Über Odtekolong, das „jedenfalls besser schmeckt als Petroleum“! - Eine Hommage der anderen Art

Über die Geschichte der Johann Maria Farinas gegenüber von irgendwelchen Plätzen und an irgendwelchen Kirchen, über die Glockengasse 4711 und 7412 und den weiteren 110 bis 120 ersten „Inspired-By“ bzw. „Fakes“ der Parfumgeschichte ist bereits so viel geschrieben, gestritten und geurteilt worden, dass es wohl überflüssig, müßig und unklug ist, erneuten Diskussionen nebst Rechtsanwaltsbesuchen Leben einzuhauchen. Da mein nordrhein-westfälisches Herz allerdings sowohl für „kleine Weltgeschichte“ als auch für jedwede Art von Parfumprodukten und kleinen Fläschchen schlägt, möchte ich heute dennoch die Kölnischen Wässer auf’s Tapet bringen und ein paar Schmankerl mit Euch teilen, die mir bei der literarischen Beschäftigung mit 4711 und Co. untergekommen sind.
Das erste Anekdötchen ist bereits in der Überschrift entkernt. Es ist Wilhelm Joest zugeschrieben, dessen ethnologische Sammlung den Grundstock des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums bilden soll. Er beschrieb 1895 in seinen „Welt-Fahrten“, dass das seinerzeit zirka 85 Prozent Alkohol enthaltende Kölnisch Wasser „heute in der ganzen Welt, vielleicht mit Ausnahme von Asien, aber in Europa, Amerika, Afrika und Australien“ massenhaft getrunken werde. Er erwähnte einen Mann aus Sibirien, einen „Alkoholisten, der Petroleum-Quartalssäufer“ war: „Über die Geschmäcker ist bekanntlich non disputandum. Jedenfalls schmeckt Eau de Cologne besser als Petroleum.“ (a)
Wegen des hohen Alkoholgehaltes oder wegen geheimnisvoller Ingredienzien - phänomenale Wirkungen wurden den „Aqua Mirabili“‘, den „Eau de Colognes“, den „ächtesten und urächtesten Schlagwassern“, den „Aqua Coloniensis“ und „Acqua Admirable“ Wunderwässern zugesprochen. Ein „Wasserzettel“ aus dem Jahre 1727 - heute hieße dieser wohl „Packungsbeilage“ - gibt einen Überblick über beworbene Anwendungen und erlaubt nebenbei einen amüsanten Einblick in die Alltagsleiden und das medizinische Sachverständnis anno 1727:
[In den Zitaten ist die buchstabengetreue Schreibweise der Originaltexte beibehalten.]
„Es ist ein kräftiges Mittel gegen die Schlag- und Gichtfüße Zittern, Steife des Halses, welche dessen Bewegung verhindert, von kalten Feuchtigkeiten verursachte Flüsse, und insgemein gegen alle Krankheiten, so von vielen Schleimigkeiten, insonderheit aus dem Gehirn, herrühren, wogegen man es dreymal die Woche Tropfenweise ... einnimmt. Es ist ein wunderbares Gegengift gegen allerhand Gift, und ein vortrefliches Präservativ wider die Pest... Es heilet das Herzklopfen und erquicket es wan man sich äusserlich damit schmieret, auch kann man es innerlich gebrauchen. Es lindert die Hauptschmerzen, wan man es durch die Naßlöcher einschnupfet. Es eröfnet mit glücklichem Folg die Verstopfung der Leber, der Milz, Darmgekröß und anderer Theilen, und geneset die Krankheiten, die darans entstehen, nemlich die Gelbsucht, Catharren, Ohnmachten, stinkenden Athem, ... es vertreibet die Colic, und stillet das Magenwehe, wenn man sich eine Kruste geröstert Brod, so in dieses Wasser eingetunkt worden, aufleget, auch kann man es innerlich, wie obgemelt, gebrauchen. Es zertheilet das Seitenstechen und Brustkrankheiten, so von aufsteigenden Winden und kalten Flüssen herrühren, ... Es löset die Geschwülst, welcher von fallen, stossen oder schlagen verursachet werden, wobey es das gerinnene Blut zertheilet, und durch seine Kraft die Verfaulung verhindert. Es heilet den Brand, ... ist vortreflich wider die Zahnschmerzen... Es tröstet ohnfehlbar die Weiber in beschwerlichen Kindbetten, und befördert die Nachgeburt, ... Es ist ohnvergleichlich nützlich für die, so mit Grieß und Stein behaftet seynd, welche es klein wie Sandkörnlein zertheilet und heraustreibet,... Es vertreibet alle durch die Hitze unrühiger Winden erhärtete zähe Schleimigkeiten, wie auch das ungestümme Ohrenklingen. ... Schließlich, wie es die Gesundheit wiederbringet, so verschaffet es auch die Schönheit, dan es ist eine Schminke, so die Haut und deren Farb schön und glatt machet.., und hat man nur um diesen Zweck zu erreichen, dies Wasser mit so viel gemeinen Brunnenwasser zu vermischen, daß es einer Art von Jungfern Milch ähnlich wird....“. (b)
Bescheiden und fast wie ein Parfumo-Statement klingen dagegen die Worte, die Johann Maria Farina 1708 an seinen Bruder Johann Baptist über sein später marktfähig produziertes Eau de Cologne geschrieben haben soll:
