Edda32

Edda32

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1 - 5 von 22
Edda32 vor 2 Jahren 36 14
Später
Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort als ich dich nicht getroffen habe und jetzt kann ich mein Herz nur noch in eine Zeitkapsel legen. Ein guter Tag dafür, dieser eisklare Frühlingsmorgen. Vögel werfen kleine Noten in die Welt, die am Himmel ungehört zerbersten, die milchweißen Villen am Waldrand schlafen, niemand träumt von einem besseren Leben.
Mein Herz schlägt unter Glas und unter dem sanftem, metallischen Nebel des Morgens, der sich mit dem bitteren, frischen Atem des Tees mischt, den ich nicht getrunken habe. Und Jacke anziehen, Reißverschluss, Schuhe, Schnürbänder. Ein Mensch mit einem schlafenden Herzen kann sich alleine anziehen. Manche Wunder sind klein.
Der Schlafsaal der zierlichen Hundsveilchen blinzelt, eingekuschelt in zwei vergangene Oktober, November und deren in winzigen Buchstaben dicht beschriebenes Laub, jetzt macisbraun und brüchig, ein Foto in Sepia.
Ich habe aber kein Wort vergessen und alle Buchstaben rascheln und flüstern unter meinen Schritten und unter meinen Händen, als ich sie beiseite schiebe. Die Erde ist schwer schwarz satt, ein umgestülptes Universum in das ich mein Herz legen kann. Das herbdunkle Grün der Blätter und Blätter und Blätter beschützt die Ewigkeit. Da capo, al fine, mein Herzschlag.
Alle Sterne warten auf dich.
14 Antworten
Edda32 vor 4 Jahren 40 20
8
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft
Nishiki-e, Japanischer Farbholzschnitt

Der brüchige Duft überreifer
Folianten in salzpatinierten Holzregalen
Wenn du, barfuß die Bugwelle, raschelndes Laub
Nadelbrechend über sonnengebrannte Erde
Traumwandelst.

Hier ein schmaler Kegel Gluthitze
Lässt gleißenden Staub splittern
Und der ewige Antiquar hält
(Versunken in einer Vierten Dimension)
In den ockernen fleckigen Furchen seiner Hände

Eine schneeschimmernde Tasse
Sonnengefüllt, ergießt das bronzen tönende Licht
all über dich.
Und auf gebranntem Lehm
Schmelzen zärtlich die Pflaumenblüten.
20 Antworten
Edda32 vor 5 Jahren 71 31
2
Flakon
6
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Der Traum ist aus!
"Dieses Jahr schenke ich allen Freunden von mir ihren Lieblingsduft, auf die eine oder andere Weise."
Diesen Vorsatz fasste ich, voller Inspiration, frisch bei Parfumo angemeldet im Frühjahr. Im April war als Zweite die ältere Freundin B. an der Reihe. Unauffälliges Interview, Fragen nach den Duftvorlieben. Oh Schreck! Ein Joop! Ich hasse Joop!Düfte. Wahrscheinlich sitzt mein frühes Teenagertrauma noch so tief. Eine Freundin erzählte mir damals, Designer Wolfgang Joop sei 'so ein schöner Mann'.
An schönen Männern grundsätzlich interessiert warf ich beim Zahnarzt einen Blick in die Gala. Die Freundin hatte Recht! (Hey, es war Anfang der Neunziger, mein Östrogenspiegel war noch so niedrig.....) Ich plante nach Abbau (oder 'dem Fall' haha) meiner Zahnspange eine Reise nach Berlin zu unternehmen und dann von meinem gleißenden Lächeln begleitet und mit Wolfgang auf der Quadriga davonzufahren, irgendwohin, gen Süden.
In der nächsten Sitzung beim Kieferorthopäden erfuhr ich aus der gleichen Zeitung, dass Joop jetzt homosexuell sei. (Die Fahrt auf der Quadriga hat sich dann viel später anderweitig erfüllt, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)
Jedenfalls brannte die Nachricht ein Verbotsschild in mein Riechzentrum und mein innerer Teenager weigert sich bis heute mit verschränkten Armen, Düfte von Joop zu goutieren.

