Aventurin

Aventurin

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Aventurin vor 5 Jahren 49 19
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Duft
Der glückliche Seelenvogel
Als Kind mochte ich ein kleines Buch von Michal Snunit sehr gern, „Der Seelenvogel“. Der Vogel kennt viele Gefühlsfarben, und für jede gibt es eine Schublade im Körper des Vogels.
Da mein Seelenvogel als Kind oft eher traurig und ängstlich war und seine großen Flügel wie eine Decke schützend über seinen kleinen Kopf gelegt hat, habe ich mir vor dem Einschlafen häufig vorgestellt, wie Kummer und Sorgen in den Schubladen verschwinden und mit einem schön verschnörkelten Schlüssel fest verschlossen werden, so dass sie verborgen, irgendwo weit weg in dunklen Orten ruhen, unerreichbar für uns Menschen. Dann konnte ich meistens ruhiger einschlafen.

Vicolo Fiori ist ein Duft, der mich an die schönen Momente der Kindheit erinnert, an die, die ewig in einem leuchten, auch wenn sie manchmal seltsam fremd und fern erscheinen.
Er ist ein einfacher, heller und heiterer Duft von feiner, schlanker Gestalt, nicht auffallend elegant oder gar erhaben, aber auch nicht schmucklos im Sinne von beliebig oder belanglos.
Er ist liebliche Sonnencreme auf reiner, warmer Haut, ist ein Tupfen Nivea auf runden, rosigen Wangen und einem lächelnden Kindermund, ist kleine weiße Blüten im frisch gewaschenen Haar und im sanften Sommerwind.
Er ist der Duft, der uns umgibt, wenn wir still versunken vor einer strahlenden Blume stehen, ihre Schönheit bewundern und dabei an gar nichts anderes mehr denken.
Oder wenn wir mit einem Zitroneneis in der Hand durch lichtdurchflutete Alleen fahren und glauben, dass der Sommer niemals enden wird.
Wenn wir gebrochene Sonnenstrahlen im Wolkenmeer bewundern, ruhig am Strand liegen und Sandengel formen, saftige Pfirsiche essen und gar nichts weiter brauchen, die Welt ist genug, es ist alles da, es ist alles gut.
Einfaches und stilles Glück im Herzen.
Er hängt noch als tröstender Duft in unseren Kleidern, wenn wir uns am nächsten Tag in der kühlen Morgendämmerung daran erinnern, dass der Sommer bald vorbei ist, obwohl wir am Abend doch immer wieder glauben, dass die Tage nie kürzer werden.

Vicolo Fiori ist wie das schwanenweiße, glänzende Gefieder des glücklichen Seelenvogels, der die Welt am Morgen und in der Nacht erkundet, der in uns und unseren Träumen lebt und immer da ist, der ewigen Sommer bringt - im Frühling, Herbst und Winter.
19 Antworten
Aventurin vor 5 Jahren 41 21
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Duft
Die Schönen und Verdammten
Einige Bücher lese ich in unregelmäßigen Abständen immer wieder, dazu gehört der wunderbare autobiographische Roman „Die Schönen und Verdammten“ von Francis Scott Fitzgerald.

Im Mittelpunkt dieser bewegenden Geschichte stehen Gloria Gilbert und Anthony Patch. Zwei schillernde Figuren, eigenwillig und begabt, Wanderer zwischen Leid und Lust, Leere und Lebensdurst, Abstürzen und Hoffnung. Sie lieben den stürmischen Herzschlag der Metropole und die prächtigbunte Palette der Schönheit, versinken im Traum von Reichtum und Freiheit und den wilden, nicht enden wollenden Nächten der glamourösen Zwanzigerjahre. Sie sind das strahlende Sternenpaar jeder Party, sie leben und feiern dekadent und freizügig.
Da beide dem gewöhnlichen Alltag und einer konventionellen Beschäftigung wenig abgewinnen können und überhaupt kaum Freude am Arbeiten, dafür umso mehr am Konsumieren haben, stagniert der Fluss des großen Geldes, stattdessen fließen reichlich Tränen und reichlich Alkohol.

