15.11.2015 - 11:26 Uhr
Meggi
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58
In Paris
- Gewidmet den unschuldigen Opfern, ihren Angehörigen und einer wunderbaren Stadt -
Der Spaziergang hatte keinen Spaß gemacht. Nach dem Besuch im Musée d’Orsay hatte er die Seine auf der nahen hölzernen Fußgängerbrücke überquert und dort zu seinem Verdruss zwischen zahllosen Liebesschlössern hindurchmarschieren müssen. Auch in glücklichen Tagen hätte er sich gefragt, wie viele davon wohl weit länger gehalten haben mochten als die mit ihrer Hilfe geschworene Liebe.
Manche Wunden heilten eben nur langsam. Er hatte sich schon in stiller Melancholie mit allem abgefunden geglaubt. Doch selbst wenn der Verstand etwas als richtig erkannte, die Seele kam immer zu Fuß hinterher. Seine Mutter hatte ihm geraten, die lange gebuchte Reise trotzdem anzutreten – allein. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Hätte er bloß besser nachgedacht! Ausgerechnet die sprichwörtliche Stadt der Liebe…. Überall Pärchen, die sich lachend mit irgendeiner Sehenswürdigkeit im Rücken ein Telefon vor die Gesichter hielten, um ihr Glück sogleich unverzüglich in die Welt hinaus beurkunden zu können. Und alles war wieder dagewesen. Streit, Aussprache, Trennung, Schmerz.
Der Platz vor Notre Dame war unerträglich fröhlich gefüllt gewesen. Daher hatte er auf die geplante Besichtigung verzichtet und war zügigen Schrittes vorbeigegangen, entlang der Südseite der Ile de la Cité. Die Zuschauer eines Straßen-Akrobaten hatten Pont Saint-Louis wie ein Korken verstopft und mühsam hatte er sich einen Weg bahnen müssen. Erst auf der Ile Saint-Louis war er stehengeblieben, um durchzuatmen. Der Trubel war im Verlauf der kurzen Rue Jean du Bellay jäh abgeebbt. Erleichtert setzte er – nun gelassener – seinen Weg fort und schlenderte via Pont Louis-Philippe zum nördlichen Seine-Ufer zurück.
Ein Ziel hatte er heute noch und die Vorfreude darauf ließ ihn wieder weiter ausschreiten, hinein ins Quartier du Marais. Die Parfümerie in der Rue du Roi de Sicile musste, vorab beurteilt anhand des Internet-Auftrittes, einfach ein Volltreffer sein. Sie war das End-Ziel seines Rundgangs und gewiss ein Lichtblick des heutigen Tages.
Als er die Tür des kleinen Ladens öffnete, war er dankbar für die Wärme, die ihm entgegenschlug; der spätsommerliche Abend war unvermutet recht kühl geworden. Etwas abwesend grüßte er die junge Verkäuferin, denn sein Blick war von den opulent dekorierten und bestückten Regalbrettern angezogen worden. Er würde manches von seiner Liste abarbeiten können.
Sie sprach ihn abermals an, routiniert und natürlich auf Französisch; doch auf seine in entschuldigendem Englisch gehaltene Replik hin antwortete sie ebenso versiert. Ihr Akzent war hinreißend und erst jetzt fiel ihm auf, wie hübsch sie war. Lange, blond-gewellte Haare und helle, blaue Augen, weit auseinanderliegend, passend zu einem offenen, freundlichen Gesicht.
