Anarlan

Anarlan

Rezensionen
Filtern & sortieren
1 - 5 von 27
Anarlan vor 1 Jahr 35 16
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Der Papstschneider, schwelende Maiglöckchen und die Callas
Dem künstlerischen Universum von Filippo Sorcinelli einen Besuch abzustatten erfordert ein Nachtsichtgerät und die Bereitschaft, sich durch die Wurmlöcher künstlerischer Eigenheiten in Regionen seiner Kreativität beamen zu lassen, die auf den ersten Blick miteinander so viel zu tun haben wie das schwarze Loch im Zentrum der Milchstrasse mit den Strohsternen am Weihnachtsbaum.

A propos schwarz: Wirft man einen Blick auf seinen Insta-Account, blickt dort ein meistens wenig, und wenn, dann düster bekleideter Typ mit beindruckend körperumfassenden Abstrakt-Tattoos grummelig am Kameraauge vorbei in die unendlichen Weiten seiner schicken Bohème-Bude und verbreitet dabei darke Nischen-Sexyness.

Daneben produziert er Parfums (meistens in brutalistischen schwarzen XXL-Flakons, dazu gleich noch mehr) und Kunstinstallationen, die das Dungeon-Motiv auf, nun ja, wenig fröhliche und eher exorzistische Weise fortführen.

Ob man diese Art der kreativen Kompensation benötigt, wenn man ansonsten hauptamtlich mit seiner Firma „L.A.V.S.“ die liturgische Papst- und Kardinals-Gewandschneiderei des Vatikans bedient und zuvor in der vatikanischen Musikakademie Kirchenorgel studiert hat (er orgelt ganz famos, auch das kann man auf Insta bewundern), sei dahingestellt.

Mir als Ex-Katholik mit in’s zarte Kinderseelchen linientreu eingimpftem Katechismus und frühem Meßdienerdasein kommt das nicht so ganz weit her geholt vor. Dies jedoch ist ein weites, unwirtliches Feld und soll hier nicht weiter beackert werden.

Es kommt allerdings noch doller, beziehungsweise düsterer.

„Lucia di Lammermoor“ ist eine mystisch-tragische Oper in drei Akten des italienischen Komponisten Gaetano Donizetti, die als eine der Meilensteine der romantischen italienischen Oper gilt. Die Romeo und Julia-mässig traurige Story ist flott erzählt:

Eine adelige Maid, Lucia, ungeschickterweise verliebt in den Spross einer verfeindeten Adelsfamilie, erliegt den Intrigen ihrer Verwandschaft, als die Sache auffliegt. Es endet in Wahnsinn und dem Tod etlicher Protagonisten, zuvörderst besagter Lucia. War klar.

Eine wunderschöne Belcanto-Arie aus dieser Oper, weltberühmt geworden durch die Interpretation von Maria Callas, lautet „Quando rapito in estasi“, zu deutsch: „Wenn er von Ekstase ergriffen“, die Lucia singt, als ihre Zofe ihr nahelegt, ihrem geliebten Edgardo zu entsagen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Was sie natürlich nicht tut.

Dass die Figur der im tödlichen Wahnsinn endenden Lucia und ihre opernhafte Verkörperung durch Maria Callas für den gleichnamigen Duft von Filippo Sorcinelli Pate stand, ist spätestens dann klar, wenn man sich den Flakon ansieht: Das glorios glitzernde Cape der Protagonistin Lucia schmiegt sich in stilisierter Form wie ein Theatervorhang um den eigentlichem Flakon, den eine Plakette ziert, welche ein bisschen an das feinziselierte Namenschild an der Künstlergarderobe erinnern mag, auf dem möglicherweise „Signora Maria Callas“ gestanden haben könnte.

Wirft man all diese Aspekte künstlerischer Beflügelung in einen Topf, kommen dabei beachtliche Nischendüfte heraus. Sorcinellis „Unum“ war mein allererster Weihrauchnischenduft, den ich je in der Nase hatte. Dies ist übrigens eines der ganz wenigen Dinge, die ich mit dem Papst gemeinsam habe. Die frisch fabrizierten päpstlichen Glitzeroutfits aus Filippos Gewandschneiderei werden vor ihrem Weg in die Gemächer des Vatikans stets mit just diesem Duft „imprägniert“. Der Papst duftet also nach astreiner Nische. Wer hätte das gedacht?

Nun also endlich zur tragische Maid, die im Wahnsinn vergehen muss beziehungsweise ihrer duftenenden Entsprechung.

