Aquaminze

Aquaminze

Rezensionen
Aquaminze vor 5 Jahren 73 18
8
Flakon
4
Sillage
4
Haltbarkeit
8
Duft
Die brave, schüchterne kleine Schwester
Allen Lesern dieser Community, die kurze und knappe Texte schätzen, möchte ich zu Beginn empfehlen, direkt zur zweiten Hälfte dieses Kommentares zu scrollen – das hier wird nämlich etwas länger. Coromandel war noch nie ein Duft, den man in wenigen Sätzen hätte abhandeln können, und das Extrait dieses Meilensteins hat es (nicht zuletzt aufgrund seines horrenden Preises) ebenfalls verdient, sich etwas ausführlicher damit zu beschäftigen.

Coromandel hat mich von Anfang an fasziniert, egal in welcher Duftkonzentration. Es ist für mich das mit Abstand fatalistischste Parfum, das mir je unter die Nase gekommen ist. Begeisterung oder Abscheu, Krieg oder Frieden, Sieg oder Niederlage – Coromandel ist für mich das exakte Gegenteil eines gefälligen Dufts. Keine Kompromisse, sondern klare Kante. Vom Umfeld belobigt oder verflucht, aber niemals gleichgültig betrachtet. Wunderbar! Ganz sicher kein Duft für jederzeit, sondern für mich absolut stimmungsabhängig. An manchen Tagen kann ich Coromandel nicht ertragen, an anderen ist es (wie man heute so schön sagt) alternativlos. Als ich vor einigen Tagen hier sozusagen im Vorbeilesen sah, dass Chanel ein brandneues Coromandel Extrait aufgelegt hat, war meine Aufmerksamkeit folglich sofort geweckt.

Ich las das Statement von Aika1547 - und hörte förmlich den Knall, mit dem die Falle zuschnappte…
weniger Patchouli! Nicht so erdig! Viel Vanille? Danke, her damit. Sofort.

Innerhalb von 24 Stunden gab ich die Bestellung in der Onlineboutique von Chanel auf, eine Kapitulation der reinsten Sorte und an Dekadenz nicht zu überbieten. Nie zuvor habe ich so wenig Parfum für so viel Geld gekauft, nie zuvor einen Blindkauf in dieser Preisklasse gewagt. Egal – Sucht ist Sucht und Coromandel ist schließlich Coromandel, nicht wahr?
Da sich vermutlich die meisten Leser dieser Detailseite dafür interessieren, inwieweit das Extrait seinen Vorgängern ähnelt bzw. sich von ihnen abhebt, möchte ich das EdT und das EdP mit dem frisch gelaunchten Extrait vergleichen und eine Art zusammenfassenden Überblick wagen.

Eau de Toilette (2007):
Das erste Coromandel, das ich kennenlernte. Der zitrische Auftakt ist außergewöhnlich – nicht muffig oder altbacken, sondern richtig hohe Parfumeurskunst alter Schule und absolut klassisch. Dominierend ist in der Herznote neben Iriswurzel der massive Patchouliakkord, dessen säuerlich-erdige Intensität die einen begeistert, die anderen abstößt. Mich selbst störte er mit jedem Test mehr – dieser Geruch nach feuchten, muffigen Erdhaufen, die sich neben mir aufzutürmen schienen, überdeckte die meisten anderen Komponenten und verleidete mir den Duft komplett. Da half dann auch die einzigartige, wunderschöne Basisnote nicht mehr, dieser so perfekte goldene Schleier aus trockener Vanille, Moschus und Weihrauch… ich trennte mich von der Abfüllung und wagte mich nach einiger Zeit an das

Eau de Parfum (2016):
Derselbe klassisch-zitrische Auftakt, der fast identische Duftverlauf. Aber hier ist Patchouli deutlich reduzierter, die Erdhaufen hat man zusammengekehrt und weggeschafft. Übrig bleibt eine Patchoulinote, mit der man auch durchaus leben kann, wenn man sonst Patchouli nicht mag. Das EdP wirkt im Vergleich zum EdT für mich weicher, gereifter, nicht mehr so kantig. Wie eine Spirituose, die erst nach längerer Lagerung ihr perfektes Aroma entfaltet. Leider ging der Reifungsprozess für mein Empfinden zulasten der Haltbarkeit, diese hat im Vergleich zum EdT etwas nachgelassen. Die Basis ist wieder typisch Coromandel – nämlich Perfektion.
Entsprechend groß waren meine Erwartungen an das Extrait, bei dem Patchouli noch weiter in den Hintergrund gerückt sein sollte. Das stimmt zwar, es gibt aber weitaus gravierendere Unterschiede.