Aber für Freundin B musste ja der Lieblingsduft her. Na schön, Ebay konsultiert, grässlichen postgelben Flakon (was soll das???) gefunden, ein Mini. Duft gesn....ersteigert. Zuhause mal vorsichtig getestet. (B., ich durfte das!)
- Quelle surprise!
Dies ist so ein freundlicher, heller, warmer Duft! Wolfgang?! Bist du's? Die Kopfnote schüttelt sanft und frisch geduscht die Hand und überreicht einen Martini Bianco mit Zitrone und Limette. Ich rieche die Anstecknelken bis hierher.
Die Gläschen klingeln, man plaudert, keiner berlinert. Ich glaube, ich bin in Hannover. Smalltalk wechselt, keiner verhaspelt sich, keiner fällt aus der Rolle. Die blonde Tolle gegenüber sitzt, Wolferl und ich haben den gleichen Kieferorthopäden, alle sind so nett. Jetzt Canapees.
Ich entledige mich der Etikette und fische nur das Obst von den Häppchen. Pfirsiche, Pflaumen. Dieser Schmelz! Das können nur Dosenfrüchte! (Ich checke in der Spiegelung eines Messers meine Zahnspange, alles läuft perfekt) Niemand spricht über Politik, alle sind froh.
Bevor mir langweilig wird, wende ich mich den hübschen Blumenbouquets zu. (Wolfgang said he would buy the flowers himself.) Die Sträuße tragen Schulterpolster. Alles so üppig! Alles so frisch! Heliotrop macht sich in einer trapezförmigen gelben Glasvase (was soll das???) breit, Maiglöckchen, Zwergiris und sogar ein paar Tuberosen ducken sich weg, ein Röschen schmunzelt hier und da, eine wilde Mischung. Die Sträuße sind Weltbürger. Wolfgang hat Tennisarm. Ich nicke verständnisvoll. Die Sonne scheint.

Hui, und wie aber jetzt die Sonne scheint! Der Gastgeber schält sich aus dem cremefarbenen Sakko. Ich unterdrücke den Drang, die seidigen Satinaufschläge zu streicheln. Mein Blick fällt auf zwei feuchte Flecken. Meine ich das nur, oder rieche ich was?
Wolfgang macht eine charmante Bemerkung zu meinen Zahnspangengummis, ich hake mich unter. Wir gehen rüber zu den schattenspendenden Bäumen. Es tänzelt ein weißgekleideter Kellner (Jorge, abends Salsalehrer) Selbst die sind hier gut angezogen. Sein Bizeps reicht das Tablett. Wolfgangs Blick wandert tablettabwärts gen Süden, meiner auch. Ich nehme ein Dessert. Oh, eine Mousse vom Panna Cotta! Köstlich mit Vanille und Tonka. Die Sonne senkt sich. David Hasselhoff und Rudolf Schenker prosten sich zu. Like brothers. Jemand tanzt.

(Zuhause reiße ich mir den Fummel vom Leib, wasche mir den Duft ab und mache erstmal Rio Reiser an. 'Der Traum is' aus!'.....
Aber das weiß ja meine Freundin nicht. Die ist einfach genau so nett und freundlich und ehrlich und sanft und trotzdem raffiniert und elegant und mit Witz, hat einen Doktor und mindestens vier Fremdsprachen, tanzt Ballett.....Zu ihr passt der Duft so schön! Und ich find' ihn richtig gut, nur nicht für mich.)
31 Antworten
Edda32 vor 5 Jahren 30 13
7
Flakon
8
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Schatten voraus
Wenn du aufwachst und es irgendwie geahnt hattest, aber nicht hattest in dein höheres Bewusstsein aufnehmen wollen, dass der heiße Traum des Sommers vorbei ist.
Es scheint wie immer Morgensonne durch dein Fenster, streicht teegelbe Wände und dein Blick wandert barfuß über Schatten. Helle Schatten und dunkle Schatten und die Berge und Täler deiner Bettdecke. Findet Halt an einem rostigen Herz, über dem uralten, wurmstichigen Türrahmen. Das sind dann tausend und ein Ausgang für dich.
Deine Hände könnten, einen warmen Traum bergend, noch rauhleinene, zartkühle Stofffalten streicheln. Steh doch auf!
Sieh pflaumenblaues Heidekraut, sommervergessene, noch saftschwellende Brombeerranken. Über alles haben sich klammheimlich schwebweiße Spinnwebenfetzen gelegt. Welcher traumgestaltige Kampf hat hier stattgefunden.