Q.R.I.E. (klingt wie „Kyrie!“) startet mit verkohlten Maiglöckchen, womit klar wäre, was der romantisch ambitionierten Maid (siehe: Maiglöckchen) am Ende blüht (siehe: Schutt und Asche). Das finde ich ziemlich schlimm. Sowohl als Eröffnungsbild als auch als Duftkopfnoten-Komposition. Maiglöckchen haben es eh schwer bei mir (das ist eine andere Geschichte), und generell haben sie es sowieso schwer, da sie sich als Duft weder enfleurieren, destillieren, auspressen, durchmangeln oder sonstwie dazu bewegen lassen, ihre duftende Seele den Teufeln der Parfümindustrie herzugeben, sondern in der Regel synthetisch nachgeahmt werden. Dazu gesellt sich eine irgendwie fettig-schmuddelige Verqualmtheit, die angeblich von Weihrauch und Zeder herrührt. Zeder? Am ehesten Sugi-Zeder, die als absichtlich verkohltes Fassadenholz ursprünglich in Japan Verwendung fand. Der hiesige Weihrauch hat absolut nichts, aber auch gar nichts Klerikales, hierfür lege ich meine zum Atheismus konvertierten Hände ins Fegefeuer. Es riecht schwarz und verqualmt. Mit Maiglöckchen. Amen. Ich meinte natürlich: Basta!

Hat man diesen wahrlich wahnsinnstriefenden ersten Akt der Oper überstanden, kommt eine kurze Pause, in der sich die Protagonisten kurz sammeln und im Orchester ein paar Läufe und Akkorde geprobt werden. Während man im Foyer Champagner schlürft, kommt eine Note zum Vorschein, der ich die „Schmuddeligkeit“ des ersten Duft-Aktes anlaste: Pfirsisch. Der gehört nun wahrlich nicht in Edelprickel, und ich neige dazu, der Duftnote „Pfirsisch“ in Kombination mit Qualm auch in Parfüms ihre Daseinsberechtigung abzusprechen, und hier ist der Qualmpfirsisch meines Erachtens Erzeuger einer matten, fruchtigen, etwas ölig-fettigen Dumpfheit, wenn auch nur sehr verhalten. Vanille hilft hier auch nicht wirklich. Wenn das so weitergeht, wird aus mir kein Opernfreund.

Das alles wäre nun wirklich nicht mein Ding geworden, wäre da nicht diese mir unerklärliche, quasi sakramentale Wandlung des Duftes im finalen Akt. Ist das Lucias Wahnsinn, der mir ebenfalls die Sinne blendet? Oder doch Filippos dunkle Kunst aus seinem Duft-Dungeon, die mein olfaktorisches Hirn verhext? Habe ich den zweiten Akt, vom Qualm sediert, vom Schampus beduselt, verschlafen?!?

Wie auch immer, der Duft wendet sich basiswärts in eine völlig andere Richtung und präsentiert sich in einer fast cleanen, leicht seifigen, lichten, fougèresken, klaren, grünen, würzigen, samtigen, trockenen, gereinigten, geläuterten (mehr Adjektive fallen mir nicht mehr ein) Koniferenharzigkeit, die ich ganz famos finde und zu der die nun wundersamerweise aufgehellten, luftigen Rauchschwaden, die gelegentlich hindurchziehen, ganz hervorragend passen.

Ja. Ich habe den zweiten Teil der Oper verschlafen. Das hier ist eindeutig Filippos künstlerische Ausdeutung im von ihm dazu komponierten letzten Akt der Oper: Lucia, ihrer irdischen Qualen ledig, zieht ein in’s olfaktorische Himmelreich. Ende gut, alles gut. Vorhang, tosender Applaus. Es regnet maiglöckchenlose und pfirsischfreie Blumensträuße für die Diva.

Hallelujah, äh, da capo!
16 Antworten
Anarlan vor 3 Jahren 56 23
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Kopi Luwak und eine alte Bekannte
Sobald ein Duft nach einem - freilich heutzutage synthetisch hergestellten - animalischen Duftbaustein benannt wird, kann man sich im Falle von Zibet eigentlich schon mehrerer Mißverständnisse und der daraus resultierenden typischen Reaktionen („Iiih!“, „Uäähh!“, „Bäh!“) sicher sein: Nämlich, dass der Duft irgendetwas mit Katzen und/oder Katzenurin-Geruch zu tun hätte. Das Mißverständnis beruht teilweise auf der Annahme, Zibetkatzen seien echte Katzen. Sie sind aber nachtaktive Säugetiere, die von Südeuropa über Afrika bis Asien in mehreren Unterarten vorkommen und mit den uns bekannten Katzen herzlich wenig zu tun haben. Von Fern und im Dunkeln sehen sie beim Herumschleichen vielleicht ein bisschen aus wie Katzen, weswegen sie auch „Schleichkatzen“ genannt werden.