Sie blieben allein im Laden. Er hatte angesichts des großen Angebots beschlossen, sich auf die Weihrauchdüfte zu beschränken, die er selbst an wärmeren Tagen anderen vorzog. Duftstreifen um Duftstreifen wurde ihm gereicht, viel geredet, gefachsimpelt und gelacht; das allfällige „Where do you come from?“ kam ihm keineswegs höflich-aufgesetzt vor. Irgendwann fiel sein Blick auf einen schwarzen, würfelförmigen Flakon ganz hinten rechts auf einem Regalbrett, den er seltsamerweise bislang nicht bemerkt hatte: Black Cube. Nanu, von Ramon Molvizar hatte nichts im Internet gestanden. Den Schwarzen hatte er längst mal probieren wollen, wenngleich der preislich außer Reichweite war. Die Verkäuferin war seinem Blick gekonnt gefolgt und hatte den Flakon schon in der Hand, bevor er seine Bedenken zu Ende hatte tragen können. Obwohl ihm sein gemurmeltes „too expensive“ beinahe im Hals steckenblieb, hatte sie ihn verstanden und nickte - nicht mitleidig, sondern komplizenhaft.
Als er ihr den Arm zum Aufsprühen hinhielt, ergriff sie seine Hand und hielt sie einen Augenblick fest, damit er sie nicht sofort zur Nase hob. Ihm lief es bei der Berührung heiß den Rücken hinunter. Gleichsam ins Teenager-Alter zurückversetzt, fragte er sich, ob das alles nun professionelle Freundlichkeit war oder…
Was für ein zurückhaltender und trotzdem selbstbewusst-präsenter Duft! Als erstes kam ihm tatsächlich Epic Man in den Sinn, innerhalb von Sekunden wurde indes deutlich, dass der Amouage – den er dennoch sehr schätzte - dagegen geradezu grobschlächtig wirkte. Feiner Weihrauch und eine edle Holznote. Eine Spur Frucht und Gewürz. Vornehm und vorzüglich verwoben. Köstlich.
Um das Durcheinander im Kopf zu sortieren, beschloss er, nichts mehr zu testen. Ein kleiner Spaziergang würde ihm in jeder Hinsicht gut tun und schließlich war das Geschäft bis 21 Uhr geöffnet.
Draußen schlenderte er die schmale Rue du Roi de Sicile und ihre Fortsetzung, die Rue de la Verrerie, entlang und sog gelegentlich vom Duft ein, der verführte, statt zu erschlagen. Weihrauch und Pfeffer. Geruchlich ohnehin eng verwandt, hatte die Verkäuferin gemeint. Es war genau spürbar, dieses Changieren einer weißlichen Weihrauchnote mit dem rosa – sogenannten - Pfeffer, dem freilich gewiss weißer beigesellt war. Nach einer Stunde hatte sich zudem eine süßlich-kompakte Holznote gebildet, der aus Black Afgano nicht unähnlich, nur nicht ansatzweise derart penetrant-laut, sondern eleganter und vor allem natürlicher gehalten. Warmer Weihrauch dazu, behutsam anschwellende Süße wie von Honig… Aber immer wieder schweifte seine Aufmerksamkeit vom Duft ab und in den Laden zurück.
Es war bereits kurz vor neun, als er ihn zum zweiten Mal betrat. Einen Entschluss hatte er nicht gefasst. In ihrem Gesicht glaubte – oder wünschte? – er, echte Freude zu erkennen. Ehe er sich’s versah, hatte er plötzlich auf den Flakon gezeigt und die tückische Plastikkarte gezückt, Wahnsinn.
Als sie um den Tresen herumtrat und ihm die Tüte reichte, hielt sie in ihrer Bewegung inne und auch die begleitenden Worte mochten wohl nicht so routiniert fließen wie üblich. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Als wolle sie Aufschub gewähren, Mut und Anstoß für eine kostbare Entscheidung geben. Und endlich entwich der den ganzen Abend im Stillen geformte Satz. Die folgenden Sekunden, binnen derer sie zartrosa anlief, dehnten sich endlos und ihm stieg kribbelnde Hitze am Kragen hoch. Bis ihn ein „Oui“ erlöste.
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Im vergangenen Sommer habe ich Paris mit meiner Familie besucht. Gemeinsame Spaziergänge an allen erwähnten Orten wurden zur Inspiration für diese Geschichte. Wir kommen wieder. Die Franzosen werden sich nicht unterkriegen lassen.
