Lily off the Valley…
Lily off the Valley…
The Lily has left the Valley. Oder: Hilfe, hier wurde reformuliert!
Alas, alas! Eheu! Es ist zum Heulen. *Hier weitere Unmutsbekundungen einfügen*
Wie fange ich an? Bei meiner Motivation, beim Ursprung dieses Artikels: Ich mag den Winter nicht. Schon ab Oktober, wenn die letzten bunten Blätter uns verlassen haben, um zu Pampe und Brei auf den Wegen zu werden, graut es mir. Der November bietet noch schöne Impressionen, nach dem ersten Schneezauber im Dezember aber brechen dann alle Dämme: Krankheitserreger, zumeist vom Typ Rhinovirus oder schlimmer, eingeschleppt nach Fahrten in überfüllten U-Bahnen, übernehmen traditionell um die Weihnachtszeit das Zepter in meinem Organismus. Die Dunkelheit drückt die Stimmung. Der Himmel wirft mit Matsch nach mir, wenn ich mich durch die Kälte zur Arbeit quäle. Ich versuche, nein, es gelingt mir meist bis Ende Dezember, den Spirit hoch und mich mit lauschigen Abenden mit Tee und leckeren Düften auf der Couch bei Laune zu halten. Ich zelebriere ein feierliches Weihnachtsfest, freue mich auf den Silvesterabend und schmiede Pläne und Vorsätze fürs neue Jahr.
Aber dann, regelmäßig zu Beginn des Neuen Jahres, genügt es mir. Lange genug gute Miene zu Kälte und Finsternis gemacht, ich habe fertig mit Winter!!! Nach dem 31. Dezember kaufe ich keine Winterkleidung mehr, ich habe keine Lust mehr auf neue warme Sachen. Auch nicht auf Kosmetik mit Winter-Weihnachtsdüften wie Bodylotion mit Lebkuchenduft oder so. Das Winterfeeling hat seinen Zenit überschritten. Ich will Licht, ich will Wärme, Vogelgezwitscher, Grün, Pulloverwetter… Ich weiß, da ist noch lange hin. Gerade wenn man dieser Tage einen Blick aus dem Fenster wirft: Deutschland, ein Winteralbtraum. Dennoch, der Homo odoratus ist ja raffiniert, und so eröffne ich vermittels Düften schon einmal den Vorfrühling. Und den läute ich am Liebsten, und damit bin ich endlich beim Thema, mit Maiglöckchendüften ein. Später kommen dann auch noch die Fliederdüfte hinzu, aber das dauert im Moment noch…
Drum habe ich im Laufe der Zeit schon verschiedene Maiglöckchendüfte getestet. Ich spreche übrigens von solchen Düften, in denen die kleinen weißen Glöckchen die Hauptrolle spielen dürfen. Ich kenne gewiss nicht alle solchen Parfums, aber eine kleine Auswahl schon, und meine Lieblinge möchte ich gerne mal kurz vorstellen, denn ich habe da Kandidaten, die ein relativ schattiges Dasein fristen – völlig zu Unrecht.
Und warum komme ich gerade jetzt auf dieses Thema? Zum einen eben, wie oben ausgeführt, weil ich gerade in der Maiglöckchenphase bin, zum anderen aber auch weil die Restriktionen der IFRA einen sehr wichtigen Duftstoff betreffen, der Maiglöckchendüfte in der Vergangenheit ausgemacht hat, nämlich das Hydroxycitronellal. Dieses darf nur noch in geringeren Konzentrationen Verwendung finden als bisher. Das heißt, dass Maiglöckchendüfte in Zukunft anders sein werden und es in einigen Fällen bereits sind, aufgrund von Reformulierungen.
„Was tun?“ fragt sich der Maiglöckchenfreund. Ich selbst habe mich kürzlich etwas geärgert, weil ich den bisher unangefochtenen Heiligen Maiglöckchengral, Diors Diorissimo, nachgekauft und stark verwässert vorgefunden habe.
Darum stelle ich hier einmal alle mir bekannten Maiglöckchendüfte auf, in der Hoffnung, eventuellen Aspiranten damit Hilfe anbieten zu können – eine Art Maiglöckchenguide, sozusagen. Als Gold-Standard bleibt das alte Diorissimo bestehen, man möge mir daher bitte verzeihen, wenn ich es im Folgenden immer wieder als Messlatte heranziehe.
Ich habe ihn eben schon genannt, den Klassiker: Diors Diorissimo, den wundervollen Meilenstein von Edmond Roudnitska. Einst wurden die zarten Blüten darin wirklich sehr realistisch rekonstruiert. Ich schreibe rekonstruiert, denn – das wissen sicher viele schon, und z.B. Medusa hat das auch schon beschrieben – der Duft der Maiglöckchen wird nicht extrahiert, das ist wohl sehr schwierig, sondern mit Hilfe anderer Duftbausteine nachgebaut, so dass in der menschlichen Nase der Eindruck von Maiglöckchen entsteht. Auch Jean-Claude Ellena zeigt in seinem Büchlein „Der geträumte Duft“ einige Beispiele solcher Rekonstruktionen.
