeisterung!
Breath of God entstand eigentlich aus der Kombination zweier Düfte: Exhale und Inhale, die gegensätzlicher kaum hätten sein können, deren Konzept es geradezu war, sich in ihrer Gegensätzlichkeit zu ergänzen. Simon Constantine, der Parfumeur hinter den LUSH-Duftkonzepten, hatte eines Tages nach einer Tibet-Reise die Idee, gerade diese beiden Düfte, die ja zusammen zu denken, aber nicht zusammen in einer Flasche kombiniert waren, doch noch zu mischen und etwas Neues, Größeres zu schaffen. Und das ist gelungen.
Breath of God - und ich entferne mich nun stark von der o.a. Duftpyramide, lebt vom Gegensatz eines sakral-säkularen Räucherduftes (Schwarzwälder Schinken?) mit einer Vetiverunterlage und einer gewagten animalisch-süß-sauren (klingt unmöglich, geht aber) Frucht- bzw. Blumennote, die mich ein wenig an die animalische Fruchtnote aus verschiedenen hoch dosierten Grapefruitdüften (z.B. Czech & Speakes Citrus Paradisi) erinnert und daher sicherlich von eben dieser Grapefruit hervorgerufen wird, die aber auch ganz offensichtlich starke Blütennoten enthält (angegeben sind Rose und Ylang Ylang), die für eine fast betäubende Grundierung sorgen. Die Basisnote, die wieder ähnlich wie die durchräucherte Kopfnote eine maskuline Komponenten hat, kehrt vor allem zum Vetiver, aber auch zum Holz zurück und erinnert in diesem Stadium ganz entfernt an moderne Vetiverdüfte wie Timbuktu, Encre Noire, Sycomore. So bleibt der Duft in seiner Zerrissenheit, vereinten Gegensätzlichkeit und Spannung zwischen Yin und Yang, zwischen Karfreitag und Ostern, zwischen Mann und Frau - und für beide Geschlechter gleichermaßen tragbar.
Eine Eigenart der LUSH-Düfte ist es, dass die meisten als Parfum (vermutlich eher ein Eau de Parfum), nicht aber als Eau de Toilette angeboten werden. Darum muss zur Haltbarkeit der meisten LUSH-Düfte nur wenig gesagt werden. Ein Auftragen am Abend reicht bis zum nächsten Morgen, ein Auftragen am Morgen muss wohlüberlegt sein, denn man riecht ihn den ganzen Tag: bei Arbeit und Freizeit.
Der Duft ist so innovativ und experimentell, so außergewöhnlich wie seine Beschreibung klingt. Wie schön, dass es auch noch im zweiten Jahrzehnt der 2000er Jahre (konkret 2010) möglich war, neue (und wenn ich neu schreibe, dann meine ich neu) Düfte zu entwickeln. Dabei wissen wir doch, dass wirklich herausragende Düfte nur in großen Abständen von mehreren Jahrzehnten wie ein Spuk auf dem Markt auftauchen und ihn manchmal erobern, wenn sie den Geschmack der Mehrheit treffen (so wie das überragende Green Irish Tweed bzw. sein später geborener, fast gleichwertiger Bruder Cool Water), oder manchmal auch wieder vom Markt verschwinden, von der großen Mehrheit der Duftkäufer nicht verstanden (wie z.B. Ho Hang). Auch das ist zu respektieren.
Noch ein Wort zum Flakon (aller LUSH-Düfte): schwarz, edel, einfach, gut. So wünsche ich mir eine postmoderne Flasche für den Atem Gottes.
Zu welcher Gruppe (Miss- oder Erfolg) LUSH‘s Breath of God zu rechnen sein wird, wird erst die Zeit zeigen. Nicht dass diesem Duft im Sortiment von LUSH noch der ganz große Durchbruch bevorstünde: im LUSH-Sortiment scheint er gut zu laufen und Bestandteil des Programms zu bleiben, außerhalb der LUSH-Fangemeinde dürfte er kaum zur Kenntnis genommen worden sein. Gemessen werden muss ein zukünftiger Erfolg vielmehr an der Frage, ob Breath of God ein Solitär bleibt - oder in seiner inneren Widersprüchlichkeit und Spannung Nachahmer finden wird. Karfreitag und Ostern: Der Atem Gottes weht, wo er will.
