Osten ohne Ostalgie

In der schönen Stadt Finsterwalde konnte ich in den späten 90ern längere Erfahrungen mit den "Ossis" machen. Sauwohl hab ich mich gefühlt: am ersten Abend in der Platte saß ich schon bei den Nachbarn vor der Schrankwand und wurde mit Spreewaldgurken gefüttert. Die Hausgemeinschaft hatte bei Einzug 1970 eigenhändig die Außenanlagen gärtnerisch gestaltet – eisern hielt man an der damals entstandenen Solidarität fest: Blumengießen bei Urlaubsabwesenheit, praktische und moralische Hilfe bei Krankheit und im Sommer ein gemütliches Feierabendbier auf der Bank vor dem Hauseingang!

Nähe und Solidarität waren bitter nötig: die Währungsumstellung zum Kurs 1:1 hatte auch der Finsterwalder "Schraube" den Garaus gemacht: Nägel, Klemmen und andere Kleinteile waren von heute auf morgen nicht mehr marktfähig. Der Konkurs der einzigen erwähnenswerten Industrieansiedlung sorgte für Arbeitslosenquoten um die 30 %. Mit leuchtenden Augen erzählte mir die Friseuse beim Haarschnitt, wie sie früher schon um 5 Uhr morgens nach dem Schichtwechsel ihre Kunden bedienen durfte.

Jeder hatte sich umstellen müssen, also war man offen für Neues und nahm Manches nicht so genau, was im Westen auf Befremden und Ablehnung gestoßen wäre. In der neuen Einkaufspassage gab es einen typischen Griechen – mit Sirtaki-Musik, der Akropolis an der Wand und jeder Menge Ouzo aufs Haus. Doch stellte sich schnell heraus, dass die Betreiber in Wirklichkeit gar keine Griechen waren, sondern Inder. Na wenn schon! Bald konnte man sich fantastische Menüs zusammenstellen: Onion Bajis und Zaziki, oder wie wär's mit einem Gyros „Vindaloo hot“?

Einige freilich stellten sich selber an den Rand: West-Beamte, als Entwicklungshelfer in die brandenburgische Provinz versetzt, kamen sich wie von Feinden umzingelt vor. Sie, die niemals Anlass gesehen hatten, das eigene System in Frage zu stellen, blieben in der Kneipe unter sich und mutmaßten mit einer Mischung aus wohligem Argwohn und Überheblichkeit, wer von den örtlichen Honoratioren wohl bei der Stasi war.

Die Blauäugigkeit der ersten Jahre war vorbei. Nicht jeder und alles, was aus dem Westen kam, wurde freundlich begrüßt. Statt Bio anzupreisen, hingen im Supermarkt die Schilder "Wir führen über 1000 Ost-Produkte!" Und sie wurden gekauft.

Ob ich wohl heute in besagtem Supermarkt in Finsterwalde auch Saxonias Action Man finden würde? Oder beim Friseur? Und wenn ja, in welchem Regal? Bei den Parfums, oder doch bei den Deos?

Action Man ist ein Ost-Produkt ohne Ostalgie. Und doch enthält es so etwas wie einen Code, den nur Eingeweihte deuten können. Der betont schlichte Aluminium-Zylinder wäre in der DDR der letzte Schrei gewesen; damit hätte man es wohl in die Delikatläden geschafft. Doch bei Aldi in Dortmund oder München käme das – wenn überhaupt – vermutlich auf den Grabbeltisch, als Axe für Arme. Man darf davon ausgehen, dass die heutigen Inhaber der Marke Saxonia diese Kundschaft eher nicht im Blick hatten.

Es gibt innere Werte. Action Man umnebelt uns mit einem sehr trockenen, frisch-holzigen Akkord, der ausgesprochen modern wirkt. Gepaart ist das mit schönen zitrischen Noten, welche die sonst vorhandene Nähe zu bekannteren Deos aufbricht und Action Man irgendwie anders erscheinen lässt. Angenehm und ein großer Unterschied zu Axe und Co. ist die dezente Art, die in vergleichsweise schwachem Einsatz der Duftstoffe zum Ausdruck kommt. Man dieselt nicht gleich die ganze Mannschaft mit ein, wenn man nach dem Duschen in der Umkleidekabine Action Man auspackt.

Also Parfum oder Deo, wo soll ich denn nun riechen? Am Handgelenk oder unter den Achseln? Für den letzteren Fall sei noch angefügt, dass sich bei mir im Drydown leichte Anklänge an sehr würzige, etwas an Oud erinnernde Noten einstellten, wie wir sie aus einer Duftrichtung der arabischen Parfümerie kennen - Montales Amber & Spices wäre da zu nennen.

Sehr weit weg ist Action Man von dem bekannten Chefsekretärinnen-Parfum von Casino – anders als jenes ist Action Man vor allem zeitgemäß. Moderne Noten wurden hier mit Sinn und Verstand eingesetzt, was man nicht von allen Vergleichsprodukten sagen kann. Mit der Pragmatik jener Jahre, in denen die Neubesinnung auf die Qualitäten und Eigenheiten des Ostens begann, wird man über Action Man schlicht sagen können, dass es gut riecht, brauchbar und preiswert ist. So transportiert Action Man zwei Botschaften gleichzeitig: Erstens ist die die DDR längst vorbei und zweitens, es gibt uns noch!

Apicius für ParfumoBlog

Foto: © katz23 - Fotolia.com

5 Antworten

Weitere Artikel von ParfumoBlog