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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 23.07.2021
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Duftende Reise in die Vergangenheit

Geht es nur mir so, oder plaudern wir duftaffinen, sammelnden Parfumverrückten gern zu jeder Gelegenheit über Düfte? Das hat nämlich manchmal auch den Vorteil, dass unser Umfeld uns wissen lässt, wenn es irgendwo was abzustauben oder zu testen gibt!
So erzählte mir mein Liebster vor geraumer Zeit von der Miniaturensammlung seiner Mutter. Diese ist gelernte Drogistin und sammelte von den 70ern bis in die frühen 00er Jahre Miniaturen und bewahrte sie natürlich dekorativ in Setzkästen an der Wand auf.
Jedenfalls, so ergänzte er als meine Augen immer größer wurden, existiere diese Sammlung sehr wohl auch noch auf dem Dachboden und wäre seiner Nichte versprochen. Die Nichte ist 19, macht gerade ihren Führerschein und interessiert sich nicht besonders für Parfum. Da sie selbst also weder sammelt noch sich für Düfte begeistert die deutlich älter sind als sie selbst, darf sie die Sammlung verkaufen und damit ihr Taschengeld aufbessern.

Vor ein paar Wochen, als ich mit dem Liebsten seine Mama besuchte und wir auf der Terrasse saßen, fragte er sie so nebenbei, ob sie denn wisse wo die Sammlung auf dem Dachboden sei. Sie sprang direkt auf, huschte davon und kam mit zwei Schuhkartons wieder zurück.
Ich öffnete die Deckel und damit auch die duftende Büchse der Pandora und bin direkt im siebten Parfumhimmel! Denn sie sind voll, die beiden Kartons, mit einem ziemlich eingestaubten Inhalt da die Miniaturen irgendwann einfach eingemottet wurden. Meine Schwiegermama sagt grinsend, ich solle mir da ruhig was rausnehmen.
JUHU! Das ist ja wie Geburtstag! 🤩
So sitze ich da eine Stunde lang, bewundere die Namen und die Flakons, oooh Chanel, aaaah Yves Saint Laurent! Aber da ich nicht gerade zu den entscheidungsfreudigsten Menschen gehöre, wie sollte ich mir da etwas aussuchen?

Ich bot aber an, der Nichte eine Überraschung zu machen und beim Verkauf der Schätze zu helfen, sie weiß noch nichts davon. Zum einen, weil ich es schade finden würde wenn sie aus Ahnungslosigkeit die Sammlung unter Wert verkaufen würde, und zum anderen weil ich mir wünsche dass zumindest ein Teil davon bei Menschen landet, denen das Herz dabei genauso aufgeht wie mir. Das findet meine Schwiegermama eine tolle Idee, freut sich dass ich mich freue, und betont dass ich mir aber wirklich keine Umstände machen soll und die Düfte ganz in Ruhe anschauen und testen kann und mir aussuchen soll, was davon ich behalten möchte.
Mit diesen beiden Kartons auf dem Schoß fuhr ich also zurück nach Hause und hier beginnt nun meine Reise in neue Gefilde der Parfümwelt.

Zuerst mussten die Flakons gereinigt werden, denn sie hatten nach den vielen Jahren im Dornröschenschlaf eine dicke Staubschicht angesetzt. Es war nicht wenig Arbeit, aber ich empfand sie als sehr meditativ und bekam einen ersten Überblick. Ich überprüfte ob die Deckel fest saßen, gab eine handvoll Minis in ein laues Bad, wischte sie ab, und legte sie dann zum Trocknen auf ein Frotteehandtuch. Damit war der erste Schritt getan und sie blitzten wie kleine Juwelen.
Dann katalogisierte ich sie und musste hierzu immer wieder erst einmal anhand Parfumo, Google Lens etc. herausfinden, um welchen Duft oder welche Art der Konzentration es sich handelte, denn Kartons gibt es leider keine mehr und manchmal fehlen die aufschlussreichen kleinen Kleber an der Unterseite.

Der Versuch eines Selfies mit meinem neuen Spielzeug


Am Ende hatte ich es mit einer Sammlung von ca. 280 Miniaturen und kleinen Flakons zu tun! Ungefähr schreibe ich deshalb, weil ich mir bereits vor dem Katalogisieren ein paar Düfte die ich behalten wollte, auf die Seite gelegt hatte.
Ich traf nun eine Auswahl an Parfums, die ich unbedingt testen wollte. Enige davon interessierten mich gar nicht (z.B. Adidas, Escada), andere wiederum brennend (z.B. Armani, Hermès).
Beim Anblick meiner dann doch sehr großen Auswahl wurde mir klar, dass ich in den kommenden Wochen einiges zu tun haben würde!

Ich entwickelte ein kleines Ritual.
Morgens wenn ich frisch aus dem Bad kam, setzte ich mich an meinen Tisch im Atelier und wählte für jedes Handgelenk einen Duft aus. Ohne davor etwas über den Duft zu lesen, rieche ich den Auftakt und lasse den Duft dann wirken. Und während die Bialetti espressoblubbernd auf dem Herd steht und ich das Frühstück bereite oder darauf warte, schnuppere ich immer wieder und halte selbstverständlich auch dem Liebsten die Handgelenke abwechselnd unter die Nase - glücklicherweise ist er neugierig und riecht gern mit. Zwischendurch mache ich mir hier dann meine Notizen und schreibe später dann häufig ein Statement dazu.