Dass Zibet als Duftbaustein in den Verdacht gekommen ist, nach Katzenpipi zu riechen, hat seine Ursache möglicherweise darin, dass die Substanz früher aus dem stark fettigen und übel riechenden Sekret der Analdrüsen von Zibetkatzen gewonnen wurde, was mit Urin aber nichts zu tun hat, und daß unter Anderem urinöse Duftnoten in zibethaltigen Parfums wahrnehmbar sein können, was aber nur mittelbar mit dem Zibet darin in Zusammenhang steht.

Das, was man gemeinhin als urinösen Geruch wahrnimmt, ist nämlich gar nicht dem Urin selbst geschuldet. Frischer Urin ist relativ geruchsarm, was jeder durch einen beherzten Schnüffler selbst feststellen kann. Keine Scheu! Wir sind hier ja unter uns und ich erzähle es nicht weiter. Wo wir gerade dabei sind: Wissen Sie, wie Ärzte früher einen Diabetes mellitus bei Patienten diagnostiziert haben? Sie haben ihren Finger in den Patientenurin getaucht, um den Geschmack des Urins zu kosten: Süss gleich Zucker gleich Diabetes. Bittesehr. Und jetzt kommen Sie mir nochmal mit „Huuuh, der Duft hier hat ja eine fuurchtbare Pipinote, mir wird ganz blümerant!“.

Wie kommt dann der typische Uringeruch im Urin zustande? Es sind bakterielle Abbauprodukte, namentlich das scharf-bittere Ammoniak, die den typischen unangenehmen Pipigeruch erzeugen. Animalische Düfte, und so auch urinöse Duftnoten (es tut mir ja leid, aber man muss das Kind mit den vollgemachten Windeln leider beim Namen nennen) in Parfum können dennoch -in der richtigen homöopathischen Verdünnung- den speziellen Reiz eines Duftes ausmachen und dem Duft die nötige Spur Raffinesse ein-, ähm, träufeln. Ohne diese Prise Untenrum wären weder Kouros, noch Jicky, als moderner Vertreter fällt mir sofort noch MAAI ein, möglicherweise jemals zu ihrem legendären Ruf und ihrer Qualität gelangt.

Allerdings sind diese geruchlichen Erinnerungen daran, dass wir der Tierwelt entstammen, und mit denen wir uns anscheinend in unserer heutigen durchdesinfizierten, keimarmen, maskenbewehrten Zeit doch irgendwie schwer tun, oft gar nicht alleine auf die verwendeten animalischen Bestandteile wie Zibet, Moschus, Amber, Hyraceum, Castoreum und Konsorten zurück zu führen. Die genannten Stoffe haben nämlich neben ihrer eigenen geruchlichen Berechtigung in Düften auch fixierende oder andere Duftbestandteile stärker projezierende Funktionen. Vielmehr entsteht der geruchliche „touch of piss“ (oder andere Substanzen, wir wollen es jetzt aber nicht übertreiben) auch durch die geschickte Kombination mit floralen Noten wie Nelke, Neroli, Jasmin und Weissblühern mit ihren verantwortlichen Anteilen an Idol und Skatol. Auch zitrische oder krautige Noten wie z.B. Salbei und Lavendel können je nach Kontext einen urinösen Duftaspekt erzeugen.
Tut mir aufrichtig leid. Ich wollte Ihnen Ihre frischgeduschten Blütenträume nicht zerstören. Und „Klosteinzitrone“, daran sehen Sie, wie nah Pipi und Zitrik manchmal buchstäblich beieinander liegen, ist hier in diesem Forum ja mittlerweile fester Bestandteil des Parfumo-Sprechs.

Die grossen Chypres der Vergangenheit spielen mit ihren oftmals ausgeprägten animalischen Noten virtuos auf dieser Klaviatur. Und „Civet“ knüpft mit einem Hauch dieser „Old Vibes“ an diese Tradition an. Um zu verstehen, welche Geschichte Victor Wong, kreativer Kopf von Zoologist, zusammen mit seiner Parfümeurin Shelley Waddington in Civet erzählt, muss man noch mal kurz zur indonesischen Schleichkatze zurück.

