Das Süßgras und ich, wir sind ja sooo dicke miteinander - egal ob in Encre Noire, Lalique White, Terre d’Hermes, Vetiver Extreme, Kenzo Air Intense, Aedes de Venustas oder – homöopathischer dosiert – in Infusion d’Homme. So dicke Kumpels sind wir, dass ich das dringende Bedürfnis nach einem Seitensprung empfand (was möglicherweise meinen jüngsten Erfahrungen geschuldet ist: Da verdrosch mir ein besonders ungehobelter Vertreter der Gattung Süßgras gehörig den Riechkolben. Dennoch: selbst Heeleys Etüde Vetiver Veritas verfehlt ihre Wirkung auf mich nicht).
Mit wem ich fremdgehen wollte, war recht schnell geklärt: Die holde Iris hatte ich auserkoren, mir Lust zu bereiten. Ihren Reizen erlag ich in Pradas Infusion d’Homme, auch wenn das anfangs eine etwas antrainierte Übung war: Zu gering erschien die Kompatibilität zwischen ihrer lieblichen Pudrigkeit und meinem männlichen Selbstbild. „So’n Mädchenscheiß!“, schmähten meine Testikel, scheinbar völlig immun gegenüber dem Charme der Schwertlilie. Meine Nase wusste es besser: Sie verguckte sich in Pradas Infusion – zumindest so nachhaltig, dass die Finger bei der Duftwahl inzwischen immer wieder einmal magisch vom Flakon angezogen werden.
Kein Wunder, dass mich beim nächsten Bummel Bois d’Iris von TDC beinahe im Sturm erobert, bis… „Noch so’n Mädchenscheiß, und wir ziehen aus!“, konstatieren grimmig die Testikel, und ich Schwächling gebe nach – vorerst! Also sage ich stattdessen Grüß Gott zu meinem besten Kumpel (s.o.), der sodann in verschiedenen, mir völlig unbekannten Kompositionen antritt, meine Nase erneut zu beglücken. Ziemlich fesch paradiert er in Vétiver Fatal – aber nach meinen Erfahrungen mit seinem rauen Kumpel Veritas gibt er sich hier doch etwas zu bescheiden, gleichgültig, wie fatal er sich fühlen mag.
Schließlich kommt der Fachverkäufer meines Vertrauens mit einem weiteren Duftstreifen. Eine Kardamonwolke begleitet ihn, zitrisch umflort von einer adligen Grapefruit, die ihre Jugend auf einem englischen Elite-Internat verbracht haben muss: ein so präsentes Understatement will erst einmal gelernt sein. Daneben weht schon in der Kopfnote eine Prise Süßgras von der kultivierteren Sorte: Kein Wurzelsepp, sondern ein barbershop-freundlicher Genosse mit guten Manieren und Distinktion. (Na gut - vielleicht trägt er 3-Tage-Bart - trotz Barbershop - und Jeans zum Sacco; aber sonst: voll der Gentleman!)
Grapefruit an Vetiver – wie originell, denke ich im ersten Moment, und schicke ein Stoßgebet an den Vater der Parfumeurin, er möge jetzt nicht jeden Duft quasi genetisch verterrehermessen. Gott sei Dank wabert da noch der Kardamon im Geschehen: Die Tochter ist offensichtlich emanzipiert und schlägt mit der würzigen Schote den Bogen zur klassisch-seifigen Vetiver-Erzählung, - das zumindest denke ich und verlange entschlossen die Befeuchtung meiner Haut.
(Ich überspringe die analoge Entwicklung auf dem lebenden Objekt, den Kauf, die Heimfahrt und allen anderen Kram, der sich seither ereignete, und werde fürderhin bemüht sein, näher am Thema zu bleiben. Versprochen! Dass ich mich bemühe! Nicht, dass es auch klappt…)
Klassisch-seifig entwickelt sich der Duft natürlich nicht (auch wenn der Hauch einer Rosengeranie diesen Weg zumindest nicht verstellt). Stattdessen streut die Parfumeurin Salz auf die Grapefruit. Das prickelt gehörig und versetzt auch meinen Kumpel in Schwingung: Die Vetiver-Vibes werden stärker, der Duft seinem Namen gerecht. Ich betrachte meinen Unterarm und warte darauf, dass sich weißliche Salzablagerungen auf der Haut zeigen, als - gänzlich unerwartet – meine geschmähte Holde die Bühne betritt.
