Immer der Nase nach - Treffen und Interview mit Erik Kormann

Wenn man in Berlin immer der Nase nach geht, führen einen die Duftspuren ziemlich sicher zu echt Berliner Orten:

Unweigerlich navigieren Knoblauch- und Bratenduft zu einer Dönerbude. Tee, Hanf und Patchouli wehen aus Kreuzberger Hinterhöfen, wo lauter Kreative irgendwelchen alternativen Ideen und Handwerken nachgehen und die Knotenpunkte des ÖPNV wie der Alexanderplatz riechen nach Stress, Hektik, Schweiß und einem Gemisch von günstigen Mainstreamparfums. Kommt man aber ins Umfeld der Hackeschen Höfe mit den wunderschönen Jugendstil-Klinkerfassaden, riecht man plötzlich fruchtig-holzig-kuscheliges Javanol und Seife.

Diesem Wohlgeruch folgend führt einen die Duftspur direkt zum Ladengeschäft von „1000 & 1 Seife“ (http://www.1001seife.de) und zum Parfumeur Erik Kormann, dem Verfasser des Aromatischen Blogs (http://www.aromatisches-blog.de/) und zurzeit leidenschaftlichen Jünger des glanzvoll duftenden Javanols.



Erik Kormann besteht darauf, kein Parfumeur zu sein. Er sagt „Parfumeur… das heißt, dass man jahrelang gelernt hat, Duftbausteine zu erkennen und zu kombinieren, dass man natürliche Noten übersetzen und zerlegen und sie gewissermaßen „blind“ wieder aufbauen kann. Wer das kann, ist ein Parfumeur. Ich hingegen mache nur Parfum.“

Wir aber finden, dass einer, der Parfum macht, sehr wohl ein Parfumeur ist und freuen uns, heute die Nase hinter Düften wie z.B. „Eau de Fröhliche“ 1 und 2 sowie „September“ zu treffen, mit ihm über Parfumkomposition zu sprechen, über natürliche und synthetische Noten und darüber, was einen dazu bringt, eine abstrakte Duft-Idee so reizvoll zu finden, dass man sie konkret umsetzen will, dass man etwas entstehen lässt, was ganz real und sinnlich greifbar dem am Anfang stehenden bloßen Gedanken entsprungen ist.

Duftliebe in der Nische

Der sympathische Erik Kormann hat sich heute extra Zeit genommen für uns… und die brauchen wir auch für exzessives Riechen an einzelnen Noten, vertieftes bis versessenes Fachsimpeln und lebhaftes Gespräch, manchmal begeistert plapperig, manchmal nachdenklich und methodisch planvoll.

Er reicht seinen Arm im Javanol-getränkten Jackenärmel zum Schnuppern über den Tisch und erzählt, wie ihn diese Note fasziniert hat, wie ihn dieser eine Geruch so fesselte und inspirierte, dass daraus ein Parfum entstehen musste: sein „September“: „Ich liebe Javanol! Mein „September“ ist das Resultat echter Duftliebe!“ Er erzählt uns von der spannenden Entwicklungsarbeit an „September“, von seiner Suche, seinen Wegen und Irrwegen, bis er die optimale Lösung für sein Herzensprojekt fand – und kürzlich auf ein Echo traf, dass ihn zutiefst berührte, bestätigte und aufs Neue inspirierte: Das Feedback von Philip Kraft, dem superprominenten Duftchemiker von Givaudan. Wir finden seine Erzählung hiervon so dermaßen interessant, dass wir spontan beschließen, hierzu ein Extra-Feature für den Parfumo-Blog zu machen. In Bälde wird aus unseren Notizen der spannende „September“-Report entstehen.

Mit einer solchen Konsequenz einer Duftliebe nachgehen zu können, ist wohl der Nischenposition vom „Aromatischen Blog“ geschuldet - an Nischigkeit ist das Label nämlich kaum zu überbieten. Ohne riesiges Kapital und professionelle Hypervernetzung im Hintergrund arbeitet Erik Kormann mit dem Material, dass ihm in vergleichsweise verschwindend kleinen Mengen zur Verfügung steht. Ist das nur Beengung oder auch - wie wir angesichts des kolossalen Javanol-Flashs in „September“ vermuten - Freiheit? „Zum einen ist es einschränkend, weil ich nicht hektorliterweise dies und das einfach ordern kann, weil ich mich im Rahmen der Anmeldung meiner Rahmenrezeptur bewegen muss - was bedeutet, dass bei jedem neu eingesetzten Duftstoff behördlicher Aufwand entsteht. Zum anderen macht Not erfinderisch und ich kann Schätze entdecken, wie zum Beispiel das Rosenöl in „Eau de Fröhliche Nr. 2“, was mir von meinem 88jährigen Onkel aus Bulgarien mitgebracht wurde oder das Fass des einzigartigen Weihrauchs, das auf wundersamen Wegen zu mir fand. Zum anderen bin ich frei, jede Idee umzusetzen: Ich kann mit Parfums meinen Lebensunterhalt eh nicht bestreiten, muss also auch nicht auf einen großen Umsatz schielen. Es ist einerseits Behinderung und andererseits Quelle für Kreativität.“


