Annarosa
Annarosas Blog
vor 5 Jahren - 18.11.2018
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Jedes Tierchen hat sein Plaisirchen.[Antwort auf Farneons Artikel : "Das Nichendasein ist wohl nicht für mich"]

Einer sammelt Wander- und Mountainbikestrecken, ein anderer sammelt Briefmarken, ein dritter Taschen und Schuhe, ein Vierter sammelt Liebschaften, ein Fünfter sammelt Schallplatten. Jeder hat ein oder mehrere "Hobbys", mithilfe deren er sich dem Alltag mit seiner Problemen, Sorgen und Unzulänglichkeiten- dem Ernst des Lebens eben-zumindest für eine Zeit lang entfliehen kann. Bei mir sind das (zurzeit und wer weiß für wie lange noch) Parfums: Parfums testen, Parfum-Erfahrungen sammeln, über Parfums lesen, Parfums besitzen, Parfums jeden Tag tragen: ein anderer, spannender Welt tut sich da für mich auf.

Mit Leidenschaft für Parfums hat mich eine meine Ex-Freundin vor ca. 5 Jahren angesteckt. Sie zog mich in kleine Parfümerien mit seltenen Nichenparfums, sie schwörte auf so ausgefallene Duftnoten wie Blauschimmelkäse und Spachtelgeruch, welche sie in "Julliette has a Gun" angeblich erroch und welche sie in eine Extase gebracht zu haben schienen. Anfangs war ich sehr skeptisch gewesen was der praktischen Wert der ganzen Sache anbelangt. Will denn jemand wirklich nach frischen Spachtelmasse riechen oder gar nach Blauschimmelkäse? So etwas kann doch nur schief gehen!

Und: Was sollen die überteuerte Nischenparfums Wert sein, wenn es nur sehr sehr wenige Menschen gibt, die so ein Parfum wirklich zu schätzen wissen; wenn die meisten Menschen den teuren Parfum gar nicht von einem billigen unterscheiden können; wenn den meisten Menschen, deinen Partner vielleicht inklusive, die Massenware und das Alltbekannte viel besser schmeckt, als ein jeder, noch so menschenfreundlicher Nischenparfum? Oder wenn dich die normale Leute als verrückt ansehen, wenn Du dein hartverrdientes Geld für so eine unpraktische Sache wie Parfums ausgibst?

So dachte ich mir bis die Parfum- Leidenschaft mich selbst eines Tages ergriff...Erst dann habe ich verstanden, daß

-es mir beim Parfum nicht hautsächlich darum geht, jemandem zu gefallen (obwohl man natürlich auf seine Mitmenschen rücksicht nehmen muss, z.B. am Arbeitsplatz etc. und ihre Komplemente für mich ein angenehmes Bonus sind)

und es geht beim Parfum-Leidenschaft auch nicht darum, hier eigene Bodenständigkeit auszuleben. Weil,

a) Parfum ist per se nicht bodenständig-er war schon immer ein Luxusgut; er gehört nicht zu den primären Bedürfnisse des Menschen, denn man braucht kein Parfum, um zu überleben, genauso wie man keine Kunst dazu braucht. Kunst und Parfum sind Luxus, der Überbau, mit Karl Marx gesprochen.

b)Wenn schon Parfums mein Hobby ist, dann versuche ich nicht daran zu sparen, dann spare ich eben woanders. (Vgl. Oldtimer-Sammler) Ich kaufe ein Parfum nicht, weil er billig ist oder teuer, sondern, weil er mir ausgesprochen gut gefällt oder weil ich neugirig bin, wie er riecht (bei einem Blindkauf). Aber natürlich versuche ich meine Lieblinge, wie jedermann, als Schnäppchen zu ergatern, wenn es geht.

Meine zwei ersten "Nischen"-Parfums waren "Oyedo "von Diptyque und "Nuit de Cellophane" von Serge Lutens. Seitdem, nach vielen vielen Parfum-Tests hat sich mein Geschmack aber erheblich verändert. Ich bin was Gerüche angeht empfindlicher und wählerischer geworden. Heute würde ich die zwei nicht mehr in meine Sammlung aufnehmen. In denen fehlt mir heute ein besonderes Extra: sie sind in Ordnung, aber sie müssen in meiner Sammlung nicht sein.

Worum es mir heute beim Parfumkauf haupsächlich geht, ist: wie es sich anfühlt, ob der Duftverlauf für mich interessant ist oder nicht, ob der Geruch in mir Erinnerungen oder schöne Bilder weckt oder nicht, ob ich mich mit dem Geruch identifizieren kann oder nicht.

Du gehst in ein M..r hinein, schnuppest ein Paar Damen-Parfums und Dir wird öde ums Herz. Ewige Früchte-Grütze-Vanille-Mochus Geschichte (die ich nicht leiden kann), völlig gleicher zuckersüßer Basis, völlige Einerlei,-ein Duft ist wie der Andere. Und die gute alte Klassiker, wie "Knowing", "Magie Noir", "Chinabar" werden so umformuliert und so verwässert, daß sie nur noch ein blasser Schatten ihrer selbst sind.

Da bittet die sogenannte "Nische" so ganz im Allgemeinen einfach mehr Auswahl, mehr Alternativen, mehr Duftwelten als die sogenannte Mainstream-Düfte. Nicht alles ist gut, wo Nische drauf steht, aber man findet einfach mehr Duft-Diamanten in der Nische als im Mainstream. So ist es ganz einfach.

Dem Nichendasein bin ich voll aufgeschloßen.

Ende der Geschichte.

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