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vor 3 Tagen - 18.03.2023
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Symbiose

In meinem letzten Beitrag stellte ich unter anderem die Frage, was ein gutes Parfum ausmacht. Antworten darauf gehen oft in eine Richtung, die andeutet, dass die inhärente Subjektivität des Themas eine Bewertung sinnlos macht. Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich in weder bestreite, dass Duftvorlieben verschieden, sind noch, dass die individuelle Bewertung eines Duftes immer subjektiv ist. In dem Kontext dieses Beitrags unterscheide ich bewusst die Begriffe „Duft“ und „Parfum“. Mit ersterem möchte ich mich ausschließlich auf den Geruch eines Parfums beziehen. Da einige der Kommentare unter meinem letzten Beitrag bei mir den Eindruck erweckt haben, dass dies hilfreich wäre, soll diese Unterscheidung helfen Missverständnisse vorzubeugen.

Obwohl Einigkeit darüber herrscht, dass die eigene Bewertung eines Duftes subjektiv ist, hindert das, angesichts der Vielzahl an Bewertungen hier, offenbar nicht daran die eigene kundzutun. Objektivität allein kann also keine Voraussetzungen für das Abgeben einer Bewertung sein. Ich würde sogar argumentieren, dass die durchschnittliche Bewertung eines Duftes umso objektiver wird, desto mehr Menschen ihn bewerten. Dass es hierbei individuell Abweichungen in beide Richtungen gibt, ist nur natürlich. Die meisten Bewertungen bewegen sich mit der Zeit jedenfalls eng um einen gewissen Mittelwert. Nur selten findet man Düfte, bei denen eine allzu große Streuung der einzelnen Bewertungen vorliegt. Dies sind dann meist polarisierende Düfte, die als "entweder lieben oder hassen" beschrieben werden.

Zu den Bewertungskriterien eines Parfums gehören abseits des Duftes auch solche die, sowohl individuell als auch interindividuell, durchaus objektivierbar sind. Klassische Beispiele wären Haltbarkeit und Sillage. Wenn auch diese von unterschiedlichen Haut Beschaffenheiten und Sprühgewohnheiten beeinflusst werden können und dementsprechend variieren. Dennoch fällt es hier deutlich einfacher nach objektiven Kriterien zu bewerten. Dementsprechend bemerkenswert finde ich daher, dass die Bewertungen in diesen Kategorien teilweise auffällig weit gestreut sind. Meiner Meinung nach ist dies dann häufig das Resultat unterschiedlicher Vergleichsmaßstäbe. Wer MegamareMegamare als Maßstab nimmt, wird die Haltbarkeit von Bleu de Chanel (Eau de Parfum)Bleu de Chanel Eau de Parfum anders bewerten als jemand der möglicherweise neu in der Parfumwelt ist und zum Vergleich bislang nur sein Deodorant kannte. Eine weitere mögliche Erklärung ist die Dimension, in der sich ein Parfum bewegt. Darauf werde ich später noch kurz eingehen.
Ein weiteres, möglicherweise besseres, Beispiel für ein objektives Bewertungskriterium, ist der Sprühkopf des Flakons. Hier stehen Funktionalität und Haptik im Vordergrund. Die subjektive Bewertung der Optik sowie persönliche Präferenzen spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle. Die Liste an Kriterien, nach denen man Parfums - mal mehr, mal weniger objektiv - bewerten kann, ließe sich an dieser Stelle noch viel weiter ausführen. Qualität und Herkunft der Inhaltsstoffe, Preis-Leistungs-Verhältnis und so weiter.

Im Zuge dieses Beitrags möchte ich aber vor allem einen Aspekt fokussieren, welchen ich besonders spannend finde. Das Potential eines Parfums dafür, eine Symbiose mit dem Träger einzugehen. Alle diesbezüglich folgenden Ausführungen sind hochgradig individuell zu interpretieren und sollten von jedem aus der eigenen Perspektive betrachtet werden.

