Borth

Dieser Duft ist eigentlich nicht so meiner. Dafür ist er zu schwer, zu dunkel, zu ernst. Kaum aufgesprüht, erfüllt er den Raum mit einer Aura, die vermeindlich nichts Gutes verspricht. Jemand, der diesen Duft trägt und seine Stimme erhebt, demjenigen muss man ehrerbietend zuhören. Dieses Parfum verleiht Macht. Doch ist es die dunkle Seite der Macht?

Trotz der harzig-holzig-rauchigen Schwere, die dieser relativ einfach gestrickte Duft verbreitet, stellt man schnell fest, dass er gleichsam wunderbar weich ist. Keine Ecken und Kanten sind hier auszumachen. Anstatt die Seriosität dieses Duftes mit mehr holzigem, rauchigem oder sogar ätherischem Charakter zu untermauern, entschied man sich, ihn mit einer süßen, wohligen Wärme auszustatten, die ihn fortan umgibt und bis zum Schluss begleitet.

Obwohl der Duft sicherlich nicht für ein junges Zielpublikum kreiert wurde, kann ich mir gut vorstellen, dass er dem ein oder anderen jungen Menschen gefällt. Der Grund ist, dass er ein wohliges und gutes Gefühl verbreitet. Ein Wohlfühlduft eben, mit dem väterliche Geborgenheit und ein warmer Platz vor dem Kaminofen assoziiert werden können. Der Duft schafft einen Ort, an den man sich zurückziehen kann in Zeiten, wo die Tage kurz und das Leben stürmisch ist. Daher mag ich ihn auch. Und ich bin sicher, dass ihn andere auch mögen werden.

Riecht, wenn man mit der Nase an die aufgesprühte Stelle geht, echt mies. Billig, synthetisch, Null Wiedererkennungswert - Hätte glatt vom Discounter kommen können.

Wenn man seine aufgesprühte Stelle aber ignoriert, verteilt sich im Raum binnen kurzer Zeit ein doch recht angenehmer und populistischer Duft. Immer noch Null Wiedererkennungswert, aber angenehm. Noten sind für mich nicht differenzierbar (außer Limette am Anfang und Moschus am Ende). Aber sehr gute Projektion und auch sehr gute Haltbarkeit. Hat leider nur nichts mit der Assoziation von "Black" zu tun und noch viel weniger mit "Vintage". Mit "Vintage Black" erst recht nicht. Ich hätte auf jeden Fall etwas Gewagteres erwartet. Er hält nicht, was er verspricht.

Handwerklich ist der Duft wirklich sehr mittelmäßig gemacht. Klassische Kopfnote mit Betonung der Limette, der Abgang ist auch seeehr bekannt. Alles, was dazwischen liegt, ist eine glatte Fläche, keine Ahnung, was das sein soll, etwas Frisch-Grün-Aquatisch-Hölzern-Moschussiges. Im Hintergrund ist stets der kratzige Background.

Der Duft ist ganz ok für jemanden, der einfach nur nach etwas riechen will, was niemanden stört, der sich vielleicht sogar mal ein Kompliment eines Laien einfängt, aber nichts für jemanden, der auf der Suche nach einem besonderen, persönlichen Duft ist.

Meine Impressionen:

Es geht los mit einem starken Aldehyd-Seifen-Akkord, für die No.5 so berühmt ist. Unterstützend wirken hier die Zitrischen. Sie färben den ersten Eindruck an und betten den Akkord in etwas Bekanntes ein, sodass es trotzdem angenehm und nicht unnatürlich riecht - irgendwie sehr gut, wie ich finde.
Nach wenigen Minuten tut sich etwas, etwas schlummert und will heraus. Es ist die Rose... Erst langsam spannt sie ihre Fäden, dann umschließt sie die Kopfnote und nach und nach entwickelt sie sich zu einem wunderbaren Rosengarten. Die nächsten Stunden sind ein Spaziergang durch Maiglöckchen, Jasmin, pudriger Iris und überall...Roooosen! Die Weichheit dieses Teils ist wunderbar, als würde man sich in ein Kopfkissen hineinlegen aus Daunenfedern und drin versinken. Je weiter der Duft fortschreitet fallen wir in einen sanften, langen Schlaf, hinter einem goldenen Vorhang aus Amber und Sandelholz, umhüllt von Vanille. Die restlichen Noten lassen einen noch etwas träumen...

Ich finde, dass dieser Duft zurecht ein Klassiker ist und zwar in erster Linie, weil er handwerklich perfekt gemacht ist. Kein Duft, den ich kenne, ist so klar in seinem Verlauf strukturiert, seine Akkorde so sanft ineinander übergehend und jede filigrane Note so gut aufeinander abgestimmt wie in No.5. Beaux wusste, was er tat, und ich kann mir vorstellen, wie er Tag und Nacht damit verbrachte, diese Komposition zu perfektionieren.
Ich finde auch, dass dieses Parfum für junge wie für alte Damen gleichermaßen geeignet ist. Ich würde es mit Sicherheit an einer jungen Frau ziemlich verführerisch finden, wenn sie der Typ dafür ist. Ich glaube, zum hellhäutigen Typ passt es am besten. Protbierts mal aus. Für täglich oder die Arbeit ist es natürlich zu schade, zu schwer, zu besonders.

Also es ist ein Meisterwerk - aber auch ein Kunstwerk?
Schwierig. Es ist so perfekt, es hat Wagnisse, aber keine Fehler. Das macht es etwas langweilig, finde ich. Klassiker. Standard. Ich mag das Risiko, ich mag es, wenn man hinfällt und wieder aufsteht, ich mag es einzigartig und etwas Besonderes zu sein. Manchmal mag ichs wild, rau und herzzerreißend.
Trotzdem mag ich auch Chanel No.5, denn es gefällt mir und es ist seit fast 100 Jahren das Maß aller Dinge. Respekt.