Eyris
Eyris’ Blog
vor 4 Jahren - 11.08.2020
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Die Kunst des Nicht-Kaufens

Sicherlich kann der ein oder andere mitfühlen, wenn ich behaupte: Stress kann einen wahren Kaufrausch auslösen. Wenn die Zeit knapp ist und somit die "wahren" Freuden im Leben, wie gemeinsame Unternehmungen mit Freunden und Familie oder entspannte Momente in der Natur rar werden, ist es manchmal nur zu naheliegend, sich schnell und unkompliziert bei einem der einschlägigen Onlineshops das "Glück" per Mausklick direkt nach Haus liefern zu lassen.
Ja, ich muss gestehen: bei Stress neige ich zum Parfüm-Frustshoppen! So ist es leider einfach. Und das ist in doppelter Hinsicht fatal: nicht nur, weil die Gefahr von (spontanen) Fehlkäufen steigt, sondern auch, weil meine finanziellen Möglichkeiten als Studentin mehr als begrenzt sind. Viel zu schnell ist das Konto leer und ich warte pleite, aber voller Vorfreude, auf den neuen Besitz.

Und in diesem Moment passiert etwas völlig Irrationales, für das ich mich offen gesagt ein wenig schäme: sobald der heißbegehrte Flakon endlich mir gehört, sinkt mein Interesse an ihm rapide. Damit meine ich nicht, dass mir der Duft an sich weniger gefiele (auch solche Fälle gibt es natürlich leider, aber darum soll es hier nicht gehen), sondern, dass der Duft ein Teil seines Zaubers wieder verliert. Vermutlich klingt es völlig gaga, aber so ist es leider manchmal: das umgarnte Objekt der Begierde verliert an Reiz, sobald es einem plötzlich uneingeschränkt zur Verfügung steht. Schlimmer noch: der Fokus verschiebt sich sofort auf den nächsten Kaufkandidaten, es gibt immer einen nächsten Flakon des Begehrens.
Mir fällt ein Zitat aus Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" ein:

"Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte."

Tja, so scheint es wohl auch beim Parfümkauf gelegentlich zu sein.
Fragt sich nur: was lerne ich daraus?

Die Antwort wurde mir vor Kurzem bewusst, als ich durch einen Nebenjob eine kleinere Geldsumme zurücklegen konnte und mir vornahm, mir damit als kleine Aufmunterung während der verhassten Vorbereitung für meine Abschlussprüfung bei nächster Gelegenheit einen Flakon zu gönnen.
Ich befand mich also in der seltenen Situation, für einen Flakon nicht den letzten Euro zusammenkratzen zu müssen, und begann, meine durchaus ergiebige Wunschliste nach dem nächsten Kaufkandidaten zu durchforsten. Eine Probe nach der anderen nahm ich zur Hand, wägte Düfte gegeneinander ab, lernte sie besser kennen.
Absurderweise gab mir die Gewissheit, jederzeit einen der Flakons kaufen zu können, eine Gelassenheit, die mir sonst nicht zuteil wurde (obwohl es aus rein rationaler Sicht natürlich gerade bei Geldknappheit sinnvoll wäre, seine Kaufabsicht gründlich zu überdenken).
Und dabei fiel mir auf: solange ich noch eine Probe besitze, es also keinen realen "Engpass" beim Kaufkandidaten gibt, besteht wirklich keinerlei Grund, sich sofort auf den nächsten Onlineshop zu stürzen - wozu, nur um den Duft wirklich zu "besitzen"?! Ein Duft ist zum Tragen da, nicht um besessen zu werden.

So hat sich mein Kaufverhalten in den letzten Wochen verändert, ich habe viele gute Angebote und Rabattaktionen ignoriert und stattdessen meine Lieblingsproben genossen, gegeneinander abgewogen, viel Neues getestet und vor allem gelernt: Nicht-Kaufen kann schön sein!
Nun beschnuppere ich meine Kaufkandidaten viel sorgfältiger und genauer, nehme mir selbst den Druck, einen schönen Duft sofort besitzen zu müssen, gebe mir Zeit, ihn zuerst wirklich kennenlernen zu dürfen.
Überraschenderweise habe ich dabei nicht nur Geld gespart, sondern konnte das Probetragen viel mehr genießen als zuvor. Und ich bin mir sicher: wenn dann schließlich doch ein Flakon einziehen darf, wird er nicht nach kürzester Zeit wie ein langweilig gewordenes Spielzeug sein Dasein im Schrank fristen, sondern sich wie ein schon lange lieb gewonnener Freund anfühlen.

Vermutlich ist nicht jeder so verkorkst wie ich; wer hier aber ein kleines bisschen mitfühlen konnte, dem sei gesagt: Fangt an, das Nicht-Kaufen zu genießen!

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