DuftJunkie

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DuftJunkie vor 8 Jahren 19 12
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Duft
Manchmal lassen Banditen auch etwas zurück.
Sie kam an einem Morgen zu mir. Einem einsamen Sonntag mitten im Winter. Ihre langen Haare wehten im eisigen Wind. Weiß nicht, wie sie mich fand; war ich doch eine graue Maus in der Nacht. Sie fragte mich nach meinem Namen und nach meinen Zielen. Sie erschien mir dabei so, wie ein ganzer Aldehyd-Akkord. Fremd, mystisch und dennoch sehr vertraut. Das verstärkte ihren ohnehin geheimnisvollen Auftritt in ihrem schwarzen Lederumhang. Aus einem sehr feinen und dennoch so zähem Leder, als hätte das gute Stück schon Jahrzehnte auf dem Buckel.

So fing das nette, zwanglose Gespräch an, das einmal meine "olfaktorischen" Weltansichten beeinflussen sollte. Ich erzählte ihr von meiner Vision, die Menschen zu bekämpfen, die Düfte und Parfums in Geschlechter unterteilen. Diese Leute hätten einen Drang, tolle Parfums für das jeweils 'andere' Geschlecht zu verbannen. Ohne jegliche Gedanken an Liebe oder Gott, der ja alle Düfte für 'alle' Menschen erschaffen hat. Und ich bat sie, mir Kämpfer an die Seite zu stellen (inklusive ihr selbst), um diese Feinde zu vernichten. So verbittert war ich.

Sie lächelte sanft. Dabei merkte ich, daß unter ihrem schwarzen Lederumhang noch einiges andere schlummerte. Blüten über Blüten, die erogen sexy und mütterlich zart gleichermaßen waren. Mütterlich weise fiel dann ihre Reaktion aus:
"Bekämpfen? Verbannen? Das hört sich nach Krieg an. Krieg reduziert den Menschen auf ein Tier. Obwohl etwas animalisches uns allen innewohnt, sollten wir es nicht übertreiben. Solch ein Krieg ist leicht anzuzetteln, aber kaum zu gewinnen."
Dabei lugte ein Hauch des 'Animalischen' unter ihrem Umhang hervor, bestärkt durch cuminartige Gewürze.

Mit diesen weisen Worten erinnerte sie daran, daß eine Frau die Mutter 'aller' Menschen ist. Konflikte sollte man immer entspannen, und nicht zuspitzen lassen. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich würde mit meinem persönlichen Konflikt allein sein. Und ich flehte sie an:
"Bitte, reiche mir Deine Hand oder erlaube mir, bei Dir zu bleiben."
"Habe Vertrauen und sei zuversichtlich. Was Dir zu schaffen macht, sind nur Zahlen. Eine alte Geschichte von Minderheit und Mehrheit. Zahlen haben aber keine Macht. Ziehe keine falschen Schlüsse. Doch solltest Du mich mal brauchen, ich werde in der Nähe sein."

Kaum sagte sie dies, schon wandte sie sich zurück. Ich war sprachlos und stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Ich sah ihren Lederumhang, in den ich mich aufgrund des 'perfekten Schnittes' verliebt hatte, in einer leicht würzig-balsamischen Wolke davonziehen. Ich habe es jetzt nicht unbedingt leichter. Sind doch etliche 'Damendüfte' für mich in die engere Wahl gekommen. Nun weiß ich aber: vielen Frauen geht es mit 'Herrendüften' genauso. ICH BIN NICHT ALLEIN. Ich fasse stets neuen Mut, wenn ich an diesen windigen Tag zurückdenke.

Nach Jahren beschenkte mich diese "Dame In Schwarz" mit dem Parfum, daß meine Sehnsüchte erfüllte. War doch der schwarze Lederumhang darin sehr authentisch eingearbeitet (mit allem Drum und Dran). Wie der Umhang mit dem perfekten Schnitt, betont auch das Parfum maskuline wie auch feminine Züge, je nach Träger/in. Manchmal lassen Banditen auch etwas wertvolles zurück. Und wenn diese Dame eines Tages Dich aufsucht, bediene Dich ihrer Weisheit um Mut zu fassen, wie Dir beliebt (egal, in welcher Angelegenheit :-).

