Eyris
Eyris’ Blog
vor 5 Jahren - 11.08.2020
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Die Kunst des Nicht-Kaufens

Sicherlich kann der ein oder andere mitfühlen, wenn ich behaupte: Stress kann einen wahren Kaufrausch auslösen. Wenn die Zeit knapp ist und somit die "wahren" Freuden im Leben, wie gemeinsame Unternehmungen mit Freunden und Familie oder entspannte Momente in der Natur rar werden, ist es manchmal nur zu naheliegend, sich schnell und unkompliziert bei einem der einschlägigen Onlineshops das "Glück" per Mausklick direkt nach Haus liefern zu lassen.
Ja, ich muss gestehen: bei Stress neige ich zum Parfüm-Frustshoppen! So ist es leider einfach. Und das ist in doppelter Hinsicht fatal: nicht nur, weil die Gefahr von (spontanen) Fehlkäufen steigt, sondern auch, weil meine finanziellen Möglichkeiten als Studentin mehr als begrenzt sind. Viel zu schnell ist das Konto leer und ich warte pleite, aber voller Vorfreude, auf den neuen Besitz.

Und in diesem Moment passiert etwas völlig Irrationales, für das ich mich offen gesagt ein wenig schäme: sobald der heißbegehrte Flakon endlich mir gehört, sinkt mein Interesse an ihm rapide. Damit meine ich nicht, dass mir der Duft an sich weniger gefiele (auch solche Fälle gibt es natürlich leider, aber darum soll es hier nicht gehen), sondern, dass der Duft ein Teil seines Zaubers wieder verliert. Vermutlich klingt es völlig gaga, aber so ist es leider manchmal: das umgarnte Objekt der Begierde verliert an Reiz, sobald es einem plötzlich uneingeschränkt zur Verfügung steht. Schlimmer noch: der Fokus verschiebt sich sofort auf den nächsten Kaufkandidaten, es gibt immer einen nächsten Flakon des Begehrens.
Mir fällt ein Zitat aus Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" ein:

"Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte."

Tja, so scheint es wohl auch beim Parfümkauf gelegentlich zu sein.
Fragt sich nur: was lerne ich daraus?

Die Antwort wurde mir vor Kurzem bewusst, als ich durch einen Nebenjob eine kleinere Geldsumme zurücklegen konnte und mir vornahm, mir damit als kleine Aufmunterung während der verhassten Vorbereitung für meine Abschlussprüfung bei nächster Gelegenheit einen Flakon zu gönnen.
Ich befand mich also in der seltenen Situation, für einen Flakon nicht den letzten Euro zusammenkratzen zu müssen, und begann, meine durchaus ergiebige Wunschliste nach dem nächsten Kaufkandidaten zu durchforsten. Eine Probe nach der anderen nahm ich zur Hand, wägte Düfte gegeneinander ab, lernte sie besser kennen.
Absurderweise gab mir die Gewissheit, jederzeit einen der Flakons kaufen zu können, eine Gelassenheit, die mir sonst nicht zuteil wurde (obwohl es aus rein rationaler Sicht natürlich gerade bei Geldknappheit sinnvoll wäre, seine Kaufabsicht gründlich zu überdenken).
Und dabei fiel mir auf: solange ich noch eine Probe besitze, es also keinen realen "Engpass" beim Kaufkandidaten gibt, besteht wirklich keinerlei Grund, sich sofort auf den nächsten Onlineshop zu stürzen - wozu, nur um den Duft wirklich zu "besitzen"?! Ein Duft ist zum Tragen da, nicht um besessen zu werden.

So hat sich mein Kaufverhalten in den letzten Wochen verändert, ich habe viele gute Angebote und Rabattaktionen ignoriert und stattdessen meine Lieblingsproben genossen, gegeneinander abgewogen, viel Neues getestet und vor allem gelernt: Nicht-Kaufen kann schön sein!
Nun beschnuppere ich meine Kaufkandidaten viel sorgfältiger und genauer, nehme mir selbst den Druck, einen schönen Duft sofort besitzen zu müssen, gebe mir Zeit, ihn zuerst wirklich kennenlernen zu dürfen.
Überraschenderweise habe ich dabei nicht nur Geld gespart, sondern konnte das Probetragen viel mehr genießen als zuvor. Und ich bin mir sicher: wenn dann schließlich doch ein Flakon einziehen darf, wird er nicht nach kürzester Zeit wie ein langweilig gewordenes Spielzeug sein Dasein im Schrank fristen, sondern sich wie ein schon lange lieb gewonnener Freund anfühlen.

Vermutlich ist nicht jeder so verkorkst wie ich; wer hier aber ein kleines bisschen mitfühlen konnte, dem sei gesagt: Fangt an, das Nicht-Kaufen zu genießen!

