17.04.2015 - 05:35 Uhr
Stefanu155
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Stefanu155
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31
Ostia, 1998.
Es muss Mai gewesen sein. Ich war zur Stazione Porta San Paolo gegangen, denn ich wollte nach Ostia, ans Meer. Der Sommer zeigte schon seine Krallen, es war brüllheiß. Dass das erst ein Vorgeschmack war, wusste ich damals noch nicht. Der Pyramide des Cestius, die dort, am Anfang der antiken Via Ostiense steht, war es völlig egal, dass sich auch schon um neun Uhr morgens ermattete Touristen mit Mineralwasserflaschen in ihrem Schatten langweilten, dass die Fahrer der Motorroller und Autos schon damit angefangen hatten, genervt zu sein, denn erstens ist sie die Enttäuschung gewöhnt, die sie bei Vielen auslöst, die PYRAMIDE! erwarten und zweitens steht sie schon seit über zwei Jahrtausenden an einem Verkehrsknotenpunkt. Und das Wetter tut für sie nichts zur Sache.
Die Cestiuspyramide ist quasi in die Mauer des "Friedhofs der Nichtkatholiken" integriert, in dem viele protestantische Bewohner der Ewigen Stadt begraben liegen, unter ihnen auch Keats, Shelley, Gramsci oder Hans von Marées. Das interessierte mich aber im Moment gar nicht und ich nahm das alles nur halb bewusst zur Kenntnis, denn die Wirkung der morgendlichen kalten Dusche war schon zehn Minuten später verflogen gewesen; ich wollte den Zug nicht verpassen und es zog mich in den Schatten der Bahnhofshalle.
Das mit dem Duft kommt noch.
Der Zug fährt durch seltsame neue und ältere Wohnsiedlungen, neben bröckelnden Hinterhöfen erhebt sich plötzlich ein seltsames Ding in Lachsrosa und Mintgrün, das nächste Casamento* tut unverhohlen kund, dass man bei seiner Errichtung Kosten und Mühen gespart hat (oder Steuern) und eine Ansammlung kleinerer Ziegelhäuser inmitten einer Gruppe von blockhaften Blocks wirft die Frage auf, was es mit diesem Fleckchen wohl auf sich haben könnte. Dass die Moderne in Italien irgendwie nie stattgefunden hat und dann als eine Art Spiel nachgeholt wird, weil man in diesem Land die Moderne nie als geistige oder kulturelle Bewegung, sondern bloß als Design wahrgenommen hat etc. - solche Gedanken gingen mir bei meiner Fahrt durch den Kopf. Das wurde alles überblendet durch die Musik in meinen Kopfhörern, denn mein Mitbewohner hatte mir zum Geburtstag eine CD von Tori Amos geschenkt und nun hörte ich seit einigen Tagen „From the Choirgirl Hotel“, die damals gerade erschienen war, in Dauerschleife. Falls mir die Hysterie zu viel wurde, lockerte ich mich mit Motetten von Josquin Desprez…
Ich wusste damals natürlich auch noch nicht, dass ich diese Fahrt dazu benutzen würde, um einen Duft zu beschreiben.
Irgendwann endet die Stadt nach langem Zögern dann aber doch und man fährt durch die fade Ebene, die die ständig verlandende Tibermündung, anscheinend in immerwährender Flucht vor der Großstadt, im Laufe vieler Jahrhunderte hinterlassen hat. Ja, der Süden hat seine ganz eigenen Depressionen. Seit dem 5. Jhdt. hat sich das Hafenbecken von Ostia Antica mehr als 5 Kilometer vom Meer entfernt, heute wächst Gras darin.
Ich sollte jetzt allmählich zum Duft kommen.
Man muss vom Bahnhof Ostia aus ein gutes Stück laufen, um endlich ans Meer zu kommen. Ich hatte mir einen Stellplatz mit Liegestuhl gemietet, denn freien Strand gibt es kaum noch, und darauf mein leuchtend oranges Strandtuch gebreitet. Damit war mein Revier zweifelsfrei markiert und auch für mich, falls mich die Lust auf einen Kaffee anwandeln sollte, jederzeit und leicht wieder auffindbar. Ich schmiere mich pro forma mit Sonnenmilch ein, setze mir pro forma eine Sonnenbrille auf und beginne pro forma, schlaue Sachen in einem schlauen Buch zu lesen, ohne mich aber so recht konzentrieren zu können. Und zwar deswegen nicht, weil nicht weit von mir entfernt drei braungebrannte Mädchen damit anfingen, eine konkurrierende Strandniederlassung zu gründen. Also blinzelte ich ungesehen aus dem Schutz der dunklen Gläser zu diesen farbenfrohen Erscheinungen hinüber. Wenn ich nun schon nicht mehr lesen konnte - schauen konnte ich noch. Da sich das Auge leichter vergreift als die Hand, hatte ich meine Unterhaltung. Zudem mein Italienisch mittlerweile so gut geworden war, dass ich Alltagsgesprächen einigermaßen folgen konnte. Das wiederum entzauberte diese drei Grazien ein wenig und machte ihre Anmut etwas irdischer.