Einem gewissen Ken erging es mit dieser Dame in schwarz ähnlich. Er erzählte von seiner Begegnung mit ihr im Jahre 1970 und ermutigte viele Menschen zum Pazifismus. Daher möchte ich folgende Worte an ihn richten:
"Lieber Ken, obwohl Du nur Keyboarder der Band warst, hast Du das Lied von der Dame in schwarz selbst singen müssen. Euer Leadsänger (D.B.) weigerte sich, weil ihm diese Geschichte zu banal vorkam. Mir jedoch nicht. Und auch mir ist diese Frau begegnet. Auch mir hat sie Mut gemacht. Und du sagtest zum Schluß »Say hello for me«. Nun Ken, immer wenn ich das Parfum, das sie mir beschert hat benutzen will, sage ich »Liebe Grüße von Ken« :-)."

Einigen dürfte diese Geschichte um jene mysteriöse Frau bekannt vorkommen. Man möge sich bitte an Musik der 70er Jahre erinnern.

Doch bei alledem: Wer war eigentlich dieser Ken?
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DuftJunkie vor 8 Jahren 11 6
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Duft
Rosa Paradox
Ich habe mich lange gefragt, wie ich denn diesen Duft verstehen oder auffassen soll.

Paradoxon 1:
Zu allererst: 'Rose Divine' bedeutet tatsächlich 'Göttliche Rose'. Eigentlich ein toller Name für ein Parfum, das die Rose in den Vordergrund rückt. Aber in diesem Fall leider unglücklich. Man sollte nämlich wissen, daß es viele Rosen gibt, aber ausgerechnet die Zentifolie (Hundertblättrige) gehört nicht zu den 'gotterschaffenen' Rosen, somit nicht gerade göttlich. Die Zentifolie, die bei Rose Divine in erheblichem Maß aufflackert, gehört zu den vom Menschen 'erschaffenen' Rosen. Sie entstand zum Teil durch Zufall und einer Laune der Natur. Am meisten hat jedoch der Mensch durch gezielte Züchtung dazu beigetragen. Teils wird die Zentifolie (bot. Rosa x Centifolia) fälschlicherweise als Mai-Rose oder gar Pfingstrose vermarktet. Außer dem frisch-floralen und frühlingshaften Dunfteindruck haben sie aber nichts gemeinsam. Die Pfingstrose ist dabei noch nicht mal eine Rose, sondern gehört zu den Päonien.

Paradoxon 2:
Mit dem Stichwort frisch-floral bin ich auch schon beim Duft angekommen. Rose Divine ist laut der bisherigen Kommentare als alles andere als frisch oder frühlingsfaft anzusehen. Ich mache da keine Ausnahme. Sie ist eher als warm, balsamisch und süß zu bezeichnen. Durch den hohen Anteil an Zentifolie Absolue (die Prozentangabe von 1% bezieht sich sicher auf den Gesamtinhalt samt Alkohol etc.) wirkt die Komposition bei einigen sicherlich narkotisch. Dagegen hilft dann eigentlich nur eisern sparen: zwei Sprühstöße an den Hals oder gar nur ein Spritzerchen auf's Dekolleté bei sensiblen Gemütern. Ein Rosen-Kracher wie Black Aoud ist Rose Divine aber keineswegs. Der Duft ist für mich schon interessant, aber auch widersprüchlich. Widersprüche mag ich zwar, aber ein Sinn sollte erkennbar sein, den ich hier wiederum vermisse. Dazu gleich mehr.

Paradoxon 3:
Jetzt wird's technisch :-). Die Vermutung, daß Céline Ellena hier mittels Zentifolie den Duft der göttlichen Rose, der Rosa x Damascena nachbilden wollte, drängt sich mir unweigerlich auf. Dufttechnisch aber unterscheiden sich Zentifolie und Rosa Damascena in gewisser Weise. Die Damascena vereint in ihrer Essenz z.T. mehr als 400! verschiedene Moleküle, von denen einige noch nicht einmal isoliert sind. Bei der Zentifolie sind es weit weniger Stoffe. Wenn man die Moleküle nun als physikalische Strukturen betrachtet, fehlen der Zentifolie bestimmte Moleküle, um warm-balsamische Töne wie Benzoe oder Sandelholz harmonisch in sich aufzunehmen. Erschwerend kommt bei Sandelholz die urinöse Beinote hinzu (hatte da jemand etwa über Kopfschmerzen geklagt ;-))? An Benzoe und Sandelholz hat man hier sichtlich nicht gespart, wie man unschwer herausriechen kann. Bei der weit fülligeren bulgarischen oder türkischen Rose dagegen gut möglich und beliebt.

