Costello
Costellos Blog
vor 3 Jahren - 05.03.2021
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„Parfum“, sonst nichts: Ein Gespräch mit Anselm Skogstad von DER DUFT




Mailand, 2019 auf der Nischen-Parfümmesse Esxence: Nach einer Podiumsdiskussion wurde mir kurz Anselm Skogstad vorgestellt: Münchner wie ich, um die Ecke wohnend, vielleicht Anfang, Mitte Dreißig und von der Vision beseelt, eine eigene Parfümlinie lancieren zu wollen. Ein kurzer Plausch, im Anschluss der obligatorische Visitenkartenaustausch und schon ging jeder schnell wieder seines eng getakteten Weges. Nicht zuletzt stolpert man auf der Messe über eine Menge interessanter Leute und ich wollte mich – ohne konkreten beruflichen Grund dort – unbedingt noch ausgiebig in die sagenumwobenen Restaurierungen einiger Klassiker am Stand des Versailler Parfümarchivs Osmothèque vertiefen. Zurück in München folgten Treffen von Parfümliebhaber zu Parfümliebhaber in deren Mittelpunkt meist das lustvolle Testen der Neuzugänge der jeweiligen Sammlung standen. Im Hintergrund wurde im Verlaufe der Zeit aus Anselms Vision ein konkreter Plan und so erblickte seine Linie DER DUFT Anfang 2020 das Licht der Welt. Seither wurde u. a. das gemeinsame Testen von Entwürfen der im Entstehen befindlichen, zukünftigen Düfte der Linie ein von mir mit Spannung herbeigesehntes Highlight so mancher Parfümsession.

Als ich neulich ein Interview eines Bloggers mit Anselm las, fiel mir auf, dass ich zwar die Parfüms seiner Kollektion, die aktuell sechs Düfte fasst, mittlerweile gut kannte, aber erstaunlich wenig z. B. über das Konzept der Linie, über seine Zusammenarbeit mit seinen Parfümeuren, seine Arbeit und Vergangenheit als bildender Künstler wusste. So entstand die Idee, Anselm zum Gespräch ins heimische Wohnzimmer zu laden, detailliert zu interviewen und zu versuchen, aus den Antworten auf meine Fragen ein halbwegs griffiges und rundes Bild seiner Marke, seiner Düfte und seiner Person zu destillieren und dieses Bild der Parfumo-Community zur Verfügung zu stellen.

Und so sitzt Anselm nun bei mir auf der Couch. Schwarzer Pulli, schwarze Stoffhose, einen bunten Schal als Eyecatcher um den Hals geschlungen, einen selbst designten, auffälligen Ring am Finger, durchdringend blaue Augen. Visuell erkennbar Künstlertyp, allerdings nicht die klischeehafte Variante wirres Haar und exzentrische, etwas abgeschabte Robe, sondern klar der urbane, schicke Typus Architekt/Designer/Fotograf. Das passt, schließlich ist Anselm auch studierter Kunst- und Dokumentarfotograf. Anselm duftet nach „Act“, dem neuesten Duft seiner Linie, was gleich die Reihenfolge meiner Fragen durcheinanderwirbelt: „Ist das dein aktueller Liebling? Magst du irgendeinen der Düfte deiner Kollektion am liebsten?“, will ich wissen. Anselm winkt ab: „Nein, ich mag und trage alle gleich gerne. Sie sind ja alle meine Babys.“ Irgendwie eine Antwort, die zu erwarten war. Ich stelle ihm einen Cappuccino mit cremigem Sojamilchschaum hin und lege konzentrierter los. Nicht mit dem Alpha, dem „wie’s zu seiner Linie kam“, sondern mit der Frage, die mich am meisten interessiert: Warum er sich bis dato ausgerechnet Alexandre Illan („Bubble“), Miguel Matos („Pride“ und „Cinematic“) und Prin Lomros („Act“) als Parfümeure für seine Kollektion ausgesucht hat und was er an deren jeweiligem Stil so schätzt.