Früher bin ich sehr häufig Parfums begegnet, die mir zwar gefallen haben, die ich aber nicht selbst tragen mochte. Abseits von Düften, die im Allgemeinen vielleicht in die Kategorie „schwer tragbar“ eingeordnet werden könnten, meine ich damit vor allem Düfte die durchaus mit der Intention gut tragbar zu sein, entwickelt worden sind und diesem Anspruch prinzipiell auch gerecht wurden. Typische Gedanken in solchen Momenten gingen meist in eine Richtung von „Das riecht ja gut. Aber bestimmt nicht an mir.“, oder „So einen Duft können andere besser tragen.“. Ganz allgemein und speziell ich diesen Szenarien habe ich bei mir die Beobachtung gemacht, dass ich, oft schon vor dem Riechen des eigentlichen Duftes, innerlich ein Bild von dem passenden, Träger vor Augen habe.
Die imaginären Träger der Düfte aus obiger Kategorie stellten bei mir oft idealisierte Persönlichkeiten dar. Diese Beobachtung holte mich nach und nach ein und führte schließlich dazu, dass ich die Anzahl der Parfums, die ich dieser Kategorie heute zuordne, um ein Vielfaches dezimieren konnte. Am Anfang dieses Prozesses stand die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass es Parfums gibt, die man nicht tragen möchte, obwohl etwas in einem offensichtlichen Gefallen daran findet. Meine Antwort darauf ist wie folgt. Das Gefühl in einem, das dafür sorgt, dass man den Duft mag, ist, neben persönlichen Duftvorlieben, zu großen Teilen ein Resultat aus der Gesamterscheinung des Parfums. Diese erzeugt auch das bereits angesprochene imaginäre Bild des passenden Trägers. Die Stimme, die dem entgegensteht und den Duft nicht tragen möchte, ist Ausdruck eines Konfliktes zwischen Selbstwahrnehmung und dem Bild des imaginären Trägers.

Neben dem eigentlichen Duft wird die Gesamterscheinung eines Parfums von vielen weiteren Faktoren kreiert. Das Image eines Parfums wird zum Teil gezielt ins Leben gerufen und oft zu Verkaufszwecken eingesetzt. Man denke zum Beispiel an die Sauvage-Werbekampagne mit Johnny Depp. Während diese Art von Image bei medial präsenten Designermarken besonders ausgeprägt ist, bemühen sich andere Marken dem Konsumenten das von Ihnen angestrebte Image für ihre Parfums durch andere Methoden zu vermitteln. An Werbetexte erinnernde Duftbeschreibungen, Preisgestaltung, Verfügbarkeit, Aufmachung des Flakons, Namensgebung und Verpackung sind Punkte, die mir spontan einfallen, wenn ich überlege, welche Vermarktungsmethoden verwendet werden und mit dazu führen, dass ein Parfum zu seinem Image kommt. Der eigentliche Duft spielt dabei zunächst keine Rolle. Natürlich ist es unvermeidbar, dass der Duft zum Image eines Parfums beiträgt. Spätestens wenn man die Bewertungen und Rezensionen liest, zeigt sich schnell, ob der Duft das angestrebte Image tragen kann. So spielt die Meinung der Öffentlichkeit eine elementare Rolle dabei, welches Image an einem Parfum haften bleibt.
Obwohl es an dieser Stelle bereits klar geworden sein sollte, möchte ich erwähnen, dass, ich mich mit „Image“ auf weit mehr als die größtenteils obsolete geschlechterspezifische Vermarktung und Einteilung von Parfums beziehe.

Dass man das von der Marke kreierte Image nicht voreilig mit der angestrebten Zielgruppe verwechseln sollte, zeigt sich schnell, wenn man bei dem Beispiel Sauvage bleibt. Die Diskrepanz zwischen dem Prestige des von Dior vermarkteten Trägers und der Realität ist offensichtlich. Natürlich wird keine Marke dieser Welt ihren Duft so vermarkten, als ob er gezielt an den Durchschnitt adressiert sei. Der „ideale“ Träger ist selbstverständlich immer besonders. Besonders gutaussehend, besonders wohlhabend, besonders raffiniert, besonders maskulin und so weiter. So manche Marke vermittelt geradezu das Gefühl ihr Parfum versehe den Träger mit einer Nimbus-artigen Aura. Natürlich wird dabei davon ausgegangen diese Inszenierungen würden den Vermarktungserfolg steigern. Personen, die einen Charakter haben, der nicht durch ein an Narzissmus grenzendes Selbstbewusstsein gekennzeichnet ist, oder auch einfach Personen, die eine realistische Sicht auf die Welt haben werden, sehr wahrscheinlich erkennen, dass die meisten von uns per definitionem Durchschnitt sind und eben nicht dem idealisierten Bild des Trägers entsprechen, den so manches Parfum für sich beanspruchen möchte. Wenn der Duft zudem noch ein wenig extravaganter ist (was sich vor allem auf die Nische bezieht), kann es daher passieren, dass, statt des positiven Effekts des prestigeträchtigen Images, der oben beschriebene Zwiespalt eintritt und man sich als Träger verunsichert fühlt.