Paradoxon 4:
Wenn ich Benzoe und Sandelholz unschwer herausriechen konnte, so habe ich doch Probleme bei Blaubeere und Johannisbeere. Vielleicht zu schwach dosiert? Wie auch immer: ein bißchen mehr von dem Fruchtcocktail, von mir aus auch exotischer Art, hätten mir besser gefallen. So aber verstärken die Früchte, vielleicht weil sie eben durch Abwesenheit glänzen, den insgesamt widersprüchlichen Charakter dieses Duftes.

Fazit:
Insgesamt ein sehr gutes Parfum, dem ich gern 100% geben würde. Der Name aber ruft bei mir eine gewisse Erwartungshaltung vor. Diese wird nicht befriedigt. Ich habe vielmehr ein Bild einer göttlichen, zierlichen Sängerin und den Frack eines ebenso göttlichen, mehr als nur stattlichen Sängers vor Augen. So als würde man versuchen, die große Maria Callas in einem Frack von Luciano Pavarotti auf die Bühne zu zerren.

Die 90 Prozent bekommt der Duft von mir eben auch deshalb, weil diese Vorstellung so abstrakt und doch irgendwo schön ist :-D.
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DuftJunkie vor 9 Jahren 49 20
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Duft
Tilli's Tagebuch
Es kommt bei mir beruflich manchmal vor, daß ich in Köln am Melaten-Friedhof vorbeifahre. Gestern war es wieder der Fall. Diesmal überkam mich aber ein seltsames Gefühl. Ich dachte nämlich daran, daß dort ein ganz bestimmter Mensch begraben liegt. Ich mochte hineingehen und auf seinen Grab Nelken legen. Da wo ich herkomme, macht man es so. Als Zeichen des Mitgefühls, der Trauer und der Ehrung. Von einem gewissen Johann Maria Farina ist hier die Rede. Er starb am 25. November 1766 in Köln und wurde auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt.
Ich möchte nun aber keine Grabrede halten. Andere können das viel besser. Ich möchte hier einen Kommentar zu seinem größten Werk schreiben, dem "Original Eau de Cologne" von Farina. Auch das können andere sicher besser, aber mir ist halt danach. Ich beginne mit einer Erinnerung aus meiner Kindheit; mit einem Auszug aus einem Tagebuch:

"Aus dem Tagebuch eines Zweijährigen"

Donnerstag,

08:10 Uhr - Kölnisch Wasser auf Teppich gespritzt. Riecht fein. Mama böse. Kölnisch Wasser ist verboten.

08:45 Uhr - Feuerzeug in Kaffee geworfen. Haue gekriegt.

09:00 Uhr - In Küche gewesen. Rausgeflogen. Küche ist verboten.

09:15 Uhr - In Papas Arbeitszimmer gewesen. Rausgeflogen. Arbeitszimmer auch verboten.

09:30 Uhr - Schrankschlüssel abgezogen. Damit gespielt. Mama wußte nicht, wo er war. Ich auch nicht. Mama geschimpft.

10:00 Uhr - Rotstift gefunden. Tapete bemalt. Ist verboten.

10:20 Uhr - Stricknadel aus Strickzeug gezogen und krumm gebogen. Zweite Stricknadel in Sofa gesteckt. Stricknadeln sind verboten.

11:00 Uhr - Sollte Milch trinken. Wollte aber Wasser. Wutgebrüll ausgestoßen. Haue gekriegt.

11:10 Uhr - Hose naß gemacht. Haue gekriegt. Naßmachen verboten.

11:30 Uhr - Zigarette zerbrochen. Tabak drin. Schmeckt nicht gut.