Demokratisierung des Parfums

Wir fragen, warum er einen Blog über Parfum und dessen Rohstoffe schreibt. Für ihn hat das, sagt Erik Kormann, etwas mit Authentizität und Ehrlichkeit zu tun. Und das sei beim Thema Parfum eher die Ausnahme: „Für Parfums besteht immer eine große Kitschgefahr – man schaue sich nur so manche Flakons an! Zum Kitsch kommt dann noch konstruierte Mystik, z.B. mit den Inhaltsstoffen, der Geheimniskrämerei um die Mixtur, den Legenden um die Entstehung und das alles. Aber der Zauber von Parfum braucht keine Geheimniskrämerei. Ich möchte, dass möglichst viele nachvollziehen können, was ich mache und wie meine Parfums entstehen. Wo die Duftstoffe herkommen, wie ich sie verwende. Und ich möchte, dass auch andere selbst Duftstoffe mischen und ihre Erfahrungen machen.“

Der Blog gibt den Blick frei auf die direkte Arbeit des Parfumeurs Kormann, aber er stellt auch noch viel mehr dar: Übergreifendes Parfumwissen, gut recherchierte wie interessante Einzelfakten und Begreifen von Zusammenhängen – und das alles sprachlich höchst genießbar, witzig und klar dargestellt. Als Ronin das erwähnt, schaut Erik Kormann kurz zur Tischplatte und murmelt: „Ich schreib halt das, was mich gerade beschäftigt.“

Da muss Chemie rein!

Wie kam er eigentlich zur Parfumerie? Führte seine Biographie zwangsläufig zur Werkbank mit hunderten von Fläschchen und Pulvern? „Ganz und gar nicht, ich war nämlich nacheinander Tischler mit dem Ziel Arbeitstherapeut, archäologischer Ausgrabungstechniker, Kameraassistent, studierte dann Kulturwissenschaften – zuerst zusammen mit Musikwissenschaften, später Gender Studies. Nach abgeschlossenem Studium habe ich schließlich für meine Partnerin Xenia den Verkauf ihrer Seifen übernommen und mit den Möglichkeiten der Seifenmanufaktur bin ich zum Komponieren von Parfum gekommen.“

Wir fragen wie für ihn die Anfänge waren. Was waren die ersten und grundlegenden Lektionen, die die Annäherung an Parfumhandwerk und Parfumkunst brachte? „Edith Schwarz von der „Aromawerkstatt“ in Potsdam ist eine private Zufallsbekanntschaft und ist quasi zu meiner Mentorin geworden – sie vermittelte mir die Grundlagen zu ätherischen Ölen und ist immer noch eine meiner wichtigsten Beraterinnen. Von ihr lernte ich den Satz: ‚Mit Zimt und Lavendel kannst Du Dir alles versauen.‘“

Als wir diese simple und so wahre Weisheit hören, pflichten wir ihr lachend bei. Erik Kormann fährt fort: „Da sie selbst von sich sagt, dass Aromachemikalien, also synthetische Duftstoffe, zwar schön seien, sie davon aber keine Ahnung hätte, startete ich die Parfumkomposition nur mit natürlichen Ölen. Aber ich kam sehr schnell an Grenzen: Alles pappte zusammen, den Düften fehlte es an Glanz – bis Profiparfumeur Geza Schön mir sagte: „Da muss Chemie rein!“. Ich kaufte mir die ersten Chemicals, probierte - und auf einmal fingen die Düfte an zu leuchten, zu strahlen! Erst jetzt wurden aus Duftmischungen Parfums.“

Wir haken nach: Was bedeutet Duftsynthetik für Erik Kormann?

