26.07.2014 - 09:30 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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59
Vetiver antik - oder: ein schönes altes Möbelstück
Unkommentierte Düfte No. 46
Nachdem ich die ergebnislose Suche nach einer Abfüllung von Oriza L. Legrands Vetiver Royal Bourbon abgebrochen hatte, lag es nahe, ein Sharing zu diesem Duft zu organisieren. Im Grunde war ich mir recht sicher, dass nicht viel schief laufen konnte: eine Marke, die mir bisher sehr zusagt, ein Vetiver-Duft zumal, noch dazu mit vielen außergewöhnlichen Komponenten (Pfefferminze, Thymian, Zedernwacholder, Styrax, Immortelle, Tabak), eine historisch bedeutsame, wiederbelebte Marke (zugegebenermaßen derzeit ein Trend, mit dem man offenbar Geld drucken kann), deren Tradition auf das Jahr 1720 zurück geführt wird (Wikipédia France weiß immerhin, dass diese Marke tatsächlich so alt ist, 1940 verschwand und 2012 zurück kehrte), im vorliegenden Falle ein Duft, der ursprünglich im Jahr 1914 komponiert worden sein soll (was auch immer noch von der Ursprungsformel übrig sein mag); in jedem Fall klingt das alles ganz nach einem Vetiverduft, den man schon mal blind bestellen, sicherlich allemal im Rahmen eines Sharings ordern kann.
Was bleibt nach diesen hohen Erwartungen? Eine Offenbarung hatte ich nicht erwartet, auch keinen Duft, der nach einem Test anstandslos in meine Sammlung gewandert wäre. Gehofft habe ich auf einen sehr guten, interessanten, nicht alltäglichen Vetiver-Duft und diese Erwartungen wurden tatsächlich erfüllt.
Dabei macht es dieses alte Möbel von 1914 seinem Besitzer zunächst nicht leicht. Das ist kein Kuschelsessel, keine Couch, auf der man sich ausbreiten möchte für wer weiß was für Sachen, keine Empirekommode mit allerlei Schüben und Verstecken und klassizistischem Äußeren, auch kein postmoderner Kunststoffstuhl von Verner Panton, sondern ein zunächst etwas verstaubt wirkendes, dekorativ von Würmern angefressenes Jugendstilmöbel, das auf einem Dachboden gefunden und gerade wieder auf Hochglanz poliert wurde. Wie es wirklich mal aussah, lässt sich nur schwer sagen, vielleicht war den Lack matter, vielleicht gab es einen Farbauftrag mit Blüten, vielleicht war die Lederbespannung von anderer Qualität? Wer weiß das schon.
Wenn man es sich mit diesem alten Möbel aber erst einmal bequem gemacht hat, dann offenbaren sich ganz wunderbare Qualitäten. Im ersten Moment, auf den ersten Blick wirkt er ein wenig so, wie viele ältere Vetiverdüfte, die eine grün-krautige, bisweilen modrige Note verströmen. Ich sehe schon förmlich die Kommentare enttäuschter Käufer, die von Altherrendüften sprechen, sich die Ruhe des längeren Ausprobierens kaum gönnen.
Wer sich jedoch ein wenig Zeit nimmt und sich über den ersten Eindruck hinweg in Geduld übt, der wird recht bald mit einer Fülle von weiteren Akzenten belohnt: Kraut und Gewürz treten auf den Plan (Thymian), die Minze sorgt für eine untergründige Frische, das Fehlen von Hesperidien wird als eine Leerstelle spürbar, die anderen Trägern vielleicht gerade angenehm sein könnte.
Die Entwicklung zur Herznote offenbart eine ganze Reihe von weichen, runden, wenn auch männlich-herben Akzenten: Das könnte der Lederakkord sein, sicherlich das Styrax, dessen schwer-balsamisch-süßlichen Duft man mögen muss, der hier aber nicht aufdringlich wirkt.
Zedernwacholder, außerordentlich selten in Düften verarbeitet, wird hier auf Parfumo nur fünfzehnmal gelistet, davon allenfalls in fünf Parfums, die einigermaßen gut verfügbar sind. Insofern bin ich bezüglich einer Einordnung und Beschreibung auch überfordert, vermute aber tatsächlich Töne von beiden Gewächsen (Zeder und Wacholder), denn das zumindest läge aufgrund einer ganz schwachen Ähnlichkeit zu den Terre d‘Hermès-Vertretern (Zeder- und Vetiver-Kombination), andererseits aber auch zu den Düften mit Gin-Note nahe, wie etwa zum neuen, aus meiner Sicht sehr überzeugenden Eau de Cade von L‘Occitane.
Ganz zum Schluss, und das ist überraschend, scheint mir aus dem Untergrund sogar noch eine helle Note aufzusteigen, sei es, dass es die Zeder-Vetiver-Kombination ist, sei es, dass doch Hesperidien enthalten sind, die anfangs von krautigen und erdigen Komponenten überdeckt wurden.
