Daisy
Daisys Blog
vor 13 Jahren - 30.05.2011
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Don’t judge a book by its cover!

Diese kleine Weisheit fällt mir ein, wenn ich mich an meinen allerersten Besuch der Hermès-Boutique in Berlin letzte Woche erinnere.


Mit forschem Schritt betrete ich die Geschäftsräume und finde mich sogleich im Angesicht dreier Boutique-Mitarbeiter wieder, die sich im Halbrund des Eingangsbereichs in sicherem Abstand zum Eintretenden statuengleich positioniert haben. Ich werde gescannt. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht, rein mechanisch taxieren sie mich. Mein freundlicher Gruß wird kaum hörbar erwidert. Ich zögere einen Augenblick, verscheuche einen Anflug von Unsicherheit und wende mich einem Fräulein in einem Veilchen-blauen Kleid, mitte Zwanzig, zu. Um die Taille trägt sie eines der berühmten Hermès-Tücher in einem zugegeben umwerfenden Farbmuster. Nachdem ich ihr mit gesenkter Stimme mein Interesse an den Hermèssence-Düften mitgeteilt habe, werde ich mit einem kühlen Blick aufgefordert, zu folgen. Vor einem Glasregal, in dem alle gängigen Düfte zu finden sind (außer Hermès Rouge, der fehlt!), kommen wir zum Stehen. Bevor ich mein Anliegen konkretisieren kann und ohne sie danach gefragt zu haben, erklärt das Fräulein: „Die Box mit vier Düften kostet 100 Euro. Jeder Hermèssence-Duft einzeln 170 Euro.“ Peng! Einen Atemzug später erwidere ich wahrheitsgemäß und gefasst: „Das ist mir bekannt!“  Nachdem das geklärt ist, zücke ich mein Notizbuch und lasse mir die Düfte zeigen, die zuvor (dank etlicher nützlicher parfumo-Kommentare) in die engere Wahl gekommen sind. Aus den hinteren Räumen ertönt derweil eine männliche Stimme in einer mir fremden Sprache, laut und bestimmt. Ich sehe zwei weitere Hermès-Mitarbeiter, die geschäftig um einen nervösen Kunden herumflitzen. Während dieses Treiben vonstatten geht, entscheide ich mich gemächlich für den einen und den anderen Duft. Als das Fräulein sich in einen Nebenraum zum Bestücken der Duftbox begibt, habe ich Gelegenheit, die übrigen Verkaufsräume zu besichtigen, jedoch nicht ohne die belauernden, prüfenden Blicke der übrigen Mitarbeiter im Rücken zu spüren. „Ist ja gut, ich fass’ schon nichts an!“ denke ich bei mir. Ich sehe auf den Kleiderstangen viel orange, smaragdgrün und jede Menge graubraun – nun ja, alles nicht meine Farben.


Richtig amüsant wird es, als mir das Fräulein wunschgemäß noch „Amazone“ präsentiert, das schon eine kleine Ewigkeit auf meiner p-Merkliste steht. Als mir vom Papierstreifen die gemeine Scheuerlappen-Note entgegenweht, sprudelt es aus mir heraus: „Soll der so riechen? Also, ich weiß nicht recht!“  Auch der Hinweis auf die Schwarze Johannisbeere in der Kopfnote kann mich nicht davon abbringen, dass das Parfum im Tester gekippt sein muss. Natürlich behalte ich diese Feststellung für mich.


Etwas zerknirscht, aber dennoch zufrieden, verlasse ich die Hermès-Boutique mit meinen drei neuen Düften im Miniatur-Format. Das Angebot, mich in die Hermès-Kunden-Kartei aufzunehmen, habe ich zuvor großmütig mit den Worten „Danke nein, das wird nicht nötig sein.“ abgelehnt.


Während ich dies hier aufschreibe, ist mir immer noch nicht klar, ob ich das übliche Nobelboutique-Kundengespräch erlebt habe oder ob der eingangs erwähnte Scan negativ ausgefallen ist, soll heißen, ob das Verkaufspersonal mir aufgrund meiner äußeren Erscheinung ein, sagen wir mal, geringes finanzielles Potential zugemessen und mich dementsprechend bedient hat. Eine neue Erfahrung, diese Situation der spürbaren Geringschätzung, und wirklich keine, der ich mich noch einmal aussetzen muss.


Eure Daisy

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