25 Antworten
HektorHektor vor 3 Monaten
Gerne gelesen und mich dort auch wiedergefunden. Bei mir ist es nicht das Geld-, sondern das Platzproblem, was mir mittlerweile zu schaffen macht. Ich habe mir auch schon verschiedene Dinge vorgenommen, um eine weitere Vergrößerung der Sammlung zu verhindern, die aber alle noch nicht zum Erfolg geführt haben. Zum Beispiel kaufe ich nur noch, was ich wirklich gut und ausgiebig getestet habe (Ausnahmen sind wirklich selten geworden) und wo nach dem Ende der Probe eine gute Gelegenheit zum Kauf eines Flakons besteht. Mehr als ein bis zwei Neuzugänge pro Monat sollten es auch nicht sein. Überwiegend klappt das. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden und meinen Frieden damit gemacht.
Finchen1976Finchen1976 vor 5 Jahren
Aaaah, ich wünschte, da wäre ich so weit wie Du! :-)
MarieLaVieMarieLaVie vor 5 Jahren
Das kann ich alles nur unterschreiben! Im Prinzip geht es ja um das Belohnungsprinzip und das wird umso mehr aktiviert, wenn das begehrte "fern" ist. Ist der Duft zum Greifen nah, ist es im Grunde nichts Besonderes mehr.
Verkorkstes Hirn, aber meins tickt leider genauso :P
BlauemausBlauemaus vor 5 Jahren
Ach ja, das kenne ich auch. :)))) inzwischen überlege ich auch zweimal, wie oft ich einen Duft wirklich trage.
Nickhun1Nickhun1 vor 5 Jahren
Welch wahre Worte, in denen ich mich teilweise wiedererkannt habe. :-)
SweetscentSweetscent vor 5 Jahren
Sehr schön beschrieben und natürlich bist du nicht alleine, auch ich habe mich direkt erkannt. Wie du mit dem Nietzsche-Zitat schon passend feststellst, ist das „Problem“ allgemeiner Natur und trotzdem kann ich als Ex-Student eines Fachs bei dem man hinterher auch nicht merklich mehr Geld hat besonders mitfühlen.
Sammlung klein halten ist auch meine Devise ;-)
PollitaPollita vor 5 Jahren
Ich ticke da ähnlich wie Floyd. Ich mag auch keine zu große Sammlung haben. Mehr als 50 Düfte wären für mich ein No-Go. Wann soll man die bitte alle tragen? Das hast Du richtig erkannt: Düfte sind zum Tragen da und nicht nur zum Besitzen. Ruhig mehrmals testen und dann erst entscheiden, ob sich ein Kauf lohnt oder nicht. Bei mir ziehen auch immer mal wieder Düfte aus, die ich nur unregelmäßig trage. Dafür habe ich auch einige, die ich bald zum dritten oder vierten Mal nachkaufe :)
WalkerWalker vor 5 Jahren
Was du schreibst kann ich voll nachvollziehen, glaube es geht sogar vielen so!
Meine Lösung war meine Sammlung in 6 Duftgruppen zu unterteilen, also "Sommer", "Winter", "Ausgehen", etc. und mir dann ein Limit zu setzen: Nicht mehr als maximal 2 Düfte pro Gruppe.
So muss ich vor jedem Kauf ganz ausführlich überlegen und testen und das macht wie du schon geschrieben hast echt Freude und ich mache keine Käufe mehr, die irgendwann doch im Souk landen.
MoniEMoniE vor 5 Jahren
Sehr schön beschrieben und Du bist hier in allerbester Gesellschaft :-). Menschen sind doch von jeher Jäger und Sammler. Ich finde, bedenklich wird es erst, wenn sich eine echte Kaufsucht entwickelt, aber das trifft auf Dich, so wie Du Dein Verhalten beschreibst, ja nicht zu. Ich kann mich mittlerweile auch sehr am Nicht-Kaufen erfreuen :-). Meine Sammlung war und ist klein und wenn ich einen neuen Flakon kaufe, muss meist ein anderer gehen. Zuviel Besitz macht mich sowieso immer nervös :-).
SirLancelotSirLancelot vor 5 Jahren
Sehr ehrlicher Blog, der sich im Grunde genommen mit dem Thema des Glücksgefühls in Relation zum eigenen Konsumverhalten beschäftigt. Letztendlich muss zwischen dem momentanen Glücksgefühl, welches beim Kauf des Flakons entsteht, und einem generellen "glücklichen Grundgefühl" unterschieden werden, welches von innen kommt und bei jedem von uns durch individuelle Faktoren bestimmt wird, aber eigentlich schon durch das Genießen, nämlich den eigenen Duft zu tragen, erfüllt sein sollte.
DaisyDaisy vor 5 Jahren
Das freut mich sehr für Dich. Ich nenne es vernunftgelenkte Impulskontrolle oder je gereifter der Wunsch umso größer der Genuss. :-)