Vor einiger Zeit habe ich die Düfte von LUSH für mich entdeckt. Nach einer Übersättigung als Resultat 35jährigen Parfumsammelns konnte ich fast alle Mainstreamdüfte nicht mehr riechen (und wenn ich konnte schreibe, dann meine ich konnte), ertrug den Hype um die meisten Nischendüfte nicht mehr (und wenn ich ertrug schreibe, dann meine ich ertrug) und war der meisten Klassiker ein wenig überdrüssig, weil ich sie zwar immer noch liebe, aber nicht immer die gleichen Düfte tragen mag und kann.
Ein Ausweg sind für mich Düfte von Marken und Manufakturen, die Neues wagen, auch um den Preis der scheinbaren Untragbarkeit: da sind mir sogar die jüngsten Düfte von L‘Artisan lieber als vieles Bekannte, die mich zum Teil erschauern lassen, aber doch Neues bieten, den Versuch unternehmen, Duft anders zu definieren.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen schon seit vielen Jahren die Düfte von Comme des Garcons, die schon vor Jahren das Wagnis eingingen, Düfte nach Garagen, Putzmitteln, Teer, Gottesdiensten (wuchtigem Weihrauch), Blättern, Kunststoff riechen zu lassen - und dabei viel wagen, aber aus meiner Sicht alles gewinnen.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch die Düfte von CB I Hate Perfume, deren Palette von Moor und Moder über Wald bis zu Gras, Holz und Brandgeruch reicht. Das muss man gar nicht alles tragen wollen und können, aber meine Erfahrung mit dieser Marke zeigt, dass fast alle, die sich intensiver mit ihr beschäftigen, „ihren“ Duft finden, der sie dauerhaft fasziniert.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch die Düfte von Etat Libre d‘Orange, die den wütenden Versuch unternehmen, mit Duft zu provozieren, dabei manchmal nur einen Sturm im Wasserglas entfachen, aber immerhin gelegentlich auch Schneisen in die Monokultur der Beliebigkeit großer Marken und Nischenmarken (Rose und Oud: die 100. Auflage) schlagen.
Dass dabei Großes entstehen kann, zeigen auch einige kleinere Manufakturen wie Maria Candida Gentile (u.a. Barry Lyndon), Aesop (u.a. Mystra), Atelier Cologne (u.a. Mistral Patchouli und Grand Neroli), Il Profvmo (u.a. Touaregh, Café Vert, Vetiver de Java) und...
...Gorilla Perfumes at LUSH, auferstanden aus den verstorbenen B Never Too Busy To Be Beautiful des Parfumeurs Simon Constantine.
LUSH hat in den letzten Jahren wohl mehr gewagt als alle anderen innovativen Marken zusammen: mehr als Comme des Garcons, mehr als Etat Libre d‘Orange, vielleicht sogar mehr als CB I Hate Perfume. Muss ich erwähnen, dass Luca Turin sie liebt?
Keiner der LUSH-Düfte der jüngeren Generation ist gefällig, leicht tragbar, angepasst oder nur ansatzweise in der Nähe eines Mainstreamduftes der großen Marken. Beispiele dafür sind Devil‘s Nightcap, Dirty, Exhale und Inhale, Flowers Barrow, Furze (bevor wieder Witze gemacht werden: Engl. für Stechginster, Föörs auszusprechen), Hellstone, Sikkim Girls, The Bug, Karma, Lord of Goathorn und natürlich allen voran: Breath of God. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.
Dabei hat Lush ein durch und durch sympathisches Konzept (vegetarische oder meist vegane Düfte und Kosmetika, die stets ohne Tierversuche oder den Einsatz tierischer Produkte auskommen), ein ebenso sympathisches Ladenkonzept (Selbstbedienung, kompetente Beratung) mit noch sympathischerem Verpackungskonzept (wider den Wahn der Tüten und Wegwerfprodukte) - und zu allem Überfluss ist die Marke noch englisch: ein Fest für alle Anglophilen wie mich. Ein Test vieler Produkte bei Codecheck.info bestätigt zudem, dass die meisten Artikel von LUSH tatsächlich auch verträglicher und weniger mit schädlichen Inhaltsstoffen verschmutzt sind als die meisten Produkte der geliebten Massenindustrie und der verehrten Luxusmarken. Und wem das als Argument nicht reicht: LUSH ist zwar nicht billig, aber preiswert. Kein Argument mehr gegen eine Auseinandersetzung mit Breath of God.