Die Antwort fällt erfrischend ehrlich aus: „Da hat klar auch Zufall eine Rolle gespielt, das hat sich einfach so entwickelt.“ Miguel z. B. ist er zufällig auf der Esxence 2019 begegnet. Bei einem gemeinsamen Kaffee hat es geklickt und so kam es zur Zusammenarbeit und im Verlaufe der Zeit zu einer Freundschaft. „Wenn ich mich für einen Parfümeur entscheide, müssen mich nicht nur sein Stil und seine individuelle Duft-DNA begeistern, ich muss auch den Typ gut finden“, erzählt mir Anselm. „Alexandre ist mir ebenso auf der Messe aufgefallen, auch wenn es nicht zu einem Treffen kam. Prins Arbeiten fand ich schon immer spannend, hatte aber bisher unter anderem wegen der Corona bedingten Reisebeschränkungen keine Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen.“ Mit beiden steht er in intensivem Telefon- und E-Mail-Kontakt. Alle drei haben in seinen Augen eine ganz eigene Signatur und einen Stil mit hohem Wiedererkennungswert. „Ich mag und trage gerne schwere Düfte wie orientalische Parfüms oder Oud-Parfüms, Sachen, die eigentlich nicht – dem Klischee entsprechend – zu meinem hellhäutigen, blauäugigen Typ passen. Grundsätzlich Düfte mit Ecken und Kanten, die polarisieren dürfen, wie sie Miguel und Prin komponieren. Alexandre hingegen ist eher der Feingeist des Trios, ein perfektionistischer Parfümeur, der lange Finetuning betreibt und feinste Nuancen in seinen Düften rausarbeitet, auch wenn „Bubble“ trotz aller Feinheit eben auch ein wunderbar polarisierender Duft mit Kante geblieben ist.“ Stimmt, im Gegensatz zu Anselms anderen Düften finde ich zu „Bubble“ einfach keinen Zugang.

Alexandre Illan, Miguel Matos, Prin Lomros (v. l.n.r.)

Stichwort Finetuning: Wenn ihm ein Vorschlag, ein Entwurf eines Parfümeurs gefällt, wird dann noch lange daran gefeilt? Beides findet er spannend. Bei dem ein oder anderen Duft habe es sich gelohnt „nochmal eine Runde zu drehen“. „Act“ hingegen hat er Prin abgenommen, ohne jede Änderung am Entwurf. Nachdem Parfümeure für ihn keine Dienstleister sind, sondern Autoren, deren Autorenschaft er auch breit kommuniziert, geht es ihm um die „Wertschätzung der jeweiligen Handschrift“. So eine Sichtweise kennt der Parfümliebhaber von Frédéric Malles ikonischer Edition de Parfums, die Anselm sehr schätzt und von der er auch Düfte in seiner Sammlung hat. Das führt zu einer Nebenfrage: „Bei Frédéric Malle bekommt der Parfümeur angeblich keine Vorgabe, was die Formel des Duftes kosten darf. Gilt das auch für deine Line?“, möchte ich wissen. Klare Ansage: „Ja! Wobei ich dann schon gespannt bin, was am Ende auf der Rechnung steht“, fügt er lachend hinzu. „Was bekommt ein Parfümeur sonst vorgegeben, wie sieht ein Parfümeurs-Briefing bei dir aus?“ Ich habe gelesen, dass Anselm seinen Parfümeuren nur grob eine Richtung vorgibt, was er mir bestätigt: „Ich liebe es, wenn mich ein Parfümeur überrascht. Was z. B. Prins Duft betrifft, so hatten wir ursprünglich über einen Lederduft nachgedacht. Am Schluss ist es dann ein Vetiverduft geworden.“

