4ajbukoshka
4ajbukoshkas Blog
vor 3 Jahren - 15.09.2021
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Mimimimimittwoch. Oder: Kurzgeschichte aus dem Leben einer scheiternden Existenz.

„Wie oft sind wir uns hier zufällig begegnet? Drei, vier Mal? Es freut mich, dich zu sehen und dass du heute Zeit hast, anzuhalten und nicht nur winkend an mir vorbeifährst. Neulich war ich auch hier“, er deutete auf seinen Kaffeebecher, „und wurde vom Junior… Wie heißt er noch gleich?“

- „Gabriele“, das kam von beiden gleichzeitig, hinterließ aber nur bei Tshajbukoshka einen Kloß im Hals, hart wie Sandstein und größer als die größte Ambra, die je ein Wal ausgeschieden hat. Wahrscheinlich würde er genauso riechen, würde sich Tshajbukoshka an Ort und Stelle übergeben, worauf sie in diesem Moment nicht wenig Lust verspürte. 

„Naja, jedenfalls wurde ich vom Junior Gabriele auf meinen neuen Job angesprochen und er hat mir gratuliert. Das hat mich arg gewundert, weil zu der Zeit noch keiner offiziell davon wusste. Also habe ich ihn gefragt, wie er an die Information kam. Eine gute Freundin hat es mir erzählt, meinte er.“

- „Das war dann wohl ich.“ Vaffanculo. Bitte, bitte lass meine Augen nicht so wässrig aussehen, wie sie sich gerade anfühlen. Gute Freundin? Er hat mich ernsthaft eine GUTE FREUNDIN genannt?! Ihre Hände formten sich unweigerlich zu Fäusten und sie versuchte, weiterhin Haltung und Lächeln zu bewahren, hatte sie ihren alten Kollegen doch seit 2019 nicht mehr gesprochen und war seitdem immer nur mit Charly, dem roten Rennrad, an ihm vorbeigefahren, wie Murphy‘s Law es mag, immer dann, wenn sie gerade überhaupt keine Zeit hatte.

„Blablabla blabla. Ich genieße das Leben. Blablabla Umzug bla blabla“, mehr kam bei Tshajbukoshka nicht mehr an. Sie schüttelte den Kopf. „Entschuldige, Thomas, was hast du gesagt? Ich war gerade abgelenkt.“ Er wiederholte geduldig. „Ist bei dir alles in Ordnung, du wirkst etwas gestresst?“ - „Ja, natürlich! Ich wollte nur gerade…“ Was wollte ich noch gleich? „Nächste Woche dann?“ - „Aber sehr gerne, ich freue mich darauf! Mach’s gut!“ Ach ja, der 15.9., die Rückmeldung zum Wintersemester möchte erledigt werden. Hoffentlich hat diesmal mit der Rechnung alles geklappt. Diese Hoffnung sollte nicht lange anhalten, was Tshajbukoshka insgeheim längst wusste und wohl der eigentliche Grund für ihre innere Unruhe war. Die Personifikation von Murphy‘s Law sah sich selbst dabei zu, wie sie ihr Handy aus dem Rucksack fischte und hörte eine andere Stimme als die ihre bei der Sachbearbeitung des Landesfinanzamts anrufen und nach dem Grund dafür fragen, weshalb ihr den zweiten Monat in Folge ihr Honorar nicht bezahlt worden war und sie seit Anfang September auf die Nachbearbeitung wartete, vergeblich. „Ich habe schon vor zwei Wochen angerufen und der Kollege Sowieso hatte mir versichert, die Überweisung mit der Summe aus dem Auftrag für das Sommersemester sowie des darauffolgenden Ferienkurses, der ebenfalls für das Sommersemester abgerechnet wird, wäre in Auftrag gegeben worden. Wie können Sie diese Information mit dem Sepa-Überweisungsverfahren in Einklang bringen?“ Stille am anderen Ende der Leitung, gefolgt von ein paar Klicks. „Liebe Frau Tshajbukoshka, hier muss ein Fehler vorliegen. Ich überprüfe das umgehend. Ihr Stundennachweis ist unterschrieben und im System ist ‚erledigt‘ vermerkt.“ - „Jaaaaah, das hätte auch schon vor über einem Monat erledigt sein können.“ Memo an mich selbst: Nie wieder für das Land arbeiten. Wer lässt sich überhaupt einfallen, seine Leute ein Mal im halben Jahr zu bezahlen und besetzt DANN auch noch die Schreibtische mit Leuten, die nicht verstehen, dass es wiederum Leute gibt, die auf Geld angewiesen sind und denen es NICHT egal sein kann, ob sie ihr Honorar im August oder im Oktober oder x Jahre nach Beschäftigung erhalten? „Nun, Frau Tshajbukoshka, ich sehe hier gerade, Sie haben für die zwei Aufträge zwei verschiedene Konten angegeben. Da kann sich die Dauer schon einmal verzögern.“ Wie ist diese Dame nun schon wieder an ihren Job gekommen?! Als wäre es so schwer, im System eine Kontonummer zu ändern. „Ja, das ist korrekt, tut allerdings nichts zur Sache, denn ihr Kollege hatte mir bei meinem letzten Anruf mitgeteilt, dass die Überweisung erfolgt ist. Den anderen Betrag dürfen Sie an meine übliche Bankverbindung schicken und mir gerne mitteilen, wann ich damit rechnen kann.“ Wahrscheinlich nie, haha. Aber was soll’s, es ist ja nicht das erste Mal. Es muss immer einen Haken geben. Im weiteren Verlauf fallen Worte wie ‚baldmöglich‘, ‚Verzeihung‘  und ‚Sie hätten… Abschlagszahlung‘, aber Tshajbukoshka kümmert es nur noch wenig. Sie hätte das Geld spätestens heute gebraucht.