11:45 Uhr - Tausendfüßler bis unter Mauer verfolgt. Dort Mauerassel gefunden. Sehr interessant, aber verboten.

12:15 Uhr - Dreck gegessen. Aparter Geschmack, aber verboten.

12:30 Uhr - Salat ausgespuckt. Ungenießbar. Ausspucken dennoch verboten.

13:15 Uhr - Mittagsruhe im Bett. Nicht geschlafen. Aufgestanden und auf Deckbett gesessen. Gefroren. Frieren ist verboten.

14:00 Uhr - Nachgedacht. Festgestellt, daß alles verboten ist. Wozu ist man überhaupt auf der Welt?

Helmut Holthaus - Aus dem Buch „Texte für die Primarstufe TP 3" (Schroedel 42 023) (C) 1973

Wer kann sich noch an die alten TP Bücher erinnern, die von Schülern gern „TolPatsch" genannt wurden und in der Grundschule, in den 70er und 80er Jahren, deren ständige Begleiter waren? Dieses Szenario mit dem kleinen Tilli (so hieß der Junge), hat mich damals in der Grundschule sehr belustigt, hat mich aber auch gleichzeitig fragen lassen, welches „Kölnisch Wasser" denn so besonders wäre, daß Mama und Sohn ab dem Verschütten desgleichen so einen unschönen Tag haben. Es mußte wohl ein außergewöhnliches Duftwasser sein. Echt Kölnisch Wasser von 4711 scheidet also schonmal aus. 4711 war nämlich auch in den 70ern leicht und überall zu bekommen, günstig war es obendrein. Seit Ende 90er Jahre weiß ich, daß es ein Kölnisch Wasser gab, das nicht nur schwerer zu bekommen, sondern auch "schöner" war als 4711. Es war ein alter Flakon "Farina Gegenüber", das ich auf einem Flohmarkt in Köln erstehen konnte. Kurz darauf sprach ich eine etwas reifere Freundin (eine Ur-Kölnerin) an und fragte, ob sie noch das alte „Kölnisch Wasser" von Farina Gegenüber kannte. Sie strahlte und sagte, daß ihre Mutter und all die Damen aus dem Kaffeekränzchen den Farina dem 4711 vorgezogen hätten. Ich fragte sie, was der Unterschied im Duft gewesen wäre. „Der Nelkeneinschlag" war ihre kurze und bündige Antwort.

Und mit diesem „Nelkeneinschlag" komme ich zum Kern meines Kommentars und dem Grund, warum so ein einfaches „Wässerchen" ein paar Worte mehr verdient als eine gewöhnliche Duftbesprechung.
Daß es sich hier um Nelke handelt, ist fraglich. Bisher habe ich nur drei Quellen ausfindig machen können, die diese „würzige These" unterstützen. Da wäre erst einmal Apicius, der in seinem Kommentar zu "Original Eau de Cologne" meint, "Kardamom" oder Ähnliches zu riechen. Die zweite Quelle wäre meine bescheidene Nase: ich habe doch jahrelang tatsächlich an eine Mischung aus Gewürznelken und Koriander gedacht. Doch den Vortritt lasse ich der dritten Quelle, die als einzige sowohl professionell als auch neutral anzusehen wäre. Der H&R Duftatlas von 1997 zählt als Inhaltsstoffe für "Kölnisch Wasser" von Farina Gegenüber (1714) nämlich Folgendes auf:

Top Note: BERGAMOT, CITRUS, ORANGE, Petitgrain, Neroli
Middle Note: Rosemary, Rose, Carnation
Base Note: Musk

Hier sei angemerkt, das Carnation der englische Begriff für Gartennelke ist. Weiterhin sei angemerkt, daß hinter den Namen "Original Eau de Cologne" (1709) und "Kölnisch Wasser" (1714) wahrscheinlich der gleiche Duft steht. Nur fünf Jahre später unter deutschem Namen erneut eingeführt, um Verwechslungen auszuschließen. Der leider auch wieder sehr schnell viele Nachahmer fand.