„Ich habe einen Duft gefunden, der mich an einen italienischen Frühlingsmorgen erinnert, an Bergnarzissen, Orangenblüten kurz nach dem Regen. Er erfrischt mich, stärkt meine Sinne und Phantasie.“ (c)
Nach einem Dekret, verkündet am 18. August 1810 durch Napoleon, das die Offenlegung der Kompositionen von „Heilmitteln“ forderte, wurden nahezu alle Kölnischen Wässer nur noch als Duftwässer angeboten. Der Wasserzettel von „Farina Gegenüber“ vom 1. Januar 1811 enthält neben der üblichen Lobpreisung in altem Sprachstil einen Warnhinweis:
„Dieses Wasser, zusammengesetzt aus den feinsten, geistigsten und gewürzhaftesten Riechstoffen, welche die Pflanzenwelt erzeugt, ist seiner bewunderungswürdigen Eigenschaften wegen im ganzen gebildeten Europa, selbst in fremden Landen schon so bekannt und berühmt, daß es überflüssig wäre, viel zu seinem Lobe hier anzuführen. Es behauptet daher auch mit Recht unter allen sowohl einfachen als vermischten Wohlgerüchen den ersten Rang, und bildet einen der vorzüglichsten Bestandtheile der Toilette der feineren Welt, um so mehr, da es beim Waschen oder nach dem Bade gebraucht, außerordentlich belebt; nur muß man sich hüten, wenn man sich damit einreibet dem Feuer oder Lichte zu nahe zu treten, weil sein flüchtiger und brennbarer Geist sich leicht entzündet.“ (d)
Kritisch wurden Weiterentwicklungen 1931 beäugt:
„Mit Russisch Kölnisch Wasser hat der Unfug angefangen. Vielleicht waren es die Herren der Schöpfung, die das Duftwasser zuerst etwas rassiger wünschten - so in der Richtung nach Juchtenleder“. (e)
Von bedeutenderem geschichtlichen Belang ist, dass Johann Maria Farina der vierten Generation der echten Kölner Farina-Familie für Markenrechte, die es damals noch nicht gab, gekämpft und das vom Deutschen Reichstag 1874 verabschiedete Markenschutzgesetz mitgestaltet haben soll. Bei Inkrafttreten des Gesetzes ein Jahr später sei "Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs=Platz" als erstes geschütztes Label überhaupt angemeldet worden. Dies inklusive Bildmarke, wie man heute sagen würde, denn die Farina-typische Form des Strichs als Namensunterzug, die ebenso kopiert wurde, durfte ebenfalls nicht mehr benutzt werden. Zusätzlich wurde 1881 per Gesetz die Verwendung des Namens Farina für Eau-de-Cologne-Handelsbetriebe verboten, die nicht der Gründerfamilie entstammten. Es folgten nicht wenige Prozesse wegen Namensrechten. Ein gutes Beispiel für die vielen Nachahmungen und Fälschungen, gegen die sich Farina Gegenüber erwehren musste, lieferte das Unternehmen selbst mit einem Plakat:

(Bild: Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz, aus Quelle 3, Seite 43)
Ein Zeitungstext aus dem Jahre 1929 zeigt die Kämpfe der Mitstreiter und liest sich wie eine Verdrehung kausaler Abhängigkeiten:
„Da Johann Maria Farina im Februar 1820 unserer Firma (d.i. Roger-Gallet) in Paris sein Rezept vom Kölnischen Wasser verkauft hat, ist durch Gerichtsbeschluß festgestellt worden, daß das Kölnische Wasser nicht ein deutsches, sondern ein französisches Erzeugnis ist, was die Deutschen selber ja dadurch anerkennen, daß sie es „Eau de Cologne“ nennen.“ (f)
„Warum ausgerechnet Köln?“, mag man sich noch fragen. Die Antwort ist vielfältig. Köln am Rhein war einst eine bedeutende Handelsmetropole in idealer, zentraler Lage zur Erschließung europäischer Märkte. Kölner Handelswaren waren schon im Mittelalter wegen ihrer hohen Qualität anerkannt. (Die Geschichtsschreibung kennt zum Beispiel „Les grans epees de Coloigne“ - glänzende und gut gearbeitete große Schwerter aus Köln.) Im Hochmittelalter war die ehemalige Colonia Claudia Ara Agrippinensium die größte Stadt des deutschsprachigen Raums. Der Kölner Dom, ein gewaltiges Bauprojekt, galt nach seiner Vollendung bis zum Bau des Washington Monuments als das höchste Bauwerk der Welt und war im 19. Jahrhundert Nationalsymbol für Deutschland. Köln besaß Ruhm und Größe, hatte den ersten nachweisbaren Stadtrat, das früheste nachweisbare Rathaus, war Stadt der ersten Universitätsgründung und Zentrum des europäischen Geisteslebens, Zentrum des Buchdrucks, des Zeitungswesens usw. Der ganzjährig befahrbare Rhein war bis ins 19. Jahrhundert der wichtigste Handelsweg Europas. In Köln trafen sich Geld, Kaufleute und Eliten, was für den Absatz solch hochpreisiger Luxusartikel, wie es die Eau de Colognes seinerzeit waren, unabdingbar war. (Dass bei Ausgrabungen ausgerechnet in Köln eine römische Grabtafel aus dem 2. Jahrhundert für einen Parfumhändler und Parfumflaschen aus der römischen Kaiserzeit gefunden wurden, ist als reine Zufälligkeit zu betrachten.)