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
Dein ehrlicher Beitrag gefällt mir gut.
Fresh21Fresh21 vor 5 Jahren
... und das "Genießen des Nicht-Kaufens" kann man (u.a.) auch dadurch fördern, herauszufinden, ob sich manche Düfte der eigenen Sammlung zum Layern eignen.
Fresh21Fresh21 vor 5 Jahren
1
Gerne gelesen, und bei deinem "Fangt an, das Nicht-Kaufen zu genießen!" gehe ich mit. Denn wenn die Sammlung immer größer wird, wie sollte man jedes einzelne Parfum noch gebührend verwenden, wenn es zu selten dran kommt? Zum Tragen, nicht zum Rumstehen haben wir sie doch eigentlich gekauft. Und juckt der Reiz des Neuen dennoch ab und zu, ist "Optimierumg durch Limitierung" meine (Kompromiss)Lösung, nämlich eine max. Anzahl an Düften nicht zu überschreiten (kommt ein neuer muss ein alter gehen:)
FloydFloyd vor 5 Jahren
Das tue ich, weshalb meine Sammlung auch weiterhin klein geblieben ist. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Zu welchen Gelegenheiten wirst Du Duft XY tragen. Wie oft wird das sein. Lohnt sich das u.s.w...
LeonsLeons vor 5 Jahren
Doch ... bin genauso "verkorkst".
Allerdings hat sich das seit einigen Monaten sehr gelegt. Die Erfahrungen mit Streßkäufen und übereilten Entscheidungen haben mich wesentliches gelehrt. Die Stunden des Durchwandern der Berliner Flakonhochburgen genieße ich mehr, das Testen ist genußvoller,
auch das Seinlassen ist zu einer großen Wohltat geworden.
Man weiß besser mit ambitionierten Verkaufspersonal umzugehen und ich habe ich die tolle Erfahrung gemacht, daß es ebenso gelassene Berater gibt.
YukikoYukiko vor 5 Jahren
Ich unterschreibe jeden Punkt. Du bist also nicht allein und gar nicht 'verkorkst' ;-)
Einen Selbstbeherrschungs-Pokal für Dich !
QueenVicQueenVic vor 5 Jahren
Du schreibst mir aus der Seele! War gerade in meiner Lieblingsparfümerie in Frankfurt und hätte einen Rundumschlag machen können. Habe kürzlich viel Geld bei Ludwig Beck gelassen und momentan wäre jeder weitere Kauf egoistisch, insbesondere, wenn man auch noch eine Familie zu versorgen hat. Aber wie hält man sich zurück? Bin ohne Flakon in der Tasche aus Frankfurt zurück gekehrt und schon fast stolz auf mich. Traurig, oder? Bin für jeden weiteren Tipp bezüglich Suchtbekämpfung dankbar.
BehmiBehmi vor 5 Jahren
Sehr schön geschrieben ,dieses Verhalten kenne ich nur zu gut!
KäfermariaKäfermaria vor 5 Jahren
Ich fühle mit dir und deine neue Herangehensweise ist super... & vor allem vernünftig! :-)
DoubsDoubs vor 5 Jahren
Ich fühle mich durch deinen Beitrag auch voll angesprochen! Vor allem das Frust-Shoppen kommt mir bekannt vor. :-)
Da ich aktuell relativ wenig Stress habe, ist mein Verlangen danach zurückgegangen und ich konnte viele herumliegende Proben durchtesten. Ich habe dabei festgestellt, dass ich mittlerweile mit den Düften bzw. Neuanschaffungen kritischer umgehe und direkt aussortiere, was mir nicht 100 prozentig gefällt.
ExUserExUser vor 5 Jahren
Auch ich kenne das Gefühl nur zu gut, glaube aber zumindest mittlerweile auch etwas vernünftiger an die Sache zu gehen. Der größte Reiz liegt im entdecken der Düfte und nicht im Besitz eines Flakons. Sollte mich die Probe dann so fesseln, dass ich die Probe trotz der schönen anderen Flakons häufig bevorzuge und leere, dann lohnt sich der Kauf auch. :-)
Benji0039Benji0039 vor 5 Jahren
Als Student kann ich deine Erfahrungen 100% fühlen, es geht mir in klausurenphase genauso, dein Beitrag landet jetzt in meiner Bildgalerie auf dem Handy, damit ich mich in Stress Situationen an deine Herangehensweise erinnere und sie somit selbst anwende, danke!!
GürteltierGürteltier vor 5 Jahren
Ich kann nicht nur ein bisschen mitfühlen ;-)
NordiqueNordique vor 5 Jahren
Ich glaube, dass das rein gar nichts mit irgendeiner Form der Verkorkstheit zu tun hat - keine Sorge! ;)
Sehr sympathischer Blog, in dem sich bestimmt ein Großteil der hier regelmäßig Frequentierenden in gewisser Weise wiederfinden kann - mich eingeschlossen ;)

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