Geh' durch die nebligen Vorhänge der Schrebergartensiedlung! Gefiederte Astern, gluteigner Sonnenhut, zartgliedrige Anemonen in weißen Nachthemden lehnen sich sehnend an Zäune und werden nicht wach durch das Kniesknirschen deiner Schritte. Dies ist ein Altherrentraum von jemandem, der einst Libido sprach, eine afroasiatische Sprache. Äthiopien. Oh Mädchen, was war es damals heiß! Spaten, nun sorgfältig verstaut unter dem Dachüberstand. Dieses Wort kennst du seit gestern.

Andererseits siehst du taufeuchte, metallische Pflaumen im silbrigen Gras. Ihre gelben, saftig süßen Wunden verraten dir ihres Aromas letztes Geheimnis. Trag es nach Hause! Entfalte es hier, im pfeifenden Teekessel deines inneren Morgens. Sein Singen hast du noch vergessen, sei zu Gast am Hof des Zaunkönigs! Das Bett ist noch warm.
Du gingst ohne Frühstück. Eines Frühaufstehers unbedingte Askese. Dass du all dies tränkest, also Kühle und Klarheit und Frische und zartwarme Radiation der flüsternden Herbstsonne. Deine Sommersprossen sind die Sterne der vergangenen Nacht.

Wie schön du die Zweige arrangiert hattest, die Milchstraße der Jasminrädchen trug dich so kosmisch davon. Ich rief und rief.

Aber jetzt iss und trink! Tee und Toast und Bittersüße. Der Herbst ist die Erinnerung des Sommers und in seiner Präsenz beweihräucherst du huldigend den kommenden Winter.

13 Antworten
Edda32 vor 5 Jahren 46 21
10
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Der Duft der Macchia

Das Meer schlug an den heißen Sand, rollte vor und wich zurück, rollte vor und wich zurück, sich wiederholend in jahrmillionenalter, pulsierender Gleichgültigkeit. Ich hatte eine, zwei oder mehr Stunden hier gesessen, erinnerte mich kaum hierhergekommen zu sein, kam oft hierher. Oft oder zu oft, oft oder zu oft. Mein Kopf fühlte sich taub an und an meinen Zähnen klebte die adstringierende Säure des wenigen Rotweins, den ich nicht hätte trinken sollen, weil ich selten trinke. Vielleicht war ich eingeschlafen.
Ich hob die Hand, um meine Augen vor der Sonne abzuschirmen. Meine Armreifen klirrten, aber das Meer wusste nichts davon. Ich konnte die vertraute Süße meiner sonnenheißen Haut riechen, die sich mit dem Salzwind gemischt hatte, sah die Erinnerung einer Kinderbräune, aber fühlte keine Berührung und hörte kein Echo.
Der Strand war vollkommen leer, leinenweiß, er erstreckte sich alles umfassend vor meinem Gesichtskreis, untrennbar an die himmelblaue Leere genäht. Ich war nichts als ein Punkt in einem allmächtigen Kontinuum aus Hitze und Gischt, meine Augen ein Hohlspiegel für eine blicklose Reflexion. Lähmende Teilnahmslosigkeit befiel mich, bedeckte mich, wie eine sandweiße Decke. Das Meer würde nicht aufhören zu branden, nicht für mich und für niemanden. Eingeschlossen in ein kosmisches Stundenglas stand ich da.

