Claudegable

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Rezensionen
Claudegable vor 11 Monaten 2 2
Des Kaisers neue Kleider
Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und über Geschmack lässt sich nicht streiten. Auch wenn dieser Text vielleicht die eine oder andere Eitelkeit verletzen wird, so brennt er mir schon lange unter den Fingern.
Gerüche triggern ähnlich wie Musik unglaublich stark Emotionen. Das ist oft schön, aber manchmal auch ein Fluch. Mein Fluch heißt Tobacco Vanille.
Es hätte nie so weit kommen müssen. Angefixt von vielen positiven Rezensionen wanderte der Duft im letzten Sommerurlaub aus dem Regal zum Testen auf meine Haut, bereit bewundert und wertgeschätzt zu werden. Aus dem Sprühkopf startete der Triumphzug Richtung Handrücken, um dort von dem kleinen, schonungslos ehrlichen Jungen in meinem limbischen System als nackter Kaiser entlarvt zu werden. Denn was meine Nase zu verarbeiten hatte war keinesfalls edler Herkunft. Die stechende Süße in der Eröffnung, dieser weihnachtliche Touch begleitet von Vanille - das beißt sich, obwohl es thematisch eigentlich passt. Ich merke noch im Kaufhaus: Das ist kein Plätzchenbacken mit Früchtepunsch auf einer urigen Berghütte, das ist eine Duftkerze der Sorte „Weihnachten“ unterster Preisklasse in einer verdreckten Einzimmerwohnung im Plattenbau. Diese Kerze wurde mir beim Wichteln von einem Kollegen geschenkt, der mich nicht gut kennt. Und die muss ich jetzt anzünden, weil mir der Strom abgestellt wurde. Vielleicht bleib ich lieber im Dunkeln sitzen. Allein die brachiale Haltbarkeit verhindert, dass das Licht ausgeht. Auch Händewaschen bringt nichts. Meine Frau und ich verbringen den Urlaubstag gemeinsam in der Platte.
Tobacco Vanille klopft nicht an, er tritt die Tür ein. Mit persönlich bereitet er Übelkeit und das wäre halb so schlimm, wenn nicht einer meiner Schüler diesen Duft in seinem Herrenhandtäschchen spazieren tragen und mehrmals täglich aufsprühen würde. Gutes Zureden zeigt keine Wirkung und einen Schüler für das Auftragen von Parfum zu sanktionieren kommt mir nicht in den Sinn. Somit ist Tobacco Vanille auf alle Zeit verknüpft mit einem 16 jährigen Halbstarken, der das Wort „Hurensohn“ verwendet wie normal sozialisierte Menschen „Danke“ und „Bitte“.
2 Antworten
Claudegable vor 12 Monaten 5 2
9
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft
Alles braucht seine Zeit
Lange bevor man in Wuhan eine fragwürdige Suppe servierte, die einen wesentlichen Teil zur Spaltung unserer Gesellschaft beitrug, ergab es sich, dass, angeregt von einem weiß gekleideten Parfuminfluencer, der damals noch keine Schwefeldiät propagierte, dieser Duft den Weg in meine Sammlung gefunden hatte. Ein Blindkauf, der angesichts des Preises kein Risiko darstellte. Wir wurden keine Freunde. Ich trinke seit Jahren keinen Alkohol mehr, wahrscheinlich wurde mir deswegen angesichts der penetranten Rumnote ziemlich übel von diesem Schätzchen.
Kürzlich habe ich mich entschieden dem vermeintlichen Fehlkauf nochmal eine Chance zu geben, schließlich entwickeln sich Düfte und Geschmäcker durchaus weiter.
Der erste Sprüher ließ mich nichts Gutes ahnen, denn von seiner Sillage hat der Gute in seinem bald 3 jährigen Reifungsprozess definitiv nichts eingebüßt und ich stellte mich mental schon mal auf intensives Händewaschen ein. Jedoch löste sich die brachiale Rumeröffnung schnell in Wohlgefallen auf. Wesentlich dezenter als damals ordnet sie sich einer sanften und wirklich schöne Ledernote unter, die anders als beispielsweise im Ombre Leather keine Erinnerungen an den alten Reisekoffer meiner Großmutter weckt. Ergänzt werden Leder und Rum von einer warmen Vanillenote. Ganze 7 Stunden später ist dieses Zusammenspiel immer noch sehr präsent und durchaus gefällig und für mich definitiv alltagstauglich. Wahrscheinlich wird der Intense niemals meine große Liebe, aber ähnlich wie ein liebenswerter aber etwas anstrengender Freund, wird man sich zu mancher Gelegenheit wieder zusammenfinden.