Jetzt bin ich bald beim Thema.
Seltsam war, dass sie eigentlich sehr umständlich ihr Lager errichteten und dafür mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Badetüchern, Strandtaschen, Wickelröcken, Lotionen und Getränken ausgestattet waren, so dass ich mich fragen musste, wie diese zierlichen Wesen eigentlich in der Lage waren, diese Unmenge von Material an den Strand zu schleppen und über welche Hilfsmittel sie dazu verfügten. Jedenfalls verschwanden sie, nachdem alles zu ihrer offensichtlichen Zufriedenheit organisiert war und ihrer vorgestellten höheren Ordnung, die mir unklar blieb, entsprach. Ich konnte nun in Ruhe das Arrangement betrachten und doch noch lesen, je nachdem. Ich konnte sogar noch das Wasser testen, was ich aber in Ostia immer irgendwie mit Vorsicht tat…
So.
Nun kam doch der Zeitpunkt, an dem ich die Bar, die zu diesem Strandabschnitt gehörte, aufsuchen wollte, um einen Espresso Doppio und kaltes Wasser zu mir zu nehmen. Mit um die Hüften geschlungenen Tüchern in Weiß, mit „Pace“ und in Ultramarinblau standen dort die drei braunen Mädchen und unterhielten sich mit dem Mann an der Bar, der dabei angestrengt die Miene „Sorry, Mädels, bin im Dienst“, aufrecht zu erhalten versuchte, aber gerade in einem Meer von Testosteron versank. Ich ging so nahe es die Höflichkeit erlaubte zu den Dreien und orderte Wasser, Kaffee und ein Vanillehörnchen. Ihr kennt diese Vanillehörnchen, die Cornetti alla vainiglia, die es in Italien praktisch immer und überall gibt? Und ihr wisst, wie sie duften, wenn sie noch warm sind? Und ihr wisst, wie drei mit Sonnencreme eingecremte italienische Mädchen mit Resten von italienischen Mädchenparfüms und etwas italienischem Mädchengeruch riechen? Und dass die italienischen Waschmittel und Weichspüler sehr gerne solche Blütennoten enthalten, die dann an Handtüchern und Stoffen wahrnehmbar bleiben? Und ihr wisst, dass eine Bar nochmal ihren ganz eigenen Geruch dazu liefert? Ihr wisst, wie sich das alles in der Nase miteinander verbindet und ineinander schlingt?
Ohne diese Duftprobe hätte ich mich wohl nie wieder an diese Szene erinnert. Ihr wisst jetzt auch, warum ich zum Erstaunen meiner Mitmenschen bereits den dritten Tag wie braungebrannte Mädchen am Strand von Ostia im Jahr 1998 dufte.
Die Cestiuspyramide ist quasi in die Mauer des "Friedhofs der Nichtkatholiken" integriert, in dem viele protestantische Bewohner der Ewigen Stadt begraben liegen, unter ihnen auch Keats, Shelley, Gramsci oder Hans von Marées. Das interessierte mich aber im Moment gar nicht und ich nahm das alles nur halb bewusst zur Kenntnis, denn die Wirkung der morgendlichen kalten Dusche war schon zehn Minuten später verflogen gewesen; ich wollte den Zug nicht verpassen und es zog mich in den Schatten der Bahnhofshalle.
Das mit dem Duft kommt noch.
Der Zug fährt durch seltsame neue und ältere Wohnsiedlungen, neben bröckelnden Hinterhöfen erhebt sich plötzlich ein seltsames Ding in Lachsrosa und Mintgrün, das nächste Casamento* tut unverhohlen kund, dass man bei seiner Errichtung Kosten und Mühen gespart hat (oder Steuern) und eine Ansammlung kleinerer Ziegelhäuser inmitten einer Gruppe von blockhaften Blocks wirft die Frage auf, was es mit diesem Fleckchen wohl auf sich haben könnte. Dass die Moderne in Italien irgendwie nie stattgefunden hat und dann als eine Art Spiel nachgeholt wird, weil man in diesem Land die Moderne nie als geistige oder kulturelle Bewegung, sondern bloß als Design wahrgenommen hat etc. - solche Gedanken gingen mir bei meiner Fahrt durch den Kopf. Das wurde alles überblendet durch die Musik in meinen Kopfhörern, denn mein Mitbewohner hatte mir zum Geburtstag eine CD von Tori Amos geschenkt und nun hörte ich seit einigen Tagen „From the Choirgirl Hotel“, die damals gerade erschienen war, in Dauerschleife. Falls mir die Hysterie zu viel wurde, lockerte ich mich mit Motetten von Josquin Desprez…
Ich wusste damals natürlich auch noch nicht, dass ich diese Fahrt dazu benutzen würde, um einen Duft zu beschreiben.