Doch zurück zu unserem Duft und dem damit verbundenen, ominösen „Nelkeneinschlag". Mit diesem Nelkenton eröffnete Farina der Parfumkultur ganz neue Wege. Waren die sogenannten „Wässer" bis dahin nur Erfrischungswässerchen, die kurzfristig beleben sollten, so hatte man jetzt eine ganze Base, die man in alle möglichen Richtungen ausbauen konnte. Hatte man bisher nur Rosmarin- oder Lavendel-Wässerchen, die als Aqua Mirabilis (Wunderwasser) von diversen Klöstern hergestellt wurden, oder reine Citrus-Wässerchen auf Bergamotte- und Neroli-Basis, so ließ Farina diese Komponenten zu einem krautigen Wohlgeruch verschmelzen, der später die Grundlage für Fougere- und Chypre-Noten bilden sollte. Man mußte dazu nur Eichenmoos als fixierende Note hinzufügen. Doch um die Vielseitigkeit perfekt zu machen, fügte Farina dieser Komposition noch einen Nelken-Akkord zu, der wahrscheinlich aus Gewürznelke und Gartennelke bestand. Und damit das Durcheinander vollkommen war, kam zur Gartennelke noch ein winziger Schuss Rose-Jasmin-Akkord hinzu. Das mag aus heutiger Sicht sehr simpel klingen; doch zur Zeit Farina's war es „Chaos" pur. Am Ende entstand ein „Wässerchen", das zitrisch, krautig, würzig und blumig gleichermaßen zu sein schien. Mit der Zeit wurden daraus Fougères, Chypres, florale und auch würzig-orientalische Noten kreiert. Es war schon eine Revolution auf dem Parfumsektor. Die nächsten Revolutionen vergleichbarer oder fortführender Art folgten erst viele Jahre später:

"Vetiver" von Floris (1873), Holz-Chypre;
"Fougère Royale" von Houbigant (1882), Fougère;
"L'Origan" von Coty (1906), Floral-Süss;
"Quelques Fleurs" / "Quelques Fleurs L'Original" von Houbigant (1912), Floral;
"Chypre" von Coty (1917), Chypre;
"Knize Ten" von Knize (1924), Leder-Chypre;
"Shalimar" von Guerlain (1925), Ambriiert-Orientalisch;

sowie viele weitere „Meilensteine" der Parfumgeschichte, die den Beginn weiterer Unterfamilien bildeten. Lediglich "N°5" von Chanel war eine der wenigen, davon unabhängigen Erneuerungen. N°5 machte 1921 die Aldehyde salonfähig.

Was zurückbleibt, ist ein schlichter Duft von ungleich großer Raffinesse, der noch heute Millionen Menschen weltweit erfrischt oder gar betört. So ein Kunstwerk bekommt schon mal die Höchstwertung von mir. Nicht weil ich auf Citrus stehe, sondern seiner Bedeutung als Vorreiter all meiner Schätze wegen. Will mich jetzt noch jemand belächeln, daß ich dem Schöpfer des "EdC" einen Besuch an seinem Grab abstatten und Nelken darauf legen möchte ?
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DuftJunkie vor 9 Jahren 22 7
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Duft
Das Rätsel Des Pazuzu
Pazuzu:
» ... ist ein Dämon der babylonischen und assyrischen Mythologie. ... Er galt als Personifikation des kalten Windes und brachte Fieber und Kälte. Er ... wird mit löwenähnlichem Kopf, den Füßen eines Adlers, ... , einem Skorpionsschwanz und vier Flügeln dargestellt. Bei der einzigen Ganzkörperdarstellung weist eine Hand nach oben, die andere nach unten, was in hermetischen (Geheimlehre nach Hermes) Spekulationen der Neuzeit als Hinweis auf den Grundsatz: „Wie oben, so unten“ gedeutet wurde. Normalerweise wird jedoch nur sein löwenartiger Kopf dargestellt.
Er wird als Gegner Lamaštu's (ein weiblicher Dämon) beschrieben, die Mutter und Kind im Kindbett bedroht, und wurde daher von diesen auf Schutzamuletten dargestellt, getragen ... «

Quelle: Wikipedia

Der letzte Absatz zeigt, daß Pazuzu eben nicht der Dämon ist, der Besitz von kleinen Mädchen ergreift, wie in den Exorzist-Filmen dargestellt; sondern vielmehr diese beschützt und über sie wacht.