Kopi Luwak wird unter anderem in Indonesien hergestellt und gehört zu den weltweit teuersten Kaffee-Sorten. Ursprünglich ein buchstäbliches Abfallprodukt des kolonialen Kaffeeanbaus - der mühsam angebaute Plantagenkaffee war ausschließlich den Kolonialmächten und deren Export vorbehalten - griffen die Einheimischen zu einer anderen Methode, um an das begehrte Heißgetränk zu kommen. Sie sammelten unverdaute Kaffeebohnen, die sich in den Exkrementen von Schleichkatzen fanden. Im Darm des Tieres sind die Kaffeekirschen einer Fermentation durch Enzyme ausgesetzt, welche die Geschmackseigenschaften ändert und dem Kaffee ein erdiges, sirupartiges, gehaltvolles und mit Untertönen von Dschungel und Schokolade versehenes Aroma verleiht, was ich bestätigen würde, sofern mich meine Erinnerung an die Tasse Kopi Luwak, die ich mal in Indonesien kredenzt bekam, nicht trügt.

„Civet“ überrascht in einem Moment mit einer karamelligen Kaffeenote, wenn man nicht damit rechnet, doch dazu später mehr. Mir würde dennoch nicht einfallen, den Duft als Gourmand zu bezeichnen, dafür fehlt ihm die nötige Süße und der Eindruck, etwas Essbares vor sich zu haben. Auch fehlen mir für die Kategorie "animalischer Duft" die entsprechend starken Aspekte.

Der Duft eröffnet mit einer gehörigen Portion schwarzem Pfeffer, einem Hauch grüner Krautigkeit und Zitrusnoten von herber Bergamotte, einem Spritzer Zitrone und vor allem Orange.
Herznah wird es dann schnell unsüß floral. Gartennelke und eine cremige, leicht kampherige, unkitschig-tropisch von Frangipani und Ylang Ylang gerahmte alte Bekannte leuchten im Dämmerlicht des Dschungels auf: Eine wunderschöne sanfte Tuberose mit Vintage-Touch.
Man ahnt allerdings langsam, dass hier möglicherweise auch flinke Raubtiere mit Krallen-bewehrten samtigen Pfoten schattenartig unter den Bäumen umher huschen. Der Duft entwickelt nun eine leicht spröde, drahtige, angeraute, schlanke Textur durch die stärker hervor tretenden Basisbestandteile. Labdanum und Eichenmoos sowie eine ledrige und leicht harzig-balsamische, warme Qualität, die ich Moschus und Zibet zuschreiben würde, kommen zum Vorschein.

Spätestes jetzt rückt er aus meiner Sicht in die Verwandtschaft von florientalen Chypres, hält aber noch eine letzte Überraschung bereit: Das Kaffeearoma von Kopi Luwak, was zusammen mit einem Hauch vanilligem Heliotrop einen weichmachenden Effekt hat und eine aus meiner Sicht wunderbar anziehende Einheit mit Zibet und Tuberose bildet.

Die Kombination von Tuberose und Kaffee mit Chypre-Aspekten ist sicherlich gewagt, und könnte, und jetzt kommt für heute der letzte Flachwitz in dieser Richtung, voll in die Hose gehen, was aber nicht der Fall ist. Der Duft ist komplett alltagstauglich und dabei überaus haltbar, ich kann ihn noch Tage später auf meinem Jackenkragen wahrnehmen.

Meinen Dank an Ergoproxy für die Probe!
23 Antworten
Anarlan vor 4 Jahren 25 15
8
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Walddisco
Dass das etwas in die Jahre gekommene, Mitte der Siebziger gegründete italienische Traditionsunternehmen Bruno Acampora das Wagnis eingeht, eine sieben Düfte umfassende Serie mit dem Namen „Acampora 54“ zu lancieren, welche die glamouröse Vor-Aids-Disco-Ära des exzessiven und legendären New Yorker Nachtclubs „Studio54“ beschwört, ist zunächst merkwürdig. Sobald man weiß, dass Bruno Acampora selbst regelmäßiger Gast auf der Tanzfläche des Studio54 war und irgendwie zum ausufernden Dunstkreis von Andy Warhol gehörte, wird die Verbindung etwas offensichtlicher. Duft Nummer Eins trägt dem zufolge auch als Hommage an den Gründer den Namen „Bruno“.

In den zur Serie gehörenden Visuals (dazu zählt ein wie ich finde eher lauwarmes denn heißes Video unter dem Titel „Acampora 54“ auf Youtube) wird das Disco Inferno ziemlich geordnet, handzahm und leicht verdaulich in schicken Bildern mit hübschen jungen Menschen gefeiert, inklusive der unvermeidlichen Discokugel.

Einen Miguel Matos, self taught-Parfümeur und Fragrantica-Reviewer mit Hang zur Experimentierwut (siehe seine "Scents of Fail"), mit der Kreation der Düfte zu beauftragen, dürfte da schon der verwegenere Schritt gewesen sein. Diese Wahl hat sich spätestens, nachdem sein zur Serie gehöriger „Young Hearts“ Mitte des Monats in der Independet-Kategorie des jährlich in Los Angeles verliehen „Art and Olfaction Awards“ als Sieger gekürt wurde, als möglicherweise richtige Entscheidung heraus gestellt.