Der Spaziergang hatte keinen Spaß gemacht. Nach dem Besuch im Musée d’Orsay hatte er die Seine auf der nahen hölzernen Fußgängerbrücke überquert und dort zu seinem Verdruss zwischen zahllosen Liebesschlössern hindurchmarschieren müssen. Auch in glücklichen Tagen hätte er sich gefragt, wie viele davon wohl weit länger gehalten haben mochten als die mit ihrer Hilfe geschworene Liebe.
Manche Wunden heilten eben nur langsam. Er hatte sich schon in stiller Melancholie mit allem abgefunden geglaubt. Doch selbst wenn der Verstand etwas als richtig erkannte, die Seele kam immer zu Fuß hinterher. Seine Mutter hatte ihm geraten, die lange gebuchte Reise trotzdem anzutreten – allein. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Hätte er bloß besser nachgedacht! Ausgerechnet die sprichwörtliche Stadt der Liebe…. Überall Pärchen, die sich lachend mit irgendeiner Sehenswürdigkeit im Rücken ein Telefon vor die Gesichter hielten, um ihr Glück sogleich unverzüglich in die Welt hinaus beurkunden zu können. Und alles war wieder dagewesen. Streit, Aussprache, Trennung, Schmerz.
Der Platz vor Notre Dame war unerträglich fröhlich gefüllt gewesen. Daher hatte er auf die geplante Besichtigung verzichtet und war zügigen Schrittes vorbeigegangen, entlang der Südseite der Ile de la Cité. Die Zuschauer eines Straßen-Akrobaten hatten Pont Saint-Louis wie ein Korken verstopft und mühsam hatte er sich einen Weg bahnen müssen. Erst auf der Ile Saint-Louis war er stehengeblieben, um durchzuatmen. Der Trubel war im Verlauf der kurzen Rue Jean du Bellay jäh abgeebbt. Erleichtert setzte er – nun gelassener – seinen Weg fort und schlenderte via Pont Louis-Philippe zum nördlichen Seine-Ufer zurück.
Ein Ziel hatte er heute noch und die Vorfreude darauf ließ ihn wieder weiter ausschreiten, hinein ins Quartier du Marais. Die Parfümerie in der Rue du Roi de Sicile musste, vorab beurteilt anhand des Internet-Auftrittes, einfach ein Volltreffer sein. Sie war das End-Ziel seines Rundgangs und gewiss ein Lichtblick des heutigen Tages.
Als er die Tür des kleinen Ladens öffnete, war er dankbar für die Wärme, die ihm entgegenschlug; der spätsommerliche Abend war unvermutet recht kühl geworden. Etwas abwesend grüßte er die junge Verkäuferin, denn sein Blick war von den opulent dekorierten und bestückten Regalbrettern angezogen worden. Er würde manches von seiner Liste abarbeiten können.
Sie sprach ihn abermals an, routiniert und natürlich auf Französisch; doch auf seine in entschuldigendem Englisch gehaltene Replik hin antwortete sie ebenso versiert. Ihr Akzent war hinreißend und erst jetzt fiel ihm auf, wie hübsch sie war. Lange, blond-gewellte Haare und helle, blaue Augen, weit auseinanderliegend, passend zu einem offenen, freundlichen Gesicht.
