Brise, Gischt und Frische

Von Aromatic Fougères bis zu aquatischen Düften - wie Dihydromyrcenol und Calone Dufttrends möglich machten


"Jicky", Meilenstein in der Entwicklung der modernen Parfumerie, ist eines der ersten Parfums mit synthetischen Duftstoffen. Dessen Parfumeur Aimé Guerlain antwortete auf die Frage, warum er solche Duftstoffe verwende, "weil ich damit einen Effekt erzielen kann, den ich mit natürlichen Duftstoffen nicht erreichen kann".

Dieser Effekt kann ganz unterschiedlicher Wirkung sein, z.B. werden andere Duftstoffe in ihrer Wirkung verstärkt oder verändert. Oder es sind einfach Duftstoffe, die anders riechen als alles, was bisher der Parfumeurin oder dem Parfumeur zur Verfügung stand.

Manche dieser Duftstoffe ermöglichen es, neue Trends zu setzen. Ganz sicher zum Beispiel Dihydromyrcenol und Calone. Ohne diese wäre die phase hygiénique seit den 70er Jahren, ein Trend zu immer sauberer riechenden Parfums, vermutlich nicht denkbar.


Dihydromyrcenol


Dihydromyrcenol
ist ein charakteristisch zitrisch und krautig riechender synthetischer Duftstoff mit holzigen und metallischen Aspekten. Da es auch in vielen Waschmitteln eingesetzt wird, wird es leicht mit Frische und Sauberkeit assoziiert. Dihydromyrcenol ist untrennbar verknüpft mit der Renaissance der Fougèredüfte als Aromatic Fougères in den 70er und 80er Jahren. Eine der ersten Verwendungen in der Feinparfumerie war "Paco Rabanne pour Homme" (1973), in dem wenige Prozent Dihydromyrcenol die Lavendelnote verstärken und besonders frisch erscheinen lassen. Für "Drakkar Noir" (1982) wurde die Konzentration auf 10 % erhöht. In dieser Konzentration ist es nicht mehr nur eine Ergänzung der Lavendelnote, sondern deutlich erkennbar als eigenständige Note. Für das, was hier stattfindet, gibt es in der Parfumeriegeschichte mehrere Beispiele, am bekanntesten ist sicher die Entwicklung des Aldehydeinsatzes. Der Schritt von "Paco Rabanne pour Homme" zu "Drakkar Noir" ist vergleichbar dem von Houbigants "Quelques Fleurs" (1912) zu "Chanel N°5" (1921) – während in ersterem Aldehyde dazu dienen, den Blumenakkord natürlicher, heller erscheinen zu lassen, erhöhte Ernest Beaux die Konzentration in Nº5 so sehr, dass der Aldheydkomplex unverwechselbar als eigene Note zu erkennen ist.

Es ist sicher kein Zufall, dass "CK One" (1994) 6 % Dihydromyrcenol enthält: Waschmittelfrische als kleinster gemeinsamer Nenner der Frauen- und Herrenparfums ist ein geeignetes Thema für das vermutlich erste Parfum, für dessen Marketing die Vokabel "unisex" in der Werbung benutzt wurde.

Die Parfumentwicklung mit Dihydromyrcenol ging aber noch weiter - "Cool Water" (1988) von Pierre Bourdon enthält mit 20 % den höchsten Dihydromyrcenolgehalt gängiger Parfums. Die Kombination mit Ambroxan und dem galbanumähnlichen Allylamylglycolat erzeugt (neben der aus "Drakkar Noir" bekannten Waschmittelfrische) einen marinen Geruchseffekt, der Ideen von Meeresbrise aufkommen lässt.

So war Dihydromyrcenol nicht nur maßgeblich an der großen Zeit der Aromatic Fougères der 70er und 80er Jahre beteiligt. Der große kommerzielle Erfolg Cool Waters löste auch den Trend der aquatischen Düfte der 90er Jahre aus – aber nicht alleine: Zeitgleich zu Pierre Bourdon, ohne etwas von den Arbeiten des anderen zu wissen, entwickelte Yves Tanguy für "New West" ebenfalls einen Meeresakkord. Diesen realisierte er aber mit einem vollkommen anderen Duftstoff - Calone. Vor 1988 war dies ein eher unbedeutender Duftstoff, der in Spuren zu Nuancierung von Maiglöckchenakkorden verwendet wurde. Yves Tanguy war der erste, der das Potential für aquatische Akkorde erkannte. Deren Entwicklung passte gut in die Zeit, weil sich bei einem gesteigerten Bedarf an frischen Düften unweigerlich die Frage stellt, was es für Alternativen geben könnte zu zitrischen und krautigen Kopfnoten, denen etwas Altmodisches anhaftete.