Was in der Summe bleibt, ist kein revolutionärer Duft, kein wirklich außergewöhnlicher Vetiver, aber doch ein origineller, nicht ganz alltäglicher Duft dieser Ausrichtung.
Jedenfalls gefällt mir der Duft gerade deshalb so gut, weil er sich anfangs etwas spröde, verstaubt und wurmstichig zeigt, dann aber doch eine Verspieltheit und Helligkeit (im Sinne des Jugendstils könnte man von „Licht“ sprechen) entwickelt, die tatsächlich an die Epoche des Jugendstils erinnern könnte, auch wenn die 1914 eigentlich schon wieder einige Jahr zu Ende gegangen war.
Überhaupt ist ja der Jugendstil nicht nur eine Epoche, sondern auch eine Geisteshaltung, eine Mentalität dieser Zeit, die eine weit über den engeren Rahmen hinaus strahlende Wirkung hatte. Ursprünglich auf ein Theaterstück des umstrittenen Dramatikers Max Halbe zurück gehend („Jugend“), von der Zeitung „Jugend“ als Sinnhorizont und Name aufgegriffen, dann auf die ganze, scheinbar kurze Epoche übergegangen. Was aber wäre moderne Architektur, modernes Design, moderne Theaterkultur, moderne Literatur ohne diese mutige Übergangsepoche, die das muffige der Kaiserzeit, des Historismus über Bord warf und nach neuen, weiter führenden Ausdrucksformen suchte. Gerade hier sind Nachwirkungen zu spüren, die auch heute noch nicht nur in floraler, pflanzlicher Ornamentik, sondern auch in der Hinwendung zu Neuem, zu Progressivem aufscheint, in der Abwendung vom ewig an Vorvätern Orientiertem im Aufbruch einer künstlerischen Avantgarde eine neue Weltanschauung schuf.
Sollte dieser Duft tatsächlich noch Nachklänge der Originalduftes enthalten, wovon ich nach eingehenden Tests eigentlich überzeugt bin, dann passt er ganz gut in diese Zeit des nachhallenden Jugendstils um 1914, passt aber auch sehr gut in unsere heutige Zeit, die vom Jugendstil das eine oder andere lernen könnte, ist also kein Altväterduft, sondern eigentlich gerade das Gegenteil: ein Duft, der mit den Mitteln des Vergangenen Neues schafft und darum im eigentlichen Sinne postmodern ist, ohne jedoch aus dem Rahmen zu fallen. Ein Duft für alle Tage und keinen.
Nachdem ich die ergebnislose Suche nach einer Abfüllung von Oriza L. Legrands Vetiver Royal Bourbon abgebrochen hatte, lag es nahe, ein Sharing zu diesem Duft zu organisieren. Im Grunde war ich mir recht sicher, dass nicht viel schief laufen konnte: eine Marke, die mir bisher sehr zusagt, ein Vetiver-Duft zumal, noch dazu mit vielen außergewöhnlichen Komponenten (Pfefferminze, Thymian, Zedernwacholder, Styrax, Immortelle, Tabak), eine historisch bedeutsame, wiederbelebte Marke (zugegebenermaßen derzeit ein Trend, mit dem man offenbar Geld drucken kann), deren Tradition auf das Jahr 1720 zurück geführt wird (Wikipédia France weiß immerhin, dass diese Marke tatsächlich so alt ist, 1940 verschwand und 2012 zurück kehrte), im vorliegenden Falle ein Duft, der ursprünglich im Jahr 1914 komponiert worden sein soll (was auch immer noch von der Ursprungsformel übrig sein mag); in jedem Fall klingt das alles ganz nach einem Vetiverduft, den man schon mal blind bestellen, sicherlich allemal im Rahmen eines Sharings ordern kann.
Was bleibt nach diesen hohen Erwartungen? Eine Offenbarung hatte ich nicht erwartet, auch keinen Duft, der nach einem Test anstandslos in meine Sammlung gewandert wäre. Gehofft habe ich auf einen sehr guten, interessanten, nicht alltäglichen Vetiver-Duft und diese Erwartungen wurden tatsächlich erfüllt.
Dabei macht es dieses alte Möbel von 1914 seinem Besitzer zunächst nicht leicht. Das ist kein Kuschelsessel, keine Couch, auf der man sich ausbreiten möchte für wer weiß was für Sachen, keine Empirekommode mit allerlei Schüben und Verstecken und klassizistischem Äußeren, auch kein postmoderner Kunststoffstuhl von Verner Panton, sondern ein zunächst etwas verstaubt wirkendes, dekorativ von Würmern angefressenes Jugendstilmöbel, das auf einem Dachboden gefunden und gerade wieder auf Hochglanz poliert wurde. Wie es wirklich mal aussah, lässt sich nur schwer sagen, vielleicht war den Lack matter, vielleicht gab es einen Farbauftrag mit Blüten, vielleicht war die Lederbespannung von anderer Qualität? Wer weiß das schon.