L’Heure Bleue ist ein Duft, der zu dieser extravaganten Welt passt - nicht, weil er das lärmende Flackern ungezähmter Tanzschritte auf schwarzglänzendem Parkett einfängt, sondern weil in ihm der ganze Rausch von Eskapismus und Realität, Licht und Schatten wirbelt.
Er enthüllt veilchenblaue Traumlandschaften, untermalt herbe Tragik,
leuchtet blasskupfrig und weißgold, ist bitter und trocken, blumig und pudrig, komplex und zärtlich-geheimnisvoll verwoben.
Er ist ein besonderer, ein einprägsamer Duft, dessen opulente Nelkennostalgie sicher nicht jedem behagt, er ist kein Duft für nüchterne Askese, er ist einer, den man geduldig ergründen muss, um seinen Zauber zu erfassen.
Er läutet das Ende eines Tages und den Anfang des nächsten ein, sommerwarme Nachtmagie und herbstliche Morgenmelancholie, wenn die Stunden der Reue und die des Nachdenkens anbrechen, wenn die Gläser geleert und die Füße wundgetanzt sind.
Wenn die blasse Sonne durch graue Wolkenstreifen gebrochenen Glanz und versehrte Herzen entschleiert, aber die Dämmerung zurück in die blaue Weite führt, Hand in Hand, jeden Tag aufs Neue, erhellt von Kronleuchtern, Kerzenschein und hungrig lauernden Seelen.
Ein Duft so speziell und faszinierend wie Gloria und Anthony und ihr ganzer farbig-abgründiger Kosmos.

Und wenn Gloria Guerlains Schicksal lenkte, gäbe es diesen großen Klassiker vielleicht nicht mehr, denn als Anthony sie fragt „Willst du das Alte denn nicht bewahren?“, antwortet sie „Das kann man eben nicht, Anthony! Alles Schöne wächst nur bis zu einer gewissen Höhe, dann fängt es an zu kümmern, vergeht und dünstet im Vergehen Erinnerungen aus. Und so wie jeder geschichtliche Zeitabschnitt in unseren Köpfen vergeht, sollten auch die zu diesem gehörenden Zeitabschnitt gehörenden Sachen vergehen; auf diese Weise werden sie noch eine Weile in den wenigen Herzen bewahrt, die dafür empfänglich sind – in meinem beispielsweise.“

L’Heure Bleue vergeht nicht, er bewahrt seine Schönheit und wächst weiter, wie alles Gute und Kostbare, das zum Bleiben und Wachsen bestimmt ist und manche Herzen in allen Zeiten erreichen wird.
21 Antworten
Aventurin vor 5 Jahren 23 14
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Duft
The sea is calm
Ich liebe das Meer. In allen Erscheinungen und Farben.
Das dramatische Sturmtosen des wild aufgewühlten Atlantiks an schroffen Klippen der Bretagne.
Die ruhigen, flachen Kristallbuchten französisch-polynesischer Inselidylle.
Das türkisgrüne, pinienbeschirmte Leuchten der Côte d’Azur.
Die kilometerlangen, tiefblauen Surferparadiese entlang kalifornischer, palmenbeschatteter Küstenstraßen.
Die hellgraue, windkühle Nordsee und ihr Eisschollenmeer im Winter, die einsamen Lichtpunkte der Leuchttürme und die neblige Silhouette der Halligen am Horizont.

Da man leider selten alles gleichzeitig haben kann, verführen die Sehnsuchtsorte in der Ferne regelmäßig zum Kauf wohlduftender Surrogate in schönen Flakons.

Vicolo Fiori erzählt in kräftigen, hellfloralen Tönen eine kleine Geschichte von unbeschwertem Strandglück und ruhigen Tagen am Meer, von Kindheitserinnerungen an die milde Ostsee oder feinpudrige Mittelmeerstrände.
Er ist nicht frisch und auch nicht kühl, er ist die Sonnencreme auf warmer, gepflegter Haut, der feine Duft weißblühender Alleen in mediterranem, honiggelbem Licht, die Geborgenheit einer zärtlichen Berührung abends im Strandkorb, wenn das Wasser silbrig schimmert, der Sand fliedergrau mit der Dämmerung verschwimmt und nur noch das sanfte Rauschen der Brandung die Stille durchbricht.

Ein schnörkelloser, freundlicher, pfirsichsamtiger Duft für die Sehnsucht nach Sommerkleidern, Sandburgen und der grenzenlosen Freiheit der Meeresweite. Die Welt ruht, die Gestalten verblassen wie in „The Sea Is Calm“ von Cocorosie:

„La mer est calme
Sous l’écran de la caméra
Comme une ampoule electrique grillée
Dans un seau d’eau

Il est sous le feu des projecteurs
D’un soleil cassé
Il a jetté son corps comme une ancre
Comme un morceau de sucre
Et s’est dissout“