Young Hearts also.

Dreh- und Angelpunkt des Duftes bilden die Harze und Balsame tiefgrüner borealer Nadelwälder mit ihrer majestätischen Ausstrahlung und Ruhe. Das hat nun so gar nichts mit exzessivem Nightclubbing zu tun, ist aber mindestens so schön. Zu dieser starken, in sich ruhenden Stimmung kehrt der Duft immer wieder während seines über viele Stunden dauernden Duftverlaufs zurück. Die Duftstoffkonzentration beim Extrait, welches ich teste, ist der blanke Wahnsinn. Ein paar Moleküle, mit dem Plastikstäbchen aus dem Pröbchen auf den Arm getupft, und der Duft ist im ganzen Raum wahrnehmbar. Meine Familie hat entgegen sonstiger Gewohnheiten alle Düfte (dabei waren noch „Robin“ und „Relight my fire“, dazu unten noch eine kleine Notiz) lautstark kommentiert, was an sich schon ungewöhnlich genug ist, da meine Duftvorlieben normalerweise niemanden zuhause scheren, sprich: Es werden kaum Kommentare zu Düften abgegeben. Ich muss dazu sagen, dass ich Düfte sparsam verwende, da ich eine zweite Hülle aus Geruch um mich herum für Aussenstehende eher unschön finde. Dieses Mal war das anders, die Bude roch wie ein Skandinavischer Hexenwald. Und um es vorweg zu nehmen: Young Hearts war der klare Favorit aller.

Young Hearts besitzen eine Dichte und Qualität und Dringlichkeit der Aromen, die ich bisher so nur von Annette Neuffer und einigen Parfums von Francesca Bianchi kenne. Der Beginn gleicht einer regelrechten grünen Explosion aus Galbanum, Bergamotte und Nadelwaldaromen, wobei Bergamotte dafür sorgt, dass der Gesamteindruck frisch bleibt, ohne in Galbanum-typische ölig-bittere Gefilde zu driften. Die deutliche Präsenz von Galbanum und daneben Eichenmoos, welches neben den Nadelwald-Balsamen das Rückgrat des Duftes bildet, schafft Verwandtschaften mit Galbanum-betonten Chypres wie Scherrer und Bandit, wirkt aber im Vergleich zu diesen alten Giganten (die ich beide sehr mag) deutlich moderner.

Im Verlauf treten weitere Aspekte deutlich in Erscheinung: Ledrig-kühl wirkender Safran, der eine staubig-würzige Erdung und Abdunklung herstellt, und eine tiefdunkelrote Rose, über die weitere florale Polarlichter wandern. Dunkles Patchouli (diesmal ohne Schokoladen-/Hippie- oder Blumentopf-Kolorit) bleibt dezent im Hintergrund, bis schließlich nach über 6 Stunden im Duftverlauf die Eichenmoos-lastige Basis mit wie ich finde deutlich animalischen, aber sehr anziehenden Aspekten durch Moschus aufwartet. Moschus hat eine warme, sexy, etwas schmuddelige Qualität, die dem Drydown sehr gut steht.

Der Duft vereint warme und kühle Aspekte, boreale Frische, die mit Intimität und Hautwärme spielt, so als würde man sich irgendwo in Skandinaviens Wäldern in einen warmen Schlafsack unter dem freien Sternenhimmel kuscheln. Und das ist unglaublich anziehend und behaglich und friedvoll und schön.

Da können die anderen gerne derweil durch die Clubs ziehen.

PS: Ich habe erst drei der 54er getestet, und beim „Relight my fire“ hat das Tanzbein dann schon heftig gejuckt. Ein Retro-Floral-Aldehyd-Kracher, als wären Grace Jones gerade im Taxi vorgefahren.