Ich wette, nicht einmal mein Fachverkäufer hat den Besetzungszettel dieses Schauspiels so genau im Kopf, als er mir Sel de Vetiver anbietet. Falls doch, ziehe ich meinen Hut vor seiner Expertise: Erst will der Kunde Iris, dann doch nicht, dann Vetiver (selbstverständlich neu erzählt) – und was macht mein Berater? Er zaubert Sel de Vetiver samt Iris aus dem Hut (den ich bei der Gelegenheit gleich nochmals ziehe!)
Was mich besonders beglückt ist die Tatsache, dass es einmal nicht die Kopfnote ist, die den Duft heraushebt: Der Start ist durchaus gelungen, aber frei von jedem echten Alleinstellungsmerkmal. Spannend wird es, wenn die Gischt ins Aroma sprüht und ihren Salzatem verbreitet; anders als es die Duftpyramide vermuten lässt, geschieht das recht früh (und mit einiger Wucht). Irgendwann aber glätten sich (beinahe buchstäblich) die Wogen, und die Salzattacke verebbt. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein Meer, dessen Strände von vetiverbewachsenen Dünen gesäumt sind. Helles Treibholz, poliert von Wasser und Sand , liegt zwischen den Stängeln. Während die Sonne langsam sinkt, treiben im ablandigen Wind zarte Dunstschleier über die Dünen gen Meer. Sie überziehen die Halme des Vetivers mit einem Hauch von Süßwasser, umhüllen sie sanft und hinterlassen das ätherische Aroma der Iriswurzel.
Die Nacht bricht herein. Das Meer ruht still und schweigend. Frieden.
Was meine Testikel zu dieser Iris sagen? Mit Verlaub – die sind zwar schmerzempfindlich, aber nicht unbedingt sensibel; bislang haben sie noch gar nicht geschnallt, dass ich sie hintergangen habe. Lassen wir’s einfach dabei.
Bislang scheint die Haltbarkeit im guten mittleren Bereich angesiedelt, die Sillage hingegen wirkt ein wenig aquatisch-schwachbrüstig. Für die Dauer des Salz-Vetiver-Akkords ist das vielleicht umweltverträglicher, im weiteren Duftverlauf dann allerdings mehr als bedauerlich: für mich ist Sel de Vetiver einer jenen rar gesäten Düfte, die ihre Entwicklung in der Basis zur Vollendung führen.
The different company verzichtet beim Flakon auf jedes Brimborium und bedruckt den fast quadratischen Glaskörper mit schlichten schwarzen Lettern. Zusammen mit dem tonnenschweren Deckel sorgt das für einen sehr wertigen Auftritt frei von dramatisierenden Schnörkeln.
Für das Drama ist ja ohnehin die Salzeinlage zuständig. Wer sich mit ihr nicht befreunden kann, wird mit Sel de Vetiver sein Glück nicht finden. All’ Jene, die Lust haben auf eine Süßgrasbegegnung der etwas maritimeren Art, könnten hier fündig werden - auch wenn der Duft seine sperrigen Momente hat. Spätestens in der Basisnote aber offenbart Sel de Vetiver eine friedliche Schönheit von erlesenster Klasse.
Prädikat: besonders wertvoll!
PS: Das jemand wie ich, der tendentiell Linearität bei Düften nicht gering schätzt, sich so bereitwillig auf Sel de Vetiver einlässt, hat einen weiteren, sehr konkreten Grund: Das Wässerchen beherrscht „olfaktorisches Storytelling“ und nimmt den Träger mit auf eine erlebnisreiche Reise ans Meer…