Sie blieben allein im Laden. Er hatte angesichts des großen Angebots beschlossen, sich auf die Weihrauchdüfte zu beschränken, die er selbst an wärmeren Tagen anderen vorzog. Duftstreifen um Duftstreifen wurde ihm gereicht, viel geredet, gefachsimpelt und gelacht; das allfällige „Where do you come from?“ kam ihm keineswegs höflich-aufgesetzt vor. Irgendwann fiel sein Blick auf einen schwarzen, würfelförmigen Flakon ganz hinten rechts auf einem Regalbrett, den er seltsamerweise bislang nicht bemerkt hatte: Black Cube. Nanu, von Ramon Molvizar hatte nichts im Internet gestanden. Den Schwarzen hatte er längst mal probieren wollen, wenngleich der preislich außer Reichweite war. Die Verkäuferin war seinem Blick gekonnt gefolgt und hatte den Flakon schon in der Hand, bevor er seine Bedenken zu Ende hatte tragen können. Obwohl ihm sein gemurmeltes „too expensive“ beinahe im Hals steckenblieb, hatte sie ihn verstanden und nickte - nicht mitleidig, sondern komplizenhaft.
Als er ihr den Arm zum Aufsprühen hinhielt, ergriff sie seine Hand und hielt sie einen Augenblick fest, damit er sie nicht sofort zur Nase hob. Ihm lief es bei der Berührung heiß den Rücken hinunter. Gleichsam ins Teenager-Alter zurückversetzt, fragte er sich, ob das alles nun professionelle Freundlichkeit war oder…
Was für ein zurückhaltender und trotzdem selbstbewusst-präsenter Duft! Als erstes kam ihm tatsächlich Epic Man in den Sinn, innerhalb von Sekunden wurde indes deutlich, dass der Amouage – den er dennoch sehr schätzte - dagegen geradezu grobschlächtig wirkte. Feiner Weihrauch und eine edle Holznote. Eine Spur Frucht und Gewürz. Vornehm und vorzüglich verwoben. Köstlich.
Um das Durcheinander im Kopf zu sortieren, beschloss er, nichts mehr zu testen. Ein kleiner Spaziergang würde ihm in jeder Hinsicht gut tun und schließlich war das Geschäft bis 21 Uhr geöffnet.
Draußen schlenderte er die schmale Rue du Roi de Sicile und ihre Fortsetzung, die Rue de la Verrerie, entlang und sog gelegentlich vom Duft ein, der verführte, statt zu erschlagen. Weihrauch und Pfeffer. Geruchlich ohnehin eng verwandt, hatte die Verkäuferin gemeint. Es war genau spürbar, dieses Changieren einer weißlichen Weihrauchnote mit dem rosa – sogenannten - Pfeffer, dem freilich gewiss weißer beigesellt war. Nach einer Stunde hatte sich zudem eine süßlich-kompakte Holznote gebildet, der aus Black Afgano nicht unähnlich, nur nicht ansatzweise derart penetrant-laut, sondern eleganter und vor allem natürlicher gehalten. Warmer Weihrauch dazu, behutsam anschwellende Süße wie von Honig… Aber immer wieder schweifte seine Aufmerksamkeit vom Duft ab und in den Laden zurück.
Es war bereits kurz vor neun, als er ihn zum zweiten Mal betrat. Einen Entschluss hatte er nicht gefasst. In ihrem Gesicht glaubte – oder wünschte? – er, echte Freude zu erkennen. Ehe er sich’s versah, hatte er plötzlich auf den Flakon gezeigt und die tückische Plastikkarte gezückt, Wahnsinn.
Als sie um den Tresen herumtrat und ihm die Tüte reichte, hielt sie in ihrer Bewegung inne und auch die begleitenden Worte mochten wohl nicht so routiniert fließen wie üblich. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Als wolle sie Aufschub gewähren, Mut und Anstoß für eine kostbare Entscheidung geben. Und endlich entwich der den ganzen Abend im Stillen geformte Satz. Die folgenden Sekunden, binnen derer sie zartrosa anlief, dehnten sich endlos und ihm stieg kribbelnde Hitze am Kragen hoch. Bis ihn ein „Oui“ erlöste.
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Im vergangenen Sommer habe ich Paris mit meiner Familie besucht. Gemeinsame Spaziergänge an allen erwähnten Orten wurden zur Inspiration für diese Geschichte. Wir kommen wieder. Die Franzosen werden sich nicht unterkriegen lassen.
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