Gimme, gimme, gimme!
15 Antworten
Anarlan vor 4 Jahren 24 16
6
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
7.5
Duft
Who are you, Sally Bowles?
Meine ersten Bilder beim Nuit waren die eines nächtlichen Art déco-Salons in warmem, gedämpften Licht, Oberflächen aus dunklem Lack und glänzendem schwarzen Kunsstoff. Gibt es Art déco-Möbel aus Bakelit? Hier stehen Vasen herum, die sehen so aus, Bouquets darin, üppig, ein betäubender, staubiger Blütenduft liegt in der Luft. Sind das alles echte Blumen zwischen dem polierten Chrom? An den Wänden hängen vom Alter überhauchte Spiegel, der Boden besteht aus altem, aber hellem, duftenden Parkett. Ich befinde mich in einer leisen Unterhaltung mit einem Geschöpf, das einer vergangenen Zeit zu entstammen scheint, dabei vollkommen modern wirkt. Seine androgynen Umrisse werden von den spiegelnden Oberflächen reflektiert. Die kurzen dunklen Haare liegen dem schmalen, blassen Gesicht an und betonen seine Jungenhaftigkeit. Eine Sally Bowles, die aus der Zukunft zu kommen scheint, oder ist sie doch durch ein Wurmloch aus der Künstlergarderobe eines Berliner Cabarets der Zwanzigerjahre gefallen? Man plaudert, kokettiert, das Gespräch ein unbestimmtes Spiel mit Vorstellungen, Möglichkeiten, Reflektionen. Ist das Anziehung? Ich werde das Gefühl nicht los, Teil einer Inszenierung zu sein. Was ist hier echt, was nur Kulisse? Ein leises Unbehagen macht sich breit. Irgendetwas wird mir plötzlich zu viel, lähmt mich. Diese staubige Dichte. Ich möchte klar denken, kalte Luft, die nach Regen riecht, einsaugen.

Ich muss hier raus.

Naomi Goodsir ist eine Künstlerin, die sich bevorzugt in neu interpretierten, aufwändig gearbeiteten Versatzstücken klassischer Kleidung - vor allem traditioneller Herren- und Uniformmode - zeigt und dieses Arsenal zum Bestandteil ihres Werks gemacht hat. Überdimensionierte Kragen, Krawatten, Kostümjacken, Jagdhüte, Kopfputz aus Federn, Hosenträger, immer wieder Leder, Archaisches, Vinatgemode und Futuristisches , Dunkles, Fetischartiges, all das bevölkert ihren kreativen, ausdruckstarken Kosmos, in dem ihre Hutmacherei und die Herstellung handwerklich anspruchsvoller Accessoires das Herzstück darstellen. Nuit ist einer ihrer ersten unter eigenem Label kreierten Düfte. Zuvor war sie als Parfüm-inspirierte Künstlerin (Parfumeurin ist sie nun mal von Hause aus nicht) für Annick Goutal tätig und war zusammen mit Isabelle Doyen zum Beispiel für den (von mir sehr gemochten) „Ambre Fétiche“ verantwortlich. Vergegenwärtigt man sich ihr Oeuvre, so erwartet man, dass sie sich dem Thema „Tuberose“ auf eine eigene, sehr spezielle Art widmet. Ein Spiel aus archaischen, artifiziellen und natürlichen Elementen, und das in der ihr eigenen ausdruckstarken Handschrift - und man wird nicht enttäuscht.

Ob das tragbar oder als Gebrauchsprodukt tauglich ist, steht freilich auf einem anderen Blatt, doch dazu später mehr...

Für Tuberosen braucht man in vielerlei Hinsicht starke Nerven.

Es sind divenhafte Zwiebelgewächse, welche sich in unseren Breiten nur einen Sommer lang mit ihren eleganten, auf schlanken Stielen schwebenden wächsern weissen Blüten und ihrem unvergleichlich intensiven Duft zieren. Die Tuberose ist eine betörende Schönheit, die sich sinnlich und selbstsicher verausgabt, um im Folgejahr eingeschnappt unter einem Schopf grüner Blätter zu verharren, ganz so, als sähe sie sich aus einer unergründlichen Laune heraus ausserstande - ganz die wetterfühlige, nervöse Zicke - noch einmal, nur ein letztes Mal, vor den Vorhang zu treten und den nicht enden wollenden Applaus ihrer Verehrer entgegen zu nehmen.

Tuberosen haben (wie alle Diven) ihre Fans und solche, die naserümpfend abwinken. Wer seine Nase einmal in Robert Piguets „Fracas“ steckt, wird, bezogen auf den typischen Tuberosenduft, seine Entscheidung, dem einen oder dem anderen Lager anzugehören, schnell getroffen haben. Ich bin hier aufrichtig zwiegespalten. „Faszinierend anstrengend“ trifft es wohl, würde mich jemand nach meiner knappsten Beschreibung meiner Empfindungen bei dieser speziellen Gattung von Weißblühern fragen. Schwer, sinnlich, sehr feminin, nächtlich, narkotisch, die Sinne raubend - so in etwa würde meine Beschreibung weiter lauten.

