Auf Umwegen kam ich zu diesem Duft: als Liebhaber alter Guerlain-Düfte war ich jahrelang auf der – letztlich erfolglosen – Suche nach dem legendären Djedi, einem, so wird berichtet, trockenem Chypre mit kräftigen Vetiver-Noten und animalischen Untertönen. Ende der 90er Jahre produzierte Guerlain noch einmal eintausend Flakons, die sofort vergriffen waren. Seither wird hin und wieder ein Fläschchen davon zum Kauf angeboten - zu astronomischen Preisen.
Bis heute habe ich es nicht geschafft eines davon zu ergattern, aber seit einiger Zeit habe ich einen Ersatz: Onda.
Als die Schweizer Aromatherapeutin und Parfumeurin Vero Kern – sie lernte ihr Handwerk bei keinem Geringeren als Guy Robert! – vor wenigen Jahren mit drei eigenen Düften auf den Markt kam, da waren sich die Parfum-Enthusiasten und Kritiker einig: Onda sei auf das Engste verwandt mit dem berühmten Djedi, so eng, dass man es als vollwertigen Ersatz betrachten könne.
Bald bestellte ich mir ein 15ml Fläschchen (nicht ganz billig, ist aber auch ein Extrait de Parfum), das ich umgehend erhielt: ein kleines Päckchen, von der Parfumeurin persönlich gepackt und mit meiner Adresse versehen, darin ruhte - in von Hand ausgeschnittenen Schaumstofflagen - in einer Aussparung ein kleines violettes Filz-Säckchen, in dem der wunderschöne kleine Flakon steckte. Wie einen Schatz hielt ich diesen stolz in Händen, öffnete vorsichtig den Glaspfropfen-Verschluss und tupfte mir etwas auf den Handrücken: WOW!!! Was für ein Duft!
Ich kannte ja Vetiver-Düfte der verschiedensten Art, oft gepaart mit zitrischen Noten, manchmal mit Tabak, oder mit diversen Blüten. So aber kannte ich Vetiver noch nicht: ein tiefdunkles, animalisch-ledriges Aroma stieg von meinem Handrücken auf, durchzogen von scharf-würzigen Noten und Nuancen von bitterem schwarzen Tee und frischem, rauchigem Teer. Assoziationen von lange getragenen, alten Lederhandschuhen kamen mir in den Sinn, oder von Pelzen in denen noch leise der tierische Duft schlummert. Pelze oder Handschuhe die ein Mann oder auch eine Frau getragen haben konnte, allerdings vor vielen Jahren. Denn diesem Duft haftet etwas an, was weit in die Vergangenheit zurück reicht: in die Zeit der großen Ozeandampfer auf der Atlantik-Passage, der Zeit des Art-Deco und des Stummfilmes, der Zeit Pola Negris und Rudolph Valentinos. Ein Duft, der sich ohne weiteres zwischen Carons Tabac Blond und Chanels Cuir de Russie, zwischen Knize Ten und Piguets Bandit einreiht – ebenso großartig und eigenwillig, und ebenso frivol mit den Geschlechtergrenzen spielend. Dabei dunkler als diese, irgendwie strenger, und noch tiefer in animalische Abgründe eindringend.
Und obwohl dieser Duft in mir all diese Assoziationen hervorruft, empfinde ich ihn nicht im Geringsten als altmodisch oder aus der Zeit gefallen, sondern auf eine Weise modern wie ich noch heute Bilder von Picasso modern finde, oder eine Symphonie von Gustav Mahler. Natürlich gibt es Moderneres, Zeitgenössischeres, aber gab es je Besseres?
Auf die Frage welchen Frauentyp sie ihren Parfums zuordnen würde, hat Vero Kern in einem Interview einmal gesagt: „Bei onda ist es ganz schwierig. Es kann eine dunkelhaarige oder eine blonde Frau sein. Sie trägt einen Smoking und High Heels von Yves Saint Laurent. Charlotte Rampling passt toll zu onda! Ich denke alle drei Düfte sind androgyn und können von allen getragen werden. Auch von Männern.“
Interessant fand ich vor allem, dass sie Charlotte Rampling erwähnte, die von einer anderen Parfumeurin, nämlich Lynn Harris, ebenfalls als ideale Trägerin für einen ihrer Düfte auserkoren wurde, für ihr Vetiver Bourbon: „...if a woman was bold enough to wear this, think 1970's Charlotte Rampling in a St Laurent smoking suit.“
Wie sich die Zuordnungen doch gleichen! Und wie sich in gewisser Weise auch die Düfte ähneln, vorausgesetzt natürlich Onda und Djedi sind wirklich so ähnlich. Dazu sagt Vero Kern: „Djedi von Guerlain aus dem Jahr 1927 ist in Amerika mittlerweile schon Kult. Die Amerikaner suchen im Internet sehr viel nach den alten Vintage-Düften, die nicht mehr im Handel sind. Zum Teil auch Sachen die ich überhaupt nicht kenne. Sie haben herausgefunden, dass onda so ähnlich ist wie Djedi. Djedi wurde 1997 neu aufgelegt als Limited Edition. Eine einmalige Edition mit dem Original-Flakon – alles zusammen für 1.200 Franken. Fantastisch. Ich habe das erst nachher erfahren, als ich den Duft schon geschaffen hatte. Das war natürlich sehr von Vorteil. In allen Blogs und Foren wurde darüber berichtet. Ich habe etwas von diesem Duft von einem Freund erhalten und habe festgestellt, dass es ähnlich ist, sehr ähnlich sogar. Das hat mir sehr viel Freude gemacht.
Ich muss allerdings auch sagen, dass onda die Leute oft erschreckt. Es ist ein Duft, der sehr stark polarisiert. Aber das spielt für mich keine Rolle, ich finde es gut, denn es bedeutet, dass er nicht langweilig ist.“
Ich finde Onda überhaupt nicht erschreckend, bestenfalls erschreckend gut, kann aber nachvollziehen, dass er manche zu erschrecken scheint. Unsere Nasen sind heute, vor lauter Frische-Wahn, gehaltvolle und gewagte Düfte nicht mehr gewohnt. Alles was auch nur im leisesten Verdacht steht ein gewisses „Odeur“ zu entwickeln wird gnadenlos desinfiziert und deodoriert, oder wie aromatischer Käse als üble Stinkerei verleumdet. Da muss ein Parfum wie Onda natürlich wie ein Anschlag auf unsere Sinne wirken. Einer aufgeschlossenen Nase aber, eine die nicht schon beim leisesten animalischen Hauch zu kollabieren droht, eine die gerne an altem Leder und Pelz schnuppert – einer solchen Nase sei Onda dringend empfohlen.
Und wem das Extrait de Parfum zu sehr die Sinne verwirrt, der versuche es mit dem kürzlich erschienenen Eau de Parfum – ein frischeres, ein leichteres Onda, mit einer delikaten Passionsfrucht-Note, doch davon an anderer Stelle mehr.
Ich für meinen Teil bevorzuge den vollen Onda-Sound, bin aber dennoch froh, dass es nunmehr auch eine weniger offensive Variante gibt.