Wenn man es sich mit diesem alten Möbel aber erst einmal bequem gemacht hat, dann offenbaren sich ganz wunderbare Qualitäten. Im ersten Moment, auf den ersten Blick wirkt er ein wenig so, wie viele ältere Vetiverdüfte, die eine grün-krautige, bisweilen modrige Note verströmen. Ich sehe schon förmlich die Kommentare enttäuschter Käufer, die von Altherrendüften sprechen, sich die Ruhe des längeren Ausprobierens kaum gönnen.
Wer sich jedoch ein wenig Zeit nimmt und sich über den ersten Eindruck hinweg in Geduld übt, der wird recht bald mit einer Fülle von weiteren Akzenten belohnt: Kraut und Gewürz treten auf den Plan (Thymian), die Minze sorgt für eine untergründige Frische, das Fehlen von Hesperidien wird als eine Leerstelle spürbar, die anderen Trägern vielleicht gerade angenehm sein könnte.
Die Entwicklung zur Herznote offenbart eine ganze Reihe von weichen, runden, wenn auch männlich-herben Akzenten: Das könnte der Lederakkord sein, sicherlich das Styrax, dessen schwer-balsamisch-süßlichen Duft man mögen muss, der hier aber nicht aufdringlich wirkt.
Zedernwacholder, außerordentlich selten in Düften verarbeitet, wird hier auf Parfumo nur fünfzehnmal gelistet, davon allenfalls in fünf Parfums, die einigermaßen gut verfügbar sind. Insofern bin ich bezüglich einer Einordnung und Beschreibung auch überfordert, vermute aber tatsächlich Töne von beiden Gewächsen (Zeder und Wacholder), denn das zumindest läge aufgrund einer ganz schwachen Ähnlichkeit zu den Terre d‘Hermès-Vertretern (Zeder- und Vetiver-Kombination), andererseits aber auch zu den Düften mit Gin-Note nahe, wie etwa zum neuen, aus meiner Sicht sehr überzeugenden Eau de Cade von L‘Occitane.
Ganz zum Schluss, und das ist überraschend, scheint mir aus dem Untergrund sogar noch eine helle Note aufzusteigen, sei es, dass es die Zeder-Vetiver-Kombination ist, sei es, dass doch Hesperidien enthalten sind, die anfangs von krautigen und erdigen Komponenten überdeckt wurden.
Was in der Summe bleibt, ist kein revolutionärer Duft, kein wirklich außergewöhnlicher Vetiver, aber doch ein origineller, nicht ganz alltäglicher Duft dieser Ausrichtung.
Jedenfalls gefällt mir der Duft gerade deshalb so gut, weil er sich anfangs etwas spröde, verstaubt und wurmstichig zeigt, dann aber doch eine Verspieltheit und Helligkeit (im Sinne des Jugendstils könnte man von „Licht“ sprechen) entwickelt, die tatsächlich an die Epoche des Jugendstils erinnern könnte, auch wenn die 1914 eigentlich schon wieder einige Jahr zu Ende gegangen war.
Überhaupt ist ja der Jugendstil nicht nur eine Epoche, sondern auch eine Geisteshaltung, eine Mentalität dieser Zeit, die eine weit über den engeren Rahmen hinaus strahlende Wirkung hatte. Ursprünglich auf ein Theaterstück des umstrittenen Dramatikers Max Halbe zurück gehend („Jugend“), von der Zeitung „Jugend“ als Sinnhorizont und Name aufgegriffen, dann auf die ganze, scheinbar kurze Epoche übergegangen. Was aber wäre moderne Architektur, modernes Design, moderne Theaterkultur, moderne Literatur ohne diese mutige Übergangsepoche, die das muffige der Kaiserzeit, des Historismus über Bord warf und nach neuen, weiter führenden Ausdrucksformen suchte. Gerade hier sind Nachwirkungen zu spüren, die auch heute noch nicht nur in floraler, pflanzlicher Ornamentik, sondern auch in der Hinwendung zu Neuem, zu Progressivem aufscheint, in der Abwendung vom ewig an Vorvätern Orientiertem im Aufbruch einer künstlerischen Avantgarde eine neue Weltanschauung schuf.
Sollte dieser Duft tatsächlich noch Nachklänge der Originalduftes enthalten, wovon ich nach eingehenden Tests eigentlich überzeugt bin, dann passt er ganz gut in diese Zeit des nachhallenden Jugendstils um 1914, passt aber auch sehr gut in unsere heutige Zeit, die vom Jugendstil das eine oder andere lernen könnte, ist also kein Altväterduft, sondern eigentlich gerade das Gegenteil: ein Duft, der mit den Mitteln des Vergangenen Neues schafft und darum im eigentlichen Sinne postmodern ist, ohne jedoch aus dem Rahmen zu fallen. Ein Duft für alle Tage und keinen.
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