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Duftsuchts Blog
vor 7 Jahren - 04.12.2018
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​ Plädoyer für langweilige Zeiten

In der vergangenen Woche hat in der Stadt, in der ich seit vielen Jahren lebe und meine Kinder aufwuchsen, der Weihnachtsmarkt eröffnet. Eine eisig kalte Nacht, ein wunderbarer Baum mit warmen, strahlenden Lichtern im Zentrum, ein sternenklarer Himmel mit Mondsichel, geradezu unwirklich schön.

Und rundherum eine Festung. Wie konnte es dazu kommen, dass wir die Straßen rund um unsere Weihnachtmärkte mit Betonquadern, überdimensionierten Abprallsäcken, mobilen Straßensperren mit Krallen verbarrikadieren?

Was ist das für eine Zeit, in der mir eine Polizistin resigniert erzählt, in vielen anderen Stadtvierteln sei es ohnehin noch viel schlimmer, nachdem mein Sohn auf dem Heimweg von der Schule tätlich angegriffen wurde und ich das Wochenende mit ihm in der Notaufnahme verbrachte? Wie kann es passieren, dass an einem äußerst belebten Platz mitten am Tag ein wesentlich größeres Kind ein kleines vermöbelt und niemand greift ein – und sei es auch nur, mit dem Handy die Polizei zu rufen?

Und gleichzeitig leben wir in einer Zeit, die die längste Friedensperiode ist, die Europa je erlebt hat. In einem Land, in dem ärztliche Versorgung, Schulbesuch, eine solidarische Grundsicherung eine Selbstverständlichkeit sind. Die Jahre, die ich auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern gelebt habe, machen mich ganz sicher: Wenn ich mir jeden Ort der Welt aussuchen könnte, um zu leben, zu arbeiten und Kinder groß zu ziehen, meine Wahl würde auf Mitteleuropa fallen.

„Mögest du in interessanten Zeiten leben“, so lautet angeblich ein chinesischer Fluch. Vielleicht wäre es ja ein erster Schritt in langweiligere Zeiten, wenn jede und jeder einzelne von uns sich ab und zu in einer ruhigen Minute überlegen würde, in welcher Welt wir leben wollen, wie wertvoll ein friedliches Zusammenleben für jeden von uns ist?

Eure diesmal sehr nachdenkliche

Duftsucht

7 Antworten
BrigidaBrigida vor 7 Jahren
Englische Freunde, die weit herumgekommen sind - und ich meine "weit" - sagten schon vor Jahren, wir lebten in "halcyon days"... #Straßburg
TIA1971TIA1971 vor 7 Jahren
Ja mir ging es ähnlich, als ich letzte Woche beim Raustreten aus dem Büro fast über einen weihnachtlich dekorierten Betonpoller stolperte, da ich halt genau gegenüber vom Weihnachtsmarkt arbeite...morgens waren die noch nicht da, nur die Buden und alles und dann später...dann ist es wohl momentan so und mit Wahlwerbung hat das für mich auch nichts zu tun...es ist für die meisten von uns jedes Jahr aufs Neue wieder eine sehr nachdenklich machende Zeit..
SchokolollySchokololly vor 7 Jahren
Mir gehts genauso und ich verstehe dich total. Bin auch eine Mami und mache mir viele Sorgen um die Zukunft. Ich wünsche dir und deinen Lieben trotzdem eine schöne und besinnliche Weihnachtszeit!
TurbobeanTurbobean vor 7 Jahren
Die Verantwortlichkeit für die Betonpoller ist eindeutig. Die Gefühlskälte allerdings scheint mir eher hausgemacht. Guter Blog!
RunzelchenRunzelchen vor 7 Jahren
Geht mir auch so ich kann jedes wort nachvollziehen,und mal ein paar nachdenkliche zeilen haben für mich nichts mit wahlwerbung zu tun find deinen blog super,danke.
DuftpuppeDuftpuppe vor 7 Jahren
Vielen Dank für diesen Blog. Nachdenklich bin ich schon lange und du hast in deinem Beitrag sehr schön formuliert, was viele Menschen bewegt. Eine schöne und friedvolle Zeit wünsche ich!
OhdeberlinOhdeberlin vor 7 Jahren
fehlt nur die Wahlempfehlung für die nächste Wahl ...

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