Eine Herangehensweise, die den Parfümeuren eine maximale gestalterische Freiheit lässt und die selten ist in einer Branche, in der viele und nicht nur Mainstreamdüfte am Reißbrett entworfen werden und dann das berüchtigte focus group testing durchlaufen, das den Düften noch das letzte Quäntchen an Individualität wegbügelt, was sicher keinem der beteiligten Parfümeure Freude machen dürfte. Diese Freiheit im Entstehungsprozess spiegelt sich auch darin, dass Anselm den Düften keine Story an die Seite stellt, wie heute flächendeckend üblich in einer Konsumwelt, in der Marketingleute mantrahaft behaupten, dass die Story mindestens genauso wichtig ist, wie das Produkt selbst. „Ich wünsche mir, dass Leute, die meine Düfte tragen, nicht belastet sind durch irgendeine Geschichte, durch irgendwelche Vorgaben, wie sie die Düfte empfinden sollen. Jeder soll sich meine Düfte unbeeinflusst, ganz frei und ganz persönlich aneignen können. Ich möchte den Düften nichts überstülpen“, erläutert mir Anselm sein Credo und damit auch schon das ganze minimalistische Konzept seiner Kollektion: „DER DUFT steht drauf und das ist dann auch, was drin ist. Duft eben, der idealerweise emotional berührt und bewegt“. „Seine Kunden so ganz ohne – hm – ‚Gebrauchsanweisung‘ mit dem Produkt alleine zu lassen, ist das nicht eventuell ein Wettbewerbsnachteil?“, denke ich mir und frage gleich nach. Das glaube er eigentlich nicht, meint Anselm. Manchmal würde er schon etwas verunsichert nach der Story zu den Düften gefragt werden, meist fühlten sich die Leute aber sehr wohl dabei, eben keine prätentiöse PR-Poesie um die Ohren gehauen zu bekommen.

Anselm Skogstad, Costello (v.l.n.r.)

„Und was ist mit den Namen deiner Düfte?“, frage ich Anselm, nachdem ich während unserer früheren Treffen mitbekommen habe, dass er sich intensiv mit der Namensgebung seiner Parfüms auseinandersetzt, Namen genau abwägt und auch immer wieder mal verwirft. „Ich habe eine lange Liste an Namen notiert, die ich mir für meine Düfte vorstellen kann und im Verlaufe des Entstehungsprozesses des jeweiligen Parfüms kristallisiert sich dann der passende Name heraus. Wobei hier der Parfümeur auf jeden Fall Mitspracherecht hat, da er ja auch später mit dem Duft und seinem Namen in Verbindung gebracht wird“, erläutert er. Knackig müssen die Namen für ihn sein, sie sollen Neugierde wecken aber auch schillern, sich nicht auf eine bestimmte Bedeutung festlegen lassen, damit sich jeder selbst aussuchen kann, wie er ganz persönlich den Namen verstehen will. „Act“ z. B. kann im Englischen der Akt, in der bildenden Kunst ein Schauspiel oder auch eine Handlungsaufforderung sein. „Ich will hier – genauso wie durch den Verzicht auf Stories zu den Düften – dem Träger komplette Freiheit geben. Ich habe auch ziemlich lange mit der Entscheidung gerungen, ob ich überhaupt Parfümnoten zu den Düften veröffentlichen soll.“