2 Antworten
Claudegable vor 3 Jahren 2
7
Flakon
1
Sillage
1
Haltbarkeit
5
Duft
Welt- oder Kreisklasse?
Als David Beckham seine Karriere bei Manchester United begann, war ich gerade ein Jahr alt. Während ich laufen und irgendwann sogar rudimentär Fußball spielen lernte, mauserte sich Beckham zur Fußballikone. Noch lange bevor ich Parfumo wurde, lancierte der ehemalige Kapitän der Three Lions seine ersten Düfte. Und ich hatte sie mit der Zeit alle in meiner Sporttasche. Nach dem Training zwei Spritzer an den Hals, basst scho!
Zeit mal einen genaueren Blick auf die Duftwässerchen zu werfen, die über Jahre ihr Dasein zwischen Schienbeinschonern und Finalgon fristeten.
Respect eröffnet frisch, süß und erinnert unweigerlich an Axe Alaska. Einzelne Duftnoten lassen sich nicht herausriechen, oder ist meine Nase nicht geübt genug? Andererseits, wie riecht denn Wassermelone? Insgesamt ergibt sich also ein ziemlich synthetischer Brei in der Kopfnote. Gerne würde ich etwas über Herz und Basis schreiben, leider verfliegt Respect schneller als David Beckham einst die Außenbahn hoch und runter sprintete. Es gibt schlicht keine Duftentwicklung. Vetiver? Fehlanzeige. Patchouli, Moos, Basilikum - was eine interessante Komposition hätte werden können, ist leider überhaupt nicht präsent. Noch während ich diese Zeilen schreibe ist allenfalls noch ein frischer Hauch auf der Haut wahrnehmbar.
Fazit? Weltklassespieler Beckham vermarktet Duft auf Kreisliga-Niveau - könnte man zynisch bemerken. Objektiv muss man wohl einfach anerkennen, dass Respect als Drogerieduft konzipiert wurde und nicht, um mit etablierten Düften zu konkurrieren. Für kleines Geld bekommt man ein Duftwasser, das nach dem Duschen eine kurzweilige und harmonische Beziehung mit einem beliebigen „3 in 1 Duschgel“ eingeht. Kurz: ein Duft, bei dem es nicht schade ist, wenn er unter verschwitzten Stutzen in der Sporttasche liegt.
0 Antworten
Claudegable vor 3 Jahren 12 1
6
Flakon
5
Sillage
8
Haltbarkeit
7
Duft
Was wäre wenn?
Ich erinnere mich an eine Zeit, in der Aldi noch ein Schmuddelimage anhaftete. Ende der 90er begann dann die Qualitätsoffensive des Discounters. Es war gleichzeitig eine Zeit, in der das Feuilleton in der Welt der ausgebildeten und selbsternannten Sommerliers für einen mittleren Skandal sorgte. Stolz und Eitelkeiten derer, die sich dem Wein verschrieben hatten, wurden verletzt, Weltbilder ins Wanken gebracht. Was war geschehen? Bedeutenden Sommerliers war es nicht nur misslungen prämierte Spitzenweine von denen des Discounters zu unterscheiden, sie werteten die Billigweine auch besser als die Produkte der Häuser Latour, Lafite und Rothschild. Keine Angst, die Anekdote hat ein Ziel, sie wirft die Titelfrage auf - was wäre wenn?
Nehmen wir mal an, der Duft würde nicht von Mexx, sondern von Chanel vermarktet und stünde in einem hübscheren(oder auch genau diesem) Flakon zu einem deutlich höheren Preis im Regal einer Parfümerie statt im Drogeriemarkt?

Wie würden die Parfumos die frische Eröffnung mit einer angenehmen Basilikumnote, die sich stimmig mit der Mandarine ergänzt, bewerten?
Würden sie die Ananas für ihre Fruchtigkeit loben oder als zu synthetisch abtun? Hätten sie für die holzig-waldige Basis ein anerkennendes Wort übrig, die auch noch nach 9 Stunden hautnah deutlich wahrnehmbar ist? Das wäre dann der Punkt an dem der Journalist Gewissheit hat, dass sein Gegenüber Aldiwein nicht vom Château Rothschild unterscheiden kann. Fakt ist, eine Haltbarkeitswertung von 4,6 ist ein schlechter Witz!
Würden sie dem Duft ankreiden, dass er Durchschnittlich ist? Denn das ist er! Nur eben nicht unterer Durchschnitt. Er ist okay. Absolut in Ordnung. Kein Spitzenparfum, aber bei weitem nicht so schlecht wie er hier gemacht wird.
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