Marrakesch. Durch heiße Straßen und enge Gassen. Ein Labyrinth, dann die Djemaa el Fna, der zentrale Marktplatz. Schlange geringelt um einen Arm. Aufgespießte Schafsköpfe und Hennatattoos. Feuerspucker und Wahrsager. Bunte Stoffe und Keramik. Von Hauswänden abbröckelnde Farbe, blau, gelb, rot, grün, satt. Rauch, Trommel, Lachen, Lichter, Düfte und Gerüche - Marrakesch lebt und wabert durch die Nacht.
Es ist nicht einfach, den Duft zu beschreiben, den eine Stadt wie Marrakesch ausstrahlt und der sirenengleich Fremde anzieht, immer weiter hinein, bis in ihr Herz. Bis in die dunklen, engen, staubigen Gassen der Medina. Eine Stadt voller Leben, Dreck, Geschäftigkeit, Ursprünglichkeit, bunten Farben und geruhsamen Menschen. Ein Duft, der sich in die Haare und Kleider legt, den man mit nach Hause trägt und der auch nach vielen Wasch- und Duschgängen immer noch als Erinnerung um und in meinem Kopf umherweht. Olfaktorisch ist die Stadt ein Supergau und das Gemisch aus Widerwärtigem bis Andersartigem bis Wunderbarem brennt sich tief ein. Die stadteigene Gerberei, die die Nase bis an die Grenze des Ertragbaren fordert. Die staubigen, trockenen Straßen der Medina, die nach Hitze, vielen Schritten und Geschäftigkeit riechen. Die aberzähligen Restaurants, aus denen es köstlich nach leise köchelnder Tajine duftet. Die bunten Hüte und Schals, die nach vielen Händen, warmen Stoffen und Farben riechen. Die kleinen Lädchen, in denen es nach Argan und natürlichen Farbpigmenten riecht. Und die Badezimmer aus Tadelakt, die so nass-porös nach einer Mischung aus feuchter Kreide und Amber riechen. Schöne und schreckliche Bilder der Stadt, so viele wie schöne und schreckliche Düfte der Stadt. Eine Mischung, die per se dafür gemacht ist, zu fordern und zu überfordern.
So schreit das Erleben der Stadt nach Runterkommen, nach einer Pause und Erholung. Am besten geht das in einem der zahlreichen Hinterhofcafés bei einem Glas frisch aufgebrühtem und hoch aufgegossenem Minztee, mit Blick auf blühende Pflanzen und den meist in diesen Hinterhöfen zur Abkühlung installierten Wasserspielen. Frischer Minztee. Nichts steht für mich mehr für Marrakesch. Für seine ruhige, weiche und erholsame Seite. Dunkler und starker Tee aus frischer Minze und grünem Tee, stark gesüßt. Heiß und kühlend gleichzeitig. Wunderbar.
Noch bevor ich wusste, wer Meo Fusciuni ist oder warum die Nummer 2 seiner dreiteiligen Nota di Viaggio Reihe Shukran (Arabisch für Danke) heißt, hat mich dieses Parfum schon an Marrakesch erinnert. An diese ruhigen Hinterhofmomente mit meinem Minztee, der kühlen Luft und dem Blick auf die blühenden Pflanzen. Shukran ist dieser Minztee. Dieses gemütliche Runterkommen von einem anstrengenden und erlebnisreichen Tag in dem so fremden wie faszinierenden Marrakesch. Dieses süße Übergleiten in die Nacht, in das Leben und den ganz eigenen Sog der Stadt. Frische Minze, etwas krautig, ein Stengel im Glas, ein Minzblatt abgezupft und zwischen den Fingern zerrieben. Vielleicht ein Quentchen Kamille oder Salbei und ansonsten süßer, schwerer Tee und von irgendwo her ein kleines Rauchwölkchen aus einer Shisha. Und damit hat man Shukran, die Nummer 2, auch schon erfasst. Mehr passiert da nicht, mehr kommt da nicht, außer dass man sich noch darüber streiten könnte, ob die Teenote nun ausgewiesen schwarz oder grün ist und die Tabaknote zur Basis hin noch etwas dominierender wird oder nicht. Alles in allem entwickelt sich die Nummer 2 aber eigentlich ganz kausal in eine Richtung, überrascht nicht mit irgendwelchen Kanten oder Wendungen und bleibt von Anfang bis Ende bei ihrem Thema: dem Minztee. Ja, das ist ein bißchen einfach strukturiert und vielleicht auf Dauer auch ein wenig langweilig. Auch die Sillage und Haltbarkeit sind eher durchschnittlich. Zudem darf man sich durchaus fragen, ob man selbst nach frisch aufgebrühtem Minztee riechen oder ihn lieber vor sich stehen haben und trinken möchte. Das alles ist so und doch ist Shukran für mich die schönste Interpretation von marrokanischem Minztee, die ich bisher unter der Nase hatte. Und das nicht nur deshalb, weil Shukran absolut authentisch nach Minztee riecht oder mich an die gemütlichen Hinterhofmomente erinnert, sondern weil er sofort Bilder von Marrakesch evoziert, die ansonsten nur sehr lose in meinem Gedächtnis herum schwirren und selten so geballt an die Oberfläche treten. Faszinierend.
Und tatsächlich hat sich Meo Fusciuni bzw. Giuseppe Imprezzabile, wie sein richtiger Name lautet, für seine dreiteilige Duftreihe Trilogia di Viaggio (Trilogie einer Reise) von seinen Reisen nach Istanbul, Sizilien und für die Nummer 2 dann von Marokko inspirieren lassen. Der italienische ehemalige Drogerist, mit einem Hang zur Poetik, macht seit einigen Jahren in Parfums und verkauft seine handgemachten und aus rein natürlichen Inhaltstoffen hergestellten Düfte, in seinem eigenen Laden in einer italienischen Kleinstadt. Zwar sind seine Kreationen weltweit erhältlich, aber für mich dennoch wirkliche Nische. Inspiriert von Reisen und Gedichten, mit Freude am Prozess der Herstellung und dem Gewicht mehr auf der Liebe zum Duft allgemein als auf dem fertigen Produkt, dem Marketing oder der Zielgruppe. Dem olfaktorischen Nomadentum sei er in verschiedene Länder und Städte auf der Welt gefolgt, angetrieben davon, das Leben, die Poesie des Lebens einzufangen in Parfum. Und wenn ich nun selbst daran denke, welche Bilder über Marrakesch sofort beim ersten Riechen an Shukran in mir entstanden sind, dann hat er das gut hinbekommen, der Singore Fusciuni.
2# Nota di Viaggio – Shukran – ist insgesamt ein absolut feiner und authentischer Minzteeduft, den ich zwar selbst nicht tragen aber immer wieder daran riechen möchte. Eine wunderbare Erinnerung an Marrakesch.
Marrakesch, ich atme deine Luft!