Calone

Calone wurde 1966 vom Pharmakonzern Pfizer patentiert, fand allerdings im Pharmabereich nie Anwendung. Aufgrund seines fremdartigen Geruchs wurde die Substanz weitergegeben an Camilli, Albert & Laloue in Grasse, die von Pfizer zwei Jahre zuvor gekauft wurde. Sie tauften das Molekül auf den Namen Calone nach den Initialen ihrer Firma. Calone für sich weist schon die charakteristische Note einer Meeresbrise mit blumigen Nuancen auf. Ein sehr frischer Duft, der auch ganz leicht fruchtig nach (Honig-)Melone riecht. Luca Turin beschrieb ihn einmal poetisch als "auf halbem Wege zwischen einem Apfel und dem Messer, was ihn zerteilt …". An Calone gewöhnt man sich nicht in der Art, dass die Wahrnehmungsschwelle ansteigt ("Abstumpfen", Adaption). Im Gegenteil: Das Wiedererkennen überwiegt, d.h. wir erkennen ihn immer deutlicher in immer geringeren Konzentrationen, je öfter wir ihn riechen. Das ist einer der Gründe, warum viele Calone als Gipfel der Penetranz hassen (ein anderer Grund ist natürlich die Popularität und die großzügige Verwendung: "frisch und leicht – gerne etwas mehr"). Folglich wurde über die Jahre auch die Calone-Konzentration in neu entwickelten maritimen Düften heruntergedimmt.

So gut wie immer wird es ergänzt durch Helional (=Tropional). Für sich riecht letzteres eher nach Heu, leicht süßlich. In Kombination mit Calone allerdings wird der Heugeruch verschoben in Richtung frisch gemähten Grases. Außerdem steuert Helional eine deutliche Ozonnote dem Akkord hinzu und komplettiert so die Meeresbrisen-Assoziation.

In Aramis "New West for Her" (1990) z.B. wurden 1,2 % Calone mit 7,5 % Helional kombiniert.

Spannender wurde der aquatische Akkord durch Zusatz von Melonal, was dem Grundakkord um eine Wassermelonennote ergänzt. Beispiele: "L’Eau d’Issey" in der Damenversion von 1993 (0,6 % Calone, 2 % Helional, 0,02 % Melonal) und der Herrenversion von 1994 (0,4 % Calone, 13 % Helional, 0,4 % Melonal). "L'Eau d'Issey pour Homme" enthält also ungewöhnlich wenig Calone im Verhältnis zu Helional (1:32 im Vergleich zu "New West for Her" mit ca. 1:6), was eventuell erklärt, dass vielen dieser Duft weniger aufdringlich erscheint als die meisten anderen aquatischen Düfte.

Für "Cool Water Woman" (1996) wurden diese drei Duftstoffe um Floralozon ergänzt, was die ozonartigen Aspekte betont.

Gerne genommen zur Ergänzung maritimer Akkorde wird noch Florhydral (frisch, marin, ozonartig) und Lilial (frisch, leicht grün, Seerose).

Es ist immer die Frage nach Henne und Ei, will man herausfinden, ob Zeitgeist, Mode und gesellschaftlicher Impuls eine Entwicklung möglich gemacht haben oder zuerst diese Entwicklung selbst den Zündfunken gab, der die Zeit mit in ihre Spuren lenkte. War zum Beispiel die Fotografie logische Folge der einsetzenden Moderne oder erst ihre Erfindung ein Faktor, dass die Moderne werden konnte?

Entsprechend ist es unentscheidbar, ob die Entwicklung der Duftstoffe Dihydromyrcenol und Calone die Duftfamilie Aquatik hervorbrachte, oder ob der Lifestyle der 90er logischerweise eine Duftmode entstehen lassen musste, die mit entsprechenden neuen Riechstoffen "aquatisch" war … was aber sicher ist: Die zwei Duftnoten waren die absoluten Trendsetter. Dihydromyrcenol und Calone sind Duftgeschichte.

Vielen Dank an Ronin für diesen Beitrag

Foto: SlipFloat - GL Stock Images

15 Antworten

Weitere Artikel von ParfumoBlog