Bei unseren Parfümtestsessions ist mir immer aufgefallen, dass Anselm, immerhin geschulter Parfümeur, konsequent vermeidet, Parfüm mit Hilfe von Noten zu beschreiben und auch jetzt ist ihm anzusehen, dass er sich am Thema Noten als Grundlage von Duftbeschreibung reibt: „Das mit den Noten ist so eine Sache. Ich finde, dass der Versuch, Düfte durch Noten zu beschreiben – und das soll auf keinen Fall arrogant klingen – nur sehr bedingt funktioniert. Für mich zählt immer nur das Resultat, die emotionale Aussage eines Duftes, nicht das ‚wie‘. Steht man vor einem tollen Gemälde, fragt man ja auch nicht ‚Welche Pigmente hat der Maler benutzt?‘. Zudem werden Parfümnoten von verschiedenen Leuten ganz unterschiedlich empfunden. Lavendel riecht für den einen so, für den anderen anders. Wenn ich einem Duft begegne, der mich begeistert, stelle ich mir nie die Frage, welche Ingredienzien in die Komposition geflossen sind, so wie ich gutes Essen genieße, ohne mich zu fragen, ob und wie viel Gramm Rosmarin der Koch verwendet hat. Die Angabe von Noten bei meinen Parfüms soll also wirklich nur der ganz groben Orientierung dienen.“ Eine Sichtweise, die dem Gespräch über Düfte aber auch ein gutes Maß an alternativer sprachlicher Fantasie abverlangt. Natürlich kann man z. B. – wie auf Parfumo weit verbreitet ­– Bezüge zu den Bereichen anderer Sinne herstellen und eine Zitrusnote als Piccoloflöte oder mit der Farbe Gelb, eine Sandelholznote als Cello oder dem Farbton Braun beschreiben. Was mich zur Frage führt, ob Anselm eine synästhetische Ader hat, da er ja auch bildender Künstler ist. „Leider nicht wirklich, wobei ich mich freue, wenn Leute so eine Ader haben. Ich verbinde Parfüms selten mit bestimmten Bildern, Farben, mit Musik, mit Erinnerungen und sie schicken mich auch selten auf imaginäre Reisen. Ich bleibe ganz bei mir mit meiner Emotion, genieße ganz gegenwärtig den konkreten Moment. Das entzieht sich im Grunde der Verbalisierung. Es zählt nur derjenige der riecht, das, was er riecht und – am wichtigsten – die Emotion, die ihn beim Riechen bewegt oder eben auch nicht.“

Nachdem sich dieser schlecht bestreitbaren Aussage wenig hinzufügen lässt, schlage ich Anselm eine kleine Interview-Pause vor, während der wir unsere mittlerweile etwas trockenen Kehlen mit eiskaltem Salted Fresh Lime Soda, meinem indischen Lieblingserfrischungsgetränk, wieder in Schwung bringen. Schließlich will ich noch etwas zu Anselms Arbeit als Parfümeur, der zwei Düfte seiner Line („Grasse“ und „Monopteros“) selbst kreiert hat, zu seinem Wirken als bildender Künstler, zu einigen Trivia wie seinen Lieblingsparfümeuren und -düften sowie zur Zukunft seiner Linie wissen und zuletzt – in Umkehrung der üblichen Reihenfolge – wie es zu allem kam.

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Verschiedene Parfümeure, verschiedene Arbeitsweisen. Manche komponieren ihre Düfte weitgehend im Kopf, im Extremfall vollständig, wie der ikonische Parfümeur Jean Carles, Schöpfer von ‚Tabu‘, ‚Miss Dior‘ oder ‚Shocking‘, der 1946 den Klassiker ‚Ma Griffe‘ der Legende nach während einer Phase kreiert hat, in der er seinen Geruchssinn gänzlich verloren hatte. Andere stürzen sich ergebnisoffen und mit Schwung in einen Trial & Error-Modus mit den gerade greifbaren Ingredienzien. Wie geht Anselm als Parfümeur vor? „Eine Mischung aus beidem. Natürlich habe ich die Geruchsprofile von bestimmten Ingredienzien im Kopf und gewisse Vorstellungen davon, welche Kombinationen funktionieren, manchmal auch eine theoretische Vorstellung davon, was ich ausprobieren möchte. Dann folgt aber natürlich ein Trial & Error-Prozess, der auch mal komplett scheitert und dazu führt, dass ich den Versuch nicht verwenden kann. Wobei ich die Herangehensweise gar nicht so interessant finde, da für mich nur das Resultat zählt.“ Für ihn ist nicht nur derjenige Parfümeur, der jahrelang an einer der einschlägigen Parfümschulen in Frankreich studiert hat, sondern jeder, dem es gelingt, einen Duft zu komponieren, der gut riecht und zumindest ein paar Leute in seinen Bann zu ziehen weiß. Nicht zuletzt kann man auch Künstler sein oder künstlerisch arbeiten, ohne auf einer Kunstakademie studiert zu haben. „Wobei das jeder anders sieht, was vollkommen o.k. ist“, fügt er hinzu. Das Komponieren von Parfüms ist für Anselm kein Hexenwerk, sondern etwas, das jeder lernen kann. Jeder kann in seinen Augen Besonderes schaffen: „Technisch bestens ausgebildete Parfümeure machen langweiliges Zeug, andere bringen sich in der heimischen Garage das Nötige bei und schaffen mit Passion wunderbare Düfte, die mich erreichen und bewegen.“