Welch neue und faszinierende Eindrücke ich sammle!
Ich bekomme nach und nach ein Gefühl dafür, was Chypre ist.
Ich erahne, welche Präsenz Parfüms aus vergangenen Dekaden haben mussten, welches Lebensgefühl sie widerspiegelten.
Ich staune über die vielen Facetten mancher Düfte, die mich wiederum aber bewusst werden lassen, dass ich nicht in der Lage bin, viele Komponenten herausriechen zu können. Das ist für mich aber völlig in Ordnung, denn ich habe es ja mit einem Gesamtkunstwerk zu tun und bin kein Profi, nur Ästhetin.
Ich stelle nach und nach neu fest, was ich mag - Seifiges, durchaus auch orientalische Einschläge, die Süße von Heliotrop und Tonka -, und was ich nicht mag - "Pipi-Maiglöckchen", stark Animalisches.
Keiner der Düfte, die ich bislang unter die Nase bekomme, ist gekippt. Bei einigen bin ich mir Anhand der hier aufgelisteten Duftpyramiden und Texte fast sicher, dass sich manche Duftnoten verflüchtigt haben müssen. Und bei anderen habe ich auch den Eindruck, dass ihre Haltbarkeit nachgelassen hat und nicht mehr hergibt, wovon so viele schwärmen.
(Das hat manchmal wiederum den Vorteil, dass ich, wenn ich dann später aus dem Haus gehe, dann einfach meine eigenen Düfte tragen kann weil an meinen Handgelenken fast alles verpufft ist.)

Da ich aber auch viel Zuhause in meinem kleinen Atelier arbeite, kann ich im Laufe des Tages oder Abends dann oft noch einmal neue Kandidaten nachlegen. Und die Handgelenke meines Liebsten werden natürlich auch immer wieder genutzt!

Dune sieht zauberhaft im Sonnenlicht aus.


Ich bin Modedesignerin und stelle fest, dass mich mein Wissen um die Mode vieler Designer*Innen einige Male schon getäuscht hat in meiner Erwartung an den Duft. So ergeht es mir zum Beispiel mit Jil Sander, die ja eine Pionierin der minimalistischen Mode war. Background (Eau de Toilette)Background Eau de Toilette, ein himbeerig-lakritzigsüßer Herrenduft, oder auch Woman TwoWoman Two, den ich sehr opulent-aufdringlich-animalisch empfinde, bringe ich nur schwerlich mit Jil Sanders Mode in Verbindung.
Bei MoschinoMoschino passierte das Gegenteil. Ich erwartete etwas passendes zur quietschbunten, verspielten und schrillen Mode und entdeckte plötzlich einen dunkelgoldenen, harzigwarmen und schnörkellosen Duft.


Immer wieder habe ich einen Flakon in der Hand und dazu eine Vorstellung oder auch Vorurteile, was mich der Optik oder dem Namen nach erwarten könnte. Und immer wieder werde ich überrascht!
Safari (Parfum)Safari Parfum ist so ein Beispiel, weder die Mode Ralph Laurens gefällt mir, noch der klischeebehaftete Name des Parfüms. Aber es ist ein grüner, klarer und so zeitlos schöner Duft, den ich jetzt gerne trage und für mich entdeckt habe.
Tuscany per Donna (Parfum)Tuscany per Donna Parfum - Mein kleiner Mini ist sehr schlicht (ich mag das auch sehr gern), aber sehr unscheinbar und eigentlich reizt mich auch hauptsächlich der Name. Und dann ist es ein wundervoller Duft wie Sonnenküsse auf Sommerhaut, irgendwo in italienischen Gässchen.
Meine Miniatur Senso (Eau de Parfum)Senso Eau de Parfum ist eigentlich ganz hübsch mit dem angedeuteten Faltenwurf, lediglich der blaue Plastikdeckel ist nicht ganz gelungen wie ich finde, aber der eigentliche Flakon wäre einer, den ich mir definitiv nicht hinstellen würde. Ich erwarte süße, schwere, dröhnende Schwaden, aber ich bin glatt ein wenig verliebt in das was ich da rieche, edle und cremigste Orangenblütenwolken!

Tuscany, dich nenn ich mein

Endlich lerne ich auch einige Klassiker kennen: Chanel No.5, Opium, Calèche, Chloé, Joy!

Und selbst wenn ich viele von ihnen selbst nicht tragen würde, so weiß ich nun was sie zu Klassikern macht. Aber auch die Neugier auf die aktuelle Version eines Duftes ist entfacht.
Ich darf nun eine wunderschöne kleine Miniaturensammlung mein Eigen nennen. Meine Wahl fiel auf Miniaturen, die ich alle gern tragen möchte – mir geht es nicht nur um den dekorativen Aspekt, sondern vor allem auch um den noch nutzbaren und kostbaren Inhalt und ein ganz neues Duftgefühl, das ich dadurch bekomme.
Ich komme auf die stolze Anzahl von 104 getesten Vintagedüften, und diese Odyssee war eine wahre Freude. Der Anblick der kleinen Schönheiten erfreut mich sehr und inspiriert mich gleichermaßen zu fotografischen Ideen.
Und einige der Miniaturen haben bereits ein neues Zuhause bei sehr netten Menschen aus dem Forum gefunden, und das finde ich ganz wunderbar!



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