Alfaolfa

Alfaolfa

Rezensionen
Alfaolfa vor 6 Jahren 30 10
(M)Eine etwas persönliche Geschichte mit Guerlains Vetiver
Es waren die Ostern des Jahres 1984.

Inmitten von blühenden Frühlingsblumen in allen Farben und Formen und mit dem fröhlichen Vogelgezwitscher und Bienensummen im Ohr stand ich – noch keine 15 Jahre alt – in der Mittagssonne auf der Magerwiese im Garten vor dem Haus, in dem ich aufwuchs.

In der Hand hielt ich das Parfüm-Probeset, das ich soeben von meiner Mutter geschenkt gekriegt hatte. Ich sprühte mir einen Spritzer des willkürlich gewählten Eau de Toilette Vetiver von Guerlain auf das Handgelenk, als mir jäh klar wurde, dass man den Geruch des Frühlings einfangen kann und just dies hier geschehen war. Es war der erhabenste Geruch, den ich je wahrgenommen hatte.

In den Jahren danach testete ich immer wieder andere Parfüms, aber keines berührte mich so wie dieses. Irgendwann kaufte ich mir dann ein richtiges Parfümfläschchen von Guerlains Vetiver – ich erinnere mich noch gut an die schwarzen Rillen unten auf der goldenen Kappe, die damals auf dem Flakon war. So wurde es mein erster Signaturduft und blieb es auch die kommenden 10 Jahre.

Im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts, ich war inzwischen dreißig, verlor ich in der Folge eines schweren Schädelhirntraumas (SHT) meinen Geruchssinn. Es vergingen einige schwierige Jahre, in denen ich fürchtete, niemals wieder riechen zu können – so wie es fast allen Menschen ergeht, deren Fila olfactoria durch ein SHT vollkommen abschert. Ich verwendete kein Parfüm mehr, denn den Umstand, dass ich es selbst nicht mehr riechen konnte, konnte ich nicht ertragen. Ich hatte in dieser Zeit das immerwährende, irre traurige Gefühl, in einem (falschen) Film zu spielen und gar nicht wirklich zu leben.

Irgendwann während eines besonders harten Winters – auch diesen beglückenden Moment werde ich nie vergessen – wurde aus dem deprimierenden Film aber doch wieder mein Leben: Plötzlich konnte ich wieder immerhin einzelne Bestandteile von Gerüchen wahrnehmen. Als erstes roch die Stadt, in der ich lebte, unverhofft und unverkennbar nach verbranntem Holz, das die Leute offenbar zum Heizen verwendeten – was mir merkwürdigerweise in den Wintern vor meiner Anosmie völlig entgangen war.

Im Verlauf der nächsten vielleicht fünf Jahre setzten sich die an Zahl stetig zunehmenden, von mir wahrgenommenen, einzelnen Duftnoten wie Puzzlestücke immer mehr zusammen zu gesamten – und mir von früher bekannten – Duftbouquets. Während mich etwa der Geruch von Lilien zunächst noch am meisten an Maschinenöl erinnert hatte, erkannte ich mit fortschreitender Zeit immer besser ihren charakteristischen Duft wieder; so wie er in meiner Erinnerung geschlummert hatte.

Zu Beginn der zweiten Dekade des neuen Millenniums war ich schließlich fest davon überzeugt, dass ich wieder alle Gerüche genau so wahrnehmen kann, wie sie wirklich riechen: Alles roch und duftete – und zwar wie früher. Wie sich noch zeigen sollte allerdings mit einer wichtigen Ausnahme.

*

Ich hatte gerade einen längeren Flug hinter mir, als ich an der zollfreien Parfümerie des Flughafens entlang ging und mir Vetiver wieder in den Sinn kam. Im Wunsch, mich mit dem wohl mehr als zwanzig Jahre entbehrten und von mir so schmerzlich vermissten Duft des eingefangenen Frühlings zu erfrischen und beglücken, steuerte ich direkt zum Eau de Toilette Guerlains Vetiver.

Aber mein Schock hätte schwerlich grösser sein können. Was ich da roch, war nicht das erwartete Frühlingsglück, sondern ein mich (mit Verlaub) überaus abstoßender, abgestandener, muffiger Geruch, den ich am ehesten noch mit alters- oder krankheitsbedingter Übersäuerung assoziierte.

Ich fürchtete bereits, dass sich mein Geruchssinn doch nicht vollständig regeneriert hatte. Auf Parfumo lernte ich in der Folge meiner damaligen Internetrecherche jedoch zu meiner Erleichterung, dass mein völlig anderer Eindruck von Vetiver womöglich nicht auf meinen allenfalls doch noch immer beschädigten Geruchssinn zurückzuführen war, sondern vielmehr auf eine komplett missratene Reformulierung – schließlich wurde der Duft offenbar tatsächlich bereits mehrfach reformuliert und war ich offenbar auch nicht der einzige, der das aktuelle Vetiver von Guerlain als muffig und (euphemistisch gesagt:) wenig ansprechend empfindet.

Inzwischen glaube ich, dass zwar insbesondere Lubins Le Vetiver recht ähnlich riecht wie das von mir in den 80er-Jahren gerochene Frühlingsglück von Guerlains früherem Vetiver: Zumindest ists für mich vergleichbar grün, frisch und würzig. Und auch Vétiver Extraordinaire von Malle erinnert mich deutlich an mein wunderbares Dufterlebnis von 1984. Aber die zarte blumig-animalische Note, die ich meine damals im Hintergrund ebenfalls gerochen zu haben, die suche ich in beiden vergeblich.

Sucht man gegenwärtig auf den einschlägigen Webseiten (z.B. Osmoz oder Scentdirect) nach den Duftnoten von Guerlains Vetiver (Eau de Cologne, welches der Archetyp des betreffenden Dufts zu sein scheint) aus 1959, so werden da tatsächlich durchaus auch florale und animalische Noten genannt; etwa Veilchen, Gartennelke bzw. Zibet. Pfeffer fehlt jeweils ganz, aber auch Myrrhe, Amber und Sandelholz werden erwähnt, und insgesamt stimmt das Duftbild, das so in meinem Kopf entsteht, viel mehr überein mit dem grandiosen Frühlingsduft, an den ich mich erinnere.

Irgendwann werde ich eine Probe der ursprünglichen Formulierung von Guerlains Vetiver bemächtigen und dann hoffentlich doch wieder das eingefangene Frühlingsglück riechen und befreien können – vielleicht hat es ja die vielen Jahre im Flakon überstehen können und rieche ich die Welt doch wieder so, wie sie wirklich riecht…
10 Antworten