Darauf erstmal ein Eis, schließlich lohnt es sich nicht, sich über Dinge aufzuregen oder traurig zu sein, an denen man sowieso nichts ändern kann, soll Amy Winehouse gesagt haben und da Tshajbukoshka sehr viel von der Frau hält, deren ausdrucksstarke Stimme viel zu früh von uns gegangen ist, hat sie sich schnell wieder einigermaßen gefangen. (Schließlich kann sie noch bis in zwei Wochen den Semesterbeitrag bezahlen und muss nur mit einem Aufschlag von etwa 30€ rechnen.) Bis sie vor der Eisdiele steht und sich mit der Information ‚Wir sind im Urlaub‘ konfrontiert sieht. Vaffanculo blin. Heute sollte nicht ihr Tag werden.

Wo sind überhaupt ihre Kopfhörer abgeblieben? Die muss ich wohl irgendwo abgelegt haben, als ich Thomas getroffen habe. Mit einem neuen Ziel vor Augen und neuem Schwung im Gang eilt Tshajbukoshka zu besagter Stelle zurück. Sie sieht sich um und entdeckt ihre Kopfhörer. Einen Vorteil muss es schließlich haben, dass die neuen Dinger so klein sind, wie kleine Knöpfe. Diese Bluetoothkopfhörer hatte sie sich gekauft, drei Wochen nachdem sie ihre alten verloren hatte. Vergeblich hatte sie danach gesucht, da sie sich sicher war, sie würde sie wiederfinden, spätestens einen Tag, nachdem ich mir neue gekauft habe, ha. Ha. Ha. Als sie dann nach erfolgloser Suche und noch erfolgloserem Zuhause-alles-auf-den-Kopf-stellen diese kleinen Teile zum ermäßigten Preis mit nach Hause nahm, da Tshajbukoshka nicht Tshajbukoshka wäre ohne die kleinen Knöpfe im Ohr, die ihr wahlweise russische, ukrainische, deutsche oder italienische Lieder in die Ohren ballerten, die abgesehen von ihr keiner so richtig mögen wollte, tauchten am nächsten Tag auch wieder ihre Kopfhörer auf. Niemand wäre je darauf gekommen, wie sie an diesem Ort landen konnten, aber sie waren plötzlich dort: 

Nun hatte Tshajbukoshka also zwei Paar Kopfhörer und das war nicht verkehrt. Das eine hatte Bügel und das andere bestand aus zwei einzelnen Teilen, bei denen man wahlweise auch nur eines benutzen oder das andere jemand Anderem ins Ohr stecken konnte. Auch wenn dieser Fall vermutlich nie eintreten würde, war Tshajbukoshka darauf vorbereitet.

Eis hatte sie immer noch nicht, aber ein Kaffee sollte es auch tun. Immerhin stand sie nun wieder gegenüber vom Café, in dem es den besten Kaffee der Stadt geben sollte, laut Signor Il Herzensbrecher, der zufälligerweise auch derjenige war, der diesen Kaffee servierte. Sie könnte ihn fragen, ob er sich für sie den Instagrampost inklusive Videobotschaft von Gaudiano ansehen könnte, für den Fall, dass sie eine wichtige Information verpasst hatte und ihn möglicherweise fragen, wie er darauf kommt, Leuten zu erzählen, dass sie gute Freunde wären - nach der letzten Aktion, bei der er zuverlässigerweise wieder einmal unzuverlässig war.

Das Konzert, auf das Tshajbukoshka nämlich im November 2021 gehen wollte, hatte Gaudiano gestern via Instagram abgesagt und versprochen, es würde auf April 2022 verschoben werden. Schade Schokolade.

Ja, genau, die mit dunkler Schokolade, vielen lieben Dank, mille grazie Signora!“, bestellte sie - nicht bei Signor Il Herzensbrecher, sondern bei seiner Mutter?! ihren Kaffee und ein paar Kekse dazu. Wow, die äußerst charmante Signora mit der rauchigen Stimme ist seine Mutter, warum bin ich nicht direkt darauf gekommen?! Jedenfalls gingen ihre Worte wieder einmal runter wie Öl und sorgten zum ersten Mal am Tag dafür, dass Tshajbukoshkas Augen aus einem anderen Grund glänzten als weil sie kurz davor war, sich einem Heulkrampf in der Öffentlichkeit hinzugeben. Sie war immer so lieb und hatte stets aufmunternde Worte oder Bewunderung für Tshajbukoshkas Kleiderwahl übrig. Tshajbukoshka sah nach dem schönsten Kompliment, überbracht von einer an Klasse kaum zu überbietenden Signora an sich hinunter. Und kippte sich ihren Kaffee über das Kleid. Was soll’s, ich wollte sowieso nach Hause fahren, dachte sie, bevor sie auf den Sattel stieg und feststellen musste, dass ihr Hinterreifen platt war und sich nicht aufpumpen ließ. Der Herr vom Fahrradladen um die Ecke nahm sich Charlys wie immer sehr gerne an und würde den Schlauch bis morgen gewechselt haben.

Immerhin eine gute Nachricht.

Denn zuhause angekommen, durch den Regen völlig durchnässt und mit Kaffeeflecken auf einem ihrer Lieblingskleider, wartete im Briefkasten schon die nächste Überraschung auf Tshajbukoshka. 

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