Jetzt erst bemerkte ich einen mageren, struppigen schwarzen Hund, der offenbar ohne einen Herrn hier war. Der Hund hatte linker Hand meinen Horizont betreten, lief merkwürdig hoppelnd, am Saum des Meeres entlang, die Nase immer am Boden. Mit leichtem Grausen sah ich, dass dem Hund das rechte Hinterbein fehlte. Was er dort im fliegenübersähten, fauligen Tang suchte, wußte ich nicht, aber er glich in seiner Unermüdlichkeit nicht minder den Wellen, die er beroch.

Ich stand da, den Arm erhoben, meine Handkante an den Brauen. Was meine Augen mit dem erbarmungslosen Licht einer weißen Nachmittagssonne teilten, war kein Augenblick, noch weniger ein Innehalten, sondern ein Vergessen. Ein Vergessenwerden. Ein Vergessenwordensein. Es überkam mich das Gefühl, dass ich verloren gegangen war in einer ersehnten Einsamkeit, dass mich nicht einmal das Verlangen zurückholen könnte, dass die Sonne und das Meer mich vergessen hatten, als ich in ihren Spiegel gefallen war, dass ich mich auflösen würde oder schon aufgelöst hatte in Licht und Wasser.
Ich stand und fiel.
Das Meer und das Licht und die Steine, die Bruchstücke der Muscheln und der Sepiaschalen, der blasige Tang und der Strandhafer, der widerliche schwarze Hund und ich, alles drehte sich, verlor seinen Fixpunkt, ergab das endlose Mosaik einer entropischen Ewigkeit. Und das unbeirrbare Vor und Zurück des Meeres scherte sich nicht um mich.
Plötzlich trieb der gellende Schrei einer Möwe einen gleißenden Anker der Angst zwischen die Brandung meines Herzschlages, spaltete mein Hier und Jetzt.

Ich rannte. Zurück in die Düne, fühlte den harten Widerstand des Sandes unter meinen Füßen, trockene Halme und Muschelscherben bohrten sich in meine Fußsohlen. Ich rannte. Zurück in die Macchia, zurück in die würzige Umarmung der wehrhaften Macchia, die der Sonne und dem Meer alles entgegensetzte, mit ihren dornigen Sträuchern, den wilden salzigen, saftlosen Brombeeren, dem Schatten der Kermeseichen und der windschiefen , harzigen Kiefern, dem taubwürzigen Wachholder, den nickenden Immortellen, den lieblichklebrigen Zistrosen und dem wilden Thymian. Und alles war Zirpen, war Sirren, war Duft. Atemlos sog ich diesen Duft ein, die Macchia war meine Kapelle und ihr Duft der himmlische Weihrauch.
Schließlich gewann ich meinen Herzschlag zurück, der den gleichförmigen Rhythmus des Meeres verlassen hatte. Wild wie der Duft der Macchia hatte er seinen Fluten ihren eigenen Puls zurückgegeben, der nun hart an meine Rippen schlug und mich zum Sitzen zwang.
Die Felsen der Macchia hatten die Glut des Tages gesammelt und gaben sie heiß wie die Hände eines Liebhabers an mich ab. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch mein schweißnaßes Gesicht.

Als ich aufblickte, sah ich in die blutunterlaufenen Augen des schwarzen Hundes, der sich hechelnd vor mir niedergelassen hatte, räudig und struppig und herrenlos. Ich versuchte, seinem Blick auszuweichen, aber die Düsternis seiner Augen fing mich ein und ich sah in zwei schwarzen, blanken Spiegeln mein eigenes Gesicht. Und die goldgelbe, harzige Sonne ergoß sich zähflüssig, langsam und schwerfällig tropfend über uns und schloß uns beide ein.
**

Haltbarkeit und Sillage sind top. :)


Leute, das ist so ein wunderschöner Duft. Es ging nicht anders als so. Aber ich hoffe, der Text weckt die richtigen Assoziationen.
21 Antworten
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