„Extrait-Duftbombe und transparentes Eau de Toilette“ oder eher doch „Vom zarten Extrait und gewalttätigen Eau de Toilette“?

Früher, da war die Welt für mich ganz einfach. Da wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, ein Extrait oder Parfum zu testen, geschweige denn zu tragen, den eines war doch sonnenklar: Das ist auf jeden Fall viel zu heftig, pustet dich aus den Socken und lässt deine armen wehrlosen Arbeitskolleg*innen reihenweise entweder ohnmächtig zu Boden sinken oder fluchtartig gekachelte Räume aufsuchen! Die einzigen Menschen, die so etwas tragen, sind diejenigen, die einen im Inneren tief verborgenen latenten Hass auf ihre Umwelt hegen und ihn so perfide ausleben!

Ja, so war das damals in meiner Vorstellung, die geprägt war durch die Aussage diverser Beraterinnen in Parfümerien. „Das Parfum führen wir nicht, aber das wäre Ihnen ohnehin zu stark, gerade, wenn Sie eher zarte Düfte mögen“. Oder auch „Nein, das Eau de Parfum haben wir nicht, aber das ist ja nur haltbarer und stärker als das Eau de Toilette, das Sie gerade testen, ansonsten riecht es genauso.“Das habe ich ungefähr dreiJahrzehnte einfach geglaubt, denn schließlich sind die kompetenten Damen ja die Spezialistinnen in Sachen Duft. Und wer bin ich schon, unwürdige Unwissende in der Welt der Düfte, dieses Apodiktum zu hinterfragen?

Und so trug ich Jahrzehnte, wenn überhaupt, Eau de Toilette und dachte mir immer: Naja, ich bin ja wohl ein extremes Weichei, weil, obwohl das nur ein Eau de Toilette ist, finde ich das mitunter schon ganz schön heftig – besonders zu Beginn.

Und dann entdeckte ich auf Parfumo so eigenartig irritierende Aussagen wie: „Das Extrait ist übrigens viel zurückhaltender und leiser“ oder auch „Das Eau de Parfum ist ein komplett anderer Duft als das Eau de Toilette, viel edler und weicher“ und geriet ins Grübeln. Sollte da wirklich etwas Wahres dran sein, muss ich da womöglich Feldforschung betreiben, eventuell sogar eine wissenschaftlich saubere Doppelblindstudio organiseren?

Und eines Tages war es so weit – oder nein, ich muss mich korrigieren: Es war um Mitternacht und ich ganz gewiss nicht im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, in der Phase, als ich, durch wundervolle Kommentare hier auf Parfumo die beschriebenen Düfte förmlich zu riechen meinte, in einen wochenlangen Test- und Kaufrausch geriet. Ich hatte gerade Aus Liebe zum Duft entdeckt und die Möglichkeit, dort Proben von Düften zu erwerben. Und da schlug die Schwerkraft (vermutlich vor Müdigkeit, anders lässt es sich ja gar nicht erklären..) zu undließ meinen Zeigefinger auf „Bestellen“ niedersinken und wenig später landete eine Probe von Roja Gardenia Extrait in meinem Briefkasten. Beim ersten Testen fand ich mich praktisch in einer vollkommen neuen Erfahrungssphäre wieder: Ein Duft, der aus irgendwie aus verschiedenen Schichten aufgebaut war, die sich ineinander verschieben,verstärken, ablösen – in einer Art, die ich zuvor nicht erlebt hatte. Inzwischen ist Gardenia für mich ein geradezu harmloser blumig-würziger Duft – wunderschön nach wie vor, aber bei weitem nicht so komplex und überraschend wie andere Parfums, die ich inzwischen kenne. Meine neue Liebe zu Extraits besiegelte allerdings ein anderer Duft: Vol de Nuit/Guerlain. Ich hatte in der Parfümerie nur die Gelegenheit, das Eau de Toilette zu testen und das hat eine holzige Komponente, die ich nicht richtig festmachen kann, die mich aber sehr stört. Der Schwärmerei hier auf Parfumo zum Vol de Nuit-Parfum zu widerstehen, dazu fehlte mir letztlich die Kraft.

Zum Glück für meine duftsehnsüchtige Seele und zum Ruin für mein Konto gibt es ja den Souk – und so fand eine Abfüllung ihren Weg zu mir nachhause. Und da war er, mein Duft: Wunderbar komplex, streichelweich schon zu Beginn, nichts sticht in der Nase, kein Unterton, der zu harsch ist, kein Hauch von alkoholischer Schärfe – intim und hautnah. HUCH!!!! Hautnah??? Diskret??? Das ist doch das Parfum? Warum ist das nicht stärker, heftiger, mit Monster-Sillage, wie ich immer angenommen habe?

Und wieder geht eine Gewissheit in meiner kleinen, bescheidenen Duftwelt den Bach runter – und so etwas hat natürlich extreme Folgen. Denn schließlich gibt es von vielen Düften sowohl EdT, EdP als auch Extrait. Ich denke, ihr seht schon, worauf es hinaus läuft. Für eine konsequente (und sehr neugierige) Neu-Parfuma im Lehrlings-Status kann es ja doch wohl nur eine Lösung geben: In Zukunft alles dreifach testen…

Ich fürchte daher, Ihr müsst mich hier noch etwas länger ertragen…

Eure Duftsucht