Die Tuberose nimmt eine zentrale, jedoch durch weitere Duftbestandteile gut flankierte Stellung in Nuit ein, und erhält durch Naomi Goodsir eine Interpretation, die ihr die ultrafeminine, dominante Femme fatale austreibt. Statt dessen stellt sie ihre Androgynität und ein Spiel mit Ambivalenzen heraus. Da sind zu Beginn fast ruppig-rohe, grasige, grün-nussige, an frischen, herben Pflanzensaft erinnernde kühle Aspekte (Angelika; der grüne Lidschatten von Sally Bowles), Balsamisch-Cremiges (Galbanum; ihre warme Körperlichkeit), Holziges und Erdigkeit (Styrax; wir befinden uns in einem alten Gebäude), dazu eine staubige, trockene Dichte (Hier müsste eigentlich mal gelüftet werden … Vielleicht verrät mir jemand, mit welchen Tricks Frau Goodsir die Staubigkeit in manchen ihren Düften erzeugt, so auch im "Ambre"). All das ergibt irgendwie möglicherweise in der Summe einen Eindruck von Plastik. Oder von ziemlich grünen Tuberosen in nachtschwarzen Plastikvasen. Ich weiss es nicht. Ich kann diese Kunststoffassoziation nicht wirklich nachvollziehen und habe, um mir das Gegenteil zu beweisen, an diversen schwarzen Verschlüssen von Flakons gerochen, in der Hoffnung, ich käme dahinter, wie Bakelit riecht - Fehlanzeige.

Aber es passt dennoch: Schwarze, glänzende Oberflächen, Spiegelndes, etwas Altes, das dennoch modern, fast futuristisch wirkt, Nacht. Dieser Eindruck hält sich bei mir, während die Nuit-Tuberose ihre unterschiedlichen faszinierenden Aspekte entfaltet und einen in ihren merkwürdigen Bann zieht. Mein familiäres Umfeld hat allerdings eine einhellige Meinung, und da konnte ich so homöopathisch dosieren, wie ich wollte (das sollte man bei dem Duft sowieso stets, die Performance ist sonst buchstäblich erstickend):

Nichts wie raus hier!

Fazit: Ein handwerklich zweifellos hochwertiger, ungemein dicht verwobener Duft mit narkotischer Performance, den man nur in Mikrosprühstößen anwenden sollte (und selbst die füllen mühelos ganze Räume). Minimalistisch dosiert zeigt er allerdings seine vielen Facetten und seine ambivalente Anziehungskraft.

PS: Ich kann mich immer noch nicht wirklich festlegen, welche Bewertung ich ihm schlussendlich gebe. Angefangen bei 8,5, runterkorrigiert auf 7,5, tendiere ich jetzt wieder nach oben.

Who are you, Sally Bowles?
16 Antworten
Anarlan vor 4 Jahren 22 11
10
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Frühling im Pferdestall
„Um Gottes Willen!“

Mit Schwung und unter dramatischer Anrufung der Heiligen und der Muttergottes wird der Topf mit der wunderschön blühenden „Bridal Crown“, einer kleinen, weissen, gefüllten Narzissensorte, die ich kürzlich als kleines Dankeschön geschenkt bekam, von meiner (zweifellos) besseren Hälfte aus dem Esszimmer einen Raum weiter befördert.

Obwohl ich das schwere, irgendwie fettige, etwas raue Aroma der weißen Blüten mag, ist die geruchliche Nähe zu Pferdeställen nicht zu leugnen. Ich gebe zu, im Esszimmer entfaltet der Duft der Blüten eine - formulieren wir es einmal diplomatisch - unpassende Wirkung, und ich bin mir auch nicht so ganz sicher, ob eine Braut dufttechnisch mit einem Kranz aus Narzissenblüten passend unterwegs wäre. Es käme wohl auf die Toleranz des zu heiratenden Subjekts in puncto Narzissenduft an. Ich gebe also klein bei, der Pott darf ab jetzt ein Zimmer weiter vor sich hin stinken.

Im Frühling, der sich derzeitig leider noch sehr zurück hält, sieht man sie quasi überall, und es sind meistens nicht die großblütigen, ungefüllten, klassischen gelben Osterglocken (die ich ein bisschen langweilig finde), welche den typischen Narzissenduft verströmen, sondern die kleineren, blassgelb oder weiß blühenden Narzissen, auf den ersten Blick etwas unscheinbarer als die klassischen Vertreter, aber vollkommen unverkennbar, was ihren Duft angeht, und die so schöne Artennamen wie „Dichternarzissen“ tragen.

