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Duftsuchts Blog
vor 5 Jahren - 04.12.2018
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​ Plädoyer für langweilige Zeiten

In der vergangenen Woche hat in der Stadt, in der ich seit vielen Jahren lebe und meine Kinder aufwuchsen, der Weihnachtsmarkt eröffnet. Eine eisig kalte Nacht, ein wunderbarer Baum mit warmen, strahlenden Lichtern im Zentrum, ein sternenklarer Himmel mit Mondsichel, geradezu unwirklich schön.

Und rundherum eine Festung. Wie konnte es dazu kommen, dass wir die Straßen rund um unsere Weihnachtmärkte mit Betonquadern, überdimensionierten Abprallsäcken, mobilen Straßensperren mit Krallen verbarrikadieren?

Was ist das für eine Zeit, in der mir eine Polizistin resigniert erzählt, in vielen anderen Stadtvierteln sei es ohnehin noch viel schlimmer, nachdem mein Sohn auf dem Heimweg von der Schule tätlich angegriffen wurde und ich das Wochenende mit ihm in der Notaufnahme verbrachte? Wie kann es passieren, dass an einem äußerst belebten Platz mitten am Tag ein wesentlich größeres Kind ein kleines vermöbelt und niemand greift ein – und sei es auch nur, mit dem Handy die Polizei zu rufen?

Und gleichzeitig leben wir in einer Zeit, die die längste Friedensperiode ist, die Europa je erlebt hat. In einem Land, in dem ärztliche Versorgung, Schulbesuch, eine solidarische Grundsicherung eine Selbstverständlichkeit sind. Die Jahre, die ich auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern gelebt habe, machen mich ganz sicher: Wenn ich mir jeden Ort der Welt aussuchen könnte, um zu leben, zu arbeiten und Kinder groß zu ziehen, meine Wahl würde auf Mitteleuropa fallen.

„Mögest du in interessanten Zeiten leben“, so lautet angeblich ein chinesischer Fluch. Vielleicht wäre es ja ein erster Schritt in langweiligere Zeiten, wenn jede und jeder einzelne von uns sich ab und zu in einer ruhigen Minute überlegen würde, in welcher Welt wir leben wollen, wie wertvoll ein friedliches Zusammenleben für jeden von uns ist?

Eure diesmal sehr nachdenkliche

Duftsucht

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