„Ist Parfüm nun Kunst oder eher Kunsthandwerk für ihn?“ interessiert mich, eine Frage, die ich mir nicht sparen möchte, auch wenn heute fast jeder Parfümeur regelmäßig damit konfrontiert wird. Was folgt, ist eine kleine Grundsatzdiskussion über die Natur und das Wesen von Kunst. Nach einer Weile sind die Sichtweisen sortiert und die Antwort auf die Frage lautet einvernehmlich: „Kunst!“ Warum? Weil – einem modernen Kunstverständnis folgend – Kunst auch ohne Ausbildung, „Können“ im klassischen Sinne, zu einer emotionalen Aussage gelangen kann. Siehe oben. Kunsthandwerk erfordert aber zwingend Handwerk. Da wir gerade über Kunst sprechen, frage ich Anselm, ob sich seine Arbeit als bildender Künstler, hauptsächlich als Fotograf, mit seiner Arbeit als Parfümeur vergleichen lässt. Seine Antwort kommt schnell: „Nein, eigentlich nicht. Im Zentrum meiner Arbeit als Fotograf stand immer der Mensch, bzw. die Nähe zum Menschen. Ich habe viel mit versteckter Kamera fotografiert, um unverfälschte Momente sozusagen ‚einzufrieren‘, aus der Zeit zu nehmen. Duft ist eher eine schwer greifbare Aura, ein abstraktes Narrativ, das sich in Raum und Zeit abspielt. Die beiden Kunstformen sind für mich einfach nicht gut vergleichbar.“ Dennoch gibt es Berührungspunkte zwischen seinen Fotos und seinen Düften: Auf den Fotos, die er auf seinem DER DUFT-Account in den sozialen Medien postet, bettet er die Flakons seiner Linie in Natur- oder Architekturfotos ein. Warum, wenn er seinen Düften doch keine zusätzlichen Bedeutungsebenen beiseitestellen möchte? Ich wittere eine Unschärfe bzw. Inkonsistenz in seinem Markenkonzept. Anselm widerspricht: „Nein, als manipulierende Bedeutungsebenen empfinde ich die Fotos nicht. Die Motive sind ausschließlich abstrakt, meist nur z. B. Lichtspiel oder Textur. Eine Art mit geschultem Auge gestalteter Bühne für die Flakons, die neugierig machen aber nicht ablenken soll.“

Es klingelt gerade. DHL? Ich erwarte ein E-Bay-Päckchen mit der leider eingestellten 2013er-Version von ‚Yohji Homme‘. Ich hüpfe an die Tür. Ja, DHL! Ich schiebe erstmal die Vorfreude auf das Öffnen des Pakets und Testen des Duftes beiseite, entschuldige mich bei Anselm für die Unterbrechung und wende mich einer Sache zu, die ja immer Spaß macht: Parfümeure fragen, welche anderen Parfümeure sie gut finden.