Der andere Pazuzu:
Einige werden es sicher wissen. Es gibt einen Parfumo, der sich Pazuzu nennt. Und dieser war es auch, der vor nicht allzu langer Zeit, bei einem Parfumo-Treff, mir eine Abfüllung von Mazzolari's "Lui" reichte. Meine erste Reaktion war: "Eigenartig". Andere Anwesende hatten Dufteindrücke von "Animalisch" über "Leder" bis "Patchouli". Pazuzu sagte, ich möge die Abfüllung behalten, den Duft ausgiebig testen und ihm anschließend meine Meinung (er würde sich über einen Kommentar freuen :-) mitteilen. Damit gab er mir ein Rätsel auf, an dem ich einige Zeit knabbern sollte. Denn schon nach kurzer Zeit erfuhr ich, daß es schon über ein Dutzend Kommentare zu "Lui" gab, welche aber Pazuzu's Fragen nicht ganz beantworteten. Denn die Frage war nicht: "Wie ist der Duft?", sondern vielmehr: "Warum wirkt er so polarisierend auf Menschen?", "Warum ist der Duft so, wie er ist?" und vor allem: "Was ist die Botschaft des Duftes? Gibt es denn eine?"

Die Botschaft:
Was die Botschaft des Duftes angeht, kann ich sagen, daß sie mich an den Grundsatz „Wie oben, so unten" erinnert. So soll etwas was nach unten, zur Basis des Duftes gehört, nach oben in die Kopfnote. Genauso sollen Merkmale, die gewöhnlich zur Kopfnote eines Parfums gehören im Fond des Duftes auftauchen. Das Herz der Komposition soll einerseits an diesen "verkehrten" Umstand erinnern; andererseits aber auch das ganze Duftgeschehen entwirren und zu einem überaus harmonischen und fast schon lieblich weichem Fond überleiten.

Das Rätsel:
"Warum ist Lui so, wie er ist?", ist für mich das zentrale Thema, ein Rätsel. Denn ich neige dazu, zu hinterfragen, wie man solche Effekte erzielt. Wie erreicht man hier, das animalische Akzente dermaßen nach vorne preschen, und liebliche, fast schon frische Eindrücke in den Hintergrund gedrängt werden? Nicht zu vergessen, daß die Sillage dabei zu jedem Zeitpunkt auf einem hohen Level bleibt.
Um das zu klären, muß man den Duft quasi aus wissenschaftlicher Sicht sezieren. Dazu gehört nun mal die genaue Architektur des Duftes.
Der Duft baut sich um die zentralen Akkorde Leder, Patchouli und Holz auf. Patchouli wird in der Pyramide zwar nicht erwähnt, aber wer auch nur einmal kurz an Lui schnuppert, wird dessen Präsenz nicht leugnen können. Alle diese drei Akkorde haben nun eines gemeinsam: Sie haben Facetten aufzuweisen, die man irgendwo zwischen herb und derb einordnen könnte. Leder kann stechende Anteile aufweisen, Patchouli hat etwas modriges an sich und Zedernholz kann mitunter schweißartige Eindrücke vermitteln. Sandelholz wiederum, so unglaublich es für einige klingen mag, hat erhebliche Urinnoten aufzuweisen.
Nun wird es richtig technisch. Wenn man diese weniger schön klingenden Nuancen synthetisch oder mit naturreinen Essenzen verstärkt, kann man ein animalisches Bild schaffen. Frisch mit Teernoten bearbeitetes Leder, daß man noch die stechend riechende Gerbflüssigkeit heruntertropfen hört. Modrige Noten von Patchouli mit Narde oder Nagarmotha so ergänzt, daß das Bild eines Pferdestalls entsteht. Sandel- und Zedernholz, die mit Baldrian und ähnlichen Substanzen geringfügig modifiziert werden, lassen dann auch schon mal an ein wildes Tier denken, das seinem Käfig irgendwie entkommen ist und nun in seiner nackten, animalischen Pracht vor einem steht.
Zum Glück ist das alles aber nur die eine Seite von Lui. Denn wer Geduld hat und dieses wilde Tier zähmen kann, der darf später die andere Seite von Lui erleben: Wie sich das wilde Tier (ob Löwe, Puma oder Tiger) in einen handzahmen Hund verwandelt. Und ab da ist Lui für manch Einen der treueste und loyalste Begleiter, der beste Freund von allen. Diese Verwandlung geht sehr langsam vonstatten, sodaß man nur schwer mitbekommt, wie aus einem absetigen und polarisierenden Duft ein regelrecht kuscheliger, weicher Begleiter wird, der sich wie eine Kaschmirdecke um Einen legt.
Das Geheimnis dieser weichen Basis könnte sein, daß sich neben süßlichem und unübersehbarem Ambra die verstärkten und langanhaltenden Noten von Jasmin, Iris, Nelke und/oder Narzisse breitmachen, welche ich aber (bis auf Jasmin) kaum einzeln ausmachen kann. Doch die Grundtendenz der, fast schon erdigen, blumigen Noten ist für mich unverkennbar vorhanden. Hinter dieser Erdigkeit könnte ein Hauch von Vetiver stecken, welcher sich mir bisher aber als Einzelnote verschlossen hat. Was die erwähnten Gewürznoten angeht: im gesamten Verlauf nimmt man immer wieder mal würzige Aspekte wahr, die an einen dünnen Schleier erinnern.