Diorissimo war für mich immer der Königsweg auf der Suche nach Maiglöckchen. Ich habe gerade zwei Flakons offen, einen, der gerade zuneige geht von 2005 und einen frisch gekauften, beide Eau de Toilette. Die neuere der beiden Versionen erscheint mir recht schwach auf der Brust! Ich könnte heulen, denn Diorissimo war immer eine Bank, das sichere, verlässliche Maiglöckchen…Vielleicht gibt es da bei Euch noch weitere Erfahrungen? In meiner Nase fehlt Diorissimo nun das gewisse Etwas. Kurz nach dem Aufsprühen schimmert noch etwas von alten Diorissimo auf, das sich aber bald zu etwas harsch-grünem und geranienartigen wandelt. Der Maiglöckchenakkord bleibt wie in weiter Distanz, es sind sehr ferne Glöckchen, die da bimmeln. Maiglöckchen im nebligen Wald, denen der drohende Frost die Luft abzuschnüren droht. Der Drydown ist moschuslastig-jasminig. Die Haltbarkeit lässt auch zu wünschen übrig, und das dann noch zu Dior-Preisen… Hydroxycitronellal enthält es immernoch, anscheinend aber deutlich weniger. Der kürzlich gekaufte Karton listet es jedenfalls noch auf. Nachdem also das Super-Maiglöckchen so schwächelt wendet sich der Blick sodann suchend nach Alternativen.
Als zweiten Duft möchte ich Euch einen Engländer vorstellen, nämlich Bronnleys Lily of the Valley. Dieser kleine Schatz ähnelt dem alten Diorissimo wirklich sehr, und ein Blick auf die Ingredienzien zeigt: hier wurde auch mit Hydroxycitronellal gearbeitet. In welcher Konzentration und ob sich diese auch bald ändern muss, weiß ich allerdings nicht. Hier findet sich noch dieser wundervolle, zauberhafte Glöckchenakkord! Der Auftakt startet recht zitrisch, dann erblüht das Maiglöckchen. Begleitet wird es von grünen Noten. Es handelt sich auch um ein Eau de Toilette mit ganz ordentlicher Haltbarkeit. Ich rieche es einen Arbeitstag lang an mir. Toll!
Bronnleys Lily of the Valley ist darum mein derzeit heißester Tipp für alle Suchenden. Dazu ist dieser kleine Schatz wirklich erschwinglich! Allerdings gebe ich zu bedenken, dass mein Flakon Anfang 2012 gekauft wurde, inzwischen könnte Bronnley die Rezeptur gemäß den Beschränkungen auch schon geändert haben.
Ebenfalls aus England kommt Yardleys Lily of the Valley. Dieser Duft startet recht grün, man nähert sich den Maiglöckchen über eine feuchte Wiese an, denn recht grasige Noten steigen mir in die Nase. In der Kopfnote erkenne ich auch Reminiszenzen an Jasmin und Gardenie, erst nach einer Weile erscheint ein zurückhaltendes Maiglöckchen. Es bleibt zart, die grünen Noten hindern es daran, in eine ordinäre Seifigkeit abzudriften, wobei es leicht seifig schon wird. Besagtes Hydroxycitronellal fehlt hier laut Karton zur Gänze. Ein frischer, blumig-grasig-zitrischer Duft, der aber in der Maiglockigkeit hinter Bronnley zurückliegt.
Anders als alle anderen Maiglöckchendüfte ist Crabtree&Evelyns Lily. Es ist sehr grün, botanisch möchte ich sagen, nicht mädchen-oder damenhaft. Kein Vintage-Fifties-Feeling. Es weht eine frische Brise aus dem Wald her, in der sich dem Maiglöckchen die Hyazinthe zugesellt, zudem eben grüne Noten. Sehr unsüß und frisch, auch mit Anklängen einer feinen Seifigkeit, die ich normal nicht mag, hier aber bleibt sie erträglich. Eindeutig ein Maiglöckchen, aber mal anders. Lily ist ein unisex-Kandidat würde ich außerdem sagen. Dazu erschwinglich. Eine schöne Abwechslung, aber kein Ersatz für Diorissimo. Dennoch einen Schnupperer wert!
Carons Muguet du Bonheur, ursprünglich aus dem Jahr 1952 (sicherlich inzwischen reformuliert) verspricht ein wundervolles Bouquet mit Noten von u.a. Bergamotte, Neroli, Jasmin, Rose, Heliotrop, Sandelholz, die das Maiglöckchen begleiten sollen. Ich habe es getestet, und es duftet zu meinem Bedauern einfach sehr seifig, was mir wie gesagt nicht zusagt. Frisch-blumig ist es dennoch.
Als es noch hergestellt wurde war Guerlains Aqua Allegoria Lilia Bella (2001) auch ein empfehlenswertes Maiglöckchen. Es wurde begleitet von Rose, Flieder und Jasmin und war ein sehr sanft-pudriges Arrangement. Wer es noch gebraucht oder irgendwo neu findet: ich kann es empfehlen, es ist weniger frisch oder grün als die anderen, aber ein unverkennbares Maiglöckchen. Und um noch mein Missgeschick hier zu teilen: meine restlichen 3ml sind mir vor Wochen gekippt *schluchz*.
