AndreasK
AndreasKs Blog
vor 6 Jahren - 14.08.2018
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"Der duschgel-synthi-ambrox-iso-e-normierte Modellmann - oder: warum werden wir für so dumm verkauft?" (FabianO)

FabianO stellte vor 12 Monaten die oben zitierte Frage in einem Blogbeitrag. Ich will mich an einer Antwort versuchen:

1. Der Geschmack der Masse hat sich nicht gewandelt.

2. Der Geschmack der Masse wird von den Parfumhäusern nur besser erkannt.

Der durchschnittliche Parfumkäufer beschäftigt sich allenfalls im Abstand mehrerer Monate damit, welchen Duft er als nächstes kauft. Der Parfumkauf findet häufig am Ende einer Einkaufsaktion in einem Einkaufszentrum bzw. in einer Fußgängerzone statt. Zuvor wurden meist Bekleidungsartikel anprobiert. Die Vorermüdung ist entsprechend. Dann wird noch schnell ein Parfum gekauft, weil der alte Flakon zur Neige geht.

In einer Parfümerie ist typischerweise eine heftige Duft-Chemie-Wolke, welche das Riechorgan teilparalysiert. Der durchschnittliche Parfumkäufer, wenn er nicht einfach noch einmal kauft, was er schon hatte, probiert mehr zufallsgesteuert ein paar Düfte auf dem Papierstreifen aus. Nach dem Dritten Riechtest ist das Sensorium vollends erschöpft.

Die Beratung durch eine Verkäuferin hilft wenig. Das Gespräch erstreckt sich idR nur über wenige Minuten. Der Käufer, schon weitgehend abgenervt, kann nicht verbalisieren, was ihm eigentlich vorschwebt. Die Verkäuferin greift das heraus, was entweder sie gut findet, was dann eigentlich schon der Glücksfall ist, oder was sich derzeit gut verkauft, oder was gerade neu ist. Der Käufer trifft schließlich eine Spontanentscheidung auf Basis der Kopfnote auf dem Papierstreifen. Dann hat er es hinter sich.

In dieser idealtypischen Situation dringt eben am ehesten ein süßer, starker, cyberlastiger Duft durch, justament also das, was FabianO kritisiert.

An sich müsste man sich länger mit Parfums als solchen beschäftigten, um überhaupt ein Gespür für Wertigkeit zu bekommen. Man müsste einen Duft länger im Verlauf beobachten, eine Probe ordern, pro Tag nicht mehr als drei vergleichen. Das alles erfordert eine Aufmerksamkeit und einen Aufwand, den der Normalinteressierte sich einfach nicht zumutet.

So schätzt das Marketing eben die Verkaufssituationen und die potentielle Kundschaft seit einiger Zeit realisitsch ein und bedient den Markt entsprechend. Die Verkaufszahlen geben ihnen wohl Recht, sonst würden sie nicht dabei bleiben.

Es findet gewissermaßen eine Ent-Arokratisierung resp. Demokratisierung der Parfumwelt statt. Pop statt Klassik.

Ich selbst habe einige Jahre gebracht, um bei einer anspruchsvolleren Sichtweise auf Düfte anzukommen. Eingangs fand ich Joop Homme, Givenchy Gentlemen Only, Armani Acqua di Gio Essenza und dergleichen als sehr gut. Nur allmählich begann ich genervt davon zu werden und habe mich hinterfragt, was meinen zunehmenden Unwillen erregt. Es stellte sich als das Synthetische heraus. Ich habe in der Folgezeit Düfte länger beobachtet und systematisch miteinander verglichen, Kommentare hier und auf Fragrantica gelesen. So habe ich denn Parfums wie Guerlain Habit Rouge oder Vetiver aus dem gleichen Haus für mich entdeckt.

Kurzum, die Nische der anspruchsvolleren Parfums wird noch enger werden und die Synthetik wird noch mehr Raum einnehmen. Auf absehbare Zeit wird sich daran nichts ändern. Wie auch?

(Aber es gibt auch Hoffnung. Dior Homme und Terre d'Hermès (EdT) waren mir schon in meiner ungeübten Phase als außergewöhnlich aufgefallen.)

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