Die Polarisierung:
Unter Polarisierung versteht man im Allgemeinen das Spalten eines Ganzen in zwei Lager (Pole). Im naturwissenschaftlichen Bereich kann das positiv oder negativ (abhängig vom Ergebnis) bewertet werden. In der Politik ist es ausschließlich negativ zu bewerten, weil es ein soziales Gefüge schädigt und Barrieren schafft anstatt den Zusammenhalt zu fördern, auf den jede Gesellschaft angewiesen ist.
In der Kunst (dazu gehört auch Parfum) hat die Polarisierung durchweg etwas Positives an sich: Durch das Ausloten (verschiedener) gegensätzlicher Grenzen zeigt sie immer wieder neue Wege auf und trägt so zu einer Vielfalt bei. Machmal werden aus solchen "Experimenten" Pioniere ganzer Stilrichtungen. Man denke nur an "Chypre" oder "Mitsouko". Die Chypre-Düfte bilden heute eine der größten Duftfamilien überhaupt. Ob das Ergebnis einem am Ende gefällt, ist eine andere Sache. Es wäre auch schade, wenn es jedem gefallen würde; denn nicht jede Nase schätzt jede Herausforderung.

Das Schlußwort:
Damit komme ich auch schon zu meinem Fazit: "Lui" polarisiert die Massen, weil sie die gewohnte Duftarchitektur auf den Kopf stellt. "Wie oben, so unten" ist hier die Vorgabe. Wer diese Herausforderung annimmt, kann sich an einer Stunden währenden, lieblichen Basis erfreuen. Normalerweise wird von vielen Parfums dergleichen in einer Kopfnote geboten, und das für wenige Minuten. Der Wermutstropfen bleibt: man muß sich durch einen schwülen Dschungel voller wilder Tiere durchkämpfen.

Mein großer Dank gilt Pazuzu (dem Parfumo) für diese großzügige Abfüllung und die damit verbundene, rätselhafte, "Alles auf den Kopf stellende" Dufterfahrung :-) .
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DuftJunkie vor 9 Jahren 15 10
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Duft
Opa, Bist Du Es ?
... und der kleine Junge presste seine Nase gegen den dezent nach Waschmittel duftenden Pullover seines Großvaters; nicht ahnend, daß er ihn nie wieder sehen würde.

Der kleine Junge freute sich schon riesig. Er war mit seiner Mutter unterwegs in das Heimatdorf seines Vaters im zentralanatolischen Hochland. Nein, sein geliebter Vater war nicht dort. Der war im fernen Deutschland. Aber jemand anders, den er ebenso liebte war in jenem Dorf: sein Großvater.
Die Mutter des kleinen Jungen freute sich weniger über diese kleine Reise vom Stadtzentrum Ankaras in die Provinz. Sie mußte nämlich dem alten Mann eine Hiobsbotschaft überbringen. Ihr Mann hatte nämlich beschlossen, wegen des Bürgerkriegs die Familie nach Deutschland, zu sich zu holen.