Achtung: das ist keine Werbung, nur Begeisterung!
Breath of God entstand eigentlich aus der Kombination zweier Düfte: Exhale und Inhale, die gegensätzlicher kaum hätten sein können, deren Konzept es geradezu war, sich in ihrer Gegensätzlichkeit zu ergänzen. Simon Constantine, der Parfumeur hinter den LUSH-Duftkonzepten, hatte eines Tages nach einer Tibet-Reise die Idee, gerade diese beiden Düfte, die ja zusammen zu denken, aber nicht zusammen in einer Flasche kombiniert waren, doch noch zu mischen und etwas Neues, Größeres zu schaffen. Und das ist gelungen.
Breath of God - und ich entferne mich nun stark von der o.a. Duftpyramide, lebt vom Gegensatz eines sakral-säkularen Räucherduftes (Schwarzwälder Schinken?) mit einer Vetiverunterlage und einer gewagten animalisch-süß-sauren (klingt unmöglich, geht aber) Frucht- bzw. Blumennote, die mich ein wenig an die animalische Fruchtnote aus verschiedenen hoch dosierten Grapefruitdüften (z.B. Czech & Speakes Citrus Paradisi) erinnert und daher sicherlich von eben dieser Grapefruit hervorgerufen wird, die aber auch ganz offensichtlich starke Blütennoten enthält (angegeben sind Rose und Ylang Ylang), die für eine fast betäubende Grundierung sorgen. Die Basisnote, die wieder ähnlich wie die durchräucherte Kopfnote eine maskuline Komponenten hat, kehrt vor allem zum Vetiver, aber auch zum Holz zurück und erinnert in diesem Stadium ganz entfernt an moderne Vetiverdüfte wie Timbuktu, Encre Noire, Sycomore. So bleibt der Duft in seiner Zerrissenheit, vereinten Gegensätzlichkeit und Spannung zwischen Yin und Yang, zwischen Karfreitag und Ostern, zwischen Mann und Frau - und für beide Geschlechter gleichermaßen tragbar.
Eine Eigenart der LUSH-Düfte ist es, dass die meisten als Parfum (vermutlich eher ein Eau de Parfum), nicht aber als Eau de Toilette angeboten werden. Darum muss zur Haltbarkeit der meisten LUSH-Düfte nur wenig gesagt werden. Ein Auftragen am Abend reicht bis zum nächsten Morgen, ein Auftragen am Morgen muss wohlüberlegt sein, denn man riecht ihn den ganzen Tag: bei Arbeit und Freizeit.
Der Duft ist so innovativ und experimentell, so außergewöhnlich wie seine Beschreibung klingt. Wie schön, dass es auch noch im zweiten Jahrzehnt der 2000er Jahre (konkret 2010) möglich war, neue (und wenn ich neu schreibe, dann meine ich neu) Düfte zu entwickeln. Dabei wissen wir doch, dass wirklich herausragende Düfte nur in großen Abständen von mehreren Jahrzehnten wie ein Spuk auf dem Markt auftauchen und ihn manchmal erobern, wenn sie den Geschmack der Mehrheit treffen (so wie das überragende Green Irish Tweed bzw. sein später geborener, fast gleichwertiger Bruder Cool Water), oder manchmal auch wieder vom Markt verschwinden, von der großen Mehrheit der Duftkäufer nicht verstanden (wie z.B. Ho Hang). Auch das ist zu respektieren.
Noch ein Wort zum Flakon (aller LUSH-Düfte): schwarz, edel, einfach, gut. So wünsche ich mir eine postmoderne Flasche für den Atem Gottes.
Zu welcher Gruppe (Miss- oder Erfolg) LUSH‘s Breath of God zu rechnen sein wird, wird erst die Zeit zeigen. Nicht dass diesem Duft im Sortiment von LUSH noch der ganz große Durchbruch bevorstünde: im LUSH-Sortiment scheint er gut zu laufen und Bestandteil des Programms zu bleiben, außerhalb der LUSH-Fangemeinde dürfte er kaum zur Kenntnis genommen worden sein. Gemessen werden muss ein zukünftiger Erfolg vielmehr an der Frage, ob Breath of God ein Solitär bleibt - oder in seiner inneren Widersprüchlichkeit und Spannung Nachahmer finden wird. Karfreitag und Ostern: Der Atem Gottes weht, wo er will.
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