Ebenfalls nicht mehr hergestellt wird Diors Lily aus dem Jahr 1999, das uns ein schönes, klares, wenn auch mit Flieder, Lilie etc. orchestriertes Maiglöckchen präsentierte. Grün, lebendig, frisch, leicht rosig - warum wurde das abgesetzt!? Ich möchte es dennoch hier erwähnen weil es wirklich sehr schön und ja vielleicht mal gebraucht zu haben ist? Ich verdanke meine Kenntnis dieser Seltenheit übrigens unserer lieben Lilyvalley hier aus dem Forum, die mich mit einer Abfüllung bedacht hat, vielen lieben Dank dafür!
Im Jahr 2012 launchte Stella McCartney ihr L.I.L.Y, eine Hommage an ihre verstorbene Mutter, ihren eigenen Brautstrauß und ihre Kindheitserinnerungen an Maiglöckchen nahe dem elterlichen Haus. Lauter schöne Motive und eigentlich ein interessantes Konzept: Stella ließ einen waldigen Hintergrund für ihr Maiglöckchen bauen, aus u.a. Patchouli, Eichenmoos, Trüffeln und pfeffrigen Noten. Leider ist Stellas englischer Frühling zu kalt: das Maiglöckchen kommt kaum heraus, bleibt sehr schüchtern und läßt seine Glöckchen in den kalten Waldboden hängen.
Ich konnte es auf der Haut kaum wahrnehmen, und dafür war es mir zu teuer. Wer aber vielleicht eine feinere Nase besitzt oder grundsätzlich leisere, hautnahe Düfte bevorzugt, könnte hier fündig werden. Dazu ist der Flakon echt mal was anderes, wenn auch anspruchsvoll im Handling…
Im letzten Italienurlaub bin ich dazu gekommen, L´Erbolarios Mughetto zu testen. Der Hersteller verrät nirgends, welche Duftbausteine da verbaut sein sollen, das Ergebnis war in meiner Nase schließlich ausgesprochen seifig und ich konnte kaum etwas vom Blütenduft erkennen, hinter all dieser Seifigkeit. Damit fiel der Duft für mich persönlich durch.
Als nächstes möchte ich über Annick Goutals Le Muguet aus dem Jahr 2001 berichten. Das duftet hin-reis-send, wirklich ein unendlich frisches, lebendiges, morgendliches und naturalistisches Maiglöckchen.
Laut Verpackung ist es hier übrigens anscheinend gelungen, diesen schönen Duft gänzlich ohne Hydroxycitronellal herzustellen. Das bedeutet für alle, denen Le Muguet gefällt, dass dieser Duft in der Zukunft wohl so bleiben darf, wie er nun ist. Ein Hoffnungsstreifen am Horizont?
Der Wermutstropfen dabei ist, dass es recht flüchtig ist, was ich bei Goutals Preisen sehr unangenehm finde.
Zuletzt möchte ich noch Penhaligons Lily of the Valley vorstellen. Dieses Maiglöckchen startet etwa so kräftig wie das alte Diorissimo, es kommt dem Klassiker zunächst insgesamt recht nahe, auch wenn es im Verlauf dann sanfter wird. Hier ist ein wirklich schönes, anmutiges Maiglöckchen gelungen, allerdings nicht ganz so knallig wie in Diorissimo. Der Duft behält seine Frische, und beweist eine ordentliche Haltbarkeit. Natürlich ist er höherpreisig als andere hier angeführte Düfte. Ob er in naher Zukunft auch reformuliert und damit anders wird, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich besitze eine kleine Abfüllung ohne Angaben zu den Inhaltsstoffen, darum kann ich dazu auch nichts sagen. Im Moment ist dies aber noch einer der schönsten Maiglöckchendüfte die ich kenne.
So. Am Ende aller Erwägungen steht natürlich immer noch der unbekannte Faktor der individuellen Nase: das hier sind meine Eindrücke. Bin ich eine Referenz? Zumindest ist mein Elternhaus an der Terrasse umgeben von einem breiten Beet voller Maiglöckchen. Die echten Blümchen kenne ich also gut. Meine Mutter benutzte früher auch das alte Diorissimo (in den 80er Jahren). Diesen Duft kenne ich also auch schon lange. Wie immer müsst ihr nun selbst herausfinden, ob ihr meine Ansichten teilt – aber vielleicht konnte ich Euch ja eine kleine Landkarte mitgeben, Euch, die Ihr ja vielleicht auch auf der Suche seid?
Zum Schluss trotzdem noch mein persönliches Ranking, das hauptsächlich aus jenen Düften besteht, die noch im Handel erhältlich sind, der Reverenz halber aber habe ich das alte Diorissimo auf Platz 1 belassen:
[1. Das alte Dior Diorissimo]
2. Bronnley – Lily of the Valley
3. Penhaligon`s – Lily of the Valley
4. Annick Goutal – Le Muguet: für mich schöner als Penhaligons, aber die Haltbarkeit :o(
5. Crabtree&Evelyn – Lily