Schließen wir ab mit der ultimativen Lobhudelei aus einem Roman, der ich mich bezogen auf „Europas Kultur“ sogar anschließen kann:
„(Mit einem Fußtritt entließ mich Madame Kulla ihrer Dienste, und der Herr van der Mook... hielt mich in seinen Armen aufrecht..., während der afrikanische Dämonentanz ihn und mich, den Mr. Drawboddy und die Lady umkreiste.) Er rieb mir die Schläfen mit Kölnisch Wasser aus dem Flacon der Lady; und, O Frau Claudine, Jahrtausende der Zivilisation waren in diesem Duft, in welchem die europäische Welt von neuem um mich emporstieg! Man muß das Barbarentum gerochen haben..., um das, was ich fühlte, empfand und einatmete, zu begreifen. Dieser Tropfen Eau de Cologne hat mir in der vollen Bedeutung der Worte das Leben gerettet, denn in ihm war Europa mit all seiner Kultur, und so löste er die tödliche Stockung im Blute und wendete den Herzschlag, der mich bedrohte. Es war jedenfalls echtes Kölnisch Wasser, das Mrs. Lavinia Drawboddy in ihrer Tasche mit sich führte.“ (g)
In der Hoffnung, nicht irgendein “Das-darf-man-nicht sagen” benutzt und kein generisches Maskulinum übersehen zu haben, verlasse ich den ersten Blog meiner eigenen kleinen Welt mit einem herzlichen „Tschö, wa!“ Den noch bestehenden „Mercante E Fabricatore D’Acqua Colonia“ bzw. den „Distillateurs der veritablen Eau de Cologne“ wünsche ich weiterhin viel geschäftlichen Erfolg und stets das rechte Gespür zur Erhaltung eines Kulturgutes.
Quellen und Literaturhinweise:
1.) Ernst Rosenbohm: Kölnisch Wasser - Ein Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte. 1951, ohne ISBN-Nummer.
2.) Markus Eckstein: Cologne - Wiege der Eau De Cologne. Köln, 1. Auflage 2013, ISBN 978-3-7616-2676-4.
3.) Werner Schäfke (Hrsg.): Oh! De Cologne. Köln 1985, ISBN 3-87909-150-1.
4.) Georg Schwedt, Helmut Heckelmann: Kölnisch Wasser und Melissengeist. Die Geschichte der Klosterfrau Maria Clementine Martin (1775-1843). Eine kritische Rückschau. Berlin 2019, ISBN 978-3-643-14365-5.
a) Bernhard Kuhlmann in Quelle 3, Seite 11
b) Wasserzettel zum L‘Eau Admirable von Farina Gegenüber aus dem Jahre 1727 in Quelle 3, Seite 20-21
c) Johann Maria Farina zitiert nach Quelle 4, Seite 86
d) Wasserzettel von Farina Gegenüber aus dem Jahre 1811, zitiert nach Quelle 3, Seite 32
e) Schweizerische Drogisten Zeitung No. 14, Zürich 4.4.1931, zitiert nach Quelle 1, Seite 220
f) Kölnische Zeitung am 25. Mai 1929, zitiert nach Quelle 1, Seite 205
g) Der Held Leonhard Hagenbucher in Wilhelm Raabes Roman „Abu Telfan“ aus dem Jahre 1867, zitiert nach Kuhlmann in Quelle 3, Seite 11
Sie gefällt mir außerordentlich, obwohl ich dieses Haus (bisher) wenig beachtet habe ..
Hab herzlichen Dank, es war wunderschön zu lesen und wirklich informativ.