Die Pflanze hat offenbar schon seit der Antike eine gewisse literarische Aufmerksamkeit erregt, und es dürfte wohl auch an ihrem Duft liegen. Der Sage nach war es der schöne Jüngling Narkissos, der das heftige Liebeswerben der Nymphe Echo verschmähte und infolge dessen von den Göttern damit gestraft wurde, sich auf tragische Weise in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben. An der unerfüllten Liebe zu seinem eigenen Antlitz, dessen Spiegelung er in der Oberfläche eines Gewässers erblickte, verhungerte der Knabe schließlich buchstäblich. Auf seinem Grab aber erblühte bald eine liebreizend das Blütenköpflein senkende Blume mit narkotischem (jawohl!) Duft: Die erste Narzisse der Welt war geboren, und ihre Abkömmlinge spalten seitdem die Menschheit in solche Exemplare wie mich und eben andere (siehe weiter oben).

Dass der Duft nun so gar nicht frühlingshaft, weißblüherisch und zart daherkommt, sondern besser auf trockene, heisse, sonnenüberflutete Weiden, auf denen die Heuballen und Pferdeäpfel in der Mittagshitze trocknen, passen würde, mag auch Monsieur Corticchiato, dem Mastermind von Parfum d‘Empire, durch den Kopf gegangen sein, als er Tabac Tabou kreierte. Parfum d‘Empire hat auf Parfumo eine kleine, aber treue Anhängerschaft, zu der ich mich auch uneingeschränkt zählen darf. Corticchiatos Düfte sind nicht immer un-anstrengend, aber stark darin, Bilder zu erschaffen. Man wird oft erst auf den zweiten oder dritten Riecher „abgeholt“, dabei bleiben die Düfte meistens französischer Parfümhistorie und einer eleganten Distinguiertheit verpflichtet, besitzen gleichzeitig aber genug Widerspenstigkeit, um in die Nische zu gehören.

Bei Tabac Tabou steht die Narzisse mit ihren kraftvollen Duftaspekten im Mittelpunkt. Tabak ist, wenn überhaupt, transparentes Beiwerk und unterstreicht im Herzen des Duftes eher die raue, hitzige Fülle, mit der die Narzisse das Duftzentrum bildet. Ich bilde mir ein, sowohl saftige Aspekten des Tabakblatts als auch die kratzige Rauigkeit des Tabakrauchs wahrzunehmen, beide Aspekte sind aber eher dazu da, das blühende Zentrum des Duftes zu umhüllen. Wer einen klassischen Tabak-Duft erwartet, dürfte also enttäuscht werden. Dennoch ist Tabac Tabou kein Narzissen-Soliflor, da einige weitere Duftaspekte eingewoben werden, um besagtes Bild einer heißen, trockenen Savanne zu erzeugen. Der Beginn ist kräuterig und grün, eher dem versiegenden Pflanzensaft und trocknenden Stängeln der Narzisse zuzuordnen als ihrem Blütenschmuck, wobei bereits gleich zu Beginn die sonnig-warme Stimme von Honig in Erscheinung tritt. Die goldene, herbe Honignote bleibt dem Duft bis zum Ende erhalten und wird sanft von der italienischen Strohblume (Immortelle) befeuert, schwächt sich aber langsam im weitere Verlauf ab, um den eigentlichen Stars der Show Platz zu machen: Narzissenblüten in ihrer körperlichen, fettigen, an Pferdeställe erinnernden, fast animalischen Fülle und sonnengekitzeltes, kräuteriges Heu. Die Heunote ist gerade, wenn die Honignote nach einiger Zeit abschwächt, am deutlichsten wahrnehmbar und unterstreicht das trockene, spröde, sonnenüberflutete, warme Herz des Duftes. Die Pyramide listet Moschus, was ich -denkt man an die sich langsam steigernde kratzige Staubigkeit des Duftes- glauben will.

Bei der Einordnung des Duftes wäre man bei der Kombination Grün/Heu wahrscheinlich am ehesten in der Fougère-Richtung passend unterwegs, allerdings erinnerte er mich in seiner trocken-spröde-würzigen Art auch an alte Oriental-Chypres und ich könnte mir vorstellen, dass möglicherweise ein paar Duft-Erinnerungen an alte Schätze dieser Richtung bei Herrn Corticchiato ihren Einfluss in der Kreation des Duftes hatten.

Tabac Tabou ist ein fordernder, trockener, angerauter, ganz und gar unfrühlingshafter Narzissenduft, an dem ich mich immer wieder gerne und buchstäblich reibe, der es einem aber aufgrund seiner speziellen Eigenschaften und mit Rücksicht auf mein empfindsames Umfeld eher schwer macht, ihn zu tragen. Im heissen, staubigen Sommern ist er wahrscheinlich großartig.

Wer hingegen jahreszeitlich passende weißblühende Frühlingsstimmung sucht, dem sei „Bridal Crown“, eine gefüllt blühende Narzissensorte … lassen wir das.
11 Antworten
1 - 5 von 27