Extrait (2019):
Der klassische Coromandel-Auftakt, die Zitrusnote, ist verschwunden. Schlicht und einfach wegreduziert. Laut der Duftpyramide hier sollen zwar Zitrusfrüchte vorhanden sein, ich muss jedoch Aika1547 zustimmen, das Extrait beginnt tatsächlich sofort mit der Herznote. Diese verrät in aller Deutlichkeit das Ur-Coromandel, hier mit dominierender Iris. Patchouli ist nur noch schwach wahrnehmbar; die Erdhaufen sind verschwunden, lediglich ein paar trockene Krümel sind übriggeblieben. Trockene Vanille und Weihrauch sind im Vergleich zu EdT und EdP viel früher wahrnehmbar, und dies verrät auch den nächsten klaren Unterschied zu den Vorgängern:
das Extrait hat fast keinen Duftverlauf. So, wie der Duft startet, so bleibt er auch weitestgehend. Die (patchouliärmere) Herznote und die Basis gehen früh ineinander über, wobei zumindest die Basisnote praktisch unverändert geblieben ist.
Der Duft wird rasch hautnah, ist jedoch im Raum nach einer Stunde noch leicht wahrnehmbar. Nach 4-5 Stunden muss ich ihn auf meiner Haut praktisch suchen, diese schlechte Haltbarkeit bescheinigten auch Testpersonen, die ich um ihre Meinung bzw. Nase bat: man nimmt den Duft nur noch schwach wahr, nachdem ich ihn 3 Stunden zuvor mehrmals auf meine Haut aufgetupft habe. Diese Haltbarkeit und Sillage finde ich für ein Extrait in dieser Preisklasse schockierend schlecht. Kein Vergleich zum EdT oder EdP, die nach 2-3 Sprühern morgens auch nachmittags noch deutlich wahrnehmbar sind… Auch der Über-Nacht-Test des Extrait ergab: was abends aufgetupft wurde, war am nächsten Morgen praktisch komplett verschwunden.

Fazit:
ich erwartete eine Art Coromandel unterm Brennglas, eine funkelnd-strahlende Version mit weniger Patchouli, die dadurch anderen Duftnoten eine Chance gibt, zu brillieren. Diese Hoffnung hat sich nur zum Teil erfüllt. Das Extrait verzichtet zwar auf den Großteil des Patchouli, aber auch auf die komplette Kopfnote seiner Vorgänger – und vor allem auf deren Haltbarkeit. Eingeschworene Coromandel-Anhänger der ersten Stunde werden sich hier womöglich entsetzt fragen, wo die andere Hälfte dieses großartigen Duftes geblieben ist…
Coromandel hat im Extrait seine Kanten verloren, vor allem seine Vielschichtigkeit, die die meisten Fans so an dem Duft lieben.
Hätte ich den Flakon gekauft, wenn ich das Extrait vorher getestet hätte? Vermutlich nicht, allein aufgrund der schlechten Haltbarkeit. Mein Favorit wird somit das EdP bleiben. Ich muss in dem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass ich eine ausgeprägte Vorliebe für sog. Wummser habe und meine Einschätzung hier natürlich nur meine ganz persönliche Meinung widerspiegelt… ich bin sehr gespannt darauf, wie andere Nutzer hier das Extrait bewerten werden.

Wer enttäuscht sein wird: alle, die dem klaren Statement des Eau de Toilette nachtrauern, werden beim Extrait vermutlich keinen Trost finden. Die Kantigkeit, die beim EdP so abgemildert wurde, ist hier nun gänzlich verschwunden.
Nichtsdestotrotz wird auch Coromandel Extrait seine Liebhaber finden, und sie werden zahlreich sein, wenn man die Kommentare und Statements zum EdT und dem EdP durchliest.

Wer es lieben wird: all jene, die in den letzten Jahren gehofft und gebetet haben, es möge irgendwann eine weichere, gefälligere, sanftere (leisere?) Version von Coromandel erscheinen, bei der Patchouli in seine Schranken gewiesen wird – es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht.
Die gute: Chanel hat eure Gebete erhört. Dies dürfte die Coromandel-Version sein, auf die ihr gewartet habt.
Die schlechte: 15ml für 225 Euro – die Erfüllung mancher Wünsche muss man teuer bezahlen, da macht dieser Duft keine Ausnahme :)
18 Antworten