Das schöne Dorf an einem Berghang war erreicht. Als die Türen des Busses öffneten, rannte der kleine Junge auch schon auf dem Feldweg in Richtung Dorf. In der Ferne, eingangs des Dorfes sah er eine Gestalt und konnte nicht genau erkennen, wer es war. Er lief darauf zu und erkannte die Silhouette seines 'Dede', was Großvater bedeutet. Um sicher zu sein, rief er: »Opa, bist Du es?«. Die Gestalt in Form eines alten Mannes kniete nieder und breitete die Arme aus. Opa und Enkel schlossen sich in die Arme. Umhüllt vom erdigen Duft, der aus den nahegelegenen Feldern herüber wehte. Als der Junge in die vor Freude strahlenden Augen seines Opas schaute, vernahm er noch den Duft von Heu aus den Scheunen und den von ihm geschätzten, leichten Mistgeruch aus den Stallungen. Dung war auf dem Land wertvoll und vielseitig. Im Frühjahr auf dem Acker eingesetzt, wurde er im Sommer getrocknet und jetzt im Herbst als Brennstoff benutzt.

Nachdem Mutter und Opa über die bevorstehende Emigration ins ferne Deutschland gesprochen hatten, kam der Opa zum kleinen Jungen. Es schien als hätten sich ein paar Tränen unter den strahlenden Augen des Opas versteckt. Verständlich wäre es; war dieser Junge doch der jüngste Sohn seines jüngsten Sohnes. Nach seinem Fortgang hätte der alte Mann keine Enkel mehr in seiner Nähe. Die anderen Enkelkinder waren schon weit weggezogen. Der Opa drückte seinen jüngsten Enkel an seine Brust und rief dabei seiner Frau zu, sie möge doch die Gänse wegscheuchen. Der kleine Junge ahnte Böses und riss sich vom Opa los. Er schrie: »Nein, sie soll den Gänsen nichts tun!« Der Opa erstaunte und versicherte dem Jungen, es ginge nur um ein Ei. Kurz darauf wurde auf einer Brennstelle im Freien auch schon ein Spiegelei (der besonderen Art :-) zubereitet. Der Junge wunderte sich, wie ein einziges Ei eine ganze Pfanne ausfüllen konnte. Der Duft vom Kienholz, das zum Anfeuern benutzt wurde, ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Auch 35 Jahre später würde er diesen Holzduft lieben, selbst wenn Viele ihn nur für Sägespäne halten.

Abends wurde es auf dem Land immer sehr kühl. Der kleine Junge dachte, daß sogar die Maultiere besser gegen die Kälte gewappnet waren. Sie hatten ihr Fell praktisch immer dabei, und obendrein noch einen Sattel aus Leder. Sein geliebter Opa hatte nur einfache Handschuhe aus zweifädigem Wollgarn. Doch ein Trost für den Kleinen war, daß Opa bei Bedarf eine Zigarette oder eine Pfeife anzünden konnte, wenn ihm zu kalt wurde. Und nachts hätte dieser ja seine Frau, die liebe Omi, an seiner Seite. Eben die Frau, die scheinbar jeden Abend den Pullover des Gatten wusch, sodass dieser einfache Pulli am Tag darauf dezent und angenehm nach Waschmittel duftete.

Der unvermeidliche Tag des Abschieds kam. Der Opa drückte seinen jüngsten Enkel gefühlvoll an seine Brust, und der kleine Junge presste seine Nase gegen den dezent nach Waschmittel duftenden Pullover seines Großvaters; nicht ahnend, daß er ihn nie wieder sehen würde.

Heute, nach mehr als 35 Jahren sitzt der kleine Junge, aus dem nun ein reifer Mann im besten Alter geworden ist, da auf einem Stuhl und sprüht sich etwas von Brosius' Greenbriar 1968 auf. Der erste Gedanke, der ihm dabei durch den Kopf schießt, ist: »Opa, bist Du es?«

-Herzlichen Dank an Yatagan, für diese schöne olfaktorische Erfahrung-
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