Irgendwann endet die Stadt nach langem Zögern dann aber doch und man fährt durch die fade Ebene, die die ständig verlandende Tibermündung, anscheinend in immerwährender Flucht vor der Großstadt, im Laufe vieler Jahrhunderte hinterlassen hat. Ja, der Süden hat seine ganz eigenen Depressionen. Seit dem 5. Jhdt. hat sich das Hafenbecken von Ostia Antica mehr als 5 Kilometer vom Meer entfernt, heute wächst Gras darin.
Ich sollte jetzt allmählich zum Duft kommen.
Man muss vom Bahnhof Ostia aus ein gutes Stück laufen, um endlich ans Meer zu kommen. Ich hatte mir einen Stellplatz mit Liegestuhl gemietet, denn freien Strand gibt es kaum noch, und darauf mein leuchtend oranges Strandtuch gebreitet. Damit war mein Revier zweifelsfrei markiert und auch für mich, falls mich die Lust auf einen Kaffee anwandeln sollte, jederzeit und leicht wieder auffindbar. Ich schmiere mich pro forma mit Sonnenmilch ein, setze mir pro forma eine Sonnenbrille auf und beginne pro forma, schlaue Sachen in einem schlauen Buch zu lesen, ohne mich aber so recht konzentrieren zu können. Und zwar deswegen nicht, weil nicht weit von mir entfernt drei braungebrannte Mädchen damit anfingen, eine konkurrierende Strandniederlassung zu gründen. Also blinzelte ich ungesehen aus dem Schutz der dunklen Gläser zu diesen farbenfrohen Erscheinungen hinüber. Wenn ich nun schon nicht mehr lesen konnte - schauen konnte ich noch. Da sich das Auge leichter vergreift als die Hand, hatte ich meine Unterhaltung. Zudem mein Italienisch mittlerweile so gut geworden war, dass ich Alltagsgesprächen einigermaßen folgen konnte. Das wiederum entzauberte diese drei Grazien ein wenig und machte ihre Anmut etwas irdischer.
Jetzt bin ich bald beim Thema.
Seltsam war, dass sie eigentlich sehr umständlich ihr Lager errichteten und dafür mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Badetüchern, Strandtaschen, Wickelröcken, Lotionen und Getränken ausgestattet waren, so dass ich mich fragen musste, wie diese zierlichen Wesen eigentlich in der Lage waren, diese Unmenge von Material an den Strand zu schleppen und über welche Hilfsmittel sie dazu verfügten. Jedenfalls verschwanden sie, nachdem alles zu ihrer offensichtlichen Zufriedenheit organisiert war und ihrer vorgestellten höheren Ordnung, die mir unklar blieb, entsprach. Ich konnte nun in Ruhe das Arrangement betrachten und doch noch lesen, je nachdem. Ich konnte sogar noch das Wasser testen, was ich aber in Ostia immer irgendwie mit Vorsicht tat…
So.
Nun kam doch der Zeitpunkt, an dem ich die Bar, die zu diesem Strandabschnitt gehörte, aufsuchen wollte, um einen Espresso Doppio und kaltes Wasser zu mir zu nehmen. Mit um die Hüften geschlungenen Tüchern in Weiß, mit „Pace“ und in Ultramarinblau standen dort die drei braunen Mädchen und unterhielten sich mit dem Mann an der Bar, der dabei angestrengt die Miene „Sorry, Mädels, bin im Dienst“, aufrecht zu erhalten versuchte, aber gerade in einem Meer von Testosteron versank. Ich ging so nahe es die Höflichkeit erlaubte zu den Dreien und orderte Wasser, Kaffee und ein Vanillehörnchen. Ihr kennt diese Vanillehörnchen, die Cornetti alla vainiglia, die es in Italien praktisch immer und überall gibt? Und ihr wisst, wie sie duften, wenn sie noch warm sind? Und ihr wisst, wie drei mit Sonnencreme eingecremte italienische Mädchen mit Resten von italienischen Mädchenparfüms und etwas italienischem Mädchengeruch riechen? Und dass die italienischen Waschmittel und Weichspüler sehr gerne solche Blütennoten enthalten, die dann an Handtüchern und Stoffen wahrnehmbar bleiben? Und ihr wisst, dass eine Bar nochmal ihren ganz eigenen Geruch dazu liefert? Ihr wisst, wie sich das alles in der Nase miteinander verbindet und ineinander schlingt?
Ohne diese Duftprobe hätte ich mich wohl nie wieder an diese Szene erinnert. Ihr wisst jetzt auch, warum ich zum Erstaunen meiner Mitmenschen bereits den dritten Tag wie braungebrannte Mädchen am Strand von Ostia im Jahr 1998 dufte.
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