(Ich bedanke mich bei Isolani)
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Aventurin vor 6 Jahren 30 20
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Duft
Dachterrassenidylle in der Dämmerung
Ich muss gestehen: Die Vorstellung einer eigenen, gepflegten Dachterrasse löst in mir ein Gefühl kindlich exaltierter Euphorie aus.
Abends mit einem feinen Tropfen im sanften Wind den Wellen der Musik folgen, sich im Farbenspiel der aquarellierten Wolkenlandschaften und dem Lichtpulsieren der Nacht verlieren, und unter einem fließen die Autoschlangen wie irisierende Perlen, der Blick ruht auf dem Himmelsspiegel kaltblauer Glasfassaden oder majestätischen Stuckbauten, über einem wacht das turmalinschwarz gefleckte Firmament.
Jene, denen dieses Glück verwehrt ist, müssen auf Bars ausweichen, von denen über Berlins Dächern das ein oder andere Schmuckstück thront, manches leider nur für Clubmitglieder, die tapfer ein entsprechend strenges Aufnahmeverfahren absolviert haben.

Gin Fizz ist in seiner herrlich herbfunkelnden Frische wie eine kühlfließende Verführung auf einer solchen Dachterrasse, noch aufgeheizt von glühender Sonnenwärme, erfüllt von gedämpftem Stimmengewirr, blütenweißen Hemden und graugrünem Seidenglanz auf Alabasterhaut.
Bitter transparenter Wacholder wird von einem leuchtend klaren Gespann aus Mandarine und Bergamotte flankiert und von moosigen, leicht krautigen Akzenten eingerahmt.
Lubins lindgrüner Chypre changiert zwischen frühlingshell-luftig-floral und trocken-pudrig-ernst, zu frostig, um einen Hauch von Wärme zu verströmen, aber zu mild, um als knarzigkomplexer Vertreter dieser Duftgattung durchzugehen.

Gin Fizz ist so feinspritzig wie ein edler Cocktail, erfrischend wie der Tauchgang im opalschimmernden Swimmingpool, zart wie die Geschichten im leisen Blätterrauschen, in seinem weichen Ausklingen fast ein wenig wehmütig - wie das Klirren der Gläser, wenn die Morgendämmerung der Nacht die Seele raubt.

(Ich bedanke mich bei Verbena)
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Aventurin vor 6 Jahren 42 15
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Duft
I'm not gonna marry in the fall, and I'm not gonna marry in the spring
Cristalle habe ich schon einmal ein Statement gewidmet, doch dieser besondere Chanel verdient einen Kommentar - wie so viele andere Düfte, ich weiß, aber Parfum und Zeit verhalten sich bei mir reziprok proportional zueinander.
Besonders ist er, weil er neben all den Neuerscheinungen tatsächlich aus der Zeit gefallen scheint, allerdings nicht, weil er altbacken daherkommt, sondern weil er sich so wohltuend abhebt vom banal-gefälligen Einheitstrend, dessen Triebe auch im Parfumlabor des altehrwürdigen Modehauses gut gedeihen. Cristalle ist kein schwieriger Duft, er hat nicht die opulente, feindifferenzierte Noblesse vieler Exclusifs, ist dafür aber ungeschminkt schön, unaufdringlich und – das Beste – frei von jeder Süße und wässrigpuderweicher Langeweile à la N°5 L’Eau. Er steht ein wenig für sich allein und ähnelt in seiner dezenten und dennoch ausdrucksstarken Leichtigkeit am ehesten N°19 EdT.

Cristalle ist herb wie ein frostiger Frühlingsmorgen, kühl wie blasser Porzellanteint. Die kalte, nicht spritzig-erfrischende Zitrone - beinahe metallisch-klar, als schleife man einen Kristall – bettet sich in ein graziles Herz aus Hyazinthe, hellviolett und grünfloral changierend. Weichere Töne mildern die anfängliche Strenge, die blumige Mitte wird silbrig-transparent durchwirkt, gestützt von einem sehr zart moosigen Fond, mehr luftig-grau als warm-dunkelgrün.
Cristalle ist schnörkellos, geradlinig und souverän, minimal zärtlich hinter seinem seidigen Schleier aus Distanziertheit, in seinem ganzen Wesen unnahbar, stolz und entschlossen, wie diese Liedzeilen – nur ohne den Schmerz – aus dem Song „The Bachelor“ von Patrick Wolf.

„I'm not gonna marry in the fall
And I'm not gonna marry in the spring
I will never marry – marry at all
No one will wear my silver ring“

Wer ihn trägt, geht aufrecht, vielleicht manchmal mit einem wehmütigen Blinzeln, aber geradeaus. Ohne zurückzublicken.
15 Antworten
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