„Die Antwort Philip Krafts im Parfumo-Interview auf die gleiche Frage finde ich sehr gut: Isolierte, synthetische Riechstoffe können wir als Duftwörter verstehen, ätherische Öle hingegen als ganze Duftsätze.“

Wie ist das genau, wenn er ein Parfum entwickelt? Ist da am Anfang eine konkrete Duftidee, eine Vorstellung, wie das Parfum am Ende sein soll oder ist da zuerst nur eine Spur, eine kreative Fährte, die es gilt entlang zu gehen? „Der Startpunkt ist für mich immer eine konkrete Idee. Nehmen wir zum Beispiel ‚Eau de Fröhliche’: Weihrauch ist orientalisch, Geschichten aus 1000 & 1 Nacht, Geschichten ferner Länder. Weihrauch ist nicht ‚Cool Water’ oder ‚L’Eau d’Issey’. Wir gehen auf eine lange Schiffsreise und packen unterwegs alles in unsere Truhen, was es zuhause nicht gibt, Kardamom, Pfeffer und andere Gewürze, Rosenöl. Das war die Idee für Nr. 1. Aber es gibt auch die Idee des aufsteigenden Weihrauchs, der durchaus etwas Kühles und Frisches hat. Das Nüchterne daran mag ich nicht, und so ist ‚Eau de Fröhliche Nr. 2’ als Gratwanderung zwischen balsamischen und frischen Akzenten zu verstehen. Nr. 3 hat als Idee die Kombination Weihrauch mit Frucht, einer süßen, üppigen Frucht .Ich denke da Richtung Gummibärchen.“

Work in Progress

Erik Kormann grinst beim Wort „Gummibärchen“ und lässt uns am aktuellen Entwicklungsstadium von „Eau de Fröhliche 3“ riechen: die gleiche, großartige Weihrauchqualität der ersten beiden Parfums der Serie, diesmal in Kombination mit einer herrlich saftigen Cassisnote. „Ich bin noch nicht fertig, der Duft soll noch viel süßer werden, so ein richtiger Knaller!“

Was sind für Erik Kormann die zurzeit spannendsten Einzelnoten?

„Ich liebe natürlich Weihrauch, wie meine Eau-de-Fröhliche-Serie zeigt. Javanol finde ich himmlisch, deswegen ist so viel davon in „September“ enthalten. Noten, denen ich mich in Zukunft widmen möchte, sind zum einen Heliotropin und zum anderen Amber bzw. ambregris-ähnliche Duftstoffe: Was kommt dem natürlichen Amber am nächsten? Welche Facetten werden von welchen synthetischen Duftstoffen besonders betont? Das ist extrem spannend und vielfältig!“

Eine weitere Idee, die er gerade verfolgt, kreist um das Thema „Steampunk“ - Anregt vom Modeimpuls in Film, Literatur und Stiling, entwickelt Erik Kormann gerade ein neues Parfum. Auch hier halten wir unsere Nasen über die uns gereichten Proben der aktuellen Zwischenphase: Sehr viel versprechend finden wir! Und das, obwohl u.a. die Kopfnote noch komplett fehlt! Louce kann die Maschinenromantik und den Retrocharme im angeharzten und elemigekickten Zedernduft förmlich riechen und kommt aus dem bestätigenden Nicken nicht mehr raus, als Erik Kormann erzählt, wie er das Jules Verne-Abenteuerfeeling olfaktorisch einfangen will. Entzückt vom spannenden Duftprojekt fängt sie an, mit zu fantasieren und will Ideen beisteuern: Die angestaubte viktorianische Blumenpoesie mit verhehlter und verdeckter Erotik müsse noch dazu. Veilchen? Rosen? Ronin denkt da eher an eine synthetischer anmutende Blumennote. Erik Kormann hört aufmerksam zu und reibt sich dabei das Kinn… offenbar entstehen sofort Ideen, Duftvorstellungen und –ahnungen im Hirn des Parfumeurs, sofort will er ansetzen und weiter denken.

Er arbeitet schon wieder.

Immer der Idee und der Nase nach.

Wir sind ungeheuer gespannt, wie das Steampunk-Parfum am Ende duften wird und freuen uns aufs erste Riechen. Nicht weniger freuen wir uns auf ein Wiedersehen mit dem inspirierten und inspirierenden Erik Kormann, mit dem wir so eine wunderbar dufte(nde) Zeit in Berlin hatten und werden seine extrem schöne, orangige Überdosis Javanol im Wohlfühlduft „September“ auf unserer Haut und in unseren Nasen mit nach Hause nehmen (Zumindest Louce wird das tun. Ronin ist nämlich teilansosmisch für Javanol und muss, in der Hoffnung, dass da noch was geht, trainieren.).

Louce und Ronin für ParfumoBlog

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