Norne 2012

Version von 2012
Alan
16.06.2014 - 23:38 Uhr
16
Top Rezension
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft

Der Albtraum des Forstaufsehers

"Norne" ist der Außenseiter unter meinen Duftproben. Niemals muss ich mir Sorgen machen, meine kleine Phiole unter den unzähligen anderen Pröbchen nicht zu finden, denn unter den transparenten, champagnerfarbenen und tiefgoldenen Gesellen sticht "Norne" hervor wie ein Goth unter einer Ansammlung von Balletttänzerinnen: Schwarz wie Tinte sinniert er über den Weltenschmerz in seiner Phiole, und ich achte immer ganz streng darauf, ihn ja nicht neben die rosa getönte "Narcotic Venus" zu legen, ich will hier immer keinen Zank in meiner Probenbox. "Norne" soll ausschließlich aus natürlichen Absolues komponiert sein, worauf ich die dunkle Farbe zurückführe. Entweder das, oder der Schöpfer empfindet eine perfide Freude daran, an den Trägern seines Parfums olivgrüne Flecken zu hinterlassen. Beware!

Nachdem nun also mein Arm erst einmal aussieht, als hätte man mich misshandelt, führt mich "Norne" geradewegs in meine Kindheitstage zurück, die ersten paar Minuten unglücklicherweise ausgerechnet zu jenen Tagen, an denen der Geruch von Wick Vaporub von meiner Brust aufstieg. Vermutlich wäre der medizinische, kampferartige Geruch nicht halb so schlimm, würde ich ihn nicht ausgerechnet mit Triefnasen und Hustenanfällen verbinden, und das sind naturgemäß keine besonders glanzvollen Erinnerungen.

Glücklicherweise ist der medizinische Auftakt nicht besonders beharrlich und weicht schon bald dem Eindruck eines Nadelwaldes. Trotz der dunklen Farbe und des düsteren Marketingsprechs erscheint mir "Norne" nicht als finsterer Spukwald, was vielleicht daran liegen mag, dass als Kind der Wald mein liebster Spielplatz war, in endlos erscheinenden Sommern. Die Sonnenstrahlen erwärmen die Nadelbäume und lassen ihren aromatischen Geruch zwischen den harzigen Stämmen schweben, während man über den schattigen, federnden Waldboden schreitet, den weder Sonne noch Regen so richtig erreichen können. Denn dies ist ein reiner Nadelwald und wie bei seinem realen Vorbild hat dieser duftige Wald kaum saftig-grünes Unterholz zu bieten. Der Boden ist trocken und von abgestorbenen Nadeln bedeckt, und bietet so nur wenig Anreiz für feuchtes Moos und dichtes Gestrüpp zu den Füßen der Nadelbäume, höchstens ein wenig genügsamer Efeu klammert sich an. Das ist "Norne" für mich: Holz, klebriges, duftendes Harz, warme Kiefernadeln und gefiltertes Sonnenlicht.

Zumindest ein Teil davon. Der andere Teil ist Rauch, und wenn dieser Rauch von Weihrauch gestellt wird, so ist es der erste deutlich wahrnehmbare Weihrauch, der mich nicht schreiend in die entgegengesetzte Richtung laufen lässt. Mein Vater hatte die Angewohnheit, Totholz und abgeschnittene Äste in einer Grube auf der Wiese zu verbrennen, und dieser Geruch begegnet mir nun wieder, nicht der frische Rauch, sondern der Geruch angekokelten Holzes. Das Feuer ist niedergebrannt und ein erster Regen hat die versengten Holzteile bereits von den größten Brandrückständen reingewaschen und lässt nur den Geruch nach leicht angebranntem Holz zurück. Jemand hat also in diesem trockenen Nadelwald ein Lagerfeuer entzündet, und während der Forstaufseher unseres olfaktorischen Waldes gerade eine ernsthafte Panikattacke erleidet, genieße ich immer wieder tief einatmend dieses Zusammenspiel. Kommt man näher, dominieren die rauchigen Noten, aus der Entfernung umweht einen ein Kiefernwald. "Norne" riecht nicht wie ein Parfum, sondern wie ein Ort, und erst nach einigen Stunden erhält man mehr als diesen rohen, aber bestechenden Dufteindruck.

Der Duft wird ein wenig rauchiger, die Harze balsamischer und ein klein wenig süßer. Zum ersten Mal bemerkt man, dass man hier doch nicht im Wald steht, sondern etwas Menschgemachtes unter der Nase hat. "Norne" wird runder, weicher und harmonischer und verbleibt auf diese Art wiederum einige Stunden als Begleiter auf der Haut, ehe sich am Ende des Tages schließlich eine Gewürznote einmischt, mit der ich nicht so recht warm werden will. Für mich riecht sie nach Galgant, ein Gewürz, dessen Geruch ich am ehesten als scharf, bitter und ein wenig säuerlich beschreiben würde. Es ist nur ein Hauch davon und kurz darauf muss der olivgrüne Fleck auf meinem Arm auch wieder nach einem langen Tag der Dusche weichen.

Übrigens erschnuppere ich hier nicht die geringste Spur des angegebenen Schierlings, welcher für mich einen ziemlich einprägsamen Geruch besitzt, recht beißend, ähnlich wie, nun, gewisse Unterführungen. Vielleicht war hier vielmehr ursprünglich die Hemlocktanne gemeint, vielleicht soll die Duftpyramide "Norne" aber auch nur einen gefährlichen Anstrich verleihen. Vollkommen gleichgültig, dieser Duft ist reinste Aromatherapie. Und genau da ist auch ein wenig mein Problem: "Norne" ist außergewöhnlich und zugleich ein Wohlgeruch, aber es ist sicherlich nicht das, was man klassisch als Parfum betrachten würde. Zu welchen Gelegenheiten trägt man Kiefernwald und Lagerfeuer? Nach viel Gehadere mit mir verringere ich meine ursprüngliche Bewertung daher um zehn Prozent, da ich "Norne" eher als Duftreise betrachte und mir nicht vorstellen kann, ihn regelmäßig als Parfum zu tragen, dazu beschwört er für mich einen zu realistisch riechenden Ort herauf. Ohne schimpfenden Forstaufseher, zugegebenermaßen, aber wie die riechen, das weiß ich auch gar nicht so genau.
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