„Du hast mir schon oft von einem französischen Parfümeur vorgeschwärmt“, lege ich vor. „Ein Franzose?“ Anselm steht offensichtlich gerade auf dem Schlauch. „Dominique Ropion?!“ „Ja, klar! ‚Promise‘, den er für Frédéric Malle gemacht hat, liebe ich sehr. Aber auch andere seiner Kreationen.“ Und sonst? Der Name Quentin Bisch fällt, dann Alessandro Gualtieri von Nasomatto und last but definitely not least Geza Schön: „Toll, was der so auf die Beine gestellt hat. Ein ganz besonderer Charakter. Sehr sympathisch, dass er sich seine Projekte oft frei und nicht vorrangig nach kommerziellem Potenzial aussucht.“ Die Düfte, die er für die Münchner Schmuckdesignerin Saskia Diez gemacht hat, ‚Gold‘ und ‚Silver‘ findet er beide großartig: „Weil sie genauso riechen, wie man sich den Geruch von Gold und Silber vorstellt. Da hat Geza einfach den Nagel auf den Kopf getroffen.“ Welche Parfümeure kann er sich den zukünftig für seine eigene Line vorstellen? Natürlich hat er welche im Visier. Ob das dann klappt, steht jedoch auf einem anderen Blatt: „Die Zusammenarbeit muss auf Augenhöhe stattfinden. Es muss echtes Interesse an der Marke DER DUFT da sein“, da ist Anselm sehr klar. Eine Zusammenarbeit mit einem Parfümeur, der das gemeinsame Projekt als Auftragsarbeit unter Dutzenden versteht, käme für ihn nicht in Frage. Und wenn der Parfümeur noch so renommiert und/oder spannend sein sollte. Er könne auch nicht ausschließen, nochmal mit einem Parfümeur zusammen einen Duft zu kreieren, der schon einmal für die Kollektion gearbeitet hat. Dass die bisherigen Parfümeure mit ihm weiterarbeiten wollen, empfindet er als schönes Kompliment an die Marke, wobei ihn momentan einfach mehr reize, die kommenden Düfte der Line zusammen mit neuen Parfümeuren zu entwickeln. „Da freue ich mich sehr darauf.“ Wobei wir bei der Zukunft von DER DUFT wären. Der Herbst wird sicher einen neuen Duft bringen, verrät Anselm. Das wären dann zwei in diesem Jahr, eine überschaubare Lancierungssequenz, die mir, angesichts der Veröffentlichungswut mancher Linien, ausgesprochen sympathisch ist. Neue Eigenkompositionen sind aktuell nicht geplant: „Die Marke zu verwalten und den Kompositionsprozess meiner Parfümeure zu begleiten ist ausreichend viel Arbeit. Ein guter Parfümeur zu sein ist ein Fulltimejob, das lässt sich nicht nebenher machen. Man muss sich fokussieren, sonst verheddert man sich.“

Ich schaue in meine Fragenliste und überlege, ob ich etwas vergessen habe. Klar, das Alpha, das „wie’s zu seiner Linie kam“. „Ich war schon als Teenager Parfümfan, ganz laienhaft. Das ist dann aber in den Hintergrund gerückt, da ich mich auf meine Arbeit als bildender Künstler fokussiert habe“, erzählt Anselm. Da er sich zu diesem Zeitpunkt gerade an einem Scheideweg seiner Karriere befand, kam es ihm gerade recht, dass diese Leidenschaft von einem Freund und Parfümkenner aus Hongkong aus dem Schneewittchenschlaf wachgeküsst wurde. Er entschied sich, beruflich unbedingt etwas mit Parfüm machen zu wollen: „Ich habe mir viele Gedanken gemacht, was das konkret sein könnte. Letztendlich hat mich aber die Idee, eine eigene Marke zu lancieren, am meisten gereizt.“  Die Domain derduft.com, die zu seinem Erstaunen frei war, hatte er schon seit Jahren angemeldet und sich und zu Beginn 2020 entschlossen, dass seine Marke so heißen sollte. Und so nahm alles seinen Lauf.

Meine Fragen sind abgehakt. Ich bedanke mich bei Anselm, dass er sich Zeit für das ausführliche Interview genommen hat. Etwas Ablenkung und Auflockerung sind nun dringend nötig und ich schlage ihm vor, das gerade eben gelieferte Parfümpaket zu schlachten und ‚Yohji Homme‘ zu testen. Der Duft landet auf einem Teststreifen, den ich Anselm unter die Nase halte. Nach einem Moment kurzer, sehr konzentriert wirkender Anspannung lockert sich seine Mimik und ein Leuchten erhellt sein Gesicht: „Gefällt mir! Wow!“. Mehr gibt es nicht zu sagen und mehr sagt Anselm auch nicht. Duft eben: lebendig, gegenwärtig und voller Emotion. Sonst nichts …

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