Einen Duft nur dann zu tragen, wenn man sich selbst auf einer Ebene mit dem imaginären Träger sieht, ist illusorisch. Trägt man den Duft nichtsdestotrotz sollte folgendes Szenario eintreten. Das eigene Selbstbild beziehungsweise Selbstbewusstsein adaptiert und man erfährt einen Aufschwung, indem ein wenig des Images vom Parfum auf seinen Träger ausstrahlt. Parfum und Träger setzen sich gegenseitig in Szene. So wie ein angemessener Duft das Selbstbewusstsein und Auftreten des Trägers stärkt, ist ein von Natur aus angemessenes Auftreten des Trägers nötig, damit ein Duft seine volle Wirkung entfalten kann.
Ist der Mangel an Überzeugung, sich in dem Parfum verwirklichen zu können, zu groß, kann dieses Szenario jedoch ausbleiben. Stattdessen fühlt man sich unangenehm deplatziert. Äquivalent dazu kennen wir alle das sogenannte „overdressed-sein“. Mit War and Peace Part IIWar and Peace Part II zum Elternabend in der Grundschule zu erscheinen ist ähnlich inadäquat wie einen Smoking für den Wocheneinkauf im Supermarkt anzuziehen (Sicher kein optimaler Vergleich, aber ich denke der Punkt wird deutlich). Allerdings sollte man daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen. Zu wenig Mut beim Griff in den Parfumschrank kann einen genauso daran hindern das volle Potential der Duftgarderobe auszuschöpfen. Wer auf dem Wiener Opernball nur mit einem Deodorant erscheint, weil möglicherweise die Befürchtung besteht (negativ) aufzufallen, obwohl ein zum Abendkleid passender Duft dem eigenen Auftritt den nötigen Feinschliff geben würde, lässt definitiv Potential liegen.

Diese Überlegungen haben bei mir dazu geführt, dass sich mein Vorgehen bei der Bewertung von Parfums und Düften mittlerweile in zweierlei Hinsicht verändert hat.
Erstens bewegen sich meine Bewertungen in allen Kategorien innerhalb des vom Image des Parfums vorgegeben Rahmen. Es macht für mich wenig Sinn die Bewertungen von War and Peace Part IIWar and Peace Part II und Voyage (Eau de Toilette)Voyage Eau de Toilette , zweier Parfums, die sich in gänzlich unterschiedlichen Sphären bewegen, zu vergleichen. Hierin sehe ich auch den angesprochenen weiteren Grund für die manchmal weit auseinanderklaffenden Bewertungen bei Haltbarkeit und Sillage.
Zweitens bewerte ich einen Duft zunehmend danach in weit er mich selbst positiv beeinflusst. Über ein gutes Parfum muss ich nicht nachdenken, es gefällt mir, es bestätigt mich in meinem Selbstbild und unterstreicht mein Auftreten je nach Bedarf. Mit Ausnahme des erst genannten erfüllt ein sehr gutes Parfum diese Kriterien schlussendlich genauso. Es geht allerdings noch weit darüber hinaus. Ein nach meinen Maßstäben herausragendes Parfum fordert mich heraus, zeigt mir die selbst auferlegten Limitationen meines Selbstbild auf und eröffnet mir mit seinen Attributen neue Dimensionen, mit dem Potential, dass schließlich eine Symbiose entsteht.
Ich weiß, dass einige dieser funktionalen Seite meiner Sicht auf Parfums widersprechen. Nichtsdestotrotz mache ich die größten Fortschritte, auf der Suche nach meinen persönlichen Vorlieben in der Welt des Parfums, oftmals dann, wenn ich Parfum auch als ein Mittel zum Zweck betrachte. Meine Begeisterung für die Sache wächst dadurch umso stärker. Ich empfehle sehr, sich ab und zu auch auf diesen Gedankengang einzulassen und glaube, dass viele dabei interessante Entdeckungen über die eigene Persönlichkeit und Identität machen werden.

Aktualisiert am 19.03.2023 - 10:46 Uhr
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